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Strom- und Gasversorgung – Versorgung eines Hinterliegergrundstücks

LG Chemnitz – Az.: 3 S 313/15 – Urteil vom 04.08.2017

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Amtsgerichts Aue vom 29.06.2015 – Aktenzeichen: H 1 C 575/14 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf EUR 4.000,00.

Gründe

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Ausgangsurteils Bezug genommen. Diese sind im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Parteien zu ergänzen wie folgt:

Die Beklagte verfolgt mit der Berufung den erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag fort. Das Amtsgericht habe zu Unrecht der Beklagten die Beweislast für die „Alternativlösung“ auferlegt, also die Möglichkeit der anderweitigen Leitungsführung, weitgehend über das Grundstück des anderen Anschlussnehmers (Flurstück …). Aufgrund des in 2. Instanz erholten Gutachtens stehe zudem fest, dass die anderweitige Leitungsführung möglich sei, jedenfalls sei die Inanspruchnahme des Grundstücks der Beklagten ausschließlich von der Zumutbarkeit für den Netzbetreiber abhängig, weshalb die vom BGH in anderweitigem Zusammenhang (Verhältnis der Netznutzer untereinander) genannten Erwägungen nicht ohne weiteres übertragbar seien.

Die Klägerin verteidigt das ergangene Urteil. Der von der Beklagten herangezogene Sonderfall einer Unzumutbarkeit setze voraus, dass der Anschluss des anderen Anschlussnehmers ausschließlich über dessen eigenes Grundstück möglich sein müsse. Dieser Gesichtspunkt sei vorliegend schon nicht gegeben; im Übrigen stehe die Leitungsführung im Ermessen des Netzbetreibers; relevant seien vor allem technischer Aufwand und entstehende Kosten. Vorliegend werde einerseits durch die Verlegung entlang der bereits vorhandenen Abwasserleitungsstrasse keine zusätzliche Beeinträchtigung verursacht, andererseits durch alternative Trassenführungen erheblicher zusätzlicher Aufwand die Folge, u. a. eine Umsetzung des Hausanschlusskastens innerhalb des anzuschließenden Anwesens oder höhere Kosten bei der Erforderlichkeit von Bohrungen, Treppenquerung etc.

Zu den weiteren Einzelheiten des jeweiligen Parteivorbringens sowie zu den wechselseitigen Anträgen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Hauptverhandlungsprotokolle vom 02.03.2016 und 04.05.2017 Bezug genommen. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen …, das dieser auf Antrag der Parteien im Termin vom 04.05.2017 erläutert hat. Auf das schriftliche Gutachten sowie die genannte Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. In der Sache bleibt sie nach durchgeführter Beweisaufnahme ohne Erfolg.

1. a) Der Bundesgerichtshof hat in der den Parteien bekannten Entscheidung vom 28.04.2010, Az. VIII ZR 223/09, zu § 8 Abs. 1 Satz 3 AVBEltV, inhaltlich etwa entsprechend § 12 Abs. 1 NAV, grundsätzlich ausgeführt: Die Vorschrift ist Ausdruck der in Artikel 14 Abs. 2 GG beschriebenen Sozialbindung des Eigentums. Die von einem Elektrizitätsversorgungsunternehmen versorgten Kunden und Anschlussnehmer stellen hiernach innerhalb eines Versorgungsgebietes notwendiger Weise aus technisch-, wirtschaftlichen Gründen eine Solidargemeinschaft dar, die nur durch ein für alle Abnehmer bereit gehaltenes, die Benutzung fremder Grundstücke erforderndes Netz mit Strom versorgt werden kann. Daher lastet auf den betroffenen Grundstücken zugunsten des Gemeinwohls eine allgemeine Pflichtigkeit, die das freie Nutzungs- und Verfügungsrecht der Eigentümer einschränkt. Die Grenzziehung im Einzelfall, außerhalb derer die Belastung des Eigentümers nicht mehr von der Sozialpflichtigkeit gedeckt wird, sondern ein nicht mehr entschädigungslos hinzunehmendes Sonderopfer darstellt, ist jeweils wertend anhand der berührten Belange des Allgemeinwohles und der betroffenen Eigentümerinteressen festzustellen. Kriterium ist also das Gebot der Verhältnismäßigkeit, nachdem die Einschränkung der Eigentümerbefugnisse zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und notwendig sein muss, sowie die betroffenen Eigentümer nicht in unzumutbarer Weise belasten darf.

b) Diese Erwägungen gelten entgegen der Auffassung der Beklagten nicht nur für § 12 Abs. 1 Satz 1, 2 NAV, sondern auch für die Pflichtenlage gem. § 12 Abs. 1 Satz 3, 2. HS NAV. Auch hier ist geregelt der Grundsatz, dass die Inanspruchnahme der Grundstücke den Eigentümer nicht mehr als notwendig oder unzumutbar belasten darf; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Anschluss über das eigene Grundstück des anderen Anschlussnehmers möglich und dem Netzbetreiber zumutbar ist. Es handelt sich also bei diesem Passus – auf den sich die Beklagte beruft – um eine Spezialregelung, die das Zumutbarkeitskriterium für den genannten Einzelfall näher definiert. Dies ändert aber nichts daran, dass die genannten Grundsätze weiterhin gelten. Die Sozialbindung beinhaltet nicht nur die Abwägung der Belange der Grundstückseigentümer untereinander, sondern im Interesse einer günstigen und gesicherten Versorgung auch die Belange des Versorgers an einer einfachen und problemlosen und billigen Trassenführung, eben um die Kosten für alle Beteiligten möglichst gering zu halten.

2. Im Ausgangspunkt ist der Einwand der Klägerseite zutreffend, dass der Anschluss vorliegend nicht über das „andere Grundstück“ vollständig erfolgen kann. Die Kammer ist indes der Auffassung, dass die Vorschrift im Sinne der Beklagten dahin verstanden werden kann, dass die Trassenführung über das eigene Grundstück vorzunehmen ist, soweit dies möglich und dem Netzbetreiber zumutbar ist, der dem Gesetz zugrundeliegende Wertungsgesichtspunkt also auch dann gilt, wenn eine (geringer) Anteil der Trassenführung zwingend über das andere Grundstück – vorliegend der Klägerin – führen muss.

3. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer ein Gutachten des Sachverständigen … erholt, dass die beklagtenseits vorgeschlagene Alternativtrasse als grundsätzlich technisch realisierbar erachtet, wenngleich mit höheren Kosten, wie im Termin erläutert. Es seien hierbei Bohrungen durchzuführen, die indes technisch möglich, gegebenenfalls eine Treppe abzuheben und neu aufzubauen. Bei einer weiteren beklagtenseits genannten Trasse sei gegebenenfalls die Verlegung des Hausanschlusskastens erforderlich, ansonsten auch hier – wobei generell das Gefüge des Untergrundes nicht bekannt sei – Ausführung problemlos möglich. Bei Schwierigkeiten im Untergrund seien höhere Kosten zu erwarten.

4. Ausgehend von diesen tatsächlichen Feststellungen beurteilt die Kammer die Sach- und Rechtslage wie folgt:

a) Zunächst ist der Anschluss über das eigene Grundstück des anderen Anschlussnehmers möglich. Es kommt also auf die Frage der Zumutbarkeit an. Diese Frage ist anhand der genannten Kriterien, also Beeinträchtigung und zusätzlicher Aufwand zu beurteilen.

b) Auf der einen Seite ist zunächst indes mit der klägerseits beanspruchten Leitungsführung keine Beeinträchtigung der Beklagten und ihrer Belange ersichtlich. Die Führung soll entlang einer bereits vorhandenen Leitung erfolgen, ist also die Grundstücksnutzung an der betreffenden Stelle ohnehin bereits eingeschränkt (und eine Bebaubarkeit hier nicht gegeben). Eine zusätzliche Beeinträchtigung ist unter keinem Gesichtspunkt ersichtlich und auch nicht vorgetragen.

c) Vor diesem Hintergrund ist auf der anderen Seite die Zumutbarkeit für die Klägerin zu beurteilen. Die Klägerin hat ein Interesse an einer möglichst einfachen Zuführung der Leitung. Wählt sie daher die Anschlussführung über eine bereits zur Leitungsführung genutzten Trasse, so ist dies nicht zu beanstanden. Der Umstand, dass bereits eine Leitung vorhanden ist, lässt nämlich ohne weiteres den Schluss zu, dass die Leitungsführung hier problemlos möglich sein wird. Die zunächst beklagtenseits genannte Trassenführung führt demgegenüber zu Mehrkosten und technischen Problemen (Vornahme von Bohrungen etc.). Die weitere (“dritte“) Trasse begegnet abgesehen von dem unbekannten Untergrund (ansonsten sind keine Probleme ersichtlich) dem Problem, dass die Heranführung nunmehr auf der anderen Seite des Hauses des Anschlussnehmers erfolgen muss. Die Beklagte macht es sich hier zu einfach, wenn sie die Klägerin darauf verweist, sich hierzu an den Anschlussnehmer zu halten; tatsächliche Unsicherheit über den Untergrund und die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit dem anderen Anschlussnehmer bestimmen eben vorliegend die Frage der Zumutbarkeit für den Netzbetreiber, der gegebenenfalls alternative Trassenführungen prüfen lassen muss und gegebenenfalls Mehrkosten für die Verlegung des Hausanschlusskastens bzw. eine Auseinandersetzung mit dem anderen Anschlussnehmer hierüber in Kauf nehmen muss. All dies wäre gegebenenfalls zumutbar – weitere Streitfragen unter den Parteien zu dieser alternativen Trassenführung geklärt -, vorliegend allerdings deshalb nicht, weil eben eine Beeinträchtigung der Beklagten nicht ersichtlich ist und sich aus der fehlenden Beeinträchtigung einerseits eine geringe Zumutbarkeitsschwelle andererseits ergibt. Zu berücksichtigen ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägungen im übrigen, dass gem. § 12 Abs. 3 NAV die Beklagte die Verlegung der Einrichtung verlangen kann, wenn sie an der nunmehr richtigen Stelle für sie nicht mehr zumutbar sein sollte. Diese Kosten der Verlegung hätte der Netzbetreiber zu tragen.

III.

Kosten: § 97 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gem. § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Kammer folgt der dargelegten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

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