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Tierhalterhaftung Reitunfall – Beweislastverteilung bei Mitverschulden des Geschädigten

Oberlandesgericht Bremen – Az.: 1 U 81/11 – Urteil vom 18.04.2012

Auf die Berufung der Beklagten zu 1. wird das Urteil des Landgerichts Bremen – 4. Zivilkammer, Einzelrichter – vom 22.08.2011 abgeändert:

Die Klage wird vollen Umfangs abgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 1. zuvor Sicherheit in derselben Höhe geleistet hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Tierhalterhaftung Reitunfall - Beweislastverteilung bei Mitverschulden des Geschädigten
Symbolfoto: Von Steve Horsley/Shutterstock.com

Die Klägerin war Reiterin im Reitsportverein. Sie wünschte den Reitsport öfter auszuüben und wurde durch ihre ehemalige Reitlehrerin an die Familie der Beklagten vermittelt. Die Familie war unentgeltlich und gefälligkeitshalber bereit, die Klägerin dabei zu unterstützen. Die Klägerin erhielt Gelegenheit, nach Absprache mit der ehemaligen Beklagten zu 2. ein Pferd regelmäßig zu reiten, deren Halterin die Beklagte zu 1. ist. Am 03.10.2008 kam es zu einem Reitunfall, bei dem die Klägerin von dem Pferd stürzte und erhebliche Verletzungen erlitt. Die Klägerin macht wegen der Verletzungen materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden geltend.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands erster Instanz und der Begründung der Entscheidung im Einzelnen wird auf das angefochtene Urteil (BI. 59 ff. d.A.) und wegen der Berufungsanträge auf die Sitzungsniederschrift vom 29.02.2012 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht Bremen – 4. Zivilkammer, Einzelrichter – hat mit Urteil vom 22.08.2011 die Klage teilweise abgewiesen. Gegen das der Beklagten zu 1. am 01.09.2011 zugestellte Urteil hat diese am 04.10.2011 Berufung und die Klägerin am 27.10.2011 Anschlussberufung eingelegt; die Berufungsbegründung wurde am 23.11.2011 und die Anschlussberufung der Klägerin am 27.10.2011 eingereicht. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag und die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter.

Die Beklagte zu 1. macht mit ihrer Berufung geltend, das Landgericht habe zu Unrecht die Beweislastregeln des § 834 BGB, denen zufolge die Klägerin sich von dem Mitverschuldensvorwurf zu entlasten hätte, nicht berücksichtigt und darüber hinaus rechtsfehlerhaft einen Zusammenhang zwischen der auf das Pferd gelegten Decke und dem Unfall verneint. Das Pferd werde in Robusthaltung gehalten und es sei ihm niemals vor dem Reiten eine Decke aufgelegt worden. Die Klägerin sei darauf hingewiesen worden, dass das Pferd die Decke nicht möge und darauf sehr empfindliche Reaktionen zeige.

Die Klägerin tritt dem entgegen. Es sei schon nicht richtig, dass das Pferd regelmäßig keine Decke aufgehabt habe. Der Vater der Klägerin habe das Pferd mehrfach mit einer Decke gesehen. Es lasse sich im Nachhinein auch nicht nachvollziehen, weshalb das Pferd durchgegangen sei, als die Klägerin aufsitzen wollte. Pferde seien Fluchttiere, es könnten schon geringste Kleinigkeiten dazu führen, dass diese scheuen. Es sei eine reine Vermutung, dass die Klägerin vom Pferd gestürzt sei, weil sie vorher eine Decke aufgelegt und diese zurückgeschlagen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 27.10., 13.12.2011, 12.01. und 10.02.2012 sowie die Schriftsätze der Beklagten vom 22.11.2011, 14.01., 23.01. und 14.03.2012. Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen K., W. und H.. Wegen des Beweisergebnisses wird auf die Protokolle über die mündliche Verhandlung vom 11.01. und vom 29.02.2012 verwiesen.

II.

Die statthafte (§ 511 ZPO), form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO) der Beklagten und die Anschlussberufung der Klägerin (§ 524 ZPO) gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 22.08.2011 sind zulässig. Die Berufung ist begründet, die Anschlussberufung hingegen unbegründet.

1. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche nicht zu. Eine Haftung der Beklagten zu 1. als Tierhalterin gemäß § 833 BGB scheidet aus, weil die Klägerin ein grobes Eigenverschulden trifft, so dass im Rahmen der Haftungsabwägung die Gefährdungshaftung der Beklagten zu 1. zurücktritt.

a) Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass eine Haftung der Beklagten zu 1. aus § 833 BGB in Betracht kommt. Der Halter eines Pferdes haftet, wenn sich ein Reiter im Umgang mit einem Pferd verletzt, sofern die Verletzung auf der Verwirklichung einer spezifischen Tiergefahr beruht. Ein solcher Fall liegt auch dann vor, wenn der Gebrauch einer Tierdecke zu einer unberechenbaren Reaktion eines Pferdes führt und es dadurch zu einem Unfall kommt.

b) Es kann dagegen offen bleiben, ob die Haftung der Beklagten zu 1. ausgeschlossen ist, weil die Klägerin die Stellung einer Tierhüterin innehatte. Als Tierhüterin ist die Klägerin dann anzusehen, wenn sie selbstständig ohne Begleitperson berechtigt war, mit dem Pferd auszureiten und sich zur Führung der Aufsicht über das Pferd für die Beklagte zu 1. verpflichtet und somit die Sorge übernommen hatte, dass es Dritten keinen Schaden zufügt (vgl. BGH, NJW 1987, 949). Ob nach dem Sach- und Streitstand erster und zweiter Instanz die Annahme gerechtfertigt ist, auch die Klägerin sei als Tierhüterin anzusehen, bedarf keiner Entscheidung, weil sie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls ein überwiegendes Eigenverschulden an dem Reitunfall trifft, so dass die Haftung der Beklagten zu 1. aus der Halterhaftung gemäß § 833 BGB im Rahmen der Haftungsabwägung zurücktritt. Nach den getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Klägerin durch das Auflegen der Abschwitzdecke das Pferd der Beklagten zu 1. verunsichert hat und es dadurch zu dem Reitunfall gekommen ist.

c) Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat ein Mitverschulden der Klägerin zu dem Unfall geführt. Es oblag der Klägerin, sich zu entlasten, dass sie kein Mitverschulden an dem Reitunfall trifft. Den Entlastungsbeweis hat sie indessen nicht geführt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann es die Interessenlage bei einem Reitunfall gebieten, dass dem Verletzten im Hinblick auf ein Mitverschulden der Entlastungsbeweis entsprechend § 834 BGB aufzuerlegen ist (BGH, NJW 1992, 2474). Der Bundesgerichtshof hat das für den Fall angenommen, dass ein Reitpferd dem Reiter – wie hier – unentgeltlich und gefälligkeitshalber zur Nutzung überlassen wird und es dabei zu einem Unfall kommt. In diesem Fall kommt hinzu, dass die Klägerin das Pferd im Wesentlichen frei nutzen konnte. Sie war zwar nicht berechtigt, mit dem Pferd unbeaufsichtigt auszureiten, aber sie durfte sich mit ihm auf dem Anwesen der Beklagten zu 1. frei bewegen. Dies rechtfertigt in stärkerem Maße eine entsprechende Anwendung der Beweislastverteilung nach § 834 BGB. Soweit die Klägerin auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21.12.2010 (NJW 2011, 1961) verweist, in der bei einem Reitunfall die allgemeinen Beweislastgrundsätze zu § 254 BGB angewendet worden sind, kann daraus nichts hergeleitet werden, da es in jenem Fall beim Reitunterricht zu einem Unfall gekommen war, was sich nicht mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichen lässt.

bb) Nach Durchführung der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Ursache des Unfalls auf einem Fehlverhalten der Klägerin beruht. Die Beklagte zu 1. hat vorgetragen, dass das Pferd Decken nicht möge und sehr empfindlich darauf reagiere und bis hin zu panischen Reaktionen zeige. Dieses Vorbringen wurde insbesondere von der Zeugin W. bestätigt. Sie hat erklärt, warum die Decke angeschafft worden sei und dass sie diese nicht habe nutzen können, weil das Pferd ängstlich darauf reagierte. Damit steht die Aussage des Zeugen K. in Einklang, der ausgeführt hat, er habe der Klägerin erklärt, es sei für die Nutzung einer Decke erforderlich, die Verwendung mit dem Pferd einzuüben. Die Aussagen waren glaubhaft. Es haben sich keine Widersprüche ergeben. Insbesondere stimmen die Aussagen im Hinblick auf den Hinweis an die Klägerin, dass der Umgang geübt werden müsse, miteinander überein. Ferner haben die Zeugen übereinstimmend den Zeitpunkt angegeben, zu dem ein Gespräch mit der Klägerin stattgefunden hat. Die Zeugen waren auch glaubwürdig. Zwar handelt es sich um Personen, die der Beklagten zu 1. nahe stehen. Es haben sich aber keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sie sich bei ihren Aussagen von diesem Näheverhältnis haben leiten lassen.

Gegen die Richtigkeit der Aussagen der Zeugin W. und des Zeugen K. spricht nicht die Aussage des Zeugen H.. Letztere steht zwar im Widerspruch zu den Angaben der vorgenannten Zeugen, die meinten, die Decke sei erst wenige Tage vor dem Unfall erstmalig benutzt worden, der Senat hält den Zeugen aber nicht für hinreichend zuverlässig. Der Zeuge hatte zunächst angegeben, er habe das Pferd gesehen, als die Decke auflag. Dies sei am 7. September 2008 gewesen und bezog sich dabei auf Eintragungen im Kalender seiner Ehefrau. Er gab dazu noch an, dass die Klägerin an diesem Tag mit dem Pferd Kriegen gespielt habe. Hierzu hat die anwesende Zeugin W. Stellung genommen. Sie hat darauf hingewiesen, dass das Pferd zu diesem Zeitpunkt an einer Augenentzündung litt, was sie noch genau nachvollziehen konnte, weil es zu dieser Zeit in tierärztlicher Behandlung gewesen sei. Es wäre daher nicht möglich gewesen, mit dem Pferd Kriegen zu spielen, erst recht wäre ein Reiten mit ihm ausgeschieden. Es stelle sich damit die Frage, warum überhaupt die Decke aufgelegt worden sei. Auf diesen Vorhalt reagierte der Zeuge H. sehr verunsichert. Er hat danach seine Angabe deutlich relativiert, indem er angab, dann müsse es eben ein anderer Tag gewesen sein. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die Aussage nicht geeignet, die Angaben und die Glaubwürdigkeit der Zeugin W. und des Zeugen K. in Zweifel zu ziehen.

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cc) Die Klägerin hat den ihr obliegenden Entlastungsbeweis nicht geführt. Soweit sie geltend macht, es lasse sich im Nachhinein nicht nachvollziehen, weshalb das Pferd durchgegangen sei, als die Klägerin aufsitzen wollte und schon geringste Kleinigkeiten dazu führen könnten, dass ein Pferd scheue, reicht das nicht aus. Es obliegt der Klägerin, insoweit konkret Umstände anzugeben, die nicht auf dem Verhalten der Klägerin beruhen und auf die der Unfall zurückzuführen ist. Solche konkreten Anhaltspunkte lassen sich dem Vortrag der Klägerin nicht entnehmen. Vielmehr ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Klägerin schuldhaft gehandelt hat. Nach den Aussagen der Zeugin W. und des Zeugen K. war die Klägerin darüber informiert, dass das Pferd empfindlich auf die Verwendung der Decke reagierte und dass es besonderer Vorsicht bedurfte. Danach musste die Klägerin damit rechnen, dass das Pferd scheuen werde. Es ist auch nicht erkennbar, aus welchem Grund die Klägerin dem Pferd schon vor dem Reiten die Decke aufgelegt hat. Da das Pferd in Robusthaltung gehalten wurde, war es nicht erforderlich, das Pferd in der Aufwärmphase abzudecken.

dd) Nach den gesamten Umständen geht der Senat von einem groben Verschulden der Klägerin aus. Die Klägerin war über den Umgang mit dem Pferd bei Verwendung der Decke aufgeklärt worden. Sie wurde darauf hingewiesen, dass es dafür der Übung mit dem Pferd bedürfe. Außerdem war mit der Zeugin W. abgesprochen, dass die Decke gemeinsam aufgelegt werden sollte. Schließlich bestand, wie bereits dargelegt, überhaupt kein Anlass für den Gebrauch der Decke, da es sich um eine Abschwitzdecke handelte und die Klägerin das Pferd an diesem Tag noch gar nicht geritten hatte. Dass die Klägerin bei dem Unfall noch minderjährig war, vermag keine andere Beurteilung zu rechtfertigen, da sich der Unfall kurz vor Erreichen der Volljährigkeit ereignet hat. Angesichts der eindeutigen Hinweise und der Erkennbarkeit der Gefahr kann eine Überforderung nicht angenommen werden.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

3. Die Revision ist nicht zuzulassen, denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

 

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