AG Betzdorf
Az.: 33 C 136/09
Urteil vom 21.08.2009
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckungsschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubiger ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Am 08.10.2007 befuhr die damals 16-jährige Klägerin mit ihrem Motorroller die Feldstraße in Kirchen. Vor ihr fuhr der auf den Beklagten zu 1) zugelassene LKW mit dem amtlichen Kennzeichen … . Dieser ist bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert. Der LKW stoppte sodann und die Klägerin hielt hinter dem LKW an. Plötzlich schaltete der LKW die Warnblinkanlage ein und setzte zurück. Die Klägerin versuchte, sich mit Hupen und Schreien verständlich zu machen. Der Klägerin blieb keine andere Möglichkeit, mit ihrem Roller auszuweichen. Sie konnte sich nur durch einen Sprung vom Roller retten. Dabei blieb sie körperlich unverletzt. Der Roller wurde stark beschädigt.
Unstreitig ist, dass die Klägerin sich bereits vor dem Unfall in einer Situation befand, in der sie psychisch stark angeschlagen war. Die Klägerin unternahm am 18.10.2007 einen Suizidversuch. Im Anschluss daran musste sie in der Zeit vom 18.10. bis 20.10.2007 zunächst in der Kinderklinik des DRK-Klinikums Westerwald stationär behandelt werden. Hieran schloss sich in der Zeit vom 20.10. bis zum 02.11.2007 ein stationärer Aufenthalt in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Herborn an. Schließlich wurde sie vom 07.11.2007 bis 11.01.2008 stationär in der DRK-Kinderklinik in Siegen behandelt. Aufgrund der stationären Behandlung konnte sie in diesem Zeitpunkt nicht am Schulunterricht teilnehmen.
Die Klägerin behauptet, dass der Unfall zumindest mitursächlich für den folgenden Suizidversuch der Klägerin gewesen sei.
Sie beantragt,
1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld – mindestens jedoch 3.000,– Euro – nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.06.2008 zu zahlen,
2.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Klägerin hinsichtlich der Kosten für die außergerichtliche Inanspruchnahme der Rechtsanwaltskanzlei … Höhe von 546,69 Euro freizustellen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, dass der Suizidversuch der Klägerin in keinem Kausalzusammenhang zu dem Unfallereignis stehe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Klägerin steht der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch nicht zu.
Zwar hat der Beklagte zu 1) den Unfall schuldhaft verursacht. Die daraus resultierenden Schäden haben die Beklagten deshalb grds. auch zu ersetzen. Gleiches gilt für die Abgeltung der von der Klägerin erlittenen Schmerzen.
Jedoch ist die Kausalkette zwischen dem Unfallereignis und dem von der Klägerin durch den Suizidversuch erlittenen Schmerzen unterbrochen. Hätte die Klägerin bei dem Unfall selbst Blessuren erlitten, würde ihr diesbezüglich ein Schmerzensgeldanspruch zustehen. Sie hat jedoch selbst – obwohl durch den Unfall nicht verletzt – durch den Suizidversuch eine neue Kausalkette in Gang gesetzt, die dem Beklagten nicht mehr zugerechnet werden kann.
Es liegt außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass ein Teilnehmer am Straßenverkehr sich nach einem Unfall das Leben nehmen will. Den Beklagten können die dadurch erlittenen Schmerzen nicht mehr zugerechnet werden. Insoweit handelt es sich um eine unangemessene Erlebnisverarbeitung, die hier zu einem Haftungsausschluss führt (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 68. Aufl., v. § 249 Rdnr. 70). Die Beklagten haften nicht für den Selbstmordversuch, den die Klägerin unternimmt, nachdem sie einem Auffahrunfall ohne körperliche Verletzung überstanden hat (vgl. dazu auch OLG Nürnberg, Vers R 1999, 1117). Die von dem Beklagten zu 1) verletzten Verkehrsregeln bezwecken, Unfälle und die damit in einem inneren Zusammenhang stehenden Personen- und Sachschäden zu vermeiden. Die §§ 7, 18 StVG, § 823 BGB haben den Zweck, die mit einer Verletzungshandlung im inneren Zusammenhang stehenden Schäden auszugleichen. An einem solchen inneren Zusammenhang fehlt es vorliegend. Vielmehr handelt es sich um eine unangemessene Erlebnisverarbeitung der Klägerin, die, auch wenn das Unfallereignis (Rückwärtsfahren des LKW und auf sie Zurollen) auf sie sehr bedrohlich gewirkt haben muss, im Missverhältnis zum Anlass, einen Verkehrsunfall, wie er täglich vorkommt, außer Verhältnis steht. Dieser Selbstmordversuch ist vielmehr auf die labile Verfassung der Klägerin zurückzuführen, was insbesondere auch aus ihrem Abschiedsbrief hervorgeht, der als Ursache für die schlechte Verfassung der Klägerin zum Ausdruck bringt: 1. der Gesundheitszustand der Großeltern, 2. das „Fertigmachen“ in der Schule, 3. das „unglaublich starke“ Heimweh nach … und 4. der Streit innerhalb der Familie. Für diesen Selbstmordversuch nach einem Verkehrsunfall ohne körperliche Verletzung der Klägerin hat der Schädiger daher nicht einzustehen (vgl. dazu auch OLG Nürnberg, Versicherungsrecht 1999, 1117).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert wird auf 3.000,– Euro festgesetzt.