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Streitverkündung – Prüfungsumfang im Ausgangsprozess

OLG Frankfurt – Az.: 14 W 37/11 – Beschluss vom 01.06.2011

Der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Fulda vom 31.03.2011 wird abgeändert.

Die Zustellung der Streitverkündungsschrift des Beschwerdeführers vom 24.01.2011 an die Antragsgegner zu 1), 2) und 3) sowie an den Insolvenzverwalter über das Vermögen des Antragsgegners zu 3) Rechtsanwalt …, Stadt1, wird angeordnet.

Gründe

1. In dem vorliegenden selbständigen Beweisverfahren begehrt der Antragsteller die Feststellung des baulichen Zustandes und verschiedener Mängel betreffend ein in seinem Eigentum stehenden Gebäude. Der Antragsteller zu 6) war mit Ingenieurleistungen für Statik, Bewehrung und Wärmeschutz beauftragt. Die Antragsgegner zu 1) und zu 2) waren die für das Bauvorhaben zuständigen Architekten, die das volle Leistungsbild nach § 15 HOAI zu erbringen hatten. Der Antragsgegner zu 3) betreibt ein bauausführendes Unternehmen. Über sein Vermögen ist inzwischen das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt … aus Stadt1 zum Insolvenzverwalter bestellt worden.

Die A … plc verkündete namens des Antragsgegners zu 6) unter anderem den Antragsgegnern zu 1), zu 2) und zu 3) sowie dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der Antragsgegnerin zu 3) den Streit.

Das Landgericht wies mit Verfügung vom 27.01.2011 darauf hin, dass Zweifel an einer Vertretungsberechtigung mit Blick auf § 79 ZPO bestünden. Mit weiterer Verfügung vom 21.02.2011 wurde dem Antragsgegner zu 6) mitgeteilt, dass die Erteilung einer Vollmacht für die A … plc nicht möglich sei und er sich allenfalls den Antrag zu Eigen machen könne. Letzteres geschah mit Schreiben vom 14.03.2011. Das Landgericht wies darauf mit der angefochtenen Entscheidung die Streitverkündung als unstatthaft zurück, soweit sie gegenüber den Antragsgegnern zu 1) bis 3) und dem Insolvenzverwalter erklärt worden war. Zur Begründung ist ausgeführt, die Voraussetzungen des § 72 Abs.1 ZPO lägen nicht vor, da die Antragsgegner und der Insolenzverwalter bereits an dem Beweisverfahren beteiligt und deswegen nicht Dritte im Sinne der genannten Vorschrift seien. Gegen diese dem Antragsgegner zu 6) am13.04.2011 zugestellte Entscheidung hat die A … plc in dessen Namen am 18.04.2011 Beschwerde eingelegt.

2. Bei dem Rechtsmittel handelt es sich um die nach § 567 Abs.1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde, die im Ergebnis auch zulässig ist.

Die sofortige Beschwerde hätte wirksam zwar nur von dem Antragsgegner zu 6) oder einer nach § 79 ZPO zu seiner Vertretung berechtigten Person eingelegt werden können. Ein persönlich von dem Antragsgegner zu 6) eingelegtes Rechtsmittel liegt nicht vor. Die A … plc gehört nicht zu dem nach § 79 Abs.2 ZPO zur Vertretung einer Partei berechtigten Personenkreis. Ihr Auftreten als Vertreterin des Antragsgegners zu 6) ist zwar mit den Verfügungen des Landgerichts vom 21.01.und 21.02.2011 beanstandet worden. Indes sieht § 79 Abs.3 Satz 1 ZPO für die Zurückweisung eines Vertreters einen Beschluss vor. Daran fehlt es schon deswegen, weil die Zurückweisung nur durch Verfügung eines Mitglieds der Zivilkammer angesprochen wurde und eine Kollegialentscheidung der Zivilkammer über eine Zurückweisung nach § 79 Abs.3 ZPO nicht vorliegt. Ohne die hier nicht gegebene Beschlussfassung sind die Prozesshandlungen des nicht vertretungsberechtigten Versicherers, mithin auch die Rechtsmitteleinlegung, wirksam. Das folgt aus § 79 Abs.3 Satz 2 ZPO.

3. Das Rechtsmittel ist in der Sache begründet.

Die Frage, wann die in § 73 Satz 2 ZPO grundsätzlich angeordnete Zustellung der Streitverkündungsschrift zu unterbleiben hat, ist in § 72 Abs.2 Satz 2 ZPO geregelt. Diese Vorschrift ist im Streitfall weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

a) Nach § 72 Abs.1 ZPO kann eine Partei, die für den Fall des ihr ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten besorgt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits dem Dritten gerichtlich den Streit verkünden. Diese Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Streitverkündung sind grundsätzlich nicht bei der Anordnung der Zustellung der Streitverkündungsschrift, sondern erst im Folgeprozess zu prüfen (BGHZ 65, 127 ff, 130 f; 70, 187 ff; 160, 263 ff; Beschluss vom 08.02.2011 VI ZB 31/09 zit.n.iuris; Zöller / Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 72 Rdn.1a m.w.N.).

Fehlt es indes an einer Streitverkündung im Rechtssinn, ist die unstatthafte Streitverkündung bereits im Ausgangsverfahren von Amts wegen ohne Zustellung zurückzuweisen. Eine solche Fallgestaltung hat der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit bei der Streitverkündung gegenüber einem gerichtlichen Sachverständigen angenommen (BGH Beschlüsse vom 27.06.2006 VII ZB 16/06 und vom 19.12.2006 VIII ZB 49/06 beide zit.n.iuris). Dem ist inzwischen durch den mit Art.10 Nr.2 Buchstabe a des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 22.12.2006 (BGBl.I, 3416) eingefügten § 72 Abs.2 ZPO Rechnung getragen. Diese Regelung besagt, dass das Gericht und ein vom Gericht ernannter Sachverständiger nicht Dritte im Sinne des Abs.1 sind (Satz 1) und § 73 Satz 2 ZPO keine Anwendung finde (Satz 2), also eine Zustellung der Streitverkündungsschrift zu unterbleiben hat. Eine unmittelbare Anwendung von § 72 Abs.2 Satz 2 ZPO scheidet im Streitfall aus, den die Streitverkündung ist weder gegenüber dem Gericht noch gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen erklärt worden.

b) § 72 Abs.2 Satz 2 ZPO kann auf den vorliegenden Fall, dass einer von mehreren Antragstellern den anderen den Streit verkündet, auch nicht entsprechend angewendet werden.

Der Bundesgerichtshof hat eine analoge Anwendung des § 72 Abs.2 Satz 2 ZPO im Falle einer Streitverkündung an den gegnerischen Prozessbevollmächtigten abgelehnt (BGH Beschluss vom 08.02.2011 VI ZB 31/09 zit.n.iuris).. Zur Begründung ist ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die für eine Analogie erforderliche planwidrige Regelungslücke vorliege, Jedenfalls fehle es an einer vergleichbaren Interessenlage. Auch der Senat kann die Frage, ob einer Analogie schon das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke entgegensteht, offen lassen.

c) Nach dem Gesetzeswortlaut des § 72 Abs.1 ZPO handelt es sich bei der Streitverkündung um die Benachrichtigung eines Dritten. Wer als Dritter anzusehen ist, wird in der Vorschrift nicht erläutert. In dem durch das 2. JuMoG eingefügtem § 72 Abs.2 Satz 1 ZPO ist lediglich in negativer Hinsicht klargestellt, das das Gericht und ein vom Gericht ernannter Sachverständiger nicht Dritte im Sinne dieser Vorschrift sind. Erläutert wird dazu, keine Dritte seien alle diejenigen, die am Rechtsstreit bereits mit einer mit Streithilfe unvereinbaren Funktion beteiligt seien (BGH Beschluss vom 08.02.2011 VI ZB 31/09 zit.n.iuris; Zöller / Vollkommer aaO, Rdn. 1). In dem bereits zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofs heißt es dazu:

“Der Gesetzesbegründung sind keine Hinweise darauf zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Streitverkündung über den Wortlaut der Bestimmung hinaus auch gegenüber anderen als den darin genannten Personen – und den Parteien, die als Erster bzw. Zweiter des Verfahrens nicht zugleich Dritte sein können – von vornherein ausschließen wollte. Durch die durch Art. 10 Nr. 2 Buchstabe a des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I 3416) eingefügte Regelung des § 72 Abs.2 ZPO sollte der zunehmend zu verzeichnenden Praxis Einhalt geboten werden, dass gerichtlich bestellten Sachverständigen auf der Grundlage des im Jahre 2002 neu in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommenen Haftungstatbestands des § 839a der Streit verkündet wurde (vgl. BT-Drs. 16/3038 S. 36). Im Anschluss an die überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sollte klargestellt werden, dass eine Streitverkündung gegen den gerichtlichen Sachverständigen und das Gericht generell unzulässig ist und dieser Umstand abweichend von dem allgemeinen Grundsatz, wonach über die Zulässigkeit der Streitverkündung erst in einem eventuellen Folgeprozess zu entscheiden ist, bereits im Erstprozess zu berücksichtigen ist (vgl. BT-Drs. 16/3038 S. 36 ff.). Denn weder der Richter noch der gerichtliche Sachverständige könnten als Dritte im Sinne des § 72 Abs.1 ZPO behandelt werden. Sie seien notwendiger Teil des Verfahrens bzw. weisungsgebundener Gehilfe des Gerichts und zur Unparteilichkeit verpflichtet. Die Möglichkeit der Prozessbeteiligung stelle für sie keinen gangbaren Weg dar. Der Sachverständige würde durch eine Prozessbeteiligung seine Neutralitätspflicht verletzen und könnte wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Ein Richter wäre im Falle seines Beitritts nach § 41 Nr.1 ZPO ausgeschlossen. Andere Prozessbeteiligte als die am Verfahren beteiligten Richter oder gerichtlichen Sachverständigen mit Ausnahme der Parteien könnten dagegen grundsätzlich Dritte im Sinne des § 72 Abs.1 ZPO sein (vgl. BT-Drs. 16/3038 S. 36 ff.).“

Danach mag es in Betracht kommen, im Falle einer Streitverkündung gegenüber einer Partei, die als Erster bzw. Zweiter des Verfahrens nicht zugleich Dritte sein können, bereits die Zustellung der Streitverkündungsschrift von Amts wegen abzulehnen. Im Streitfall besteht aber die Besonderheit, dass die Antragsgegner Streitgenossen sind. Bei einer Streitgenossenschaft liegen nach gängigem Verständnis des § 60 ZPO mehrere selbständige, aber verbundene Prozesse vor. Daraus wird deshalb abgeleitet, dass ein einfacher Streitgenosse dem anderen, aber auch dem Gegner beitreten kann (BGH Urteil vom 13.11.1952 III ZR 72/52; Beschluss vom 23.10.1984 III ZR 230/82; Urteil vom 09.03.1993 VI ZR 249/92; Urteil vom 15.09.2010 IV ZR 107/09; sämtlich zit.n.iuris; LG Köln VersR 1993, 1096; Zöller / Vollkommer aaO, § 66, Rdn.6; Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, ZPO, 69.Aufl., § 66, Rdn. 14 und § 72, Rdn. 5 ). Bejaht man die Zulässigkeit eines derartigen Beitritts, dann fehlt den Antragsgegnern auch nicht für die einem Beitritt vorhergehende Streitverkündung der Status eines Dritten (BAG Urteil vom 10.12.1992 8 AZR 20/92 zit.n.iuris; OLG Hamm NJW – RR 1996, 969; Zöller / Vollkommer aaO, § 72, Rdn. 1; Baumbach / Lauterbach / Hartmann / Albers aaO, § 72, Rdn.5; Stein / Jonas / Bork, ZPO, 22.Aufl., § 72 Rdn.3; MK – Schultes, ZPO, 3. Aufl.,§ 72, Rd.15; Musielak / With, ZPO, 8. Aufl., § 72, Rdn.7).

Was den Insolvenzverwalter angeht, ist dieser nach dem Akteninhalt überdies nicht Antragsgegner des Beweisverfahrens, was die angefochtene Entscheidung übergeht.

Gerichtskosten fallen für das erfolgreiche Rechtsmittel nicht an.

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