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Tierarzt – Beweisregeln für Haftung eines Humanmediziners wegen groben Behandlungsfehlers

OLG Frankfurt – Az.: 8 U 118/10 – Urteil vom 01.02.2011

Die Berufung des Beklagten gegen das am 30.4.2010 verkündete Grundurteil des Landgerichts Limburg an der Lahn (2 O 81/08) wird zurückgewiesen.

Die Sache wird zur Durchführung des Betragsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 37.083,34 €.

Gründe

I.

Tierarzt - Beweisregeln für Haftung eines Humanmediziners wegen groben Behandlungsfehlers
(Symbolfoto: Von Prostock-studio/Shutterstock.com)

Die Klägerin verlangt von dem beklagten niedergelassenen Tierarzt Schadensersatz wegen behaupteter Fehlbehandlung eines Pferdes, welches deswegen in einer Tierklinik in Stadt01 habe weiterbehandelt und schließlich eingeschläfert werden müssen (2.083,34 € Weiterbehandlungskosten, 35.000 € Wert des Pferdes).

Das Landgericht Limburg a. d. Lahn hat durch Grundurteil erkannt, dass die Klage dem Grunde nach gerechtfertigt sei und die Entscheidung zur Schadenshöhe dem Betragsverfahren vorbehalten.

Das Landgericht hat offen gelassen, ob die Klägerin Eigentümerin des Pferdes war, weil sie auch ohne Verletzung eigenen Eigentums nach dem Grundsatz der Drittschadensliquidation als Partei des zwischen ihr und dem Beklagten geschlossenen Behandlungsvertrags forderungsberechtigt sei.

Es liege eine grob fehlerhafte Behandlung vor. Das folge aus dem Gutachten des tierärztlichen Sachverständigen SV1 und aus einer Gesamtbewertung des dem Beklagten im Einzelnen vorzuwerfenden Verhaltens. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen (S. 7 f/Bl. 149 f d.A.). Die arzthaftungsrechtlichen Grundsätze zur Beweislastumkehr nach grobem Behandlungsfehler seien mit einigen Obergerichten auch auf eine tierärztliche Behandlung anzuwenden. Eine anders lautende Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz rechtfertige keine andere Beurteilung.

Die Anwendung dieser Grundsätze führe dazu, dass der Beklagte dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet sei, auch wenn nicht positiv feststehe, dass die Gesundheit des Pferdes bei fehlerfreiem Vorgehen des Beklagten hätte wiederhergestellt werden können. Denn der Beklagte habe den Beweis nicht erbracht, dass die Tötung des Pferdes auch dann erforderlich geworden wäre, wenn er es fehlerfrei behandelt hätte.

Die Berufung des Beklagten ist auf Klageabweisung gerichtet.

Die Berufung rügt im Wesentlichen:

1. Der Grundsatz der Drittschadensliquidation sei unrichtig angewendet worden, weil der geschädigte Eigentümer hier sehr wohl einen Anspruch hätte.

2. Der Beklagte habe nicht grob fahrlässig gehandelt. Angesichts der äußerlich betrachtet nur drei Zentimeter langen Schnittwunde hätten sich weitere Untersuchungen nicht aufgedrängt.

3. Eine Beweislastumkehr sei nicht gegeben, weil die Klägerin es versäumt habe, das Tier obduzieren zu lassen. Dadurch sei eine Sachverhaltsaufklärung verhindert worden, was eine Beweisvereitelung darstelle. So könne nicht ausgeschlossen werden, dass Fehler der nachbehandelnden Ärzte, Vorerkrankungen und dergl. die Tötung des Tieres notwendig werden ließen. Die Berufung zieht für diese Sicht vor allem Entscheidungen der Oberlandesgerichte München und Hamm heran, aus denen folge, dass die Grundsätze der Beweisvereitelung in Ausnahmefällen zu Lasten (?) des Tierarztes analog anzuwenden seien (Bl. 188 f d.A.). Die Übertragung der arzthaftungsrechtlichen Grundsätze zum groben Behandlungsfehler auf tierärztliche Behandlungsverträge sei abzulehnen (mit dem Oberlandesgericht Koblenz, gegen das Oberlandesgericht Hamm). Das folge auch daraus, dass im Haftungsrecht der Humanmedizin die ordnungsgemäße Aufklärung dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten diene, was für das Tierarztrecht nicht anzunehmen sei.

Der Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Das Landgericht Limburg a. d. Lahn führt das Betragsverfahren zur Zeit auf Antrag der Klägerin fort.

II.

Die Berufung ist zurückzuweisen, sie ist unbegründet.

Die Klägerin ist aktiv legitimiert. Inhaberin etwaiger vertraglicher Schadensersatzansprüche (§ 280 Abs. Abs. 1, 249 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Behandlungsvertrag) ist die Klägerin jedenfalls insoweit, als ihr schadensgleicher Vermögensaufwand auf Grund behaupteter Schlechtleistung des Beklagten entstanden ist. Ferner ist davon auszugehen, dass die Klägerin auch Eigentümerin des behandelten Pferdes war, mithin grundsätzlich auch Beschädigungen oder Untergang des Pferdes sowie eigene Erhaltungsaufwendungen als Schäden an ihrem Eigentum im vertraglichen wie im deliktischen (§ 823 Abs. 1 BGB) Sinne erlitten haben kann. Für die Eigentümerstellung der Klägerin streitet die Vermutung des § 1006 BGB auch im Prozess. Unstreitig war die Klägerin in Besitz des Pferdes, als sie den Beklagten um Behandlung bat, und auch im weiteren Verlauf (Behandlung in der Tierklinik Stadt01 bis zur Einschläferung). Es kann nicht angenommen werden, dass die Klägerin damals nicht Eigentümerin war oder ihr Eigentum verloren hat (§ 292 ZPO). Den klägerischen Vortrag zu bestreiten, die Klägerin habe das Pferd von ihrem Vater geschenkt bekommen, hilft dem Beklagten daher nicht weiter. Dass die Klägerin das Eigentum an dem Pferd durch vollzogene Handschenkung an ihren Sohn verloren hätte, kann ebenfalls nicht angenommen werden. Der Hinweis des Beklagten auf einen Eintrag des Sohnes der Klägerin in einem Pferdepass genügt insoweit nicht, nachdem die Klägerin mitgeteilt hat, auf welche Weise es ohne Eigentumsübertragung zu diesem Eintrag gekommen sei (S. 2 des Schriftsatz vom 13.10.2010, Bl. 48 d.A.). Damit kommt es für die berufungsgerichtliche Entscheidung über das Grundurteil nicht darauf an, ob die Rechtsfigur der Drittschadensliquidation anwendbar wäre.

Mangels konkreter Berufungsangriffe (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) gegen die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts (S. 7 f des angefochtenen Urteils) hat der Senat davon auszugehen, dass dem Beklagten insgesamt ein grob fehlerhafter Verstoß gegen tierärztliche Sorgfaltspflichten unterlaufen ist. Der Beklagte kann sich demgegenüber nicht mit Verweis auf eine oberflächlich eher unauffällige Wunde entlasten, weil er nicht eine lediglich oberflächliche Betrachtung, sondern tierärztlichen Standard schuldete.

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, wonach in einem solchen Fall die Beweisregeln des Haftungsrechts der Humanmedizin anzuwenden sind. Diese Frage ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung insoweit umstritten, als das OLG Koblenz sie in einem Beschluss vom 15.9.2008 (10 U 73/08) verneint hat. Dem steht die gegenteilige Auffassung des OLG Hamm (Urteil vom 3.12.2003 – 3 U 108/02) und des OLG München (Urteil vom 9.3.1989 – 24 U 262/88) entgegen, denen sich der Senat (mit Baur, VersR 2010, 406 f) anschließt. Die Tätigkeiten von Human- und Tierarzt stimmen weitgehend überein, soweit es um die Heilung und Erhaltung eines lebenden Organismus geht. Jeder Organismus reagiert auf Krankheit oder Verletzungen und auf Heilmaßnahmen unterschiedlich. Wenn der Humanarzt angesichts dessen eine Beweislastumkehr gegen sich gelten lassen muss, weil in Folge groben ärztlichen Versagens das Spektrum der für die Schädigung in Betracht kommenden Ursachen gerade durch den Fehler besonders verbreitert oder verschoben wurde, findet sich kein stichhaltiger Grund, dies nicht auch für die Tierarztbehandlung anzunehmen.

Die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers führt zur Umkehr der Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem (primären) Gesundheitsschaden und dem Behandlungsfehler, wenn dieser geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen. Dass die Fehlbehandlung des Pferdes geeignet war, seine Gesundheit maßgeblich zu schädigen, steht außer Frage. Dass das Pferd auch dann maßgebliche Schädigungen erlitten hätte und deswegen hätte eingeschläfert werden müssen, wenn es ordnungsgemäß behandelt worden wäre, ist nach den tragfähigen Feststellungen des Landgerichts weder erweislich noch ganz überwiegend wahrscheinlich.

Der Umstand, dass das Pferd nicht obduziert wurde, steht dieser Bewertung nicht entgegen. Eine Beweisvereitelung durch den Gegner des Beweisführers kann zwar nach dem Rechtsgedanken der §§ 444, 427 ZPO nachteilig bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Sie setzt aber ein missbilligenswertes Verhalten vor oder während des Prozesses voraus, durch welches die Beweisführung unmöglich gemacht oder erschwert wird, wobei der Bundesgerichthof fahrlässiges Verhalten genügen lässt. Weshalb es zu missbilligen sei, dass die Klägerin das Pferd nach dem Einschläfern nicht obduzieren ließ, ist nicht ersichtlich. Um die Todesursache kann es hierbei nicht gehen, weil diese auf der Hand liegt (Einschläfern). Der Vortrag, dass Fehler der Nachbehandler (also der Tierklinik Stadt01), Vorerkrankungen oder „dergl.“ (Berufungsbegründung S. 4 Bl. 187 d.A.) als Gründe für die Notwendigkeit der „Euthanasierung“ hätten ermittelt werden können, genügt nicht. Der Beklagte hätte allenfalls vortragen können, dass eine Obduktion des Kadavers den Beweis erbracht hätte, der ihn nach der Beweislastumkehr trifft, mithin, dass das Tier auch bei fehlerlosem Verhalten nicht zu retten gewesen wäre. Diesen Vortrag hält die Berufung nicht. Zu missbilligen ist die von der Klägerin geschaffene Beweislage nicht, weil sie sich durch Verzicht auf eine Obduktion in erster Linie selbst geschadet hätte, wäre nicht die Beweislastumkehr auf Grund groben Tierarztfehlers eingetreten. Im Übrigen ist eine Beweisvereitelung grundsätzlich nur ein Umstand, der im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist. Die gegebenen weiteren Anhaltspunkte dafür, dass das Tier auf Grund der Fehlbehandlung zu Schaden kam und nicht mehr zu retten war, tragen die angefochtene Entscheidung.

Soweit die Berufung mit dem Hinweis auf etwaige Nachbehandlerfehler im Übrigen darauf abstellen will, dass hier selbständige Ursachen für Schädigung und Verlust des Tieres gesetzt wurden, fehlt es an jedem konkreten Vortrag und Beweis für das Vorliegen einer solchen Ursache und eines solchen Verlaufs.

Weil die entscheidungserheblichen Umstände im Wesentlichen bereits Gegenstand der ersten Instanz waren, besteht kein Anlass, dem Beklagten über die mündliche Senatsverhandlung hinaus die Möglichkeit einzuräumen, sich schriftsätzlich zu erklären.

Im Hinblick auf die anderslautende Auffassung des Oberlandesgericht Koblenz zur Anwendbarkeit der Beweisregeln des Arzthaftungsrechts nach grobem Behandlungsfehler ist die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtmittel ohne Erfolg bleibt (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar (§ 708 Nr. 10 ZPO). Die Schuldnerschutzanordnung beruht auf § 711 ZPO.

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