Oberlandesgericht Koblenz
Az.: 1 U 1582/98
Urteil vom 21.03.2001
Tenor
In dem Rechtsstreit wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2001 für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 7. August 1998 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten, die der Streithelferin entstanden sind, hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung des Streithelfers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 8.700 DM abwenden, wenn dieser nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 14.200 DM abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist Facharzt für Innere Medizin.
Er beansprucht von der beklagten Stadt materiellen Schadensausgleich, die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung des Ersatzes künftigen materiellen und immateriellen Schadens.
Auf seine Streitverkündung ist die Bundesrepublik Deutschland in erster Instanz als Streithelferin der Beklagten dem Rechtsstreit beigetreten.
Der Kläger hat vorgetragen:
Am 13. April 1994 habe er bei Regenwetter die Treppenanlage an der Straßenkreuzung M . straße/w straße in B K benutzt. Er sei die Treppe auf der rechten nicht mit einem Handlauf gesicherten Seite hinabgegangen und sei beim Erreichen des ersten Treppenabsatzes ausgerutscht und gestürzt.
Ursächlich sei der nicht verkehrssichere Zustand der Treppe gewesen. Die wechselnden Stufenhöhen überschritten die Toleranzmaße. An den Treppenstufen lägen – vormals beschichtete Metallstoßkanten frei, die nicht rutschsicher seien. Da auf einer Treppenseite der Handlauf fehle, mangele es an dem erforderlichen Sicherungsmittel für die Benutzer der Treppe. Bereits der erste Anschein spreche dafür, dass er, Kläger, wegen der Verkehrsunsicherheit der Treppe gestürzt sei. Bei dem Sturz habe er eine instabile Hyperextensionsfraktur des 12. Brustwirbelkörpers erlitten. Im Verlauf der Operation
sei eine Nervenverletzung eingetreten, die eine beidseitige Fußheberschwäche nach sich gezogen habe. Bis zum 31. Juli 1994 sei er arbeitsunfähig gewesen und habe danach seine Berufstätigkeit nur in gemindertem Umfang ausüben können, so dass er erhebliche Einkommensausfälle erlitten habe (im Einzelnen Bl. 252 GA).
Im Hinblick auf die Dauerfolgen sei ein Schmerzensgeld von 30.000 DM angemessen. Der Eintritt künftigen Schadens sei wahrscheinlich.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 78.695,94 DM zu zahlen, nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem
24.08.1994 bis zum 01.10.1995 und für die Zeit ab 02.10.1995 8 % aus 50.000 DM und 4 % aus 28.695,94 DM;
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 %, Zinsen seit dem 24.08.1994 zu zahlen;
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet
ist, ihm allen aus dem Unfall vom 13.04.1994 entstehenden zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit der Anspruch auf Schadensersatz nicht auf Sozialversicherungsträger übergangen ist.
Die Beklagte und ihr Streithelfer haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen:
Das Unfallgeschehen sei mit Nichtwissen zu bestreiten. Die Treppenanlage sei sehr wohl verkehrssicher. Soweit der vom Kläger herangezogene Sachverständige beanstande, dass ein zweiter Handlauf fehle, stelle dies einen verkehrswidrigen Zustand nicht dar. Die nicht bindende Empfehlung des Gemeindeunfallverbands gelte nur für nach dem Jahr 1992 hergestellte Treppen; die hier streitige Treppenanlage sei aber zuvor errichtet worden. Auch aus der Landesbauordnung lasse sich nicht herleiten, dass die Treppe mit zwei Handläufen hätte versehen werden müssen.
Da die Stufen eine Auftrittsbreite von ca. 30 cm hätten, seien die an den Vorderkanten angebrachten Winkeleisen aus Riffelblech nicht zu beanstanden. Für den verkehrssicheren Zustand der Treppe spreche auch die Tatsache, dass sich auf ihr noch nie Unfälle ereignet hätten.
Bei Bejahung eines Haftungsgrundes treffe den Kläger ein überwiegendes Mitverschulden; er habe den vorhandenen Handlauf nicht benutzt; auch seien die Metallschienen für jeden Passanten gut sichtbar.
Die Streithelferin hat geltend gemacht:
Sie sei nicht verkehrssicherungspflichtig, denn die Unterhaltungslast sei auf das Kreuzungsbauwerk der Bundesfernstraße beschränkt. Im Übrigen sei der Unfall auf die bloße Unachtsamkeit des Klägers zurückzuführen.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage durch das von der Beklagten angefochtene (Bl. 275, 283 GA) Urteil (B1. 249 bis 262 c GA) weitgehend stattgegeben.
Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Da die Treppenanlage nicht zum Kreuzungsbauwerk gehöre, sondern ein sonstiger Teil der Kreuzungsanlage sei, obliege der Beklagten die Verkehrssicherungspflicht.
Es könne dahinstehen, ob auf der rechten Seite der Treppe ein Handlauf ebenfalls notwendig sei und ob die Steigungshöhen… der Stufen Unterschiede aufwiesen. Die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liege darin, dass die Metall-Stoßkanten blank lägen und bei nassem Wetter rutschig würden. Der Sturz des Klägers sei auf die blanken rutschigen Metallkanten zurückzuführen. Dies stehe nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises fest.
Die Beklagte müsse dem Grunde nach für den Schaden voll einstehen (Berechnung im Einzelnen B1. 258 bis 262, B1. 262 c GA).
Die Beklagte und Berufungsklägerin vertieft und ergänzt ihr Vorbringen erster Instanz wie folgt:
zu beanstanden sei in erster Linie, dass das Landgericht die Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht weit überspannt habe.
Vom erkennenden Senat werde in ständiger Spruchpraxis die Auffassung vertreten, dass auf den Verkehrssicherungspflichtigen nicht das allgemeine Lebensrisiko abgewälzt werden dürfe und dass die Verantwortlichkeit des Einzelnen für mich selbst in den Vordergrund zu stellen sei. Der Verkehrssicherungspflichtige müsse nicht jedes mit dem Verschleiß einhergehende Risiko dadurch aufheben, dass eine Treppenanlage vollständig saniert oder gar erneuert werden müsse. Mit einer solchen Forderung wären die Gemeinden in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit weit überfordert.
wenn der Kläger die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht habe walten lassen und – offenbar in Eile – die ausreichend breiten und griffigen Treppenstufen nicht etwa mit dem vollen Fuß, sondern nur auf der Kante betreten habe, sei hierfür nicht sie, Beklagte, sondern allein der Kläger verantwortlich.
Es sei nicht zulässig, nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises darauf zu schließen, dass der Sturz gerade auf die Metallstoßkante zurückzuführen sei, denn der Benutzer der Treppe könne aus vielfachen anderen Gründen zu Sturz kommen.
Der Kläger müsse sich auch ein ganz erhebliches Mitverschulden anrechnen lassen. Die Metallschienen seien für jedermann und so auch für den Kläger erkennbar. Darüber hinaus habe dieser auf die Benutzung des Handlaufs verzichtet (zur Schadenshöhe vgl. Bl. 292 bis 294 GA).
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen
und bringt vor:
Die Treppe sei aus mehrfachen Gründen, wie bereits vorgetragen, verkehrswidrig und unfallträchtig. Dazu zähle auch, dass „die obere Flächenbeschichtung zur Aufrauung des Betons teilweise bereits abgeblättert und verschlissen war“ (Bl. 306 GA).
Schon bei der Erstellung der Treppe hätte diel Beklagte dafür sorgen müssen, dass das Bauwerk den Rechtsvorschriften entsprechend mit rutschsicheren Stoßkanten versehen werde, wie ,dies beispielsweise in Kaufhäusern der Fall sei.
Zu Recht habe das Landgericht prima facie aus dem unfallträchtigen Zustand der Treppe auf den Sturz des Klägers geschlossen, der nicht ausschließlich auf die Treppenkante getreten sei, sondern die Treppe normalbenutzt habe (zur Höhe des Schadens Bl. 311, 312 GA).
Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten führt zur Abweisung der Klage insgesamt.
Es kann dahinstehen, ob sich die Verkehrssicherungspflicht für die Treppenanlage hoheitlich nach öffentlichem Recht beurteilt (§ 48 Abs. 2 LStrG i.V.m. § 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 S. 1 GG) oder rein zivilrechtlich (§ 823 BGB), denn die Pflichtenlage beurteilt sich in beiden Fällen gleichermaßen (BGH VersR 1979, 1055).
Darüber hinaus bedarf es keiner Entscheidung, ob die Beklagte oder ihre Streithelferin sachlich verpflichtet. sind: Das Vorhandensein der Metallschienen stellt eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht dar; soweit ein zweiter Handlauf fehlt, kann nicht festgestellt werden, dass sich der Sturz in einem Bereich ereignet hat, in welchem ein Handlauf ihn hätte verhindern oder jedenfalls abmildern können. Die geringfügigen Höhenunterschiede der Stufen sind verkehrssicherungsrechtlich ohne Bedeutung.
1. Der Umfang der den Gemeinden obliegenden Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Er umfasst die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung eines für den Verkehrswegebenutzers hinreichend sicheren Zustands.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Straßen, Wege, Plätze und eben auch Treppen schlechthin gefahrlos und frei von allen Mängeln sein müssten. Vielmehr muss sich der Verkehrsteilnehmer grundsätzlich den gegebenen Verhältnissen mit der notwendigen Sorgfalt anpassen. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer weise aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls ‚vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der seinerseits die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind bzw. auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag.
Der Senat hat diesen allgemeinen Grundsätzen seit mehreren Jahren in ständiger Rechtsprechung mit folgenden Überlegungen eine differenzierende Basis geboten (vgl. z.B. Senat OLGR 1998, 404):
a) Grundlage jeder Beurteilung der Verkehrssicherungspflicht ist zunächst der Verkehrsweg selbst. Hierbei ist auf die Art des Verkehrsweges, auf dessen Lage und Umfeld sowie dessen Verkehrsbedeutung abzustellen, so dass bereits an das Maß der Verkehrssicherungspflicht unterschiedlich hohe Anforderungen zu stellen sind.
b) Ein weiteres Beurteilungskriterium ist der Vertrauensschutz. Nach diesem Grundsatz darf der Verkehrssicherungspflichtige darauf vertrauen, dass sich Dritte verständigerweise auf erkennbare Gefahren einstellen. Andererseits wächst die Verkehrssicherungspflicht, je weniger die Gefahr erkennbar ist, bestimmt sich also auch von der Erwartungshaltung des Benutzers her, der z.B. in Fußgänger– . tonen, bei denen er durch die Auslagen in den Geschäften abgelenkt ist, auf ein erhöhtes Maß an Verkehrssicherung vertraut.
c) Die Straßenverkehrssicherungspflicht, ausgerichtet an dem Verkehrsweg sowie dem Vertrauensschutz für den Benutzer, ist eingebettet in das Korrektiv der tatsächlichen und wirtschaftlichen Zumutbarkeit für den Pflichtigen sowie in den Grundsatz, dass auf den Verkehrssicherungspflichtigen nicht das allgemeine Lebensrisiko abgewälzt werden darf, wobei die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen für sich selbst wieder stärkerer Betonung bedarf.
2. Die weitgehend freiliegenden Metallschienen führen nicht zu der Beurteilung, dass sich die Treppenanlage in einem verkehrswidrigen zustand befindet.
a) Die Treppe überwindet den Höhenunterschied zwischen der Wilhelmstraße und der Unterführung dieser Straße (vgl. Privatgutachten Kipping vom 19. September 1994 – Bilddokumentation; künftig nur: „Gutachten“). Die Treppe ist frei begehbar. Die einzelnen Stufen sind gut in ihrer Oberflächenbeschaffenheit zu sehen, und ebenso ist gut erkennbar, dass die Metallschienen der Stufen mehr oder weniger freiliegen (vgl. Gutachten Bilder Nr. 5 bis 14 betreffend den oberen Treppenlauf).
Die Stufen bestehen aus Beton, der mit einem rauen Oberflächenbelag aus Quarzsand überzogen ist (Gutachten S. 4). Diese Oberflächenbeschichtung ist auf einem Großteil der Kanten abgeplatzt oder verschlissen (Gutachten S. 4). Es versteht sich, dass die in Riffelblech ausgebildeten Stoßkanten (Oberfläche in Riffelblech zu erkennen auf den Fotos der Bilddokumentation) weniger Reibungswiderstand aufweisen, , als die Betonbeschichtung der Stufen selbst.
Das gilt umso mehr, wenn nasse Witterungsverhältnisse herrschen. Für diese Erkenntnis bedarf es keiner gutachterlichen Erhebungen oder Feststellungen. Andererseits sind die griffigen Stufen mit der Auftrittsbreite zwischen 29 und 30 cm ausreichend tief und geben dem Schuh vollständigen Halt. Auf diese Verhältnisse hat sich der Verkehrsteilnehmer mit der notwendigen Sorgfalt einzustellen.
Er sieht die größtenteils freiliegenden Metallschienen. Er weiß, dass das Metall auch bei geriffelter Oberfläche im nassen Zustand wenig Rutschwiderstand entgegen bringt. Der sorgfältige Benutzer erkennt. aber auch andererseits unschwer, dass keinerlei Rutschgefahr besteht, wenn er den Tritt ganz oder zum größten Teil auf der rauhen Betonstufe aufsetzt.
Der Bundesgerichtshof (VersR 1965, 520) hat in diesem Zusammenhang folgendes ausgeführt: „Hierbei hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei nicht als verkehrswidrig angesehen, dass die Metallschienen nicht geriffelt waren. Es ist der Meinung, dass die Riffelung wie auch die Nichtriffelung Vor- und Nachteile aufweisen. Es hat erwogen, dass geriffelte Schienen zwar weniger rutschig sind, dass man über sie aber leichter stolpern kann. Eine Riffelung hält es nur dann für zweckmäßiger, wenn die Stufe selbst sehr glatt ist, was hier nicht der Fall war, weil sämtliche Tritte aus rauhem Beton bestanden. Eine verkehrswidrige Gefährdung durch ungeriffelte Schienen scheidet nach seiner Ansicht aber auch deshalb aus, weil meist der ganze Fuß vor der Metallschiene auf die Stufe gesetzt wird, aber selbst bei einem Auftreten auf die Schiene die raube Betonschiene hinreichenden Halt bietet.
Auch die nur knapp millimeterstarken Niveauunterschiede zwischen Schiene und Trittfläche der zweiten und dritten Stufe verstoßen nach rechtlich nicht zu beanstandender Auffassung des Berufungsgerichts nicht gegen die Verkehrssicherheit; denn derartige geringe Unterschiede stellen, wie das Berufungsurteil zutreffend annimmt; normalerweise keine Gefahr für die Benutzer dar, weil die Füße soweit hochgehoben werden, dass die Schuhe nicht gegen eine so minimale Kante stoßen.“
Die tatsächlichen Voraussetzungen, die diesem Urteil zu Grunde lagen, sind durchaus vergleichbar (vgl. a.a.O. linke Spalte). Der einzige Unterschied besteht darin, dass es sich dort um eine Treppenhausanlage in einem gewerblich und von Mietern genutzten größeren Haus gehandelt hat. Auch in einem solchen von vielen Personen benutzten Gebäude ist mit feuchten Bodenverhältnissen zu rechnen und zwar immer dann, wenn draußen nasse Witterung herrscht und die Besucher und Benutzer des Hauses die Nässe hereintragen, die sich dann auf den Stufen absetzt.
Insofern ist die Feuchtigkeit dem Benutzer der im freien liegenden Treppenanlage noch weit eher erkennbar, und ihm ist zuzumuten, sich auf die „Nässe-Verhältnisse“ einzustellen, da sie ihm draußen offenkundig sind.
3. Es kann letztlich dahinstehen, ob unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherung zwei Handläufe erforderlich waren.
Nach § 33 Abs. 7 LBO (damals: § 30 Abs. 7 LBO) können bei Treppen in einem Gebäude – wenn sie besonders breit sind Handläufe auf beiden Seiten gefordert werden. Unterstellt man dieses Erfordernis zu Gunsten des Klägers, so bezweckt die bauordnungsrechtlich vorgesehene Anordnung, einen Handlauf anzubringen, nicht nur, Behinderten eine Hilfe gegen das Stürzen auf der Treppe zu geben. Handläufe sind vielmehr typischerweise dazu bestimmt und geeignet, im Bereich des Handlaufs Treppenstürze zu verhindern und sei es auch nur dadurch, dass der Benutzer der Treppe den Handlauf in der konkreten Gefahrensituation ergreift (BGH DB 1986, 1815; DB 1957, 258; VersR 1957, 198f).
Die Ursächlichkeit der unterstellten – Pflichtverletzung für die eingetretene Schädigung ist jedoch nicht bewiesen.
Dem Kläger kommt ein Anscheinsbeweis auf Grund typischen Geschehens insoweit nicht zugute, denn es fehlt an der Grundlage des Anscheinsbeweises, die der Kläger darzulegen und zu beweisen hat.
Die Anwendung der Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins bei der Kausalitätsfeststellung ist immer dann geboten, wenn das Schadensereignis nach allgemeiner Lebenserfahrung eine typische Folge der Pflichtverletzung darstellt.
Hat der vom Verletzten in Anspruch Genommene gegen ein Schutzgesetz verstoßen, das typischen Gefährdungsmöglichkeiten entgegenwirken soll, und ist im Zusammenhang mit dem Verstoß gerade derjenige Schaden Eingetreten, der mit Hilfe des Schutzgesetzes verhindert werden sollte, so spricht grundsätzlich der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Verstoß für den Schadenseintritt ursächlich gewesen ist. Dies gilt auch bei Verstößen gegen Unfallverhütungsvorschriften, wenn sich in dem Unfall gerade die Gefahr verwirklicht hat, zu deren Verhinderung die Vorschriften erlassen worden sind (BGH NJW 1994, 945 m.w.N.). Weitere Voraussetzung für die Anwendung des Anscheinsbeweises zu Gunsten des Geschädigten ist jedoch, dass die vom Schutzgesetz oder von der Unfallverhütungsvorschrift bekämpfte Gefahr sich verwirklicht hat.
Die Schadensentstehung muss der Art sein, wie sie von der Ordnungsvorschrift verhindert werden soll. Festgestellt werden muss demnach, dass sich der Sturz im Einwirkungsbereich der Gefahrenstelle ereignet hat, also in einem Bereich, in welchem ein Handlauf ihn hätte verhindern oder jedenfalls abmildern können (BGH DB 1986, 1815; DB 1974, 426 – ständige Rechtsprechung).
Der Kläger hätte daher beweisen müssen, an welcher Stelle er sich auf der Treppe befunden hat, als er stürzte und welche Reaktionsmöglichkeiten für ihn bestanden (vgl. BGH a.a.O.).
Diesem den Anscheinsbeweis erst ermöglichenden Erfordernisse erweise kann der Kläger nicht entgegenhalten, es sei schon vom Ansatz her verfehlt, denn es stelle sich nach der Lebenserfahrung so dar, dass derjenige, der eine Treppe begehe, sich nach Möglichkeit im Bereich der Handläufe aufhalte, um für den Fall eines unerwarteten Sturzes oder Ausgleitens eine Stütze zu haben. Einen solchen Erfahrungssatz kann man nicht aufstellen.
Das Verhalten des einzelnen Treppenbenutzers kann nur individuell festgestellt werden und entzieht sich allgemeiner Erfahrung. Die Vielgestaltigkeit der möglichen Geschehensabläufe bei der Benutzung der Treppe lässt es nicht zu, von einem Regelsachverhalt zu sprechen, der eine Beweiserleichterung rechtfertigen würde (BGH VersR 1957, 198 und DB 1974, 427; Senat, Urteil vom 6. Dezember 1995, Az. 1 U 168/90 – Revision nicht angenommen). Der Kläger hat zwar im Termin vom 12. Juli 1996 angegeben, er sei treppabwärts gegangen und entsprechend der Gehrichtung auf der rechten Seite der Treppe (B1. 84/85 GA).
Damit ist aber noch nichts darüber ausgesagt, wie weit rechts er gegangen ist, ob er sich also in einem Bereich befunden hat, in welchem ein Handlauf den Sturz hätte verhindern oder jedenfalls abmildern können. Dazu konnte auch der Zeuge M……., der den Kläger aufgefunden hat, nichts Sicheres bekunden (B1. 84 GA).
4. Schließlich kann der Kläger sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Steigungshöhen wechseln (vgl. Gutachten S. 3). Die geringen Höhenunterschiede (horizontale Wellen) mögen werkvertraglich einen Mangel darstellen. Verkehrssicherungsrechtlich sind sie nicht zu beanstanden (vgl. zu diesem Verhältnis Senat OLGR 1997, 311).
5. Wenn der Kläger schließlich vorbringt, dass „die obere Flächenbeschichtung zur Aufrauhung des Betons teilweise abgeblättert und verschlissen war“, kann sich das gerade in Übereinstimmung mit dem Gutachten Kipping (S. 4) nur auf die Stoßkanten aus Eisen beziehen und nicht auf die Oberfläche der Stufen selbst.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in . 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 92.958,59 DM (57.958,59 DM; 25.000 DM und 10.000 DM).
In dieser Höhe ist der Kläger durch das Urteil des Senats beschwert (§ 546 Abs. 2 ZPO).