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Tierhalterhaftung – Hundebiss in Wange eines Kleinkindes

OLG Celle

Az.: 5 U 263/90

Urteil vom 23.04.1992


1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 2. November 1990 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg geändert:

a) Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 3.557,36 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Juni 1990 zu zahlen.

b) Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den zukünftigen materiellen Schaden aus dem Vorfall vom 16. Juni 1987 zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind, sowie den derzeit nicht absehbaren zukünftigen immateriellen Schaden aus diesem Vorfall.

2. Von den Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger 43 % und der Beklagte 57 %; die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte allein.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Beschwer des Beklagten beträgt 4.557,36 DM.

Tatbestand

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist begründet; das auf volle Klageabweisung lautende Urteil des Landgerichts kann nicht bestehen bleiben.

Der Beklagte haftet voll auf den Schaden des Klägers, der diesem als Folge des am 16. Juni 1987 erlittenen Hundebisses entstanden ist und noch entstehen wird. Der Beklagte schuldet hiernach dem Kläger ein Schmerzensgeld, welches vom Senat gemäß der in der Berufung vom Kläger geäußerten Begehrensvorstellung auf insgesamt 5.000 DM bemessen wird, so daß der Beklagte abzüglich der vor Rechtshängigkeit von seinem Haftpflichtversicherer gezahlten 2.500 DM noch weitere 2.500 DM zu zahlen hat; ferner schuldet der Beklagte dem Kläger den mit 1.057,36 DM geltend gemachten Aufwand für Fahrten und Pflegehilfe als Folge der Körperverletzung, welcher vom Haftpflichtversicherer noch nicht ausgeglichen worden ist; schließlich ist die Verpflichtung des Beklagten zu Ersatz zukünftigen materiellen Schadens und derzeit noch nicht sicher voraussehbaren immateriellen Schadens auszusprechen. Im einzelnen:

1. Die Haftung des Beklagten auf den materiellen und immateriellen Schaden des Klägers folgt aus § 833 BGB. Der Beklagte hat im ersten Rechtszuge zugestanden, im Zeitpunkt des Vorfalls der Halter des Bernhardinerhundes gewesen zu sein; mit Erfolg und ernsthaft kann dies nicht in Abrede genommen werden. Zu seiner Entlastung im Sinne von § 833 Satz 2 BGB hat der Beklagte ausreichend nicht vortragen können. Mit der Behauptung, der Hund sei bis zu diesem Vorfall stets friedfertig gewesen, ist – abgesehen davon, daß sich dies in der Beweisaufnahme vor dem Senat nicht bestätigt hat, dazu unten – der geforderte Entlastungsbeweis allein nicht zu führen; der Senat ist daher der weiteren Erörterung der Frage enthoben, ob dem Beklagten nicht von vornherein diese Entlastungsmöglichkeit verwehrt ist, weil der als „Hofhund“ gehaltene Bernhardiner tatsächlich kein Nutztier im Sinne dieser Bestimmung war.

Ob der Beklagte wegen schuldhafter Verletzung seiner Aufsichtspflichten auf den Schaden des Klägers auch aus § 823 BGB haftet, kann der Senat für das Ergebnis ebenfalls dahinstehen lassen: Für die Verpflichtung zum Ersatz des materiellen Schadens ist es ohne Bedeutung. Das geschuldete Schmerzensgeld könnte dem Umfange nach zwar wegen seiner Genugtuungsfunktion durch eine Haftung des Beklagten auch aus § 823 BGB beeinflußt sein; jedoch käme dies maßgeblich nur bei einem nachgewiesenen Verschulden des Beklagten in Betracht, welches den Vorwurf und Tadel der massiven Sorglosigkeit verdiente. Das kann nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Bis zu dem hier zu Rede stehenden Vorfall hatte der Hund einmal das Kind … gebissen. Die Vernehmung des … hat dazu ergeben, daß dies geschah, als das Kind von einem Tisch herab auf den am Boden liegenden Hund fiel, das Verhalten des Tieres demnach als eine Reflexhandlung gewertet werden muß. Der Kläger hat sich für den Vorfall eines weiteres Beißens auf das Zeugnis der Schülerin … berufen, die der Senat nicht hat vernehmen können. Der Senat sieht sich nicht veranlaßt, die Zeugin nochmals zu laden und anzuhören: Würde ihre Vernehmung die Behauptung des Klägers über einen weiteren Beißvorfall bestätigen, würde dies gleichwohl den Schmerzensgeldanspruch des Klägers nicht erhöhen; denn die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme hat keine Anhaltspunkte dafür erbracht, daß dem Beklagten in bezug auf die Beaufsichtigung des Hundes handgreifliche Fehler unterlaufen sind, welche den Vorwurf massiver Sorglosigkeit rechtfertigen könnten.

2. Das Landgericht hat ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Klägers angenommen, weil es „reichlich unvorsichtig“ gewesen sei, nach der ersten Attacke des Hundes auf der Straße das Anwesen des Beklagten aufzusuchen und in Richtung Wohnhaus weiterzugehen. Die auch hierzu vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme (Anhörung des Klägers und der Zeugen … und …) hat dies nicht bestätigt. Der damals 11jährige Kläger befand sich in Begleitung zweier Spielkameraden; mit ihnen begab er sich zum Hof des Beklagten, um dort einen weiteren Spielgefährten, den Sohn des Beklagten, abzuholen. In der Höhe des Hoftores wurde er zum erstenmal von dem Bernhardinerhund angegriffen und (leicht, im Bereich der Augenbraue) gebissen; die nachfolgende, heftigere zweite Attacke, aus welcher der kräftige, folgenreiche Biß herrührte, geschah im dichten zeitlichen Ablauf, als der Kläger, mit seinen Spielkameraden dem Wohnhaus des Beklagten zustrebte, um dort beim Sohn des Beklagten Schutz zu finden, dem es durch beherztes Eingreifen (Schläge mit einem Paddel) dann auch gelang, den Hund abzudrängen.

Dieser Sachverhalt rechtfertigt des Vorwurf eines „Mitverschuldens“ gegenüber einem 11jährigen Kinde nicht.

3. Mit den vor Rechtshängigkeit gezahlten 2.500 DM ist der immaterielle Schaden des Klägers nicht ausreichend abgegolten.

Der Kläger hat eine sehr üble Bißwunde, die lang und tief war, davongetragen; die Verletzung hat eine stationäre Behandlung und anschließend monatelange ambulante ärztliche Versorgung erforderlich gemacht; betroffen war ein sehr empfindlicher Körperteil: Die Wangenpartie der linken Gesichtshälfte. Die Wunde ist schmerzhaft gewesen und hat geeitert. Sie mußte genäht werden. Der Kläger ist heute noch im Bereich der linken Gesichtshälfte (leicht) durch die Narbe entstellt; es ist beabsichtigt, diese Entstellung durch eine kosmetische Operation beheben zu lassen. Durch das vom Kläger überreichte kinderpsychologische Gutachten ist ferner erwiesen, daß der Kläger Monate nach dem Unfall beim Anblick des Hundes einen starken Anfall von Angst und Beklemmung erlitten hat (mit Atemnot, Übelkeit, usw.), der heftig und lang währte und ärztliche Behandlung und Beratung notwendig gemacht hat.

Die mit der Berufung (als Mindestbetrag) insgesamt geforderten 5.000 DM zum Ausgleich des immateriellen Schadens werden daher als Schmerzensgeld vom Senat ausdrücklich bestätigt. Mit diesem Betrag ist der aus dem Vorfall herrührende immaterielle Schaden des Klägers im heute Überschaubaren insgesamt abgegolten, d.h. auch der zukünftige immaterielle Schaden des Klägers aus Anlaß der beabsichtigten kosmetischen Operation; ausgenommen jedoch sind solche Folgen, welche dabei aus jetzt nicht vorhersehbarer Ursache entstehen können, d.h. derzeit noch nicht absehbar sind.

4. Begründet ist die Klage auch im Umfange des geltend gemachten materiellen Schadens, nämlich des noch nicht ausgeglichenen Restbetrages von 1.057,36 DM als Auslagenerstattung für Fahrkosten und die Beschäftigung einer Aushilfskraft im Umfange von 93 Stunden.

Der Beklagte hat dem Kläger die aus Anlaß der Bißverletzung entstandenen finanziellen Aufwendungen zu ersetzen. Dazu gehören einmal die Kosten für Fahrten der Angehörigen zum stationären Krankenbett, ferner die Kosten für die Fahrten zum Arzt, schließlich auch die Kosten für die Fahrt des Klägers nach Braunlage im Pkw der Eltern, weil der Kläger wegen des Vorfalls nicht termingerecht im Ferienbus seiner Klasse nach dorthin fahren konnte, sondern auf ärztlichen Rat „nachgeschickt“ wurde, was im Hinblick auf den beabsichtigen Erfolg vernünftig und erforderlich war. Der Umfang der Fahrkosten ist nach der Kilometerleistung vom Kläger im einzelnen aufgelistet worden; hierzu hat der Senat (§ 287 ZPO) im Termin die Mutter des Klägers angehört, welche den Umfang ermittelt und dem Senat erläutert und bestätigt hat. Da die Fahrten im elterlichen Pkw des Fabrikats Daimler Benz unternommen worden sind, ist der in Rechnung gestellte Entschädigungssatz von 0,42 DM je Kilometer gerechtfertigt.

Voll erstattungsfähig ist ebenfalls der Betrag, den die Eltern der Pflegekraft Frau … gezahlt haben (hierüber ist quittiert, Blatt 17 GA), weil die Mutter des Klägers sich während der stationären Behandlung und der anschließenden ambulanten Behandlung vermehrt um das Kind nur unter Vernachlässigung ihrer übrigen Pflichten im Haushalt und in Familie hat kümmern können und es daher notwendig wurde, zum Ausgleich hierfür eine Ersatzkraft und Hilfe vorübergehend einzustellen. Dieser Aufwand gehört zu den Pflegekosten, deren Ersatz ein Verletzter vom Schädiger verlangen kann, und zwar auch dann, wenn die Pflegedienste von Angehörigen – dem Verletzten gegenüber unentgeltlich – erbracht werden (BGH VersR 78, 149/150; DAR 89, 100/101); an der Erforderlichkeit des geltend gemachten Aufwandes von 93 Stunden zweifelt der Senat nicht (§ 287 ZPO); der Kläger hat dargestellt – und seine Mutter hatte dies bei ihrer Anhörung bestätigt –, daß bei einer sechsköpfigen Familie und weiteren Beanspruchung der Mutter durch Mithilfe im Unternehmen des Ehemannes der für die Fahrten zum Krankenhaus, Arzt, usw. erforderliche erhebliche Zeitaufwand nur auszugleichen war durch die vorübergehende Beschäftigung einer Ersatzkraft; deren Entlohnung mit 10 DM je Stunde ist angemessen.

Auf den Gesamtaufwand für Fahrkosten und Hilfe im Betrage von 1.857,36 DM sind vor Rechtshängigkeit nur 800 DM gezahlt worden, so daß der begehrte Restbetrag von 1.057,36 DM zuzusprechen war.

5. Das Landgericht hat den Anspruch des Klägers auf Verpflichtung des Beklagten zum Ersatze auch des zukünftigen materiellen und (derzeit nicht absehbaren) immateriellen Schadens zu Unrecht aberkannt. Dieser Anspruch kann schon im Hinblick auf die beabsichtigte kosmetische Operation zur Beseitigung der entstellenden Gesichtsnarbe nicht mit Erfolg geleugnet werden. Mag auch der ärztliche Aufwand hierzu vom Sozialversicherungsträger bestritten werden, so sind daneben stets weitere finanzielle Aufwendungen möglich (und werden voraussichtlich auch entstehen, z.B. Fahrkosten usw.) welche von der Krankenkasse nicht getragen/erstattet werden.

Weil ferner nicht auszuschließen ist, daß der zukünftig beabsichtigte operative Eingriff gesundheitliche/körperliche Folgen haben kann, die heute nicht vorhersehbar sind, muß auch das immaterielle Feststellungsbegehren des Klägers erfolgreich sein. Auf die in diesem Zusammenhang gemachte Ausführung des Senats zum Schmerzensgeldanspruch des Klägers wird Bezug genommen.

6. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen folgt den §§ 91 und 92 ZPO; an den Kosten des ersten Rechtszugs hat sich der Kläger deshalb zu beteiligen, weil seine Begehrensvorstellung zum Schmerzensgeld (insgesamt 8.500 DM) überhöht gewesen ist. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit des Urteils und die Festsetzung der Beschwer folgt den §§ 708 Nr. 10, 713 und 546 Abs. 2 ZPO.

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