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Trennungsunterhalt – Berücksichtigung von bezogener Grundsicherungsrente

OLG Bremen

Az: 5 UF 40/04

Urteil vom 11.11.2004


In Sachen hat der 5. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen als Senat für Familiensachen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2004 für Recht erkannt:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Bremerhaven vom 12.05.2004 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

A.
Die Parteien streiten um Trennungsunterhalt. Sie haben am 30.08.1996 die Ehe miteinander geschlossen, die seit dem 22.06.2004 rechtskräftig geschieden ist. Der Kläger, der eine lastenfreie Eigentumswohnung bewohnt, begehrt von der Beklagten die Zahlung von Trennungsunterhalt ab dem 01.01.2003. Seit diesem Zeitpunkt hat er eine Grundsicherungsrente in Höhe von durchschnittlich monatlich Euro 512,97 bezogen. Er ist dauerhaft voll erwerbsgemindert. Die Beklagte bezieht Erwerbseinkommen aus einer Tätigkeit als Verkäuferin.

Das Familiengericht hat die Klage abgewiesen und im wesentlichen dazu ausgeführt, der Unterhaltsbedarf des Klägers, der sich nach den ehelichen Lebensverhältnissen auf monatlich Euro 436,00 belaufe, sei durch die von ihm bezogene Grundsicherungsrente gedeckt. Da das Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsgesetz = GSiG) keinen Forderungsübergang auf den diese Leistung erbringenden Träger vorsehe, erscheine es nicht gerechtfertigt, dem Kläger über diese Leistungen hinaus noch Unterhalt nach § 1361 BGB zuzusprechen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt, die er zugleich begründet hat. Er ist der Ansicht, die bedarfsdeckende Anrechnung der Grundsicherungsrente auf den Unterhaltsanspruch sei rechtsfehlerhaft. Er erstrebt weiterhin die Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Trennungsunterhalt.

B.
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO), sie ist jedoch nicht begründet. Das Familiengericht hat die dem Kläger gezahlte Grundsicherungsrente zu Recht als bedarfsdeckend berücksichtigt.

Gemäß §§ 1, 2 Abs. 1 Satz 1 GSiG haben Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik, die das 65. Lebensjahr vollendet haben oder volljährige Personen, die dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, einen Anspruch auf Grundsicherung, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen bestreiten können. Für den Einsatz von Einkommen und Vermögen gelten gemäß § 3 Abs. 2 GSiG die §§ 76 bis 88 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und die dazu erlassenen Rechtsvorschriften entsprechend. Daher sind auch Unterhaltsleistungen Einkünfte im Sinne des GSiG (Fichtner, BSHG, 2. Aufl., § 76 Rz. 1, 22 m. w. N.). Unterhaltsansprüche gegenüber Eltern und Kindern sowie allgemein gegenüber Verwandten in gerader Linie beeinflussen den Anspruch nach dem GSiG allerdings nicht, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen, das nach § 16 SGB IV festzustellen ist, läge nicht unter Euro 100.000,00 (§ 2 Abs. 1 GSiG). Nicht erwähnt sind in diesem Zusammenhang getrennt lebende oder geschiedene Ehegatten, was zur Folge hat, dass Unterhaltsansprüche, die ihnen gegenüber bestehen, bei Gewährung einer Grundsicherungsrente grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Dies ist – wie zwischen den Parteien unstreitig ist – vorliegend nicht geschehen. Dem Kläger sind in der Vergangenheit aufgrund der Gewährung der Grundsicherungsrente Mittel zugeflossen, durch die er den nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestehenden Bedarf decken konnte.

Ob in diesem Fall noch eine Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt besteht, ist umstritten (vgl. einerseits Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, 6. Aufl., § 1 Rz. 467 c; Johannsen/Henrich/Graba, Eherecht, 4. Auflage, vor § 1601, Rz. 33; andererseits Günther, FF 2003, 10, 14; Klinkhammer, FamRZ 2002, 997, 1002). Das OLG Zweibrücken hat in seiner Entscheidung vom 27.06.2003 (FamRZ 2003, 1850, 1852) die Ansicht vertreten, eine gezahlte Grundsicherungsrente sei nicht bedarfsmindernd anzusetzen und nicht auf den Unterhaltsbedarf anzurechnen. Leistungen nach dem GSiG seien wie freiwillige Leistungen Dritter zu bewerten. Die Sachlage sei insoweit vergleichbar mit der Gewährung von Sozialhilfe in den Fällen, in denen der Unterhaltsanspruch auf der Berücksichtigung fiktiver Einkünfte des Unterhaltsschuldners beruhe und deshalb nicht auf den Träger von Sozialhilfe übergehe. In einen solchen Fall habe der BGH (FamRZ 1999, 843, 847) einen Unterhaltsanspruch des Berechtigten bejaht, und zwar ohne jegliche Korrekturmöglichkeit nach § 242 BGB für den Zeitraum ab Zustellung der Klagschrift.

Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

Richtig ist zwar, dass das GSiG getrenntlebende oder geschiedene unterhaltsbedürftige Ehegatten in erster Linie auf die Geltendmachung ihres Unterhaltsanspruches gegenüber dem anderen Ehegatten verweist und daher davon ausgegangen werden muss, dass in solchen Fällen der Unterhaltsanspruch einem Anspruch auf Grundsicherungsrente vorgeht (vgl. Klinkhammer, FamRZ 2002, 997, 1000. 1002; ders., FamRZ 2003, 1793, 1798). Andererseits kennt das GSiG nicht eine dem § 2 BSHG entsprechende Vorschrift, in der ausdrücklich der Nachrang sozialhilferechtlicher Leistungen statuiert ist (Steymans, FamRZ 2002, 1687, 1688, FN 15). Anders als das BSHG kennt das GSiG für den Fall der Leistung auch keinen Übergang der Unterhaltsansprüche auf den Leistungsträger. Durch die im BSHG enthaltene Regelung des § 91 Abs. 1 ist gewährleistet, dass das gesetzlich gewollte Verhältnis des Nachrangs der Sozialhilfe gegenüber der Unterhaltspflicht grundsätzlich verwirklicht werden und ein Rückgriff auf den Unterhaltsschuldner erfolgen kann. Nur in Ausnahmefällen entfällt die Rückgriffsmöglichkeit. Das GSiG hingegen sieht eine solche Rückgriffsmöglichkeit gerade nicht vor (vgl. Klinkhammer, FamRZ 2002, 997).

Die Sachlage ist auch insofern nicht vergleichbar, als bei ungeklärten Unterhaltsansprüchen bzw. Problemen bei der Durchsetzbarkeit die Gewährung einer Grundsicherungsrente zunächst unter Hinweis auf die Inanspruchnahme von Sozialhilfe verweigert werden kann (vgl. Klinkhammer, a. a. O., 1001; ders., FamRZ 2003, 1793, 1799; Wendl/Dose, a. a. O., Rz. 467 b; Graba, a. a. O.; Münder, NJW 2002, 3661, 3663; a. A. Fichtner/Wenzel, a. a. O., § 2 GSiG, Rz.6). Demgegenüber hat der Sozialhilfeträger kein „Leistungsverweigerungsrecht“. Sozialhilfe ist als „ultima ratio“ zur Verhinderung akuter Notsituationen gedacht. Diese Funktion hat das GSiG nicht (Klinkhammer, FamRZ 2002, 997, 1001; Münder, a. a. O., 3664); es sieht nicht nur den Übergang von Unterhaltsansprüchen nicht vor, sondern kennt auch nicht die Möglichkeit einer darlehensweisen Bewilligung der Leistung.

Die Leistung einer Grundsicherungsrente ist auch nicht den Fällen vergleichbar, in denen der Berechtigte freiwillige Leistungen von einem Dritten erhält. In seiner Entscheidung vom 17.03.1999 (a. a. O., 847) hat der BGH in einem Fall der Gewährung von Sozialhilfe ausgeführt, die Zielsetzung des freiwillig leistenden Dritten sei im Hinblick auf den Unterhaltsschuldner zwar eine andere als bei der Gewährung von Sozialhilfe, da der Wille des freiwillig Zuwendenden darauf gerichtet sei, den Unterhaltsschuldner nicht zu entlasten, während § 91 II BSHG den Unterhaltsverpflichteten vor einer Inanspruchnahme durch den Unterhaltsberechtigten verschonen wolle. Aus der Sicht des Unterhaltgläubigers sei die Lage jedoch bei beiden Fallgestaltungen gleich. Ob in den Fällen des Sozialhilfebezuges aus der Sicht des Unterhaltsgläubigers die Lage bei beiden Fallgestaltungen tatsächlich vergleichbar ist, wie der BGH meint, mag dahingestellt bleiben. Dem Bezieher einer Grundsicherungsrente stellt sich die Sachlage jedenfalls anders dar. Gerade in der öffentlichen Diskussion ist im Hinblick auf die Grundsicherungsrente immer wieder betont worden, ihre Gewährung habe – anders als im Fall des Sozialhilfebezugs – insbesondere zur Folge, dass ein Rückgriff auf potentielle Unterhaltsschuldner nicht stattfinde. Es handele sich um eine eigenständige Sicherung des Lebensbedarfs (vgl. Klinkhammer, FamRZ 2003, 1793, 1795). Das bedeutet, dass der Bezieher einer solchen Rente grundsätzlich nicht davon ausgeht, eine ihm möglicherweise unterhaltsberechtigte Person könne noch daneben in Anspruch genommen werden, er könne von dieser noch einmal das verlangen, was ihm bereits durch die öffentliche Hand gewährt wurde. Dazu besteht auch keine Notwendigkeit, denn die tatsächlich bezogene Grundsicherungsrente – auch wenn sie zu Unrecht bezogen wurde – hat die Bedürftigkeit entfallen lassen. Daran ändert sich nichts dadurch, dass das GSiG nicht das Ziel hat, den Unterhaltspflichtigen zu entlasten, sondern den grundlegenden Lebensbedarf alter und voll erwerbsgeminderter Menschen zu sichern (Klinkhammer, a. a. O., 997).

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Ziffer 1. und 2 ZPO zuzulassen.

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