Oberlandesgericht München
Az: 31 Wx 379/14
Beschluss vom 11.12.2014
Anmerkung des Bearbeiters
Kann ein Testament eines Ehemannes, in welchem die Ehefrau zur Alleinerbin bestimmt wird, dahingehend ausgelegt werden, dass bei Vorversterben der Ehefrau die Geschwister der Ehefrau bedacht werden sollen?
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 4.8.2014 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahrens wird auf 2.078.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin strebt aufgrund ergänzender Testamentsauslegung die Erteilung eines Miterbscheins zu 1/2 nach dem Ehemann ihrer vorverstorbenen Schwester an.
Der Erblasser ist im Oktober 2013 im Alter von 71 Jahren verstorben. Im Oktober 2010 hatte er einen Schlaganfall erlitten, danach war er beidseitig gelähmt und konnte nicht mehr sprechen oder schreiben. Die Ehefrau des Erblassers ist im März 2012 vorverstorben. Sie ist aufgrund gesetzlicher Erbfolge vom Erblasser und ihren beiden Schwestern beerbt worden. Sie hatte mit Testament vom 15.7.2005 ihren Mann zum Alleinerben bestimmt, dieses jedoch nicht unterschrieben. In ihrem Testament vom 5.10.2010 hatte sie ihre Schwestern für den – nicht eingetretenen – Fall zu Erbinnen eingesetzt, dass ihr Mann vor ihr oder gleichzeitig mit ihr versterben würde. Die Ehegatten waren seit 1972 verheiratet, sie hatten keine Kinder. Die Eltern des Erblassers sind 1943 bzw. 1972 vorverstorben; er hatte keine Geschwister. Gesetzliche Erben sind bisher nicht bekannt.
Es liegt ein handschriftliches Testament des Erblassers vom 16.04.1988 ein, das lautet:
„Testament
Als Alleinerbin setze ich meine Ehefrau, G. K., geb. St. ein.
(Ort, Datum, Unterschrift)“
Die Beschwerdeführerin, eine der beiden Schwestern der Ehefrau des Erblassers, hat die Erteilung eines Erbscheins aufgrund des Testaments vom 16.04.1988 beantragt, der sie und ihre Schwester als Erben zu je 1/2 ausweist. Die gebotene ergänzende Auslegung des Testaments ergebe, dass der Erblasser die Geschwister seiner Ehefrau eingesetzt hätte, wenn er vorausschauend bedacht hätte, dass seine Ehefrau vor ihm versterben könnte. Sie hat zur Begründung insbesondere dargelegt, der Erblasser habe keine ihm nahestehenden Verwandten gehabt und sei vollkommen in die Familie der Ehefrau integriert gewesen. Er habe nach dem Tod der Schwiegermutter 1987 im Regelfall alle zwei Wochen den Schwiegervater besucht, der ihm eine handschriftliche Generalvollmacht über sein nicht unbeträchtliches Vermögen erteilt habe. Er sei regelmäßig zu Familienfesten gekommen, so 1976 zur Kommunion eines Neffen, 1986 zur Geburt der Nichte, 1987 zur Taufe der Nichte, 1990 zum 80. Geburtstag des Schwiegervaters, 1991 zum 50. Geburtstag der Schwägerin. Weihnachtsfeiertage, Jahreswechsel und Ostern habe er zusammen mit der Beschwerdeführerin, deren Ehemann und Tochter bei Schwiegereltern bzw. Schwiegervater verbracht, wobei teilweise auch die Schwester der Beschwerdeführerin mit ihrem Ehemann anwesend gewesen sei. Ab 1988 seien die Geburtstage der Nichte gemeinsam mit deren Familie und dem Schwiegervater begangen worden. Es habe ein enger Kontakt zu den Familien der beiden Schwestern bestanden, 1986 und 1987 habe der Erblasser mit seiner Ehefrau gemeinsame Skiurlaube mit der Schwester der Beschwerdeführerin und deren Ehemann verbracht. Die Ehefrau des Erblassers habe täglich länger mit ihren Schwestern telefoniert, in diese Gespräche sei oft auch der Erblasser einbezogen worden. Er habe häufig mit den Schwestern der Ehefrau und deren Kindern telefoniert. Gegenüber Dritten habe er geäußert, es sei gut, dass wenigstens seine Ehefrau Geschwister habe. Anlässlich seines 50. Geburtstages habe er die Familie der Beschwerdeführerin als seine richtige Familie bezeichnet. Eine Beerbung durch den Staat sei für den Erblasser nicht in Frage gekommen. Er habe sein Vermögen nicht den gesetzlichen Erben zukommen lassen wollen, zu denen er keinerlei Kontakt gehabt habe. Aufgrund der engen Beziehungen des Erblassers zu den Schwestern seiner Ehefrau sei davon auszugehen, dass er seine Ehefrau nicht ausschließlich als Ehefrau und nahestehende Person, sondern gerade auch als erste Vertreterin ihres Stammes bedacht habe. Die erforderliche Andeutung im Testament liege bereits in der Berufung der Ehefrau.
Der Pfleger für die unbekannten gesetzlichen Erben ist dem Antrag entgegengetreten. Gerade weil der Erblasser Volljurist gewesen sei, hätte er das Problem ohne weiteres erkennen müssen und – falls gewünscht – entsprechend reagieren können. Das habe er jedoch nicht getan. Im Testament finde sich keinerlei Andeutung auf eine entsprechend gewünschte Ersatzerbenstellung. Das vorgebrachte Näheverhältnis sei nicht ausreichend, um eine solche Auslegung zu unterstützen. Hinzu komme, dass sich offensichtlich sowohl die vorverstorbene Ehefrau als auch der Erblasser mit der Frage nach dem Schicksal ihres Vermögens nicht weiter beschäftigt hätten.
Das Nachlassgericht hat den Antrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurückgewiesen, dass nicht zu ermitteln sei, ob der Erblasser den eingetretenen Fall des Vorversterbens seiner Ehefrau bedacht habe. Der Inhalt des Testaments, das sich in der Erbeinsetzung der Ehefrau erschöpfe, lasse nicht auf einen mutmaßlichen Willen des Erblassers schließen, seine Schwägerinnen als Ersatzerbinnen einzusetzen. Es sei bereits fraglich, ob eine unbewusste Regelungslücke vorliege. Der Erblasser sei Volljurist gewesen. Es erscheine gut möglich, dass er den eingetretenen Fall sehr wohl bedacht habe und davon ausgegangen sei, gegebenenfalls erneut testieren zu können. Allein die Tatsache, dass gesetzliche Erben des Erblassers derzeit unbekannt und möglicherweise dem Erblasser nicht bekannt gewesen seien, begründe eine Ersatzerbenstellung der Geschwister der eingesetzten testamentarischen Erbin nicht. Das Nachlassgericht sei nicht befugt, anstelle des Erblassers eine sinnvolle Erbfolge zu bestimmen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde, mit der die Beschwerdeführerin ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und hervorhebt, dass der Erblasser aufgrund seines Schlaganfalls bereits vor dem Tod seiner Ehefrau nicht mehr habe kommunizieren können. Außerdem habe er den Zeugen W… und Dr. R… gegenüber erwähnt, es sei für ihn selbstverständlich, dass sein Vermögen nach seinem Tod seiner Frau und ihren Geschwistern zufalle.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im Ergebnis nicht begründet. Auch der Senat kann nach Durchführung der Beweisaufnahme keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür feststellen, dass der Erblasser die Schwestern seiner Ehefrau als (Ersatz-)Erbinnen eingesetzt hätte, wenn er das Vorversterben seiner Ehefrau bedacht hätte.
1. Das Testament vom 16.04.1988 beschränkt sich auf die Einsetzung der Ehefrau als Alleinerbin. Es enthält keine Regelung für den Fall, dass die eingesetzte Erbin vor dem Erblasser verstirbt und damit nicht Erbin sein kann (§ 1923 Abs.1 BGB).
Die ergänzende Auslegung setzt voraus, dass das Testament eine planwidrige Regelungslücke aufweist, die durch den festzustellenden Willen des Erblassers zu schließen ist. Dabei muss aus dem Gesamtbild des Testaments selbst eine Willensrichtung des Erblassers erkennbar sein, die tatsächlich in Richtung der vorgesehenen Ergänzung geht. Durch sie darf kein Wille in das Testament hineingetragen werden, der darin nicht andeutungsweise ausgedrückt ist (Palandt/Weidlich, BGB, 74. Auflage 2015, § 2084, Rn. 9 m. w. n.). Durch ergänzende Testamentsauslegung kann also die durch die Wegfall des Bedachten entstandene Lücke nur dann geschlossen werden, wenn die für die Zeit der Testamentserrichtung anhand des Testaments oder unter Zuhilfenahme von Umständen außerhalb des Testaments oder der allgemeinen Lebenserfahrung festzustellende Willensrichtung des Erblassers dafür eine genügende Grundlage bietet (BGHZ 22, 357/360). Es muss anzunehmen sein, dass der Erblasser die Ersatzerbeneinsetzung gewollt hätte, sofern er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte (BayObLGZ 1988, 165/167 = NJW 1988, 2744; vgl. auch die von der Beschwerdeführerin zuletzt im Schriftsatz vom 9.12.2014 zitierte Entscheidung des Senats vom 13.6.2013 FGPrax 2013, 177).
2. Der Senat geht davon aus, dass der Erblasser bei Testamentserrichtung nicht damit gerechnet hat, dass seine etwas jüngere Ehefrau vor ihm versterben würde. Selbst wenn er – wie das Amtsgericht für möglich gehalten hat – erwogen haben sollte, dass er in diesem Fall neu testieren müsse, ändert das nichts an der planwidrigen Lücke, denn zum Zeitpunkt des Todes der Ehefrau war er nicht mehr in der Lage, eine letztwillige Verfügung zu treffen.
3. Es fehlt allerdings an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Erblasser, hätte er das Vorversterben seiner Ehefrau bedacht, deren Schwestern als Erbinnen eingesetzt hätte. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen persönlichen Beziehungen des Erblassers zu seinen Schwägerinnen, deren Ehemännern und deren Kindern lassen keinen hinreichend verlässlichen Schluss darauf zu, dass er seine Schwägerinnen nach dem Tod seiner Frau zu Erbinnen eingesetzt hätte.
Dass verwandtschaftliche Beziehungen zur Familie der Ehefrau gepflegt werden – wie mit den geschilderten Besuche zu Familienfesten, den Zusammentreffen bei den Schwiegereltern zu Weihnachten und Ostern und den gemeinsamen Skiurlauben – belegt keinen Willen zur Erbeinsetzung der Schwägerinnen. Dasselbe gilt für die Äußerungen des Erblassers, es sei gut, dass wenigstens seine Ehefrau Geschwister habe, die Familie der Beschwerdeführerin sei seine richtige Familie.
Dass der Erblasser selbst keine Geschwister und – soweit ersichtlich – keine ihm näher bekannten Verwandten hatte, trägt ebenfalls nicht den Schluss, dass er auf jeden Fall die gesetzliche Erbfolge ausschließen und anstelle der ihm persönlich verbundenen Ehefrau deren Schwestern als Erben berufen wollte. Nach der Lebenserfahrung ist Motiv für die Einsetzung des Ehepartners als Alleinerbe regelmäßig die enge persönliche Beziehung und der Wunsch, ihm das beiderseitige Vermögen ungeschmälert zu belassen.
Dass ein Ehegatte den anderen als Repräsentant von dessen Herkunftsfamilie betrachtet, erscheint eher fernliegend. Für die gegenteilige Behauptung der Beschwerdeführerin fehlt es an hinreichenden konkreten, tatsächlichen Anhaltspunkten. Hinzu kommt, dass nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin in der Familie der Ehefrau bereits umfangreiches Vermögen vorhanden war. Anderes hat sich auch nicht aus der Beweisaufnahme ergeben. Der Senat geht davon aus, dass die Frage der Regelung eines Erbfalls Gegenstand der Gespräche innerhalb der Familie anlässlich des Spaziergangs am Morgen nach der Feier des 60.Geburtstags des Zeugen Dr. R… am 3.7.2010 war. Es lässt sich aber nicht sicher feststellen, dass der Erblasser tatsächlich geäußert hat, das Erbe ginge nach seinem Tod an seine Frau und ihre Schwestern. Der Zeuge Dr. R… konnte nur erinnern, dass der im Gegensatz zu ihm selbst damals verheiratete Erblasser auf seine Ehefrau als Erbin verwiesen habe (Sitzungsniederschrift 9.12.2014, S.7). Die Zeugin M… W… konnte nicht ausschließen, dass sie in dem Punkt, dass das Erbe neben der Ehefrau des Erblassers nach dessen Aussagen auch an ihre beiden anderen Cousinen hätte gehen sollen, Schlussfolgerungen zog (SN, S. 3). Sicher war sie nur, dass die Frage des Erbens Thema gewesen ist und dass für den Erblasser klar war, dass ihn seine Frau beerben würde (SN S. 4). Dass er selbst sich in die Richtung geäußert hätte, dass neben der Ehefrau auch deren Geschwister erben sollten, konnte sie dagegen nicht sicher angeben (aaO). Die Zeugin A… W… hatte ebenso keine sichere Erinnerung daran, dass sich der Erblasser konkret in die Richtung geäußert hätte, dass sein Erbe in jedem Fall an die Familie seiner Ehefrau gehen sollte. Auch sie konnte insoweit nur schlussfolgern (SN S.5/6).
4. Aus den zitierten obergerichtlichen Entscheidungen lässt sich für den konkreten Fall nichts herleiten. Insbesondere ist der hier zu entscheidende Sachverhalt ist nicht mit der Fallgestaltung vergleichbar, die der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 16.5.1988 (BayObLGZ 1988, 165/167 = NJW 1988, 2744) zugrunde gelegen hat. Dort hatte es konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Erblasser, der seine – später vorverstorbene – Ehefrau zur Alleinerbin eingesetzt hatte, deren Neffen als Ersatzerben bestimmt hätte. So hatte er gegenüber Dritten wiederholt erklärt, der Neffe seiner Ehefrau sei sein Erbe. Darüber hinaus war der Erblasser lediglich Vorerbe seiner Ehefrau gewesen und hatte gewusst, dass deren Neffe ihm als Nacherbe folgen werde.
5. Nachdem kein Wille zur Ersatzberufung der Beschwerdeführerin und ihrer Schwester festgestellt werden kann, kommt es auf die Andeutung im Testament – die bereits in der Einsetzung einer nahestehenden Person liegen kann – nicht an.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 61 GNotKG. Er entspricht der Hälfte des Nachlasswertes, da die Beschwerdeführerin die Stellung als Miterbin zu 1/2 anstrebt.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 70 Abs. 1, Abs. 2 FamFG). Die Frage, ob ein (hypothetischer) Wille des Erblassers zur Berufung seiner Schwägerinnen als Ersatzerbinnen festgestellt werden kann, geht nicht über tatsächliche Fragen des konkreten Einzelfalles hinaus. Im Übrigen liegt die vom Beschwerdeführer ins Feld geführte Divergenz zur Entscheidung BayObLGZ 1988, 165/167 = NJW 1988, 2744 nicht vor. Denn auch nach dieser ist „zu ermitteln, was nach der Willensrichtung des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung als von ihm gewollt anzusehen wäre, sofern er vorausschauend die spätere Entwicklung bedacht hätte“. Das war nach den Umständen des hier gegebenen Einzelfalls entgegen den Wünschen der Beschwerdeführerin nicht möglich.