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Tierhalterhaftung für Pferd

LG Köln – Az.: 23 O 117/15 – Urteil vom 16.09.2016

Die Klageanträge zu 1) bis 6) sind im Hinblick auf den Beklagten zu 1) dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus dem Pferdeunfallereignis vom 09.02.2014 entstehen, soweit diesbezügliche Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) wird abgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand

Tierhalterhaftung für Pferd
(Symbolfoto: Skumer/Shutterstock.com)

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche aus Tierhalterhaftung wegen eines Unfalls unter Beteiligung von zwei Pferden geltend.

Die Klägerin und Herr L, der zwischenzeitlich von dem Beklagten zu 1) als Drittwiderbeklagter in Anspruch genommen worden war, sind verheiratet und haben eine gemeinsame Tochter. Der Beklagte zu 1) ist der Ehemann der Beklagten zu 2), die Beklagte zu 3) ist die gemeinsame Tochter der Beklagten zu 1) und 2). Die Beklagten leben gemeinsam auf einem Bauernhof in M. Auf dem Bauernhof der Beklagten befindet sich stets eine Reihe von Pferden, die dort teilweise von Dritten gegen Einstellgebühren eingestellt werden. Der Beklagte zu 1) betreibt auf dem Bauernhof eine Land- und Viehwirtschaft. Darüber hinaus übt er eine Tätigkeit bei der Landwirtschaftlichen Genossenschaft in M in Teilzeit aus und ist mittels Maschineneinsatzes für eine befreundete Landwirtschaftsfamilie und den Reit- und Fahrverein M tätig. Die Beklagte zu 2) ist Hausfrau und beruflich Kindergärtnerin, die Beklagte zu 3) war zum Unfallzeitpunkt minderjährig und Schülerin.

Am 01.02.2014 verbrachte der Ehemann der Klägerin die beiden Pferde Lord, einen im Jahr 2011 geborenen Mecklenburger, und Merlin, einen im Jahr 2011 geborenen Haflinger, von Mecklenburg-Vorpommern zum Hof der Beklagten. Vorausgegangen war eine Absprache mit der Beklagtenseite dahingehend, dass die Klägerin und ihr Ehemann ab dem 01.02.2014 monatliche Einstellkosten in Höhe von 50,00 EUR für das Pferd Merlin zahlen wollten und das Pferd Lord der Beklagtenseite zur Verfügung gestellt werden sollte. Die genauen Umstände der Nutzung von Lord sind zwischen den Parteien streitig.

Am 09.02.2014 befanden sich die Klägerin und ihr Ehemann mit ihrer Tochter und der Zeugin L1 – der Mutter der Klägerin – auf dem Bauernhof der Beklagten. Gemeinsam mit der Beklagten zu 3) führten sie die Pferde Lord und Merlin auf dem vom Bauernhof der Beklagten in nordöstliche Richtung wegführenden Weg zu einer Kapelle und zurück. Als die Gruppe sich auf einer zweiten Runde befand – die Tochter der Klägerin hatte sich kurz zuvor entfernt -, kam es nach dem plötzlichen Auftauchen eines Joggers mit neonfarbener Warnweste auf dem vor der Gruppe gelegenen querenden Weg dazu, dass die beiden Pferde scheuten. Im folgenden Verlauf stürzte das Pferd Merlin auf die Klägerin. Der genaue Hergang dieses Unfalls ist zwischen den Parteien streitig, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob das Pferd Lord zuvor das Pferd Merlin umrannte.

Durch den Unfall erlitt die Klägerin schwerste Verletzungen, insbesondere schwerste Kopf- und Rumpfverletzungen. Wegen der Einzelheiten der Verletzungen und der Behandlung der Klägerin nach dem Unfall wird auf S. 6 ff. der Klageschrift (Bl. 6 ff. d. A.) und auf S. 12 f. des Schriftsatzes vom 15.07.2015 (Bl. 76 f. d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beansprucht von den Beklagten aufgrund des Unfalls Schmerzensgeld, Verdienstausfallschaden, Haushaltsführungsschaden, Fahrtkostenersatz, Ersatz vorprozessualer Anwaltskosten, Ersatz von Kosten für verschiedene Dienstleistungen, Umbau, Hilfsmittel und die Bestellung eines Betreuers sowie die Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftig entstehender Schäden.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagten gemeinschaftlich als Halter des Pferdes Lord anzusehen seien und es sich bei Lord um ein Luxustier handele. Zum Unfall sei es gekommen, weil das Pferd Lord das Pferd Merlin umgerannt habe, so dass das Pferd Merlin auf die Klägerin gestürzt sei. Unfallbedingt seien der Klägerin bisher im Einzelnen bezifferte Schäden in Höhe von 206.380,61 EUR entstanden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen auf S. 12 ff. der Klageschrift (Bl. 12 ff. d. A.), S. 12 ff. des Schriftsatzes vom 08.12.2015 (Bl. 130 ff. d. A.), S. 9 ff. des Schriftsatzes vom 10.03.2016 (Bl. 271 ff. d. A.) und S. 31 ff. des Schriftsatzes vom 28.07.2016 (Bl. 482 ff. d. A.) verwiesen. Die Klägerin sei auch weiterhin und künftig durch den Unfall beeinträchtigt.

Die Klägerin beantragt nach mehrfacher Aktualisierung der Klageanträge während des Prozesses,

1) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 250.000,00 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen,

2) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin als Ersatz für den im Zeitraum 24.03.2014 bis 31.07.2016 erlittenen Verdienstausfall einen Betrag in Höhe von 35.300,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 7.900,00 EUR für den Zeitraum 30.11.2015 bis 30.03.2016, aus einem Betrag von 21.700,00 EUR für den Zeitraum 01.04.2016 bis 31.07.2016 und aus einem Betrag von 35.300,00 EUR für den Zeitraum ab 01.08.2016 zu zahlen,

3) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin als Ersatz für den im Zeitraum 09.02.2014 bis 19.08.2016 (132 Wochen) entstandenen und unter Einrechnung des für diesen Zeitraum gezahlten Pflegegeldes von gesamt 10.723,29 EUR berechneten Haushaltsführungsschadens einen Betrag in Höhe von 88.769,71 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 43.945,00 EUR für den Zeitraum zwischen Zustellung der Klage und dem 18.12.2015, aus einem Betrag von 67.285,71 EUR für den Zeitraum 19.12.2015 bis 08.04.2016, aus einem Betrag von 76.273,71 EUR für den Zeitraum 09.04.2016 bis 19.08.2016 sowie aus einem Betrag von 88.769,71 EUR ab 20.08.2016 zu zahlen,

4) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin als Ersatz für Fahrtkosten im Zeitraum 09.02.2014 bis 03.03.2015 (55 Wochen) einen Betrag in Höhe von 7.365,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen,

5) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 4.994,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.09.2014 als Ersatz für vorprozessuale Anwaltsgebühren zu zahlen,

6) die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin weitere 69.950,99 EUR als Schadensersatz aus dem Pferdeunfallereignis vom 09.02.2014 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 62.346,13 EUR für den Zeitraum 19.12.2015 bis 08.04.2016 sowie aus einem Betrag von 69.950,99 EUR ab 09.04.2016 zu zahlen und

7) festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus dem Pferdeunfallereignis vom 09.02.2014 entstehen, soweit diesbezügliche Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten sind der Auffassung, dass nur der Beklagte zu 1) als Halter des Pferdes Lord zu betrachten sei. Sie behaupten, dass das Pferd Lord dem Beruf, der Erwerbstätigkeit und dem Unterhalt des Beklagten zu 1) zu dienen bestimmt sei und dieser sich keine Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen habe. Zum Unfall sei es gekommen, nachdem beide Pferde sich – irritiert von dem unbekannten Jogger – losgerissen hätten; Merlin sei dabei gegen die Klägerin gestoßen, ohne zuvor von Lord umgerannt worden zu sein. Die Klägerin habe zudem durch den Spaziergang mit den Pferden bewusst ein ungewöhnliches Risiko übernommen, weil die Pferde bereits vor dem Spaziergang unruhig gewesen seien und die Zeugin O davor gewarnt habe, die Tiere auszuführen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.

Die Klageschrift ist den Beklagten am 25.04.2015 zugestellt worden. Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 18.12.2015 (Bl. 207 f. d. A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 08.04.2016 (Bl. 390 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und – im Hinblick auf den Beklagten zu 1) – hinsichtlich der Klageanträge zu 1) bis 6) dem Grunde nach gerechtfertigt sowie hinsichtlich des entscheidungsreifen Klageantrags zu 7) begründet; im Hinblick auf die Beklagten zu 2) und 3) ist die Klage unbegründet.

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Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das für den Klageantrag zu 7) gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse gegeben.

Eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden ist zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse i. S. v. § 256 Abs. 1 ZPO ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH NJW-RR 2007, 601 Rn. 5). Diese negative Voraussetzung liegt hier nicht vor. Aus Sicht des Klägerin besteht bei verständiger Würdigung ein Grund, mit dem Eintritt künftiger Schäden wenigstens zu rechnen, insbesondere, da nach ihrem unbestrittenen Vortrag noch Operationen an der linken Hand und an den Schläfen erforderlich sind; dass die Klägerin bereits jetzt wieder vollständig genesen sei, wird auch von den Beklagten nicht geltend gemacht.

Auch im Übrigen bestehen gegen die Zulässigkeit der Klage keine Bedenken.

Die Klageanträge zu 1) bis 6) sind im Hinblick auf den Beklagten zu 1) dem Grunde nach gerechtfertigt. Die Klägerin hat gegen den Beklagten zu 1) einen Anspruch auf Ersatz der ihr aus dem Unfall vom 09.02.2014 entstandenen und noch entstehenden Schäden gemäß § 833 S. 1 BGB. Das Gericht hat insoweit gemäß § 304 Abs. 1 ZPO von der Möglichkeit eines Grundurteils Gebrauch gemacht, weil alle Fragen, die zum streitigen Grund des Anspruchs gemäß § 833 S. 1 BGB gehören, erledigt sind, während zum ebenfalls streitigen Betrag des Anspruchs noch weitere Feststellungen erforderlich sind, die einer zeit- und kostenintensiven Beweisaufnahme bedürfen, wobei allerdings nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass Ersatzansprüche der Klägerin in irgendeiner Höhe bestehen (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1008).

Gemäß § 833 S. 1 BGB ist, wenn durch ein Tier der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt wird, derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Diese Voraussetzungen sind hier im Hinblick auf den Beklagten zu 1) erfüllt.

Der Beklagte zu 1) war zum Unfallzeitpunkt Halter des Pferdes Lord. Halter eines Tieres ist, wem die Bestimmungsmacht über das Tier zusteht und wer aus eigenem Interesse für die Kosten des Tieres aufkommt und das wirtschaftliche Risiko seines Verlustes trägt (BGH NJW-RR 1988, 655, 656 m. w. N.). Für die Haltereigenschaft ist nicht erforderlich, dass das Tier im Eigentum des Halters steht (vgl. BGH NJW-RR 1990, 789, 709). Dass die Voraussetzungen der Haltereigenschaft im Hinblick auf den Beklagten zu 1) erfüllt sind, ist unstreitig und wird durch die Angaben der Beklagten im Rahmen der persönlichen Anhörung im Termin am 19.08.2016 bestätigt. Der Beklagte zu 1), dessen Ausführungen sich die Beklagten zu 2) und 3) angeschlossen haben, hat insoweit bekundet, dass das Pferd im Betrieb habe eingesetzt werden sollen, wirtschaftlich mit Mitteln aus dem Betrieb unterhalten werde und der Beklagte zu 1) als Betriebsleiter hauptverantwortlich für die Tiere sei. Ob für das Pferd Lord Besitzpapiere auf den Beklagten zu 1) ausgestellt wurden oder nicht, ist in diesem Zusammenhang ebenso unbeachtlich wie die Frage, ob das Pferd zivilrechtlich im Eigentum des Beklagten zu 1) steht.

Die Klägerin wurde durch das Pferd Lord an Körper und Gesundheit verletzt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs äußert sich eine typische Tiergefahr, die Voraussetzung für eine Haftung gemäß § 833 S. 1 BGB ist, in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres. Führt das Scheuen eines Pferdes zu einer Schädigung, hat sich eine typische Tiergefahr ausgewirkt. Das tierische Verhalten muss nicht die einzige Ursache des eingetretenen Unfalls sein. Es genügt vielmehr, wenn das Verhalten des Tieres für die Entstehung des Schadens adäquat mitursächlich geworden ist (vgl. zum Ganzen BGH NJW 2015, 1824 Rn. 12 m. w. N.). Dies ist hier der Fall. Denn es steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass das Pferd Lord scheute, sodann gegen das Pferd Merlin gelaufen ist und Merlin dadurch umgefallen und auf die Klägerin gestürzt ist. Dies haben sowohl die Zeugin L1 als auch – im Rahmen der persönlichen Anhörung – die Beklagte zu 3) und Herr L, der aufgrund seiner zwischenzeitlichen Inanspruchnahme als Drittwiderbeklagter ebenfalls gemäß § 141 ZPO persönlich angehört wurde, übereinstimmend bekundet. Das Gericht hat keinen Anlass, an diesem Ablauf des Geschehens zu zweifeln. Die Aussage der Zeugin L1, die durch das Ereignis noch sichtlich stark bewegt war, war in jeder Hinsicht überzeugend. Die Beklagte zu 3) und Herr L haben den Hergang des Unfalls im Kern ebenso geschildert wie die Zeugin L1; Zweifel an der Richtigkeit der Darstellungen sind auch insoweit nicht gegeben.

Die Haftung des Beklagten zu 1) ist nicht gemäß § 833 S. 2 BGB ausgeschlossen. Voraussetzung hierfür wäre, dass das Pferd Lord als Haustier dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Beklagten zu 1) zu dienen bestimmt ist. Dabei ist auf die allgemeine Zweckbestimmung abzustellen, die dem Tier von seinem Halter gegeben worden ist (BGH NJW 2011, 1961 Rn. 8). Erforderlich ist eine umfangreiche wirtschaftliche Nutzung des Tieres (vgl. BGH NJW-RR 2005, 1183). Dass dies bei dem Pferd Lord der Fall ist, steht nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest. Nach den von den Beklagten zu 2) und 3) bestätigten Angaben des Beklagten zu 1) im Termin am 19.08.2016 sollte Lord zwar zur betrieblichen Nutzung eingesetzt werden, also als Reitpferd oder Kutschpferd. Allerdings hat der Beklagte zu 1) weiter ausgeführt, dass das Pferd Lord zum Unfallzeitpunkt gar nicht genutzt worden sei, zumal es überhaupt nicht ausgebildet sei; auch im Moment werde Lord gar nicht genutzt. Der Aussage der Zeugin O lässt sich ebenfalls keine umfangreiche wirtschaftliche Nutzung des Pferdes Lord entnehmen. Die Zeugin O hat bekundet, dass Lord das Reitpferd der Beklagten zu 3) habe werden sollen, was für eine Verwendung des Pferdes als Luxustier spricht. Soweit die Zeugin O darüber hinaus erklärt hat, dass die Beklagte zu 3) Reitstunden gebe und vor Ablegung ihrer Prüfung und vor dem Unfallzeitpunkt 5,00 EUR hierfür pro Stunde genommen habe, ergibt sich auch daraus keine umfangreiche wirtschaftliche Nutzung des Pferdes, vielmehr kann darin nur eine Aufbesserung des Taschengeldes der Beklagten zu 3) im Rahmen eines Schülerjobs gesehen werden. Dieses Ergebnis wirkt sich zu Lasten des Beklagten zu 1) aus, der für die Voraussetzungen des § 833 S. 2 BGB beweisbelastet ist.

Die Haftung des Beklagten zu 1) ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Handelns der Klägerin auf eigene Gefahr ausgeschlossen. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem sich hieraus ergebenden Verbot widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) ist es nicht zulässig, dass der Geschädigte den beklagten Schädiger in Anspruch nimmt, wenn er sich bewusst in eine Situation drohender Eigengefährdung begeben hat. Bei der Tierhalterhaftung wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich das Gericht insoweit anschließt, eine vollständige Haftungsfreistellung des Tierhalters unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erwogen, wenn beispielsweise der Geschädigte sich mit der Übernahme des Pferdes oder der Annäherung an ein solches bewusst einer besonderen Gefahr aussetzt, die über die normalerweise mit dem Reiten oder der Nähe zu einem Pferd verbundenen Gefahr hinausgeht. Das kann etwa der Fall sein, wenn ein Tier erkennbar böser Natur ist oder erst zugeritten werden muss oder wenn der Ritt als solcher spezifischen Gefahren unterliegt, wie beispielsweise beim Springen oder bei der Fuchsjagd (vgl. zum Ganzen BGH NJW-RR 2006, 813 Rn. 11 f.).

Das Vorliegen solcher Umstände kann im hier zu entscheidenden Fall nicht festgestellt werden. Dem steht nicht entgegen, dass die Zeugin O sinngemäß ausgesagt hat, die Tiere seien am Unfalltag sehr unruhig gewesen und die Zeugin habe in Anwesenheit der Klägerin davon abgeraten, die Pferde Lord und Merlin auszuführen. Den Bekundungen der Zeugin L1, des Herrn L und der Beklagten zu 3), die im Gegensatz zu der Zeugin O am Spaziergang mit den Pferden teilgenommen haben, lassen sich nämlich keine Vorkommnisse entnehmen, aufgrund derer angenommen werden könnte, dass die Klägerin sich bewusst einer besonderen Gefahr ausgesetzt hat. Dabei kann dahinstehen, ob schon die von Herrn L geschilderten Umstände, dass Lord vor dem Spaziergang durch die Gitterstäbe getreten habe und über die obere Abgrenzung der Box hinaus versucht haben, mit der Schnauze das andere Pferd an der Mähne zu fassen, die Annahme begründen können, dass die Annäherung an Lord am Unfalltag besonders gefährlich war. Denn jedenfalls ist nicht klar, ob auch die geschädigte Klägerin dieses Geschehen in gleicher Weise wahrgenommen hat. Danach ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass sich die Klägerin beim Ausführen der Pferde bewusst einer besonderen Gefahr ausgesetzt hat. Diese Unaufklärbarkeit (non liquet) wirkt sich zum Nachteil des Beklagten zu 1) aus, der nach den allgemeinen Beweislastgrundsätzen die Beweislast für die Voraussetzungen der für ihn günstigen Haftungsfreistellung trägt.

Ein Mitverschulden der Klägerin, das zu einer Kürzung ihrer Ersatzansprüche gemäß § 254 Abs. 1 BGB führen könnte, ist aus den vorstehend dargestellten Gründen ebenfalls nicht gegeben.

In Ansehung der massiven Verletzungen, die die Klägerin durch den Unfall erlitten hat, ist es zumindest wahrscheinlich, dass Ersatzansprüche der Klägerin in irgendeiner Höhe bestehen. Die Klärung des streitigen Betrages der Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten zu 1) bleibt dem Betragsverfahren vorbehalten.

Der Klageantrag zu 7) ist im Hinblick auf den Beklagten zu 1) begründet. Ein auf diese Rechtsfolge gerichteter Feststellungsantrag ist begründet, wenn die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs vorliegen, also insbesondere ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff in ein geschütztes Rechtsgut des Geschädigten gegeben ist, der zu den für die Zukunft befürchteten Schäden führen kann (BGH NJW 2001, 1431, 1432), was hier wie ausgeführt der Fall ist. Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist (vgl. dazu BGH a. a. O.), bedarf unter den Umständen des Streitfalls keiner abschließenden Entscheidung. Denn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt weiterer Schäden ist gegeben, weil nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin aufgrund des Unfalls zumindest noch zwei weitere Operationen erforderlich sind und auch die Beklagten keine vollständige Gesundung der Klägerin bereits zum jetzigen Zeitpunkt geltend machen.

Die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) ist demgegenüber unbegründet, weil die Beklagten zu 2) und 3) nicht als Halterinnen des Pferdes Lord betrachtet werden können. Es steht nicht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass die oben dargestellten Voraussetzungen der Haltereigenschaft in Person der Beklagten zu 2) und 3) erfüllt sind. Nach dem Inhalt der Verhandlung und dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist vielmehr davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) im Rechtssinne alleiniger Halter des Pferdes Lord ist. Zu berücksichtigen ist insoweit zunächst die Aussage der Zeugin O, die ausgeführt hat, dass „Herr Huth“, d. h. der Beklagte zu 1), einen Hof mit Rindern Ziegen, Hühnern und Pferden habe, sich insbesondere um die Rinder und die Futterbeschaffung gekümmert habe und als Viehhändler tätig sei. Dies spricht – ungeachtet des Umstandes, dass die Zeugin O auch mehrfach vom Hof der „Familie Huth“ gesprochen hat – dafür, dass der Beklagte zu 1) maßgeblich die Bestimmungsmacht über den Hof einschließlich der Tiere hat, für die Kosten der Tiere aufkommt und das wirtschaftliche Risiko ihres Verlustes trägt. Dies deckt sich mit den Angaben der Beklagten in ihrer persönlichen Anhörung. Der Beklagte zu 1) hat insoweit bekundet, dass er als Betriebsleiter hauptverantwortlich für die Tiere sei, was von den Beklagten zu 2) und 3) bestätigt wurde. Dass die Beklagten zu 2) und 3) in relevantem Umfang Bestimmungsmacht über das Pferd Lord ausüben konnten, für die Kosten des Pferdes aufkamen und das wirtschaftliche Risiko des Verlustes des Pferdes trugen, ist demgegenüber nicht ersichtlich. Dies geht zu Lasten der Klägerin, die die Beweislast für die Voraussetzungen der Haltereigenschaft der Beklagten trägt.

Die Kostenentscheidung ist – auch im Hinblick auf das im Laufe des Prozesses ergangene Teil-Anerkenntnisurteil und die zurückgenommene Widerklage – im Hinblick auf den Grundsatz der Einheit der Kostenentscheidung dem Schlussurteil vorzubehalten.

Eine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ist nicht veranlasst, weil das Urteil keinen vollstreckbaren Inhalt hat.

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