Oberlandesgericht München
Az: 31 Wx 035/07
Urteil vom 16.07.2007
Der 31. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München hat am 16. Juli 2007 in der Nachlasssache wegen Erbscheins b e s c h l o s s e n :
I. Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des Landgerichts Coburg vom 3. April 2007 aufgehoben.
II. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Amtsgerichts
Coburg vom 17. November 2006 wird zurückgewiesen.
G r ü n d e :
I.
Die Erblasserin ist am 8.6.2006 im Alter von 81 Jahren verstorben. Ihr Ehemann war vorverstorben. Die Erblasserin hinterließ vier Kinder, die Beteiligten zu 1 bis 4. Die Eheleute verfassten am 8.3.1988 folgendes gemeinschaftliche Testament:
„Testament
Wir die Eheleute H. und M. H. setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen Erben unseres gesamten Nachlasses ein.
Im Falle dass beide gleichzeitig Ableben, wünschen wir: J. H. unser Sohn soll das Haus, sowie Grundstück mit Garage bekommen. Er hat an seine Schwestern M. M. und an S. S. jeder 40.000,– DM Vierzigtausend zu zahlen. Unser Sohn W. H. soll nur seinen Pflichtteil erhalten, da er sich von uns abgewand hat. Denn wer von uns zu Lebzeiten nichts wissen will, braucht auch nach unserem Ableben nichts. Sollte noch Geld und Wertsachen vorhanden sein, so mögen sich die 3 obengenannten Geschwister, M., J. und S. es sich zu gleichen Teilen teilen. J. müsste seinem Bruder W. den Pflichtteil, wenn er nicht darauf verzichtet
übernehmen.
C. d. 8.3.1988, HH C. d. 8.3.198, M.H. geb. L.“
Der Beteiligte zu 3 ist der Meinung, dass er einziger Schlusserbe geworden sei und beantragte die Ausstellung eines Erbscheins als Alleinerbe. Demgegenüber vertritt der Beteiligte zu 2 die Auffassung, dass seine Eltern eine Schlusserbeneinsetzung nur für den Fall des gleichzeitigen Versterbens getroffen hätten und beantragte einen Erbschein,
der die Beteiligten zu 1 bis 4 zu Miterben je zu 1/4 ausweist.
Das Nachlassgericht kündigte mit Beschluss vom 17.11.2006 einen Erbschein mit dem Inhalt an, wonach die Erblasserin von dem Beteiligten zu 3 allein beerbt worden sei. Gegen diese Entscheidung legte der Beteiligte zu 2 Beschwerde ein. Hierauf hat der Einzelrichter des Landgerichts den Beschluss des Nachlassgerichts vom 17.11.2006 aufgehoben und es angewiesen, einen Erbschein entsprechend dem Antrag
des Beteiligten zu 2 zu erteilen. Gegen diese Entscheidung des Landgerichts vom 3.4.2007 richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 3.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Der Vorbescheid des Nachlassgerichts sei aufzuheben, da er nicht der gegebenen Erbfolge entspreche. Diese bestimme sich nicht nach dem gemeinschaftlichen Testament
vom 8.3.1988; vielmehr trete gesetzliche Erbfolge ein. Die in dem gemeinschaftlichen Testament enthaltene Formulierung des gleichzeitigen Ablebens der Eheleute
gelte nicht für alle Versterbensfälle. Nach den gegebenen Grundsätzen zur Testamentsauslegung sei davon auszugehen, dass die Einsetzung des Schlusserben nur für den Fall gelten sollte, dass die Eheleute tatsächlich gleichzeitig durch ein plötzliches
Ereignis oder doch jedenfalls so kurz nacheinander zu Tode kommen, dass der überlebende Ehegatte nicht mehr in der Lage gewesen wäre, eine neue Erbeinsetzung vorzunehmen. Anderes sei weder der Urkunde noch den sonstigen Umständen zu entnehmen. Die Formulierung des Testamentes, wonach derjenige, der zu Lebzeiten
nichts von der Familie wissen wolle, auch nach ihrem Ableben nichts brauche,
ergebe, dass die chlusserbeneinsetzung für den überlebenden Ehegatten gerade
nicht bindend sein sollte. Die Erblasserin wäre, etwa bei einer Normalisierung der Beziehungen zu dem Beteiligten zu 2 frei gewesen, eine abweichende Schlusserbenregelung zu treffen. Aus der Stellungnahme des Beteiligten zu 3 ergebe sich nichts anderes als die Beschränkung des Beteiligten zu 2 auf den Pflichtteil für den Fall des
gleichzeitigen Ablebens der Eheleute.
2. Die Entscheidung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).
a) Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2 ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht zu berücksichtigen, weil nach der letztwilligen Verfügung vom 8.3.1988 der Beteiligte zu 3 als alleiniger Schlusserbe eingesetzt worden ist. In dem Testament ist zwar der Beteiligte zu 3 nicht als Alleinerbe bezeichnet; die Eheleute haben ihm
aber die wesentlichen Vermögensgegenstände zugewendet, so dass die Verfügung
als Erbeinsetzung anzusehen ist (§ 2087 Abs. 1 BGB). Das gemeinschaftliche Testament
vom 8.3.1988 enthält entgegen der Auffassung des Landgerichts eine Schlusserbeneinsetzung auch für den Fall, dass die Eheleute nicht gleichzeitig versterben.
b) Das Landgericht hat zu Recht das gemeinschaftliche Testament als auslegungsbedürftig angesehen. Die Testamentsauslegung ist Sache des Tatrichters. Die Überprüfung im Wege der weiteren Beschwerde ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei kommt
es insbesondere darauf an, ob die Auslegung der Tatsacheninstanz gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften
verstößt, ob in Betracht kommende andere Auslegungsmöglichkeiten
nicht in Erwägung gezogen oder wesentliche Umstände übersehen wurden (vgl. BGHZ 121, 357/363; BayObLG FamRZ 2002, 269/270; Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 27 Rn. 42; MünchKommBGB/Leipold 4. Aufl. § 2087 Rn. 47 ff.).
c) Das Landgericht hat bei der Auslegung des Testaments vom 8.3.1988 nicht zutreffende Umstände berücksichtigt.
Es hat zwar zu Recht angenommen, dass die Formulierung des gleichzeitigen Ablebens einen sehr engen Anwendungsbereich besitzt. Der Begriff „gleichzeitig“ bedeutet seinem Wortsinn nach, dass mehrere Ereignisse zur selben Zeit eintreten. Der leichzeitige Tod mehrerer untereinander erbberechtigter Personen führt dazu, dass keiner des anderen Erbe werden kann. In erbrechtlicher Hinsicht kann von einem gleichzeitigen Tod daher nur die Rede sein, wenn die untereinander erbberechtigten Personen im gleichen Bruchteil einer Sekunde, also zur selben Zeit, den Tod gefunden haben. Im Hinblick auf diesen scharf umgrenzten Wortsinn des Begriffs des gleichzeitigen
Versterbens hat die Rechtsprechung wiederholt entschieden, dass dieser Begriff grundsätzlich eindeutig sei (BayObLGZ 1996, 243/247 m.w.N.; BayObLG FGPrax 2004, 80/81). Bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung setzt der Wortlaut jedoch keine Grenze, weil es stets um die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers
geht und weil dieser auch in den seltenen Fällen klaren und eindeutigen Wortlauts den Vorrang vor eben diesem Wortlaut hat (BGHZ 80, 246/249; 86, 41/45 f.; BayObLG FGPrax 2004, 80/81). Der Richter ist daher auch bei einer ihrem Wortlaut nach scheinbar eindeutigen Willenserklärung an den Wortlaut nicht gebunden, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass der Erklärende mit seinen Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als dies dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht, sofern der wirkliche Wille in der Verfügung von Todes wegen Ausdruck gefunden hat (BGHZ
80, 246/249 f.; 86, 41/46). Dies hat in der obergerichtlichen Rechtsprechung in der Vergangenheit wiederholt dazu geführt, dass dem Begriff des gleichzeitigen Versterbens oder vergleichbaren Formulierungen eine über den strengen Wortsinn hinaus
reichende Bedeutung beigemessen worden ist (vgl. BayObLGZ 1996, 243/247; Bay-ObLG FamRZ 1997/389/399 m.w.N.; OLG Frankfurt FamRZ 1998, 1393/1394
m.w.N.).
Eine nach diesen Grundsätzen vorzunehmende Auslegung ergibt hier aber, dass die Eheleute die Einsetzung des Beteiligten zu 3 als Alleinerben, die Beteiligten zu 1 und 4 als Vermächtnisnehmer und die Enterbung des Beteiligten zu 2 nicht auf den Fall
des gleichzeitigen Versterbens beschränkt wissen wollten. Eine Auslegung nach dem strengen Wortsinn des Wortes „gleichzeitig“ könnte wohl nur dann Platz greifen, wenn sich die Eheleute ohne weitere Erläuterungen auf die Erbeinsetzung, die Enterbung
und die Vermächtnisanordnungen beschränkt hätten. Hier ergänzten die Testierenden ihre Verfügung zur Enterbung des Beteiligten zu 2 allerdings um die Angabe des Motivs.
Die Enterbung beruhte darauf, dass sich der Beteiligte zu 2 von den Eltern abgewandt habe. Die Angabe dieses Grundes für die getroffene einschneidende Verfügung zu Lasten des Beteiligten zu 2 lässt die Schlussfolgerung naheliegend erscheinen, dass die Enterbung eine bewusste Entscheidung der Eheleute für alle Versterbensfälle sein sollte. Denn das Abwenden von der Familie steht in keinem logischen Zusammenhang
zu der Gleichzeitigkeit des Ablebens. Auch die Fassung des Textteils „denn
wer von uns zu Lebzeiten nichts wissen will, braucht auch nach unserem Ableben
nichts“ legt die Auslegung nahe, dass die Eheleute die Rechtsfolge der Enterbung nicht nur für den höchst seltenen Fall des gleichzeitigen Ablebens aufgrund eines besonderen
Ereignisses herbeigeführt sehen wollten, sondern sie auch bei der üblichen
Abfolge des Versterbens nacheinander gelten solle.
Der Verweis des Landgerichts zu dieser Textpassage des Testaments geht indessen fehl. Auf die Frage der Bindungswirkung der Enterbung nach dem Tod des Erstversterbenden kommt es hier nicht an. Sie ist nämlich davon zu unterscheiden, welcher Inhalt den getroffenen Verfügungen nach vorgenommener Auslegung beizumessen ist. Steht der Inhalt einer Verfügung fest, mag bei Einschlägigkeit in einem weiteren Schritt geprüft werden, ob ihr Bindungswirkung im Sinne des § 2271 BGB zukommt.
Hier spielt die Bindungswirkung jedoch keine Rolle, da die überlebende Erblasserin nicht abweichend zu dem gemeinschaftlichen Testament verfügt hat.
Bei der Auslegung des Begriffs des gleichzeitigen Ablebens ist auch zu berücksichtigen, dass keine Anhaltspunkte, wie eine größere gemeinsame Reise oder ein bevorstehendes gefährliches Ereignis, bei Abfassung des Testaments erkennbar geworden sind, welche die Regelung gerade dieses seltenen Ausnahmefalles nahe gelegt hätten.
Es ist nicht mehr aufklärbar, weshalb die Verfügenden den Begriff des gleichzeitigen Ablebens bei der Bestimmung der Schlusserbfolge gewählt haben. Die Lebenserfahrung
spricht unter Berücksichtigung des Gesamtdokuments dafür, dass die Eheleute eine Schlusserbenregelung für alle Versterbensfälle treffen wollten. Auch die Einsetzung des Beteiligten zu 3 als Alleinerben steht der Annahme einer solchen Regelung nicht entgegen. Nachdem die beiden Töchter, die Beteiligten zu 1 und zu 4, nicht
vor Ort lebten und der Beteiligte zu 2 von der Erbfolge ausgeschlossen sein sollte, lag es nicht fern, den Beteiligten zu 3 als Erben einzusetzen, der verpflichtet wurde, die Geschwister auszubezahlen.
Nach alldem konnte die landgerichtliche Auslegung keinen Bestand haben. Infolge dessen war die Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 17.11.2006 zurückzuweisen.
3. Eine Kostenerstattung für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird nicht angeordnet (§ 13a Abs. 1 Satz 1 FGG). Im Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht war der Beteiligte zu 3 noch nicht anwaltlich vertreten, so dass auch insoweit eine Anordnung über die Kostenerstattung unterbleiben kann.