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Tierhalterhaftung bei Hundebiss eines Kleinkindes

LG Essen

Az.: 12 O 307/03

Urteil vom 17.03.2005


Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.139,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.09.2003 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall vom 09.03.2002 zu ersetzen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die am 19.10.2000 geborene Klägerin ist die minderjährige Tochter der Frau A. P., der Schwester der Beklagten. Mit der Klage begehrt die Klägerin Schadensersatz für einen Hundebiss, den sie am 09.03.2002 in der Wohnung der Beklagten durch deren Hund erlitten hat.

Seit Anfang 2002 wurde die Klägerin während der Berufstätigkeit ihrer Mutter tagsüber mehrere Stunden von der Beklagten in deren Wohnung betreut. So auch am 09.03.2002. An diesem Tag hatte der Vater der Klägerin diese zur Wohnung der Beklagten gebracht und dort zurückgelassen. Anwesend neben der Klägerin in der Wohnung waren zu diesem Zeitpunkt der 15-jährige Sohn der Beklagten und die Schwester Jennifer der Klägerin, die der Vater ebenfalls dort abgesetzt hatte. Kurze Zeit später traf die Beklagte gemeinsam mit ihrem Hund in der Wohnung ein. Während der Hund sich an seinem Platz im Wohnzimmer befand und sich die Kinder sämtlich im Kinderzimmer der Wohnung aufhielten, bereitete die Beklagte in der Küche Essen für die Kinder zu. Als die Beklagte lautes Schreien aus dem Wohnzimmer hörte, lief sie ins Wohnzimmer und stellte dort fest, dass die Klägerin vom Hund der Beklagten ins Gesicht gebissen worden war. Sie fuhr daraufhin sofort mit dem Kind ins Krankenhaus, wo die Erstversorgung der Wunde der Klägerin erfolgte. Die Klägerin erlitt durch den Biss ausgedehnte Weichgewebsverletzungen im Bereich der linken Wange, drei tiefe Einbisse mit entsprechenden Ausreißungen neben weiteren kleineren Einbissen im Bereich des Gesichtsfeldes. Die Klägerin wurde nach ihrer Einlieferung ins Krankenhaus am 09.03.2002 sofort operiert. Die anschließende stationäre Behandlung dauerte bis zum 18.03.2002. In dieser Zeit musste sich die Klägerin einer weiteren Operation unterziehen. Seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus befindet sich die Klägerin in ambulanter medizinischer Nachbetreuung. In der Zukunft werden möglicherweise weitere Operationen zur Nachkorrektur erforderlich werden. Der Heilungsverlauf ist im Einzelnen zur Zeit noch nicht abzusehen. Für die Erstellung eines Arztberichtes mit Fotodokumentation, wegen dessen Inhalt auf Bl. 9 – 13 der Akte Bezug genommen wird, hat die Klägerin an die Klinik in Essen-Mitte gemäß Rechnung vom 16.12.2002 (Bl. 14 d.A.) 139,20 € gezahlt.

Der Hund der Beklagte war vor dem hier streitgegenständlichen Vorfall bereits auffällig geworden. Im Oktober 2000 hatte er schon einmal ein Kind gebissen. Einen Anlass zur besonderen Vorsicht im Umgang des Hundes mit Kindern hat die Beklagte allerdings nicht gesehen. Sie hat auch vor dem 09.03.2002 nie Bedenken gegenüber der Mutter der Klägerin im Hinblick auf den Aufenthalt des Kindes in ihrer Wohnung bei gleichzeitiger Anwesenheit des Hundes geäußert. Der Vorfall aus dem Jahre 2000 war der Mutter der Klägerin allerdings bekannt.

Die Klägerin begehrt in erster Linie Zahlung eines Schmerzensgeldes, dessen Höhe sie mit mindestens 18.000,00 € bis 20.000,00 € bemisst, sowie Feststellung der zukünftigen Ersatzpflicht der Beklagten.

Sie behauptet, die Gesichtszüge der Klägerin seien durch die verletzungsbedingten Narbenbildungen stark eingeschränkt. Die Klägerin könne nicht ausgiebig lachen. Durch die starke Narbenbildung sei die Mimik der Klägerin möglicherweise ein Leben lang eingeschränkt.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, a) an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen und b) an die Klägerin 139,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen; festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, unter Verzicht auf die Einrede der Verjährung, der Klägerin jeden weiteren immateriellen und materiellen Schaden aus dem Vorfall vom 09.03.2002 zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie sieht ein überwiegendes Mitverschulden der Mutter der Klägerin am Zustandekommen des Hundebisses, hinter der die Haftung der Beklagten zurücktrete.

Der Vater der Klägerin habe diese am Vorfallstag unangekündigt und ohne Absprache mit der Beklagten in deren Wohnung gebracht und dort zurückgelassen. Im Übrigen sei es am 09.03.2002 zu dem Biss gekommen, weil die Klägerin zu dem Hund hingelaufen sei und ihm ins Gesicht habe fassen wollen. Daraufhin habe der Hund zugebissen. Die Beklagte hält zudem das von der Klägerin beanspruchte Schmerzensgeld für weit überhöht.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Schüler vom 15.12.2004, Bl. 74 – 89 d.A. verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat gemäß § 833 Satz 1 i.V.m. § 253 BGB einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes, welches das Gericht mit 18.000,00 € als angemessen aber auch ausreichend ansieht.

Die Klägerin ist durch den Biss eines Hundes, dessen Halter die Beklagte ist, erheblich verletzt worden. Die Beklagte ist daher gemäß § 833 Satz 1 BGB verpflichtet, der Klägerin den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen, unabhängig davon, ob die Beklagte selbst an dem Vorfall ein Verschulden trifft. § 833 BGB begründet eine Gefährdungshaftung des Tierhalters auf Grund der grundsätzlichen Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens. Da die Klägerin zum Zeitpunkt des Vorfalls erst knapp eineinhalb Jahre alt und damit deliktsunfähig war, kommt ein die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten einschränkendes mitwirkendes Verschulden des verletzten Kindes selbst nicht in Betracht. Es kann daher dahinstehen, ob der Hundebiss dadurch ausgelöst worden ist, dass die Klägerin den Hund anfassen wollte. Auch ein grundsätzlich bedeutsames mitwirkendes Verschulden der Mutter der Klägerin, welche sich das Kind würde zurechnen lassen müssen, liegt nicht vor. Zwar war der Mutter der Klägerin bekannt, dass der Hund der Beklagten in der Vergangenheit schon einmal ein Kind gebissen hatte. Die Beklagte selbst hat das Tier jedoch deshalb nicht als gefährlich eingeschätzt und Anlass zu besonderer Vorsicht im Umgang mit Kindern und gerade mit der Klägerin gesehen. Dementsprechend hat sie nach eigenem Bekunden zu keiner Zeit gegenüber der Mutter der Klägerin Bedenken geäußert, das Kind gemeinsam mit dem Hund in ihrer Wohnung zu betreuen. Deshalb bestand auch für die Mutter der Klägerin kein Grund, ihre Tochter nicht gemeinsam mit dem Hund in der Wohnung ihrer Schwester zu lassen. Dass der Vater der Klägerin diese am Vorfallstag möglicherweise unangemeldet zur Wohnung der Beklagten gebracht und das Kind dort zurückgelassen hat, obwohl die Beklagte noch nicht zu Hause war, kommt als ein den späteren Schaden mitverursachender Umstand nicht in Betracht. Bis zur Rückkehr der Beklagten war der Hund nicht in der Wohnung. Erst die Beklagte brachte das Tier bei ihrer Rückkehr mit in die Wohnung. Damit war zum Vorfallszeitpunkt eine Situation gegeben, wie sie regelmäßig auch bei einem angemeldeten Besuch der Klägerin bestand.

Die Klägerin hat durch den Hundebiss eine ausgedehnte Weichteilverletzung im Gesicht mit verschiedenen klaffenden, tief in das Gewebe reichenden Riss- und Quetschwunden erlitten, die operativ versorgt werden mussten. Hinzu kommen weitere kleinere Riss-/Quetschwunden im linken Gesichtsbereich. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Sch. hat die Klägerin eine das Aussehen beeinträchtigende Weichteilschwellung der linken Wange und ebenfalls das Aussehen beeinträchtigende Verletzungsnarben im linken Gesichtsbereich zurückbehalten. Das Verhältnis von Narben und Defektgröße zur Gesichtsgröße wird auch bei fortschreitendem Wachstum der Klägerin konstant bleiben. Verletzungsnarben und Wangenschwellung werden voraussichtlich bis ins Erwachsenenalter fortbestehen.

Darüber hinaus sind nach den Feststellungen des Sachverständigen als Folge des Bisses Missempfindungen und Gefühlsstörungen im Bereich der linken Gesichtshälfte, Schmerzen besonders bei Kälte und Temperaturwechsel und eine Abschwächung der mimischen Gesichtsmotorik im Bereich des linken Mundwinkels gegeben. Eine Verbesserung der funktionellen Einschränkungen ist, so der Sachverständige, nur theoretisch denkbar. Auch durch operative Maßnahmen ist die funktionelle Einschränkung der Gesichtsnerven in Form von herabgesetzter Empfindung und Gesichtsmimik kaum zu verbessern. Das all dies auch mit erheblichen seelischen Beeinträchtigungen der Klägerin im Verlauf ihrer weiteren Kindheit und Jugend verbunden sein wird, liegt auf der Hand.

Die dargestellten Verletzungen rechtfertigen ein erhebliches, von der Beklagten zu zahlendes Schmerzensgeld, dessen Höhe die Kammer mit 18.000,00 € bemisst.

Gemäß § 833 Satz 1 BGB hat die Klägerin auch Anspruch auf Erstattung der Kosten in Höhe von 139,20 € für die Erstellung eines Arztberichtes mit Fotodokumentation. Insoweit handelt es sich um notwendige und angemessene Kosten der Rechtsverfolgung.

Der Feststellungsantrag ist begründet, weil zukünftige, zumindest die Narbenverhältnisse verbessernde Korrekturoperationen möglich sind, für deren materielle und immaterielle Folgen die Beklagte ebenfalls einzustehen hat.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

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