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Tariffähigkeit umstritten – Aussetzung des Verfahrens

Bundesarbeitsgericht

Az: 3 AZB 30/07

Beschluss vom 28.01.2008


In Sachen hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 28. Januar 2008 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten werden der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 2. Juli 2007 – 16 Ta 107/07 – sowie der Beschluss des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 14. Februar 2007 – 3 Ca 888/06 – aufgehoben.

Gründe:
I. Die Parteien streiten darüber, ob das vor dem Arbeitsgericht Osnabrück geführte Verfahren – 3 Ca 888/06 – nach § 97 Abs. 5 ArbGG iVm. § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG bis zur Erledigung eines Beschlussverfahrens zur Feststellung der Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (im Folgenden: CGZP) auszusetzen ist bzw. ausgesetzt werden kann.

Der Kläger war bei der Beklagten, einem Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen, auf Grund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18. August 2006 tätig. Das Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30. Oktober 2006 befristet. Der Arbeitsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

㤠1 Vertragsgegenstand/Tarifanwendung

4. Auf das Arbeitsverhältnis finden die für den Arbeitgeber einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung. Dies sind zur Zeit zwischen der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA und dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e.V. abgeschlossenen Tarifverträge (Manteltarifvertrag, Entgeltrahmentarifvertrag, Entgelt-Tarifvertrag und Beschäftigungssicherungstarifvertrag). Im Falle eines Verbandswechsels des Arbeitgebers gelten die Bestimmungen der dann einschlägigen Tarifwerke. Für den Fall, dass ein Firmentarifvertrag abgeschlossen wird, gilt dessen Inhalt. Soweit die nachfolgenden Regelungen mit den Bestimmungen der in Bezug genommenen Tarifverträge wörtlich übereinstimmen, dient dies der besseren Verständlichkeit dieses Vertrages; Wortlautwiederholungen tariflicher Bestimmungen sind demnach nur deklaratorisch. Ausgenommen hiervon ist § 12 (Geltendmachung und Ausschluss von Ansprüchen) dieses Vertrages; diese Regelung wirkt konstitutiv. Soweit die Regelung dieses Vertrages den in Bezug genommenen Tarifverträgen derzeit oder zukünftig widersprechen sollten, gelten vorrangig die jeweils maßgeblichen tariflichen Bestimmungen. Dies gilt nicht, soweit die Tarifverträge eine Abweichung ausdrücklich zulassen oder sich aus den Regelungen dieses Arbeitsvertrages eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung ergibt.

§ 4 Vergütung
1. Die Vergütung erfolgt auf der Grundlage der für den Arbeitgeber gem. § 1 dieses Vertrages geltenden Tarifverträge (Entgeltrahmentarifvertrag und Entgelttarifvertrag) gemäß den nachfolgenden Bestimmungen.
…“

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2006 kündigte die Beklagte das mit dem Kläger begründete Arbeitsverhältnis zum 14. Oktober 2006.

Mit seiner am 4. Dezember 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf rückständige Vergütung für die Monate August bis Oktober 2006 in Höhe des sich aus 5.278,00 Euro brutto ergebenden Nettobetrages in Anspruch genommen. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe in einem Kühlhaus gearbeitet und unter anderem gefrorene Fleischteile verladen. Die Beklagte habe ihm vor Arbeitsantritt erklärt, er werde den „üblichen Lohn“ erhalten. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass es sich bei der Beklagten um einen Arbeitnehmerüberlassungsbetrieb mit entsprechend niedriger Lohnstruktur gehandelt habe. Aus dem Grunde sei der übliche Lohn für die von ihm verrichteten Tätigkeiten heranzuziehen. Dieser belaufe sich auf 14,00 Euro brutto pro Stunde.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 14. Februar 2007 den Rechtsstreit gem. § 97 Abs. 5, § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG mit der Begründung ausgesetzt, die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von der Frage der Tariffähigkeit der CGZP ab. Nach § 9 Nr. 2 AÜG schulde der Verleiher den beim Entleiher üblichen Lohn vergleichbarer Arbeitnehmer. Die vertraglichen Vereinbarungen der Parteien setzten mithin die Wirksamkeit der in Bezug genommenen Tarifverträge voraus. Diese wiederum hänge davon ab, ob die CGZP tariffähig sei. Dies werde in der Literatur mit gutem Grund bezweifelt. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete als sofortige Beschwerde zu behandelnde Beschwerde der Beklagten zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde strebt die Beklagte nunmehr die Fortsetzung des Verfahrens vor dem Arbeitsgericht an.

II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
1. Die Rechtsbeschwerde und die sofortige Beschwerde sind statthaft.
Nach § 252 ZPO findet gegen die Entscheidung, durch die auf Grund der Vorschriften des Fünften Titels des Dritten Abschnitts des Ersten Buches der ZPO oder auf Grund anderer gesetzlicher Bestimmungen die Aussetzung des Verfahrens angeordnet wird, die sofortige Beschwerde und damit im Rahmen der §§ 574 ff. ZPO auch die Rechtsbeschwerde statt. Zu den „anderen gesetzlichen Bestimmungen“ gehört auch § 97 Abs. 5 ArbGG. Eine einschränkende Auslegung ist nicht geboten. Auch im Rahmen des § 97 ArbGG haben die Parteien des Rechtsstreits ein Interesse daran, eine zügige Erledigung im Instanzenzug durchzusetzen. Die Aussetzungspflicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG hängt auch nicht mit einem Vorlagerecht des Instanzgerichts zusammen, wie dies bei der Vorlage nach Art. 100 GG zu den Verfassungsgerichten und der Vorlage nach Art. 234 EG zum Europäischen Gerichtshof der Fall ist.

2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsgericht durfte das Verfahren nicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG aussetzen. Für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch kommt es auf die Tariffähigkeit der CGZP nicht an.

a) Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. ArbGG hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung des in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG vorgesehenen Beschlussverfahrens auszusetzen, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig ist. Diese Bestimmung stellt nach ihrem eindeutigen Wortlaut darauf ab, ob es auf die Frage der Tariffähigkeit tatsächlich ankommt, nicht darauf, ob es auf die Tariffähigkeit möglicherweise ankommen könnte. Dies entspricht auch dem besonderen arbeitsgerichtlichen Beschleunigungsgebot, das in § 9 Abs. 1 ArbGG vorgesehen ist. Ist das Verfahren nämlich nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ausgesetzt, ohne dass bereits ein Beschlussverfahren über die Tariffähigkeit einer Vereinigung anhängig ist, sind die Parteien des Verfahrens darauf verwiesen, von ihrem in § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG festgelegten Recht Gebrauch zu machen, selbst einen Antrag auf Feststellung der Tariffähigkeit zu stellen. Dies ist nicht zumutbar, wenn der Rechtsstreit auf einer anderen Basis – notfalls auch nach Beweisaufnahme – ohne Klärung der Tariffähigkeit einer Vereinigung entschieden werden kann.

b) Nach dem bisherigen Verfahrensstand ist die Frage der Tariffähigkeit der CGZP nicht entscheidungserheblich.
aa) Im Beschwerdeverfahren ist die Ansicht des aussetzenden Gerichts hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit nur begrenzt überprüfbar. Anderenfalls würden Fragen, deren Klärung nach der Systematik der ZPO den Rechtsmitteln der Berufung und ggf. der Revision vorbehalten ist, in das anders ausgestaltete Beschwerdeverfahren, das beispielsweise keine Pflicht zur mündlichen Verhandlung kennt, verschoben. Auch im Beschwerdeverfahren kann jedoch von einer noch nicht vorliegenden Entscheidungserheblichkeit ausgegangen werden, wenn diese offensichtlich ist. Dies ist hier der Fall.

bb) Hinsichtlich der Entgeltzahlungsklage ist eine Vorgreiflichkeit derzeit nicht ersichtlich.
Der Kläger stützt seine Klageforderung darauf, dass er als portugiesischer Staatsangehöriger ohne deutsche Sprachkenntnisse den Inhalt des Arbeitsvertrages nicht verstanden habe und dass ihm vor Arbeitsantritt erklärt worden sei, er würde den „üblichen Lohn“ erhalten. Dies habe er so verstehen müssen und auch so verstanden, dass ihm der übliche Lohn für die von ihm verrichteten Tätigkeiten, nämlich Kühlhausarbeiten, zugesagt worden sei. Bei Vertragsschluss sei ihm nicht bekannt gewesen, dass es sich bei der Beklagten um einen Arbeitnehmerüberlassungsbetrieb mit entsprechend niedriger Lohnstruktur gehandelt habe. Für die Üblichkeit der von ihm verlangten Vergütung, die er selbst mit 14,00 Euro pro Stunde beziffert, hat er Beweis durch Sachverständigengutachten angetreten. Nach allem stützt der Kläger seine Forderung ersichtlich nicht darauf, was in dem Betrieb, in dem er tätig war, also im Entleiherbetrieb, üblicherweise an Stundenlohn gezahlt wurde, sondern er beansprucht die für die Tätigkeiten als solche allgemein übliche Vergütung.

Da es nach § 9 Nr. 2 AÜG allein darauf ankommt, welche Vergütung im Entleiherbetrieb gezahlt wird, sei sie allgemein üblich oder nicht, ist der Sachvortrag des Klägers ersichtlich nicht geeignet, Ansprüche nach § 9 Nr. 2 AÜG zu stützen. Die Frage, welche Vergütung für bestimmte Tätigkeiten die allgemein übliche Vergütung ist, und die Frage, welcher Lohn nach dem arbeitnehmerüberlassungsrechtlichen Entgeltgleichheitsgebot zu zahlen ist, stellen unterschiedliche Streitgegenstände dar, weil der zugrunde liegende Sachverhalt ein anderer ist. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, eine Rechtsgrundlage für einen Anspruch zu finden, der vom Kläger nicht geltend gemacht wird.

3. Für den Fall, dass es im weiteren Verlauf des Verfahrens auf die Tariffähigkeit der CGZP tatsächlich entscheidungserheblich ankommen sollte, weist der Senat auf Folgendes hin:

Zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass eine Aussetzungspflicht immer besteht, wenn entweder die Tariffähigkeit dieser Gewerkschaft streitig ist (vgl. BAG 19. September 2006 – 1 ABR 53/05 – AP BetrVG 1972 § 2 Nr. 5 = EzA GG Art. 9 Nr. 89, zu B III der Gründe) oder aber, wenn gegen diese Bedenken bestehen (vgl. BAG 22. September 1993 – 10 AZR 535/91 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 168 = EzA ArbGG 1979 § 97 Nr. 1, zu V der Gründe). Mit dem Landesarbeitsgericht ist dabei davon auszugehen, dass allgemein bekannt gewordene Bedenken zu berücksichtigen und vom Arbeitsgericht aufzugreifen sind. Zu Recht nimmt das Landesarbeitsgericht an, dass nur so das objektivierte Verfahren der §§ 97 Abs. 1 bis 4 ArbGG stattfinden kann, das – auch wegen des dort vorgesehenen Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 97 Abs. 2 iVm. § 83 Abs. 1 ArbGG) – besser geeignet ist, die Tariffähigkeit zu klären als einzelne Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten. Diese Bedenken sind, einschließlich der erwogenen Tatsachengrundlagen, durch das Gericht in das Verfahren einzuführen und im Aussetzungsbeschluss näher darzulegen. Dabei kann auch auf Erkenntnisse in der rechtswissenschaftlichen Literatur und sonstigen allgemeinen Quellen zurückgegriffen werden.

Das Aussetzungsverfahren verstößt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, obliegt es dem Gesetzgeber, die in dieser Bestimmung geregelte Tarifautonomie näher auszugestalten (BVerfG 24. April 1996 – 1 BvR 712/86 – BVerfGE 94, 268, zu C II 1 der Gründe). Das ist durch das in § 97 ArbGG vorgesehene Verfahren geschehen. Im Übrigen dient § 97 ArbGG auch der Stärkung der Tarifautonomie. Das folgt schon daraus, dass das Verfahren nach dieser Vorschrift in entsprechender Anwendung von § 83 Abs. 3 ArbGG (§ 97 Abs. 2 ArbGG) durchzuführen ist und damit alle Stellen zu hören sind, die im einzelnen Fall beteiligt sind, insbesondere auch die betroffene Vereinigung selbst. Das wäre nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Regeln in dem Ausgangsprozess zwischen Parteien eines Arbeitsverhältnisses nicht gewährleistet.

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