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Streithelfer: Bindung an ein unrichtiges Geständnis der Partei

OLG Schleswig-Holstein, Az.: 9 U 19/98

Urteil vom 20.01.1999

Tatbestand

Die Klägerin nahm die Beklagte auf Schadensersatz wegen der Beschädigung von Motorrädern in Anspruch.

Die Klägerin betreibt den Verkauf und die Reparatur von Motorrädern.

 Verkauf und die Reparatur von Motorrädern
Symbolfoto: structuresxx/Bigstock

Die Beklagte interessierte sich für Motorräder und wollte diese fotografieren. Dazu stellte sie sich vor die vor der Fensterfront aufgereihten Motorräder und ging in die Hocke. Beim Versuch hochzukommen verlor sie das Gleichgewicht und fiel gegen eines der vor der Fensterfront aufgestellten Motorräder. Dieses stürzte durch den Aufprall um und riß weitere daneben stehende Motorräder um, die dabei beschädigt wurden.

Die Streithelferin der Beklagten, ihre Privathaftpflichtversicherung, hat geltend gemacht, daß der Schadenshergang technisch nicht nachvollziehbar und fingiert sei.

Das LG hat die Beklagte gemäß § 141 ZPO angehört, hat den Kfz-Meister und Maschinenschlosser der Klägerin als Zeugen gehört. Die Beklagte hat erklärt:

„Ich bin dann zwischen den Motorradreihen durchgegangen und wollte fotografieren, dabei bin ich in die Hocke gegangen und habe dabei gemerkt, daß ich mit Brille nicht fotografieren könnte. Ich habe dann die Brille abgenommen, wollte sie irgendwo hinlegen und bin deshalb, ohne mich abzustützen, hochgekommen. Dabei habe ich das Gleichgewicht verloren und bin dann nach hinten gegen ein Motorrad gefallen.”

Die Streithelferin hat die Auffassung vertreten, daß diese Schilderung kein Geständnis darstelle, jedenfalls wegen offenbarer Unrichtigkeit und kollusivem Zusammenwirken nicht bindend sei. Hilfsweise hat sie das Geständnis widerrufen.

Das LG hat die Beklagte zur Zahlung von 36.455,65 DM verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat die Streithelferin zugunsten der Beklagten Berufung eingelegt. Sie leugnet ein Verschulden der Beklagten an dem behaupteten Geschehensablauf und wiederholt, daß der Schadenshergang technisch nicht nachvollziehbar sei, weil von dem rückwärts hinfallenden Körper der Beklagten zwangsläufig eine maßgeblich senkrecht nach unten gerichtete Kraftkomponente ausgegangen sei und die dabei möglicherweise horizontal wirkende Kraft nicht ausgereicht habe, das erste Motorrad aus der Schräglage so aufzurichten, daß es habe umstürzen können, schon gar nicht weitere Motorräder habe zum Umstürzen bringen können. Darüber müsse ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden. Das Geständnis der Beklagten entfalte insoweit keine Bindungswirkung, weil die Unwahrheit der zugestandenen Tatsachen offenkundig sei und der Versicherungsfall vorgetäuscht sei. In Fällen solcher Art müsse der Haftpflichtversicherer in entsprechender Anwendung von § 69 ZPO von den Beschränkungen des § 67 ZPO freigestellt werden, um sich vor den Folgen vorgetäuschter Versicherungsfälle schon im Haftpflichtprozeß schützen zu können.

Die Berufung blieb ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe

Soweit die Streithelferin nunmehr erstmals ein Verschulden der Beklagten in Zweifel zieht, läßt sich Fahrlässigkeit der Beklagten nach Auffassung des Senats nicht verneinen. Die Beklagte ist nach ihren Angaben in einem relativ schmalen Gang zwischen zwei Motorradreihen in die Hocke gegangen, um zwei Motorräder zu fotografieren. Als sie bemerkte, daß ihre Brille dabei störte, ist sie, ohne sich abzustützen, aufgestanden, um die Brille irgendwo abzulegen. Dabei ist sie beim Zurücktreten bzw. schon beim Hochkommen ins Straucheln geraten und nach hinten gegen ein anderes Motorrad gefallen. Daß dieser Hergang so ungewöhnlich war, daß er nicht vorhersehbar war, läßt sich nicht sagen. Bei entsprechender Vorsicht und einem Abstützen wäre das Straucheln sicher vermeidbar gewesen. Es liegt nichts dafür vor, daß die Beklagte das Gleichgewicht aus irgendwelchen nicht beherrschbaren Gründen verloren hat. Die Beklagte trägt selbst nicht vor, daß ihr schwindelig geworden sei oder Gleichgewichtsstörungen vorgelegen hätten. Vielmehr trägt sie im Berufungsverfahren ausdrücklich vor, daß sie normalerweise keinerlei Gleichgewichtsstörungen habe, wenn sie sich in die Hocke begebe oder aus der Hocke aufstehe.

Den Geschehensablauf hat die Beklagte schriftsätzlich und bei ihrer Anhörung vor dem LG zugestanden. An dieses Geständnis ist auch ihre Streithelferin gebunden, wie das LG zutreffend ausgeführt hat, selbst wenn das Geständnis falsch sein sollte. Eine Bindungswirkung besteht ausnahmsweise nur bei offenkundiger Unwahrheit oder betrügerischem Zusammenwirken der Parteien zum Nachteil der Streithelferin nicht (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl., § 288 Rz. 7; Thomas/Putzo, ZPO, 21. Aufl., § 288 Rz. 6 und 7; Prütting in MünchKomm/ZPO, § 288 Rz. 35, jew. m.w.N.).

Offenkundig unrichtig i.S.d. § 291 ZPO ist das Geständnis der Beklagten sicher nicht. Die Schilderung des Schadensherganges ist nach Auffassung des Senats auch nicht unmöglich. Für ein betrügerisches Zusammenwirken der Parteien liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Der Senat hält die Schilderung der Beklagten im Gegenteil für glaubhaft und sieht nicht, welches Interesse sie gehabt haben könnte, einen Schaden zulasten ihrer Privathaftpflichtversicherung zu fingieren. Eine Bekanntschaft zum Inhaber der Klägerin liegt nicht vor; die Beklagte hat nur ihr früheres Motorrad bei der Klägerin warten und im Bedarfsfalle reparieren lassen. Durch ihr Bestreiten zur Höhe hat die Beklagte in erster Instanz immerhin eine Herabsetzung des geltend gemachten Schadens von 47.730,83 DM auf 35.005,65 DM erreicht. Es bleibt nur die auf ein Privatgutachten gestützte Behauptung der Streithelferin, daß die Schilderung des Schadensherganges durch die Beklagte technisch nicht nachvollziehbar sei. Dies nötigt den Senat jedoch nicht, darüber das beantragte Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Privatsachverständige ist zwar zu dem Ergebnis gelangt, daß der geschilderte Schadenshergang technisch nicht nachvollziehbar ist. Dabei hat er eine Anstoßhöhe von 0,72 m (wohl linke Lenkerhälfte) unterstellt und eine beibehaltene Horizontalkraft von 200 bis 225 N (= rund 20 bis 22,5 kg) angenommen, um das Motorrad um ca. 7 cm aufzurichten und über den Kippunkt hinweg nach rechts zum Stürzen zu bringen. Wie diese Krafteinwirkung in der erforderlichen Höhe durch die rückwärts stolpernde Beklagte gewirkt haben soll, war für den Sachverständigen nicht nachvollziehbar, weil ein stolpernder Mensch auch den Gesetzen der Schwerkraft unterliege und selbst zu Boden zu stürzen beginne, so daß auch erhebliche Kraftkomponenten von oben nach unten wirkten. Dies ist grundsätzlich zwar richtig, steht dem geschilderten Schadenshergang aber nicht zwingend entgegen. Die Beklagte will beim Hochkommen („dabei”) das Gleichgewicht verloren haben und dann nach hinten gegen ein Motorrad gefallen sein, wie sie bei ihrer Anhörung vor dem LG erklärt hat. Wenn man rückwärts ins Stolpern/Straucheln gerät, wird man aber nicht gleich zu Boden stürzen, sondern durch Nachziehen der Beine eher versuchen, einen Sturz zu vermeiden. Dann können in einer Anstoßhöhe von 0,72 m aber nach Einschätzung des Senats durchaus Horizontalkräfte von 20 bis 22,5 kg wirken, die ausreichen, um ein Motorrad um ca. 7 cm aufzurichten und über den Kippunkt hinweg zum Stürzen zu bringen. Das Zu-Boden-Stürzen der Beklagten (möglicherweise auf das Motorrad) kann erst begonnen haben, als das Motorrad bereits über dem Kippunkt hinweg war, und kann den Druck auf das daneben stehende Motorrad verstärkt haben, so daß dieses ebenfalls zu kippen begann. Dabei muß es nicht unbedingt zu Verhakungen zwischen den Motorrädern gekommen sein, die ein weiteres Kippen von Motorrädern nach rechts entsprechend dem sog. Dominoeffekt verhinderten. Die vorgelegte Videoaufzeichnung von umstürzenden Motorrädern zeigt, daß ein „Dominoeffekt” unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Im vorliegenden Fall läßt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zusätzlich feststellen, daß die Beklagte und eine Reihe von Motorrädern nach dem Sturz der Beklagten tatsächlich auf dem Fußboden gelegen haben. Das Gutachten des Privatsachverständigen beruht daher auf nicht hinreichend gesicherten Anknüpfungstatsachen und ist als einziges Indiz nach Auffassung des Senats nicht geeignet, den Rückschluß auf ein unmögliches Ereignis oder auf ein betrügerisches Zusammenwirken der Parteien zu begründen.

Auch die Bindungswirkung des vorliegenden Haftpflichtprozesses für den Deckungsprozeß ist nach Auffassung des Senats nicht geeignet, dem Geständnis der Beklagten die Bindungswirkung zu nehmen. Auf die beiläufige Bemerkung des BGH in r+s 1994, 212 kann die Streithelferin sich nicht berufen (entsprechende Anwendung des § 69 ZPO und dadurch Befreiung von den Beschränkungen des § 67 ZPO). Die Streithelferin ist nicht notwendiger, sondern nur einfacher (unselbständiger) Streitgenosse der Beklagten. Die Streithelferin kann dem Geständnis der Beklagten daher nicht mit der Wirkung widersprechen, daß dieses unwirksam und nach § 286 ZPO frei zu würdigen ist (vgl. auch Lemcke in der Anmerkung zur BGH-Entscheidung).

Dabei verkennt der Senat nicht, daß die Verteidigungsmöglichkeiten der Streithelferin im Deckungsprozeß aufgrund des Geständnisses der Beklagten im vorliegenden Haftpflichtprozeß beschränkt sind. Ihre Behauptung, die Beklagte habe im vorliegenden Haftpflichtprozeß unwahre Angaben zum Schadensfall gemacht und damit eine vorsätzliche Verletzung ihrer Aufklärungsobliegenheit begangen mit der Folge von Leistungsfreiheit, müßte die Streithelferin beweisen. Dieser Beweis ist sicher ebenso schwer zu führen wie der Beweis eines arglistigen, kollusiven Zusammenwirkens der Parteien zu Lasten der Streithelferin im vorliegenden Rechtsstreit. Als Ausweg aus dieser für Haftpflichtversicherer unbefriedigenden Situation kommt nach Auffassung des Senats entgegen Bayer, NVersZ 1998, 9, 13 aber nicht die analoge Anwendung des § 69 ZPO in Betracht, so daß die Beschränkungen des § 67 ZPO dann nicht gelten würden. Nach Auffassung des Senats fehlt es an einer gesetzlichen Lücke. Im Falle der gewöhnlichen/unselbständigen Nebenintervention gelten andere Bestimmungen (§§ 66, 67 ZPO) als im Falle der streitgenössischen Nebenintervention (§§ 61, 69 ZPO). Die Streithelferin ist aufgrund ihres Beitritts nur einfacher, nicht notwendiger Streitgenosse der Beklagten, und die gesetzliche Differenzierung kann nicht dadurch verwischt werden, der Streithelferin die weitergehenden Rechte entsprechend § 69 ZPO einzuräumen. Dazu reicht ihr Schutzbedürfnis vor (zunehmenden) manipulierten Schadensfällen nicht aus. Im übrigen ist der Streithelferin der Einwand arglistigen, kollusiven Zusammenwirkens der Parteien im vorliegenden Rechtsstreit keineswegs abgeschnitten, um die Bindungswirkung des Geständnisses der Beklagten entfallen zu lassen. Nur ist dieser Beweis im vorliegenden Fall nicht zu führen, wie ausgeführt ist. Der Senat hat daher keine Veranlassung gesehen, die Revision gemäß § 546 Abs. 1 ZPO insoweit zuzulassen. …

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