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Tarifvertragsänderung und Vertrauensschutz

BUNDESARBEITSGERICHT

Az.: 4 AZR 486/05

Urteil vom 11.10.2006


1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 14. Juli 2005 - 11 Sa 586/05 - aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Restlohnansprüche für die Zeit von März bis Juni 2004 und anteilige zusätzliche Urlaubsvergütung für den Zeitraum von Januar bis Juni 2004.

Der am 7. Januar 1946 geborene Kläger war seit dem 1. April 1964 bei der Beklagten als Leiter des Kundendienstes der Vertriebsabteilung Fleischereimaschinen zu einem Gehalt von zuletzt 3.555,73 Euro brutto beschäftigt. Nach Ziff. 2 des letzten Arbeitsvertrages vom 13. März 1998 gelten für das Arbeitsverhältnis ua. „die Tarifverträge für die Metallindustrie NRW“. In Ziff. 3 des Arbeitsvertrages ist eine „Außertarifliche Zulage / 40 Std. Woche“ iHv. 1.647,64 DM ausgewiesen. Weiterhin heißt es dort:

„Bei zukünftigen tariflichen Gehaltserhöhungen wird die außertarifliche Zulage angerechnet.

… Die Anrechnung kann auch rückwirkend erfolgen, wenn das Tarifgehalt oder die sonstigen Bedingungen der einzelnen Tarifverträge rückwirkend geändert werden.“

Die Tarifvertragsparteien der Metallindustrie NRW schlossen am 16. Februar 2004 die Abkommen über die Tariflöhne bzw. Tarifgehälter in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen (Lohn- bzw. Gehaltsabkommen 2004), die ua. ab dem 1. März 2004 eine Tariflohnerhöhung von 2,2 % vorsahen.

Wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Beklagten wurden Verhandlungen über einen Sanierungs-TV geführt. Der Betriebsrat veröffentlichte am 2. April 2004 eine „BR-Info“ mit folgendem Inhalt:

„Nach Aussagen der Geschäftsleitung sollen die Bestandteile der Tarifverträge

1.  Tariferhöhung ab 1. März 2004

2.  Urlaubsgeld

3.  Weihnachtsgeld

in einem Sanierungstarifvertrag für 2004 neu geregelt werden. Mehr Informationen sind dem Betriebsrat nicht bekannt.

Sobald uns mehr Informationen vorliegen, werden wir euch in einer Belegschaftsversammlung informieren.“

Am 23. Juni 2004 vereinbarten die Beklagte und der Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Transfersozialplan, die ua. umfangreiche organisatorische Änderungen in dem Betrieb der Beklagten und die Kündigung von 34 namentlich benannten Beschäftigten, darunter dem Kläger, mit dem Angebot des Wechsels in eine Transfergesellschaft regelten. Entsprechend dem Inhalt dieser Vereinbarungen kündigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juni 2004 aus betrieblichen Gründen fristgemäß zum 30. Juni 2005 und bot ihm gleichzeitig an, binnen Wochenfrist in eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit ihr unter gleichzeitigem Abschluss eines bis zum 30. Juni 2005 befristeten Arbeitsvertrages mit der Transfergesellschaft einzuwilligen. Auf Grund einer entsprechenden Vereinbarung schied der Kläger mit Ablauf des 30. Juni 2004 aus dem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten aus und wechselte in die Transfergesellschaft. Nach den Abfindungsregelungen zum Transfersozialplan steht ihm eine Abfindung in drei Raten von 60, 30 und 10 % mit Fälligkeit zum 1. Juli 2005, 1. Juli 2006 und 1. Juli 2007 zu.

Am 3. November 2004 vereinbarten die Tarifvertragsparteien in der Metallindustrie NRW auf der Grundlage von § 6 des Tarifvertrages zur Beschäftigungssicherung 2004 für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens für die Beklagte einen Sanierungstarifvertrag, der ua. die folgenden Regelungen enthielt:

„I.

Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt für alle Arbeitnehmer der Firma A AG, die dem persönlichen Geltungsbereich des § 1 MTV Metall NRW unterliegen, mit Ausnahme

-  der 34 von betriebsbedingten Kündigungen betroffenen Mitarbeitern gemäß Interessenausgleich der Firma A AG vom 23. Juni 2004 mit der Maßgabe, dass sie gemäß II. für das Jahr 2004 ebenfalls keinen Anspruch auf die tarifliche Entgelterhöhung und gemäß IV. für das Jahr 2004 ebenfalls keinen Anspruch auf zusätzliche Urlaubsvergütung haben.

II.

Tarifliche Entgelterhöhungen

1. Die tariflichen Entgelterhöhungen gemäß dem Gehaltsabkommen über die Tarifgehälter Metall NRW vom 16. Februar 2004 und dem Lohnabkommen über die Tariflöhne Metall NRW vom 16. Februar 2004 (ERA-Strukturkomponenten und Erhöhung des Tarifvolumens) werden rückwirkend vom 01. Januar 2004 außer Kraft gesetzt.

3. Für die 34 von betriebsbedingten Kündigungen betroffenen Mitarbeiter gemäß Interessenausgleich der Firma A AG vom 23. Juni 2004 gilt dieser Verzicht nur für das Jahr 2004.

IV.

Zusätzliche Urlaubsvergütung für die Jahre 2004 und 2005

1. § 14 Ziffer. 1 a) bis c), 2 und 3 des MTV für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Metallindustrie NRW vom 24. August/11. September 2001 wird für das Jahr 2004 rückwirkend seit 01. Januar 2004 außer Kraft gesetzt.

4. Für die 34 von betriebsbedingten Kündigungen betroffenen Mitarbeitern gemäß Interessenausgleich der Firma A AG vom 23. Juni 2004 gilt dieser Verzicht nur für das Jahr 2004.“

Die Beklagte zahlte dem Kläger weder die Tariflohnerhöhung ab dem 1. März 2004 noch die anteilige zusätzliche Urlaubsvergütung für den Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis zum 30. Juni 2004. Der Kläger machte die Differenzansprüche mit Schreiben vom 15. Juni 2004 geltend.

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger diese der Höhe nach unstreitigen Ansprüche weiter, dh. die Differenzvergütung für den Zeitraum vom 1. März 2004 bis zum 30. Juni 2004 iHv. 312,90 Euro und die anteilige zusätzliche Urlaubsvergütung iHv. 1.280,07 Euro. Er hat die Auffassung vertreten, die Tarifvertragsparteien könnten nachträglich keine Regelungen zu Lasten von Arbeitnehmern treffen, die inzwischen aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden seien. Weil er, der Kläger, bei Abschluss des Sanierungstarifvertrages nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei, müsse seinem Vertrauen in den Fortbestand der tarifvertraglichen Rechte besondere Bedeutung beigemessen werden. Er habe bis zum Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis nicht gewusst, dass die jetzt streitigen Ansprüche durch den Sanierungstarifvertrag ausgeschlossen werden sollten. Der Interessenausgleich und Transfersozialplan enthielten keine entsprechenden Hinweise.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.592,97 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 30. Juni 2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat den Standpunkt eingenommen, der Sanierungstarifvertrag habe auch rückwirkend zu Lasten der Arbeitnehmer die tariflichen Ansprüche mindern können. Dem stehe kein schützenswertes Vertrauen entgegen, weil seit März 2004 betriebsöffentliche Debatten mit dem Betriebsrat und der IG Metall über die bevorstehenden Verzichte aller Mitarbeiter geführt worden seien. Im Übrigen sei das Zahlungsverlangen des Klägers arglistig, weil, wie ihm auch ausdrücklich mitgeteilt worden sei, die ihm durch den Sanierungstarifvertrag auferlegten Verzichte mit der ihm nach dem Transfersozialplan zustehenden Abfindung wieder ausgezahlt würden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erfasst der nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien geschlossene Sanierungs-TV die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche aus dem Zeitraum vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ob diesem rückwirkenden Eingriff in die tariflichen Rechte des Klägers dessen schützenswertes Vertrauen entgegensteht, kann vom Revisionsgericht nicht entschieden werden, weil das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht konsequent - die dafür erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat.

1.

Der Sanierungs-TV ist auf Grund der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme in Ziff. 2 des Arbeitsvertrages auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Die arbeitsvertragliche Inbezugnahme ist als dynamische Verweisung zu verstehen, die auch den Sanierungs-TV als firmenbezogenen Verbandstarifvertrag erfasst. Dem steht nicht entgegen, dass das Arbeitsverhältnis zum Abschluss des Sanierungs-TV bereits beendet war. Das ergibt die Auslegung des Arbeitsvertrages gem. §§ 133, 157 BGB.

a) Die Inbezugnahme in Ziff. 2 des Arbeitsvertrages auf die Tarifverträge für die Metallindustrie Nordrhein-Westfalen ist als dynamische Inbezugnahme auf diese Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung zu verstehen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist die Inbezugnahme eines Tarifvertrages oder eines Tarifwerkes auch ohne entsprechende ausdrückliche Regelung in der Regel als zeitlich dynamische Inbezugnahme dahin auszulegen, dass der Tarifvertrag oder das Tarifwerk in der jeweiligen Fassung Anwendung finden sollen. Etwas anderes kann nur angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hindeuten, dass auf Grund der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme die Tarifentwicklung nicht ohne weiteres nachvollzogen werden, der in Bezug genommene Tarifvertrag also nur in der zu einem bestimmten Zeitpunkt geltenden Fassung Anwendung finden soll (Senat 28. Mai 1997 - 4 AZR 663/95 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 6 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 8; 13. November 2002 - 4 AZR 351/01 - BAGE 103, 338). Dafür gibt es vorliegend keine Anhaltspunkte.

b) Die arbeitsvertragliche Inbezugnahme erfasst auch den Sanierungs-TV als firmenbezogenen Verbandstarifvertrag.

Für diese Auslegung spricht bereits der Wortlaut von Ziff. 2 des Arbeitsvertrages des Klägers, der auf die Tarifverträge für die Metallindustrie Nordrhein-Westfalen verweist. Tarifverträge für die Metallindustrie Nordrhein-Westfalen sind nicht nur Flächentarifverträge, die von ihrem Geltungsbereich her alle Unternehmen der Metallindustrie in Nordrhein-Westfalen erfassen, sondern auch solche, die Einschränkungen im Hinblick auf den sachlichen, personellen oder örtlichen Geltungsbereich beinhalten. Das gilt auch für den vorliegenden Sanierungs-TV als firmenbezogenen Verbandstarifvertrag. Auch dabei handelt es sich um einen Tarifvertrag für die Metallindustrie Nordrhein-Westfalen.

Die Einbeziehung des Sanierungs-TV entspricht insbesondere auch dem erkennbaren Sinn und Zweck der arbeitsvertraglichen Bezugnahme. Die Beklagte will erkennbar die Anwendbarkeit der einschlägigen für sie geltenden Tarifverträge der Metallindustrie NRW auf die Arbeitsverhältnisse aller ihrer Beschäftigten erreichen. Diese Zielsetzung gilt auch für den Fall, dass ein spezieller Verbandstarifvertrag für die Beklagte abgeschlossen wird, unabhängig davon, ob dieser im Vergleich zu den einschlägigen Flächentarifverträgen günstigere oder nachteiligere Arbeitsbedingungen enthält. Andernfalls würden die in dem Firmentarifvertrag ausgehandelten Bedingungen, die die besonderen Umstände bei der Beklagten berücksichtigen, für die nicht tarifgebundenen Beschäftigten in dem Unternehmen nicht gelten.

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c) Der Anwendbarkeit des Sanierungs-TV kraft der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme steht entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht entgegen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auf Grund des Wechsels des Klägers zur Transfergesellschaft ab dem 1. Juli 2004 zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sanierungs-TV am 3. November 2004 nicht mehr bestand.

aa) Die normative Rückwirkung eines Tarifvertrages auf ein zwischenzeitlich beendetes Arbeitsverhältnis setzt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts voraus, dass sowohl zum Zeitpunkt des - rückwirkenden - Inkrafttretens als auch im Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages beiderseitige Tarifbindung besteht, weil andernfalls die Tarifbindung über § 3 und § 5 TVG erweitert würde (6. August 2002 - 1 AZR 247/01 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 154 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 1; 13. September 1994 - 3 AZR 148/94 - BAGE 77, 353). Für die Rückwirkung tariflicher Regelungen auf Grund einer arbeitsvertraglichen Inbezugnahme gelten diese Erwägungen jedoch nicht. Der Geltungsgrund der tariflichen Regelungen ist in diesem Fall nicht die Mitgliedschaft in einer tarifschließenden Partei, sondern eine schuldrechtliche Abrede. Ob ihr zufolge eine rückwirkende Gehaltserhöhung auch ein inzwischen beendetes Arbeitsverhältnis erfasst, hängt beim Fehlen ausdrücklicher Regelungen von der gebotenen Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB ab (6. August 2002 - 1 AZR 247/01 - aaO).

bb) Danach ist auch der Sanierungs-TV von der Bezugnahme in Ziff. 2 des Arbeitsvertrages erfasst, obwohl das Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sanierungs-TV beendet war. Die den Kläger betreffenden rückwirkenden Regelungen beziehen sich auf den Zeitraum, in dem das Arbeitsverhältnis noch bestand und sich die Arbeitsbedingungen entsprechend der in jenem Zeitraum geltenden Bezugnahmeklausel nach den Tarifverträgen der Metallindustrie Nordrhein-Westfalen richten sollten. Die vertragliche Verweisung erfasst alle das Arbeitsverhältnis betreffenden Änderungen der tariflichen Arbeitsbedingungen, auch wenn sie nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses, aber für die Zeit seines Bestandes rückwirkend vereinbart worden sind. Anhaltspunkte dafür, dass die Inbezugnahme insoweit nicht gelten sollte, sind nicht erkennbar.

cc) Dieser Auslegung steht entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Ziff. 3 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrages nicht entgegen, wonach die Anrechnung auch rückwirkend erfolgen kann, wenn das Tarifgehalt oder die sonstigen Bedingungen der einzelnen Tarifverträge rückwirkend geändert werden.

Das Landesarbeitsgericht hat dazu im Wesentlichen ausgeführt: Die Arbeitsvertragsparteien hätten einen Fall der rückwirkenden Änderung der Tarifverträge, nämlich den Fall der Anrechnung zukünftiger, auch rückwirkender Tariferhöhungen geregelt, nicht aber die Auswirkungen rückwirkender Änderungen zum Nachteil der Arbeitnehmer. Die Regelung in Ziff. 3 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrages zeige vielmehr, dass eine nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beschlossene Tariflohnsenkung keine Wirkung entfalten könne. Da diese Regelung niemals zu einer Rückzahlungspflicht des Klägers führen könne, könne sie nur so auszulegen sein, dass die Parteien das Risiko des Klägers nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses darauf beschränken wollten, nicht an (rückwirkenden) Tariflohnerhöhungen zu partizipieren, er aber nicht dem Risiko nachträglicher Lohnrückzahlungen ausgesetzt sein sollte. Insoweit sei Ziff. 3 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrages eine als abschließend zu qualifizierende Regelung.

Dem folgt der Senat nicht. Das Landesarbeitsgericht verkennt, dass Ziff. 3 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrages eine nach Ziff. 2 des Arbeitsvertrages allgemein bestehende Möglichkeit rückwirkender tariflicher Änderungen gerade voraussetzt. In Ziff. 3 Abs. 2 und 3 geht es um die Anrechnung von Tariferhöhungen auf die außertarifliche Zulage. In Abs. 2 wird die grundsätzliche Anrechenbarkeit von zukünftigen Tariflohnerhöhungen klargestellt und in Abs. 3 Satz 1 die anrechenbaren Tariferhöhungen konkret benannt. In Abs. 3 Satz 2 wird die Möglichkeit der rückwirkenden Anrechnung von rückwirkenden Tariferhöhungen bestimmt. Geregelt wird also die Möglichkeit der rückwirkenden Anrechnung, nicht die der rückwirkenden Tarifänderung. Diese wird vielmehr als Möglichkeit wegen der Bezugnahmeklausel in Ziff. 2 des Arbeitsvertrages vorausgesetzt. Anhaltspunkte dafür, dass rückwirkende Tarifänderungen bei zwischenzeitlich beendetem Arbeitsverhältnis ausnahmsweise nicht gelten sollen, ergeben sich aus Ziff. 3 Abs. 3 Satz 2 des Arbeitsvertrages ebenfalls nicht. Es kann aus dieser Vereinbarung auch nicht geschlussfolgert werden, dass auf das Arbeitsverhältnis nur rückwirkende Tariferhöhungen, nicht aber Tarifabsenkungen Anwendung finden sollen. In Ziff. 3 Abs. 2 des Arbeitsvertrages ist nur von Tariferhöhungen die Rede, weil eine Anrechnung auf die außertarifliche Zulage nur bei einer Tariferhöhung, nicht bei einer Senkung der tariflichen Vergütung in Betracht kommt.

2.

Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, inwieweit der von dem Sanierungs-TV ausdrücklich geregelte rückwirkende Eingriff in die bereits entstandenen Ansprüche auf die Tariferhöhung und auf die zusätzliche Urlaubsvergütung in Widerspruch zu schützenswertem Vertrauen des Klägers steht und deshalb möglicherweise unwirksam ist. Das Landesarbeitsgericht hat - von seiner Lösung aus folgerichtig - die dafür erforderlichen Feststellungen nicht getroffen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können die Tarifvertragsparteien die Regelungen des von ihnen abgeschlossenen Tarifvertrages während dessen Laufzeit rückwirkend ändern, was sich zu Lasten der Arbeitnehmer oder der Arbeitgeber auswirken kann. Dabei ist für die Beantwortung der Frage, ob ein Tarifvertrag rückwirkend in einen tariflichen Anspruch eingreifen kann, maßgeblich auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung und nicht auf den ggf. später liegenden Zeitpunkt der Fälligkeit abzustellen. Bereits von diesem Zeitpunkt an hat der Arbeitnehmer nicht nur eine Anwartschaft, sondern einen Rechtsanspruch erworben, auf dessen Bestand er grundsätzlich vertrauen kann. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zu einem rückwirkenden Eingriff in ihr Regelwerk ist durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes für die Normunterworfenen begrenzt. Insoweit gelten die gleichen Regeln wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen (zB 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 - BVerfGE 13, 261, 271 f.). Ob und wann die Tarifunterworfenen mit einer rückwirkenden Regelung rechnen müssen, ist eine Frage des Einzelfalles (ua. BAG 22. Oktober 2003 - 10 AZR 152/03 - BAGE 108, 176, 182 f.; 17. Mai 2000 - 4 AZR 216/99 - BAGE 94, 349, 356 f.; 5. Juli 2006 - 4 AZR 381/05 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; vgl. auch 27. Juni 2006 - 3 AZR 255/05 - NZA 2006, 1285, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zur Anpassung laufender Betriebsrenten durch Tarifvertrag). Dabei ist das Vertrauen in den Bestand des tariflichen Anspruchs unabhängig davon schutzwürdig, ob der Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Parteien gilt oder ob dessen Anwendung vertraglich vereinbart ist.

Die Grundlage für schützenswertes Vertrauen besteht nicht mehr, wenn und sobald die Normunterworfenen mit einer Änderung rechnen müssen. Dabei hat der Wegfall des Vertrauensschutzes nicht zur Voraussetzung, dass der einzelne Tarifunterworfene positive Kenntnis von den maßgeblichen Umständen hat. Entscheidend und ausreichend ist vielmehr die Kenntnis der betroffenen Kreise (BAG 22. Oktober 2003 - 10 AZR 152/03 - Rn. 40, BAGE 108, 176, 184 mwN).

In der Regel müssen Arbeitnehmer nicht damit rechnen, dass in bereits entstandene Ansprüche eingegriffen wird, auch wenn sie noch nicht erfüllt oder noch nicht fällig sind. Etwas anderes gilt nur dann, wenn bereits vor der Entstehung des Anspruchs hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Tarifvertragsparteien diesen Anspruch zu Ungunsten der Arbeitnehmer ändern werden. Deshalb kann der Vertrauensschutz nicht dadurch entfallen, dass nach der Entstehung, aber vor der Erfüllung des Anspruchs Informationen über die beabsichtigte Minderung dieses Anspruchs gegeben werden. Das einmal zu Recht entstandene und deshalb schützenswerte Vertrauen, dass entstandene Ansprüche erhalten bleiben, kann nicht nachträglich wieder entfallen. Für die Bejahung oder Verneinung schützenswerten Vertrauens und dessen Fortbestand kann es auch nicht darauf ankommen, ob ein entstandener Anspruch bereits erfüllt ist. Die Maßgeblichkeit dieses in aller Regel  allein vom Arbeitgeber zu verantwortenden Umstandes würde den - aus welchen Gründen auch immer - säumigen Arbeitgeber begünstigen.

Es ist zwar richtig, dass es für die Schwere des Eingriffs in Vergütungsansprüche, die Grundlage für die finanziellen Dispositionen der betroffenen Beschäftigen sind, kaum einen Unterschied macht, ob das von den Tarifvertragsparteien für notwendig gehaltene Einsparungsvolumen allein durch - dann notwendigerweise stärkere - Einschnitte in zukünftige Ansprüche oder durch eine Kombination von Eingriffen in bereits entstandene - noch nicht erfüllte - und zukünftige Rechte mit insgesamt gleichem Volumen erreicht wird. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes können die Tarifvertragsparteien aber in bereits entstandene Ansprüche nur verschlechternd eingreifen, wenn bereits bei der Entstehung dieser Ansprüche schützenswertes Vertrauen in deren Fortbestand beseitigt war. Fehlt es daran, müssen die für notwendig erachteten Einsparungen durch die Verschlechterung zukünftig entstehender Ansprüche erreicht werden.

b) In Anwendung dieser Grundsätze kann auf der Grundlage der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend entschieden werden, ob und inwieweit dem rückwirkenden Eingriff in die bereits entstandenen Rechte des Klägers schützenswertes Vertrauen entgegensteht.

aa) Das gilt zunächst für die von der Beklagten behaupteten betriebsöffentlichen Debatten ab März 2004. Die Beklagte hat dazu lediglich vorgetragen, dass bereits „seit März 2004 betriebsöffentliche Debatten mit dem Betriebsrat und der IG Metall über die bevorstehenden Verzichte aller Mitarbeiter geführt“ wurden. Daraus ergibt sich nicht konkret, welche Ansprüche von den diskutierten beabsichtigten Einschnitten betroffen waren und ob die „betriebsöffentliche Debatte“ als hinreichend konkrete und verlässliche Information der betroffenen Beschäftigten über die möglichen verschlechternden tariflichen Regelungen angesehen werden kann.

bb) Das gilt aber auch für das „BR-Info“ vom 2. April 2004. Darin wird der Belegschaft mitgeteilt, dass ua. die Tariferhöhung ab 1. März 2004 und das Urlaubsgeld in einem Sanierungstarifvertrag neu geregelt werden sollen. Damit sind in der Sache die hier strittigen Ansprüche benannt worden, wenn auch ungenau von „Urlaubsgeld“ statt von der „zusätzlichen Urlaubsvergütung“ die Rede ist. Diese Information ist auch hinreichend konkret. Es ist weder erforderlich, dass über eine bereits getroffene Entscheidung zu den beabsichtigten Eingriffen informiert wird, noch, dass konkrete Angaben über das Ausmaß der beabsichtigten Eingriffe gemacht werden. Andernfalls würden die Gestaltungsmöglichkeiten der Tarifvertragsparteien unangemessen eingeschränkt. Der eine rückwirkende Regelung verhindernde Vertrauensschutz könnte dann nur beseitigt werden, wenn zwischen den Tarifvertragsparteien schon eine Einigung über den Eingriff in bereits entstandene Rechte erzielt worden ist, diese den Beschäftigten mitgeteilt wird und es lediglich an dem formellen Abschluss des Tarifvertrages fehlt.

Offen ist aber, ob die Information durch den Betriebsrat auch als ausreichend angesehen werden kann, obwohl er an dem Abschluss des Sanierungs-TV nicht beteiligt ist. Der Betriebsrat beruft sich insoweit auf Aussagen der Geschäftsleitung zu den Inhalten des beabsichtigten Sanierungs-TV. Ob das unter den gegebenen Umständen von den Beschäftigten dahingehend verstanden werden musste, dass Tarifverhandlungen über einen Sanierungstarifvertrag mit den genannten Regelungsgegenständen geführt werden, ergibt sich daraus allein noch nicht hinreichend klar. Das wird das Landesarbeitsgericht erst auf der Grundlage ergänzender Feststellungen zu den „betriebsöffentlichen Debatten“ und ggf. weiterer Umstände im Zusammenhang mit dem BR-Info zu entscheiden haben.

cc) Somit hängt die Wirksamkeit des rückwirkenden Eingriffs in die Lohnansprüche für die Zeit von März bis Juni 2004 davon ab, ob und in welchem Monat der mögliche bevorstehende Eingriff in die tariflichen Rechte hinreichend bekannt war. Der Sanierungs-TV vom 3. November 2004 konnte wirksam nur in die Lohnansprüche des auf den Zeitpunkt der Beseitigung schützenswerten Vertrauens folgenden Monats eingreifen. Die Wirksamkeit des rückwirkenden Eingriffs in den Anspruch auf die zusätzliche Urlaubsvergütung hängt davon ab, wann dieser Anspruch entstanden ist, was bisher nicht festgestellt worden ist.

3.

Die Klage ist auch nicht aus anderen Rechtsgründen entscheidungsreif. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass dem Anspruch des Klägers nicht der Einwand arglistigen Verhaltens gem. § 242 BGB entgegensteht, weil er eine Leistung fordert, die er alsbald zurückzugewähren hat. Eine Grundlage für eine entsprechende Verpflichtung des Klägers, die hier geltend gemachten Zahlungen zurückzugewähren, wenn er die Abfindung - vollständig - erhalten hat, ist nicht zu erkennen. Auch nach der Darstellung der Beklagten sind die von den ausscheidenden Arbeitnehmern nach dem beabsichtigten Sanierungs-TV zu tragenden Verzichte nur in die Kalkulation für das Gesamtvolumen der nach dem Transfersozialplan zu zahlenden Abfindungen eingeflossen. Eine Verpflichtung des Klägers, die Abfindung in Höhe etwaiger nach dem später abgeschlossenen Sanierungs-TV weggefallenen, aber trotzdem erstrittenen Zahlungen zurückzuzahlen, ist dem Sozialplan nicht zu entnehmen. Ebenso fehlt es an einer schlüssigen Darlegung der Beklagten über eine zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung mit diesem Inhalt.

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