Oberlandesgericht Hamm
Beschluss vom 24.01.2008
Az: 2 Ss OWi 37/08
Vorinstanz: AG Schwelm, Az.: 62 OWi 874 Js 445/07 (66/07)
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Schwelm vom 26. Oktober 2007 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 24. 01. 2008 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung –
auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens –
an das Amtsgericht Schwelm zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 250 € verurteilt, ein Fahrverbot von einem Monat verhängt und von der Regelung des § 25 Abs. 2 a StVG Gebrauch gemacht.
Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.
II.
Das AG hat folgende Feststellungen getroffen und ausgeführt:
„Am 20.02.2007 befuhr der Betroffene mit dem Pkw Suzuki, amtl. Kennz. XXXXXX, öffentliche Straßen in Schwelm, nämlich die Hattinger Straße. Er hatte zuvor Alkohol getrunken. Der Betroffene führte das Fahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,36 mg/I.
Die Atemalkoholmessung wurde vorgenommen durch das geeichte Gerät Dräger Evidential.
Der Betroffene führte daher ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/1 oder mehr.
Der Betroffene hat sich dahin eingelassen, er habe lediglich ein Bier mit Cola in der Nacht getrunken. Er habe Hustenlöser genommen und Schnupfen gehabt, so dass nicht auszuschließen sei, dass das Messergebnis verfälscht worden sei. Es sei nicht auszuschließen, dass jeweils bei der Messung durch etwa in Zahnfleischtaschen verbliebenen Reste der Hustentropfen die Messung verfälscht worden sei. Im Übrigen würde das Messprotokoll nicht bestätigen, dass während des ganzen Vorgangs eine Beamtin anwesend gewesen sei. Das Messergebnis sei daher nicht zu verwerten.
Der Betroffene führte ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/1 oder mehr. Das Gericht ist aufgrund des erörterten Messprotokolls und des Eichscheins davon überzeugt, dass der Messwert ohne Sicherheitsabschläge verwertbar ist. Das Gerät hat die Bauartzulassung für die amtliche Überwachung des Straßenverkehrs erhalten, unter Einhaltung der Eichfrist war es geeicht, die Bedingungen für ein gültiges Messverfahren waren gewahrt. Anhaltspunkte für eine Verfälschung des Messergebnisses durch sonstige Störfaktoren bestehen nicht. Hiergegen spricht schon, dass einmal bereits zuvor, nämlich um 01.15 Uhr und 01.17 Uhr, Messungen durchgeführt worden sind, wobei Messwerte von über 0,25 mg/1 erreicht worden sind. Dass sich jeweils bei den Messungen Mundrestalkohol aus Zahlfleischtaschen gelöst haben könnte, ist nach Überzeugung des Gerichts auszuschließen.
Der Wert der Atemalkoholkonzentration ist auch zutreffend ermittelt worden. Die Verfahrensbestimmungen wurden beachtet, was auch die messende Beamtin, Frau Gehrisch, auf dem Messprotokoll bestätigt hat. Ein Zeitablauf von mindestens 20 Minuten seit Trinkende ist gewahrt worden. Außerdem wurde die Kontrollzeit von 10 Minuten vor der Atemalkoholkonzentrationsmessung eingehalten. Der Betroffene war um 00.45 Uhr gefahren, die Messungen fanden statt um 01.25 Uhr und 01.27 Uhr. Es lag also auch eine Doppelmessung im Zeitabstand von maximal 5 Minuten und Einhaltung der zulässigen Variationsbreite zwischen den einzelnen Messwerten vor.“
III.
Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie auch – zumindest vorläufig – Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:
„1. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils ist bereits aufgrund der erhobenen Verfahrensrüge veranlasst. Soweit die Revision rügt, ein Aufklärungsmangel liege darin begründet, dass das Gericht ein Sachverständigengutachten zu der Frage, ob ein in einer Zahnfleischtasche verbliebener Rest eines Hustenlösers das Ergebnis der zweiten Messung mit dem Gerät Dräger 7110 Evidential verfälscht haben könnte, nicht erhoben hat, erweist sich diese Rüge zunächst als zulässig. Die Rechtsbeschwerde bezeichnet die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen. Zudem wird angegeben, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre. Die Rechtsbeschwerde führt diesbezüglich aus, dass eine solche Beweiserhebung ergeben hätte, dass das Messergebnis durch einen möglicherweise in einer Zahnfleischtasche verbliebenen Rest hätte verfälscht werden können. Zur Notwendigkeit der Beweiserhebung führt die Rechtsbeschwerde aus, dass bei der insgesamt ersten Messung des Abends, nämlich die mit dem Gerät Dräger 6510, einer Blutalkoholkonzentration von 0,39 0/0o gemessen worden sei.
Demgegenüber habe die Messung mittels des Gerätes Dräger 7110 Evidential, welche aus zwei Messungen, die von 01.13 Uhr bis 01.20 Uhr durchgeführt worden seien, zunächst kein Messergebnis, sondern die Fehlermeldung „Interferenz“ ausgeworfen. Ein von 01.22 Uhr bis 01.29 Uhr durchgeführter weiterer Test mit dem Gerät Dräger 7110 Evidential habe dann ein Messergebnis von 0,36 mg/1 ausgewiesen. Bei solch einem Unterschied dränge sich die Möglichkeit einer Fehlerquelle auf. Das Amtsgericht hätte also der naheliegenden Fehlerquelle der Hustenlöserreste in der Zahnfleischtasche nachgehen müssen, zumal auch schon mit Schriftsatz vom 08.06.2007 hierzu entsprechende Ausführungen gemacht worden seien. Weiter führt die Rechtsbeschwerde aus, dass das Amtsgericht auch keinen Anlass hatte, davon auszugehen, eine solche Beweiserhebung sei überflüssig. Insbesondere gebe die erste Messung mit dem Gerät Dräger 7110 Evidential keinen Grund für eine solche Annahme. Zwar sei es richtig, dass die beiden Einzelmessungen dieser Messungen jeweils Werte von über 0,25 mg/1 aufgewiesen hätten, doch sei diese Messung insgesamt vom Gerät als ungültig ausgegeben worden.
Die Rüge erweist sich auch als begründet. Entgegen der Urteilsgründe ist im Hinblick auf die unterschiedlichen Messergebnisse hinsichtlich des verwendeten Gerätes Dräger 6510 sowie des in der Folge verwendeten Gerätes 7110 Evidential nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass es zu einer Verfälschung der Messergebnisse durch sonstige Störfaktoren gekommen ist. Die Erhebung eines Sachverständigenbeweises zu der Frage, ob ein in einer Zahnfleischtasche verbliebener Rest des Hustenlösers das Ergebnis der zweiten Messung mit dem Gerät Dräger 7110 Evidential verfälscht haben könnte, drängt sich insoweit auf.
2. Die auf die erhobene Sachrüge hin vorzunehmende Überprüfung des Urteils deckt zudem einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.
Das Amtsgericht ging davon aus, dass die Kontrollzeit von 10 Minuten vor der Atemalkoholkonzentrationsmessung eingehalten wurde. Das Messprotokoll gibt jedoch über die Einhaltung der Kontrollzeit keine Auskunft. Die messende Beamtin hat hier lediglich bestätigt, zur Anwendung des Messgerätes befugt zu sein, dem Probanden das Messverfahren erläutert, das Messverfahren nach Gebrauchsanweisung durchgeführt und die Anzeige mit dem gedruckten Ergebnis auf Übereinstimmung geprüft zu haben. Diese Bestätigung bezieht sich jedoch nicht auf die Kontrollzeit, sondern lediglich auf die konkrete Messung. Die Einhaltung der Kontrollzeit von 10 Minuten vor Beginn der Messung, während derer der Proband keinerlei Substanzen zu sich nehmen darf, ist hiernach zumindest fraglich. Die Beachtung der Kontrollzeit ist jedoch erforderlich, um Verfälschungen des Messergebnisses durch evtl. vorhandenen Restalkohol oder andere Restsubstanzen im Mund auszuschließen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.12.2000 – 4 Ss OWi 1154/2000 -). Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene nach seinen Angaben vor Durchführung der Atemalkoholmessung einen Hustenlöser eingenommen. Damit kann zumindest nicht ohne sachverständige Beratung ausgeschlossen werden, dass es durch die Einnahme dieses Hustenlösers zu einer Verfälschung des Messergebnisses gekommen ist.“
Diesen zutreffenden und überzeugenden Ausführungen tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei. Das angefochtene Urteil konnte deshalb keinen Bestand haben und war aufzuheben. Eine Entscheidung des Senats in der Sache selbst kam gem.
§ 79 Abs. 6 OWiG nicht in Betracht, da in einer neuen Hauptverhandlung, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, ergänzende Feststellungen getroffen werden können. Insbesondere erscheint nicht ausgeschlossen, dass durch ein Sachverständigengutachten die behauptete Verfälschung des Messergebnisses durch einen in einer Zahnfleischtasche verbliebenen Rest des Hustenlösers ausgeschlossen werden kann und dass durch Vernehmung der die Messung durchführenden Beamten festgestellt werden kann, dass die Kontrollzeit eingehalten wurde.“
IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Sollte sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellen, dass das Messergebnis durch den Hustenlöser, den der Betroffene nach seiner Einlassung eingenommen hat, verfälscht worden ist oder sein kann und/oder, dass während des Messvorgangs die so genannte Kontrollzeit nicht eingehalten worden ist, ist dann die Messung insgesamt unverwertbar und kann nicht etwa mit einem erhöhten Sicherheitsabschlag verwertet werden (BGHSt 46, 358 = NZV 2001, 267). Das gilt insbesondere auch, wenn die Kontrollzeit nicht eingehalten worden ist (vgl. dazu BayObLG NJW 2005, 232 = NZV 2005, 53 = DAR 2005, 40 = VRS 2005, 108, 42; OLG Dresden NStZ 2004, 352 = BA 2005, 487; vgl. dazu auch OLG Hamm NZV 2005, 109 = VRS 107, 468; VA 2007, 35 = VRR 2007, 70; OLG Bamberg, Beschluss vom 27. November 2007, 2 Ss OWi 1489/07; so auch Maatz BA 2001, 21, 30 ff.; zu allem auch Burhoff in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 2015 f.). Die dem teilweise entgegenstehenden Entscheidungen des OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe NZV 2004, 426 f. = VRS 107, 52 f. = DAR 2004, 466 f. = VA 2004, 120, NJW 2006, 1988 = VA 2006, 140 (Ls.) = NZV 2006, 438 = VRR 2006, 355) betreffen andere Sachverhalte.