AG Kempten
Urteil vom 12.07.2012
Az: 25 OWi 144 Js 4384/12
1. Der Betroffene ist schuldig, fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h überschritten zu haben.
2. Er wird deshalb zu einer Geldbuße von 100,00 Euro verurteilt.
3. Im übrigen wird der Betroffene freigesprochen.
4. Soweit der Betroffene verurteilt wurde, hat er die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Im übrigen fallen die Kosten und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last.
Angewendete Vorschriften:
§§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, § 24 StVG, Ziffer 11.3.5 Bkat, § 17 OWiG
Gründe
I.
Der am 21.02.1986 geborene, ledige Betroffene ist verkehrsrechtlich bislang nicht in Erscheinung getreten. In seinem Verkehrszentralregister befinden sich keine Einträge. Zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen hat sich der Betroffene nicht geäußert.
II.
1. Der Betroffene fuhr am 17.01.2012 gegen 19.20 Uhr mit dem Pkw BMW, amtliches Kennzeichen: … in Kempten (Allgäu) auf der Kaufbeurer Straße stadteinwärts. An dieser Stelle ist die zulässige Geschwindigkeit auf 60 km/h beschränkt. Der Betroffene überschritt aus Unaufmerksamkeit die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 27 km/h. Dabei ist zugunsten des Betroffenen ein Toleranzabzug von 3 km/h berücksichtigt.
2. Der Betroffene wurde nach Durchführung der Geschwindigkeitsmessung unmittelbar von dem Zeugen PHM … angehalten. Dieser stellte beim Betroffenen Alkoholgeruch fest. Der Betroffene führte daraufhin auf Nachfrage des Zeugen … gegen 19.30 Uhr eine freiwillige Atemalkoholkontrolle mittels eines nicht gerichtsverwertbaren Tests durch. Dieser gab eine Atemalkoholkonzentration von 0,37 mg/l. Auf weitere Nachfrage stimmte der Betroffene einer gerichtsverwertbaren Atemalkoholkontrolle mittels eines gerichtsverwertbaren Alkoholtests zu, weshalb die kontrollierenden Beamten PHM … und PHM … mit dem Betroffenen zu ihrer Dienststelle in Kempten fuhren. Nach einer Wartezeit von 20 Minuten begehrte der Betroffene ein Telefonat mit seinem Verteidiger, welches ihm bewilligt wurde. Nach dem Gespräch mit dem Verteidiger stimmte der Betroffene weder einem freiwilligen Atemalkoholtest noch der Durchführung einer Blutentnahme zu. Gegen 19.55 Uhr ordneten daher die Polizeibeamten … und … die Durchführung einer Blutentnahme an, ohne zuvor eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit der Blutentnahme einzuholen bzw. dies versucht zu haben. Im Bezirk des Landgerichts Kempten besteht nach der regulären Dienstzeit von 17.00 Uhr bis 21.00 Uhr ein richterlicher Bereitschaftsdienst. Der jeweilige Bereitschaftsdienstrichter ist mit einem Mobiltelefon ausgestattet, deren Nummer den Polizeidienststellen im Bezirk bekannt ist.
Nachdem der Betroffene mit seinem Verteidiger telefoniert hatte, übernahm der Zeuge PHM … das Telefonat. Letzterer widersprach dabei der Blutentnahme, worauf der Zeuge antwortete: „Bei OWis sind wir die anordnende Behörde“.
Nachdem die Polizeibeamten keine Arzt zur Durchführung der Blutentnahme erreichen konnten, fuhren sie mit diesem zum Krankenhaus in Kempten, wo gegen 20.16 Uhr die Blutentnahme durchgeführt wurde. Das Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung ergab einen Mittelwert von 0,74 Promille.
III.
Die Feststellungen des Gerichts zu Ziffer I. und II.1. beruhen auf der anlässlich der Hauptverhandlung vom 12.07.2012 durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere der Einvernahme der Zeugen PHM … und PHM … der Verkehrspolizeiinspektion Kempten sowie dem auszugweise verlesenen Bußgeldbescheid vom 21.02.2012.
1. Der Betroffene hat sich zu den ihm vorgeworfenen Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht geäußert.
2. Der konkrete Geschwindigkeitsverstoß steht fest aufgrund der durchgeführten Geschwindigkeitsmessung des Zeugen PHM … der Verkehrspolizeiinspektion Kempten.
a) Die Messung erfolgte nach seinen Zeugenangaben mit einem Laser – Handmessgerät des Fabrikats Riegl FG21-P, wobei dieses auf einem Stativ aufgebaut gewesen sei. Die Messung erfolgte aus dem Polizeifahrzeug für entgegenkommende Fahrzeuge in stadteinwärtige Richtung. Die Anhaltung der Fahrzeuge erfolgte direkt an der Messstelle.
Nach den Ausführungen des Zeugen … befand sich das Gerät zum Zeitpunkt der Messung in einem geeichten Zustand. Es sei entsprechend seiner Bauartzulassung und gemäß der vom Hersteller mitgegebenen Bedienungs-/Gebrauchsanweisung verwendet worden. Diese Vorgaben seien sowohl bei der Messung als auch bei den der Messung vorausgehenden Tests (Selbsttests des Geräts, Displaytest, Test der Visiereinrichtung und sogenannter Nulltest) eingehalten worden. Der Test der Visiereinrichtung und der sogenannte Nulltest seien sowohl vor der Messung als auch nach der Messung mittels eines in einer Entfernung von 31 m entfernten Verkehrszeichens durchgeführt worden. Während des Messvorgangs habe es keine Auffälligkeiten gegeben.
Nach Angaben des Zeugen … fuhr der Betroffene gegen 19.20 mit dem unter Ziffer II genannten Fahrzeug an der Tatörtlichkeit mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 90 km/h. Unter Berücksichtigung der anzusetzenden Toleranz von 3 km/h habe sich so die vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung von 27 km/h ergeben. Eine Fehlmessung oder einen Ablesefehler der gemessenen Geschwindigkeit hat der Zeuge …, der selbst das Fallblatt auf Blatt 20 der Akte geführt hat, ausgeschlossen. Ebenso hat der Zeuge eine Fahrzeugverwechslung ausgeschlossen, nachdem es sich bei dem Fahrzeug des Betroffenen nach einem Überholvorgang um das erste Fahrzeug auf der linken Fahrspur gehandelt habe. Der Visierring des Geräts sei frei gewesen, es hätte sich keine andere Fahrzeug im Ring befunden. Die Messung des Fahrzeugs des Betroffenen sei aus einer Entfernung vom 554 m erfolgt, das Gerät sei für Messungen aus einer Entfernung von bis zu 1.000 m zugelassen.
Die angeordnete zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h innerhalb einer geschlossenen Ortschaft ergibt sich ebenfalls aus der Einvernahme des Zeugen … .
b) An der Glaubwürdigkeit der Angaben des Zeugen … bestehen für das Gericht keine Zweifel. Er wurde seinen Angaben zufolge als Messbeamter für die Bedienung des vorliegend verwendeten Geräts geschult. Im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme erfolgte die Messung vorliegend in einem standardisierten Messverfahren, für dass das Laser-Handmessgerät Riegl FG21-P anerkanntermaßen geeignet ist. Standardisiert ist ein durch Regelungen vereinheitliches technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (OLG Koblenz, Beschluss vom 12.1.2010, I SsBs 127/2009). Erforderlich für ein standardisiertes Messverfahren ist daher, dass das Gerät tatsächlich entsprechend seiner Bauartzulassung und der Bedienungsanleitung des Herstellers ordnungsgemäß bedient wird. Dies war nach den Angaben des Zeugen … vorliegend der Fall. Der Betroffene hat nichts vorgetragen, was die Vermutung der Richtigkeit der Messung erschüttern könnte. Er hat über seinen Verteidiger ausdrücklich erklärt, dass gegen die Richtigkeit der durchgeführten Geschwindigkeitsmessung keine Einwände erhoben werden.
c) Auf Grund der Angaben der Zeugen … und … steht auch die Fahrereigenschaft des Betroffenen fest. Seine Anhaltung erfolgte noch unmittelbar an der Messstelle.
IV.
Der Betroffene hat sich daher einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h gem. § 41 Abs. 1 i.V. mit der Anlage 2 zur StVO, § 49 StVO i.V. mit § 24 StVG schuldig gemacht.
Als Rechtsfolge ist hierfür nach der aufgrund von § 26 a StVG erlassenen Bußgeldkatalogverordnung und der zugehörigen Bußgeldkatalognummer 11.3.5 eine Geldbuße von 100,– EUR vorgesehen. Diese ist angemessen.
V.
Die Feststellungen zu Ziffer II.2 beruhen auf der in der Hauptverhandlung vom 12.07.2012 durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere den Angaben der Zeugen … und …, dem verlesenen ärztlichen Bericht über die Blutentnahme vom 17.01.2012 sowie dem verlesenen Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 23.01.2012. Die Feststellungen zum richterlichen Bereitschaftsdienst sind gerichtsbekannt. Soweit dem Betroffenen jedoch vorgeworfen wird, zum o.g. Tatzeitpunkt ein Kraftfahrzeug mit einer Alkoholmenge im Körper geführt zu haben, die zu einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 Promille oder mehr geführt hat, konnten diese Feststellungen nicht zu einer Verurteilung des Betroffenen gelangen. Der Betroffene war aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Die insofern erhobenen Beweise unterliegen einem Beweisverwertungsverbot.
1. Die in der Hauptverhandlung vernommene Zeuge …, der im Rahmen der o.g. Geschwindigkeitsmessung die Anhaltung der beanstandeten Fahrzeuge vornahm, hat im Rahmen seiner Zeugeneinvernahme angegeben, bei der Aufnahme der Personalien des Betroffenen aus dessen Fahrzeug Alkoholgeruch wahrgenommen zu haben. Der Betroffenen habe daraufhin einem freiwilligen Alkoholtest an der Messstelle zugestimmt, der Atemalkoholkonzentration von 0,37 mg/l ergeben habe. Zur Durchführung eines gerichtsverwertbaren Atemalkoholtests mittels des Dräger-Evidential-Geräts seien die Beamten mit dem Betroffenen auf die Dienststelle gefahren, womit sich der Betroffene einverstanden klärte. Die Fahrt zu Dienststelle hätte ca. 5-6 Minuten betragen. Nach Ablauf einer Wartezeit von ca. 20 Minuten habe der Betroffene dann nach Rücksprache mit seinem Verteidiger nicht mehr mit der Durchführung einer Atemalkoholkontrolle mittels des Dräger-Evidentials einverstanden klärt, weshalb durch die Beamten die Blutentnahme angeordnet worden sei. Nachdem sie noch erfolglos versucht hätten, zwei Ärzte telefonisch zu erreichen, um die Blutentnahme auf der Dienststelle durchzuführen, seien sie mit dem Betroffenen zum Krankenhaus in Kempten gefahren. Dort habe sich der diensthabende Arzt aus ihnen nicht bekannten Gründen geweigert, die Blutentnahme durchzuführen. Dieser habe dann mit seinem dienstvorgesetzten Oberarzt telefoniert und anschließend dann doch die Blutentnahme durchgeführt. Ein Ermittlungsrichter zur Anordnung der Blutentnahme sei nicht kontaktiert worden, nachdem für ihn und den Kollegen … im Hinblick auf die stündlichen Alkoholabbauraten die Gefahr bestand, dass bei einem weiteren Zeitverzug bis zum Zeitpunkt einer gerichtlichen Entscheidung der Grenzwert von 0,5 Promille hätte unterschritten werden können. In anderen Fällen werde seitens der Polizeibeamten aber stets versucht, vor Durchführung einer Blutentnahme eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.
Übereinstimmend mit den Angaben des Zeugen … hat der Zeuge PHM … den Geschehensablauf nach der Anhaltung des Betroffenen geschildert. Auf Nachfrage des Verteidigers hat der Zeuge … bestätigt, dass er im Anschluss nach dem Telefonat des Betroffenen mit seinem Verteidiger das Gespräch mit dem Verteidiger übernommen habe. Es sei zutreffend, dass seitens des Verteidigers mitgeteilt wurde, der Betroffene sei mit der Durchführung der Blutentnahme nicht einverstanden, er sich aber bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs sich nicht wehren werde. Auf weiteren Vorhalt des Verteidigers mittels einer von ihm gefertigten Gesprächsnotiz, wonach er – der Zeuge … – im Rahmen des Gesprächs den Satz geäußert haben soll „Wir sind bei Owis die anordnende Behörde“, erklärte der Zeuge …, es sei durchaus möglich, eine entsprechende Äußerung getroffen zu haben. An den genauen Gesprächsinhalt könne er sich jedoch auf Grund des Zeitablaufs nicht mehr erinnern. Jedenfalls sei die Äußerung inhaltlich unzutreffend, weil auch bei Ordnungswidrigkeiten bekanntermaßen primär eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Blutentnahme einzuholen ist. Weder er noch der Kollege … hätten auf Grund des Zeitablaufs seit der Anhaltung und des zu befürchtenden Alkoholabbaus die Einholung einer richterlichen Entscheidung für erforderlich erachtet. Aus ihrer Sicht sei eindeutig „Gefahr-in-Verzug“ vorgelegen.
2. Soweit in dem in der Hauptverhandlung verlesenen Gutachten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 23.01.2012 eine Blutalkoholkonzentration des Betroffenen im Mittelwert von 0,74 Promille festgestellt wird, ist dieses Ergebnis unverwertbar.
a) Die dem Gutachten zu Grunde liegende Anordnung der Blutentnahme durch die Beamten PHM … und PHM … war rechtswidrig. Der Betroffene hat nach Rücksprache mit seinem Verteidiger in die Durchführung der Blutentnahme nicht eingewilligt. Nach § 81 a Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG obliegt die Zuständigkeit für die Anordnung körperlicher Untersuchungen auch bei Ordnungswidrigkeiten primär dem Richter. Nur ausnahmsweise kann bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung ein körperlicher Eingriff wie hier die Durchführung einer Blutentnahme durch die Polizei als Verwaltungsbehörde angeordnet werden. „Gefahr-in-Verzug“ war vorliegend entgegen der Einschätzung der Zeugen PHM … und PHM … offensichtlich nicht gegeben. Allein die abstrakte Gefahr, dass durch den körpereigenen Alkoholabbau der Nachweis der Tatbegehung erschwert oder gar verhindert wird, reicht nicht für die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges aus. Es ist vorliegend nicht nachvollziehbar, inwiefern durch die Einholung einer richterlichen Entscheidung der Untersuchungszweck hätte gefährdet werden können. Im Bezirk des Landgerichts Kempten ist ein richterlicher Eildienst für außerhalb der Dienstzeiten unaufschiebbare richterliche Tätigkeiten eingerichtet. Der jeweils zuständige Bereitschaftsdienstrichter ist mit einem Mobiltelefon ausgestattet. Die Mobilfunknummer des Bereitschaftrichters ist den im Bezirk des Landgerichts Kempten liegenden Polizeidienststellen bekannt, um richterliche Entscheidungen notfalls telefonisch/mündlich einholen zu können. Dies ergibt sich auch aus der Aussage des Zeugen …, wonach üblicherweise versucht werde, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Der richterliche Bereitschaftsdienst besteht an Wochentagen u.a. abends in der Zeit von 17.00 Uhr bis 21.00 Uhr. Zum Zeitpunkt der Anordnung der Blutentnahme wäre es den Beamten im vorliegenden Fall ohne weiteres möglich gewesen, ohne größeren Zeitverzug eine – auch mündlich mögliche – Entscheidung des Bereitschaftsdienstrichters einzuholen. Nach den Zeugenangaben verweigerte der Betroffene gegen 19.55 Uhr den Alkoholtest mittels des Dräger-Evidentials. Nach dem in der Hauptverhandlung verlesenen ärztlichen Bericht (Blatt 16 d.A.) wurde die Blutentnahme um 20.16 Uhr durchgeführt. Ein Telefonat mit dem Bereitschaftsdienstrichter, in dem der vorliegend denkbar einfache Sachverhalt mitgeteilt und um eine Entscheidung nachgesucht wird, wäre innerhalb dieser Zeitspanne in nur wenigen Minuten zu führen gewesen und hätte vorliegend noch auf der Dienststelle, auf dem Weg zum Krankenhaus oder auch noch im Krankenhaus geführt werden können, nachdem sich der diensthabende Arzt zunächst weigerte die Blutentnahme durchzuführen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür und sind auch von den Beamten nicht dargelegt worden, dass eine richterliche Entscheidung von vornherein verweigert worden wäre. Angesichts der bestehenden Möglichkeiten, eine richterliche Entscheidung telefonisch zu erlangen, ist der Begriff „Gefahr in Verzug“ eng auszulegen und auf solche Fälle zu beschränken, in denen nicht einmal der Versuch der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung abgewartet werden kann, z.B. in Fällen eines geltend gemachten Nachtrunks. Ein solcher Ausnahmefall ist hier jedoch nicht gegeben. Für den Fall, dass die Beamten keinen Richter erreicht hätten oder dieser schriftliche Unterlagen für eine Entscheidung fordert, wäre es ihnen nach wie vor offen gestanden, selbst die Anordnung zu treffen. Vorliegend wurde aber gar kein entsprechender Versuch unternommen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.
b) Die rechtswidrig entnommene Blutprobe unterliegt einem Beweisverwertungsverbot.
Zwar unterliegt nicht jedes Beweiserhebungsverbot einem Beweisverwertungsverbot. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Verstoß gegen eine Beweiserhebungsvorschrift ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt 44, 2). Ein Beweisverwertungsverbot stellt die Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGH, a.a.O) Nachdem für Fälle einer rechtswidrig gewonnenen Blutentnahme ein gesetzliches Beweisverwertungsverbot nicht existiert, kommt ein Beweisverwertungsverbot dann in Betracht, wenn sich die Maßnahme zusätzlich als (subjektiv oder objektiv) willkürlich oder als gezielte Umgehung oder Ignorierung des Richtervorbehalts oder als ein gleichgewichtiger sonstiger besonders schwerwiegender Fehler darstellt (OLG Bamberg, DAR 2011, S. 268-272).
Vorliegend stellt sich bereits die Frage, ob seitens des Polizeibeamten … zum Zeitpunkt der Blutentnahme nicht bereits eine bewusste Ignorierung des Richtervorbehalts vorlag. Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Zeuge PHM … gegenüber dem Verteidiger im Telefonat äußerte, dass bei Ordnungswidrigkeiten die Polizei die anordnende Behörde sei. PHM … erklärte, es bestehe durchaus die Möglichkeit eine solche Äußerung getroffen zu haben. In seiner Einvernahme hat er diese Äußerung auch korrigiert.
Letztendlich kommt es hier ebenso wie auf die Frage, ob seitens der Polizeibeamten eine subjektiv willkürliche weite Auslegung des Begriffs Gefahr in Verzug vorlag nicht an. Die Anordnung der Blutentnahme durch die Polizeibeamten stellt jedenfalls einen besonders schwerwiegender Fehler dar, weil sie auf einer groben Verkennung der Zuständigkeitsvorschriften beruht und ebenso schwer wiegt wie die willkürliche Umgehung/ Ignorierung des Richtervorbehalts.
Objektive Willkür liegt dann vor, wenn die Entscheidung, die der Beweiserhebungsmaßnahme zu Grunde liegt, unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und daher der Schluss nahe liegt, dass sie auf sachfremden willkürlichen Erwägungen beruht.
So liegt der Fall hier. Zwar sieht das Gericht bei der vorzunehmenden Interessenabwägung durchaus, dass die Durchführung einer Blutentnahme lediglich eine geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit darstellt und auf der anderen Seite ein erhebliches öffentliche Interesse an der Abwendung von Gefahren besteht, die von alkoholisierten Kraftfahrzeugführern ausgeht. Dieses erhebliches öffentliches Interesse spiegelt sich in der scharfen Sanktionierung von alkoholisierten Kraftfahrzeugführen durch den Verordnungsgeber in der Bußgeldkatalogverordnung wieder. Auch waren die Eingriffsvoraussetzungen für die Durchführung der Blutentnahme zweifellos gegeben, so dass aller Voraussicht nach ein richterlicher Anordnungsbeschluss ergangen wäre. Allerdings ist der Vorrang des Richtervorbehalts auch bei der Durchführung von Blutentnahmen insbesondere seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.02.2007 (Az.: 2 BvR 273/06) in einer Vielzahl von obergerichtlichen Entscheidungen hervorgehoben worden, wenngleich die Frage des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots unterschiedlich bewertet wird. Es ist jedenfalls durch die obergerichtliche Rechtsprechung hinlänglich geklärt, dass Polizeibeamte während Zeiten, in denen ein richterlicher Bereitschaftsdienst besteht jedenfalls versuchen müssen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Vorliegend wurde noch nicht einmal dieser Versuch unternommen.
Angesicht der mittlerweile klaren Rechtslage ist die Anordnung der Blutentnahme ohne Einholung einer richterlichen Entscheidung unter keinem Gesichtspunkt mehr rechtlich vertretbar. Auch wenn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren bzw. vorliegend das Ordnungswidrigkeitsverfahren primär der Erforschung der Wahrheit dient, hat dies in einem geordneten Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen abzulaufen. Mit diesen rechtsstaatlichen Grundsätzen ist es jedoch unvereinbar, wenn im Rahmen der Ermittlungen durch die Rechtsprechung ausreichend geklärte Rechtsfragen – hier der Vorrang des Richtervorbehalts- schlicht nicht beachtet werden. Das Primat der Wahrheitsfindung hat daher vorliegend zurückzutreten.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. §§ 465 Abs. 1, 467 Abs. 1 StPO.