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Tierhalterhaftung bei Reitunfall – Beweislast für Sturzursache

LG Bielefeld – Az.: 1 O 306/10 – Urteil vom 23.09.2011

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem Reitunfall geltend.

Die Beklagte ist Eigentümerin und Halterin des Reitpferdes „U.“. Das Tier, ein ruhiges und zuverlässiges Pferd, dient zu privaten Reitzwecken und ist in den Stallungen auf dem Hof M. in S. untergebracht.

Die Parteien schlossen am 30.01.2007 einen schriftlichen Vertrag, mit dem sich die Beklagte verpflichtete, der Klägerin das Pferd an drei Tagen in der Woche zum Reiten/Pflegen zur Verfügung zu stellen. Die Klägerin verzichtete in dem Vertrag auf Ansprüche gegen die Beklagte aus § 833 BGB wegen aller durch das Pferd verursachten Schäden, soweit diese nicht durch die für das Pferd bestehende Tierhalterhaftpflichtversicherung abgedeckt waren. Sie versicherte ferner, dass ihre mit der Ausübung des Reitsports verbundenen Risiken durch den Abschluss einer Unfallversicherung soweit wie möglich abgedeckt waren und dass der Umgang mit dem Pferd und das Reiten auf diesem in Kenntnis der damit verbundenen Tiergefahren auf eigene Verantwortung erfolgte. Gemäß einer zusätzlichen mündlichen Vereinbarung zwischen den Parteien zahlte die Klägerin als Gegenleistung monatlich 50,00 € an die Beklagte und besorgte ab und zu Futter für das Pferd.

Am 28.12.2007 unternahm die Klägerin mit dem Pferd einen Ausritt in ein Waldgebiet bei S.. Die Klägerin ist eine langjährige, erfahrene Reiterin; sie hatte zu dem Zeitpunkt auch hinreichende Erfahrung im Umgang mit „U.“.

Tierhalterhaftung bei Reitunfall - Beweislast für Sturzursache
Symbolfoto: Von Steve Horsley/Shutterstock.com

Im Verlauf des Ausrittes kam die Klägerin aus streitiger Ursache zu Sturz und verletzte sich schwer. Sie wurde auf einem engen und unbefestigten „Trampelpfad“ am Boden liegend aufgefunden. Zu dem Zeitpunkt trug die Klägerin keine Reiterkappe. Das Pferd lief nach dem Unfall eigenständig zu den Stallungen zurück.

Die Klägerin zog sich bei dem Sturz eine Hirnblutung, eine Skalpierungsverletzung, Brüche von Brustwirbelkörpern und Rippen sowie eine Lungenverletzung zu. Sie befand sich kurzfristig in Lebensgefahr und lag bis zum 04.01.2008 auf einer chirurgischen Intensivstation. Die Verletzungen im Bereich der Brustwirbelsäule mussten durch Anbringung eines Titangestells operativ stabilisiert werden; der Fixateur konnte bis heute nicht entfernt werden. Es folgten mehrfache stationäre Krankenhausaufenthalte und stationäre sowie ambulante Reha-Maßnahmen. Die Klägerin war bis zum 31.08.2008 arbeitsunfähig. Der Kreis Gütersloh stellte mit Bescheid vom 16.09. 2008 einen Grad der Behinderung von 50 % fest.

Die Haftpflichtversicherung der Beklagten lehnte vorprozessual eine Haftung für die Folgen des Reitunfalls der Klägerin ab.

Die Klägerin, die keine Erinnerung an das Unfallgeschehen hat, behauptet, der einzige denkbare Geschehensablauf sei, dass das Pferd „U.“ unerwartet gescheut habe, durchgegangen sei und sie dabei infolge einer Kollision mit einem Ast oder einem Baumstamm zu Sturz gekommen sei. Sie sei auf einer ihr wohlbekannten Strecke unterwegs gewesen, Hindernisse seien dort auch nach dem Orkan „Kyrill“ nicht vorhanden gewesen, wie sie bei unzähligen Ritten nach dem Orkan festgestellt habe. Sie sei eine besonnene Reiterin gewesen, die den Trab oder normalen Schritt bevorzugt habe. Auf dem „Trampelpfad“, auf dem sie vom Pferd gestürzt sei, sei sie stets im Schritt geritten. Sie habe bei dem Ausritt eine Reiterkappe getragen, die sie bei dem Unfall verloren habe; die Kappe sei später von Spaziergängern gefunden worden.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 40.000,00 €, da ihre körperliche Leistungsfähigkeit derzeit und vermutlich auch dauerhaft um 50 % vermindert sei. Ferner begehrt sie Ersatz eines Verdienstausfallschadens in Form der Differenz zwischen dem Krankengeld und ihrem Nettolohn für den Zeitraum vom 11.02.2008 bis zum 30.09.2008 in Höhe von 5.682,97 € mit der Behauptung, ab Januar 2008 sei eine Gehaltserhöhung für ihre Tätigkeit in der Rechtsanwaltskanzlei ihres Ehemannes geplant gewesen. Ab dem Monat Juli 2010 macht die Klägerin einen Erwerbsminderungsschaden von 3.438,88 € / Monat geltend, da sie die Absicht und konkrete Aussicht gehabt habe, ihre frühere Tätigkeit als Agrarwissenschaftlerin wieder aufzunehmen. Schließlich verlangt sie Erstattung der Kosten für einen behindertengerechten Umbau des Badezimmers in Höhe von 12.625,36 € sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für Zukunftsschäden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichtes gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (09.12.2010) zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.682,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an sie beginnend mit dem 01.07.2010 einen monatlichen Erwerbsminderungsschaden von 3.438,88 € zu zahlen – dies im Einzelnen wie folgt:

a) für den Zeitraum vom 01.07.2010 bis zum 31.12.2010 einen Betrag von 20.663,63 €;

b) für den Zeitraum ab dem 01.01.2011 bis zum 14.04.2022 für jeweils drei Monate im Voraus einen Betrag von 10.316,64 €¸ jeweils fällig zum 01.01., 01.04., 01.07., 01.10. eines jeden Jahres,

4. die Beklagte weiterhin zu verurteilen, an sie 12.625,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus Anlass des Reitunfalls vom 28.12.2007 mit dem Pferd „U.“ zukünftig noch entstehen werden, soweit die Ansprüche insoweit nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte kraft Gesetzes übergegangen sind bzw. übergehen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet den Unfallhergang mit Nichtwissen und behauptet, es sei eine Vielzahl von Gründen für den Sturz der Klägerin denkbar. Die Schäden durch „Kyrill“ seien auf den Wegen¸ auf denen die Klägerin unterwegs gewesen sei, noch nicht beseitigt gewesen. Teilweise hätten noch entwurzelte Bäume kreuz und quer gehangen, ein umgestürzter Baum habe sich in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle befunden. Die Klägerin sei mit dem Pferd gern schnell galoppiert und hätte gern noch mehr aus dem Pferd herausgeholt. Sie sei am Unfalltag – wie stets – ohne Reitkappe unterwegs gewesen; das sei die wesentliche Ursache ihrer Verletzungen gewesen. Ferner wendet die Beklagte ein, Ansprüche der Klägerin seien auch aus verschiedenen Rechtsgründen ausgeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine Ansprüche aus § 833 S. 1 BGB, der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage.

1) Ein Anspruch aus Tierhalterhaftung setzt eine Körperverletzung „durch ein Tier“ voraus. Diese Anspruchsvoraussetzung erfordert, dass sich eine „spezifische“ oder „typische“ Tiergefahr verwirklich hat, die sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten äußert. Nicht jeder Sturz des Reiters vom Pferd oder mit einem Pferd stellt einen Vorgang dar, der auf tierisches Verhalten zurückzuführen ist. Denn die typische Tiergefahr verwirklicht sich nicht, wenn das Pferd lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folgt und nur daraus der Schaden resultiert. Bei einem unter menschlicher Leitung befindlichen Reitpferd kommt eine Haftung des Tierhalters aus § 833 BGB nur in Betracht, wenn das Pferd dem Willen des Reiters nicht gehorcht hat, wenn es seinen Anweisungen nicht gefolgt hat. Die Beweislast hierfür liegt als anspruchsbegründende Tatbestandsvoraussetzung bei der Klägerin (BGH NJW 1982, 763; NJW 1986, 2501; NJW-RR 1990, 789; NJW-RR 2006, 813).

2) Diesen Beweis vermag die Klägerin nicht zu führen.

a) Sie selbst hat keine Erinnerung an das Unfallgeschehen. Es gibt keinen Zeugen für den Reitunfall. Das Gericht teilt auch nicht die Ansicht der Klägerin, dass unter Berücksichtigung der unstreitigen sowie der von ihr unter Beweis gestellten Umstände als einzige denklogische Ursache für den Unfall nur ein unerwartetes Scheuen und Durchgehen des Pferdes in Betracht kommt. Es gibt vielmehr mehrere Möglichkeiten, weshalb die Klägerin zu Sturz gekommen sein kann. Das gilt auch unter Berücksichtigung der unstreitigen Tatsache, dass es sich bei „U.“ um ein ruhiges Pferd handelt und die Klägerin umfangreiche Reiterfahrung besaß. Es kann ferner dahinstehen, ob es sich bei dem von der Klägerin benutzten Weg um einen normalen, grundsätzlich harmlosen Reitweg handelt, den sie schon oft benutzt hat. Denn es ist nicht einmal feststellbar, gegen welches konkrete Hindernis die Klägerin geprallt ist. Dies hat die Klägerin weder vorgetragen, geschweige denn unter Beweis gestellt. Sie geht lediglich davon aus, dass sie nach allem menschlichen Ermessen mit einem Ast oder Baumstamm kollidiert sein müsse. Wo sich dieses Hindernis befunden hat, ist offen. Deshalb kann vor diesem Hintergrund z.B. nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin beim Reiten aufgrund einer momentanen Unaufmerksamkeit einen tiefhängenden Ast am Rande des „Trampelpfads“ übersehen hat; ein solches Augenblicksversagen kommt auch bei einem erfahrenen Reiter in Betracht. Möglich erscheint ferner, dass ein Ast plötzlich herabgestürzt ist und die Klägerin getroffen hat. Schließlich mag es sein, dass die von der Klägerin erlittenen Verletzungen auf eine hohe Geschwindigkeit des Pferdes hindeuten; aber auch bei einer Reiterin, die grundsätzlich besonnen reitet, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie einer plötzlichen Eingebung folgend in schnellen Galopp gewechselt hat, selbst auf einem relativ engen „Trampelpfad“.

b) Es ist nicht gerechtfertigt, die Anforderungen an die der Klägerin obliegende Beweisführung zu reduzieren, weil sich die Klägerin in Beweisnot befindet. Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es eine tatsächliche Behauptung für wahr erachtet. Die richterliche Überzeugung muss auch dann gewonnen werden, wenn einer Partei wie im vorliegenden Fall keine Zeugen zur Verfügung stehen und sie zudem – bedauerlicherweise – unfallbedingt über keine eigene Erinnerung an das Geschehen mehr verfügt.

II.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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