Landgericht Magdeburg
Az: 21 Qs 742 Js 45196/07 (30/08)
Beschluss vom 09.05.2008
Vorinstanz: AG Magdeburg, Az.: 17 Cs 3/08
In der Strafsache wegen Trunkenheit im Verkehr hat die 1. Große Strafkammer – Beschwerdekammer – des Landgerichts Magdeburg durch die unterzeichnenden Richter am 9. Mai 2008 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg Strafrichterin – vom 26. März 2008, mit welchem der Einspruch des Angeklagten vom 22. Februar 2008 gegen den Strafbefehl vom 1. Februar 2008 als unzulässig und der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Versäumung der Einspruchsfrist als unbegründet verworfen wurde
aufgehoben.
Die Kosten und notwendigen Auslagen im Beschwerdeverfahren trägt die Landeskasse.
Gründe:
I.
Am 7. Januar 2008 erließ die Strafrichterin bei dem Amtsgericht Magdeburg gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, begangen am Zustand verminderter Schuldfähigkeit und erkannte auf eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10,00 EUR.
Dieser Strafbefehl wurde in der Gemeinschaftsunterkunft in der Windmühlenstraße 29 in 39126 Magdeburg in der Weise zugestellt, dass der Strafbefehl an die Leiterin der Einrichtung, Frau B.… L.…, übergeben wurde, da der Angeklagte bzw. ein Vertretungsberechtigter in der Gemeinschaftseinrichtung nicht erreicht wurde. Diese Ersatzzustellung erfolgte am 6. Februar 2008 um 12.25 Uhr.
Mit Schreiben vom 22. Februar 2008, per Telefax noch am selben Tag bei dem Amtsgericht Magdeburg eingegangen, hat die Verteidigerin Einspruch eingelegt. Mit Verfügung vom 26. Februar 2008 wies die Strafrichterin die Verteidigerin darauf hin, dass der Einspruch verspätet eingelegt worden sei, da von einer Zustellung am 6. Februar 2008 auszugehen sei, der Einspruch mithin spätestens am 20. Februar 2008 bei dem Amtsgericht Magdeburg hätte eingehen müssen.
Hierauf beantragte die Verteidigerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führte zur Begründung aus, dass sich der Angeklagte am 6. Februar 2008 in der Zeit von 12.00 bis 12.30 Uhr in seinem Zimmer aufgehalten habe. Dort habe niemand versucht ihm einen Brief zu übergeben. Er habe den Strafbefehl erst am 8. Februar 2008 erhalten. Ferner versicherte die Verteidigerin anwaltlich, dass sich der Angeklagte in der Woche vom 11. bis 15. Februar 2008 bei der Verteidigerin telefonisch gemeldet habe und ihr gegenüber das Zustellungsdatum 8. Februar 2008 benannt habe.
Da sich der Angeklagte zum Zeitpunkt der Ersatzzustellung in der Gemeinschaftsunterkunft aufgehalten habe, habe die Zustellung direkt an ihn bewirkt werden müssen. Eine Ersatzzustellung sei hiernach nicht in Betracht gekommen. Hiernach sei gemäß § 189 ZPO die Zustellung erst mit Kenntnisnahme am 8. Februar 2008 bewirkt worden. Hieraus folge, dass der Einspruch vom 22. Februar 2008 rechtzeitig eingelegt worden sei.
Dem Wiedereinsetzungsantrag fügte die Verteidigerin eine eidesstattliche Versicherung des Angeklagten bei, in der der Angeklagte den Vortrag seiner Verteidigerin vollumfänglich bestätigt.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 26. März 2008 hat das Amtsgericht Magdeburg den Einspruch des Angeklagten als unzulässig und den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet verworfen. Zur Begründung führte die Strafrichterin aus, dass gegen die Wirksamkeit der erfolgten Ersatzzustellung keine Bedenken bestünden. Es sei daher für die Fristberechnung der Tag der Ersatzzustellung maßgebend.
Gegen diesen der Verteidigerin am 31. März 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde vom 2. April 2008, zu deren Begründung die Verteidigerin erneut vorgetragen hat, dass kein Postzusteller Asylbewerber in der Gemeinschaftsunterkunft persönlich aufsuche, sondern die Post stets bei den Betreuern in der Zentrale oder nach Feierabend an der Wache abgegeben werde. Nach Aufforderung durch die Kammer, den Vortrag mit zulässigen Mitteln glaubhaft zu machen, versicherte die Verteidigerin mit Schriftsatz vom 17. April 2008 anwaltlich, dass sowohl der Zusteller Siret als auch die Angestellte der Gemeinschaftseinrichtung Lemme ihr gegenüber bestätigt hätten, dass der Strafbefehl ohne vorherigen Versuch der persönlichen Aushändigung direkt an die Zeugin L.… übergeben und von dieser erst am 8. Februar 2008 an den Angeklagten ausgehändigt worden sei. Mit weiterem Schriftsatz vom 28. April 2008 hat die Verteidigerin anwaltlich versichert, dass sowohl die Zeugin L.… als auch der Zeuge S.… sich geweigert hätten, die gegenüber der Verteidigerin getätigten Angaben im Rahmen einer eidesstattlichen Versicherung zur Vorlage bei Gericht zu wiederholen. Da weitere Mittel zur Glaubhaftmachung nicht bestünden, sei von einer unverschuldeten Beweismittelnot für den Angeklagten auszugehen.
Die Kammer hat eigene Ermittlungen zur Praxis der Zustellungen in der vom Angeklagten mitbewohnten Gemeinschaftseinrichtung durchgeführt. Im Ergebnis dieser Ermittlungen ist festzustellen, dass Zusteller in der betroffenen Einrichtung nicht die Zimmer der Bewohner aufsuchen, sondern sich alleine auf die Angaben des Personals dazu verlassen, ob sich der Zustellungsempfänger im Zustellungszeitpunkt in der Unterkunft aufhält oder nicht aufhält. Die Mitarbeiterin Sigrid Schwarz hat hierzu erklärt, dass die Auskünfte an die Zusteller entweder aufgrund eigener Nachschau der Mitarbeiter in den Zimmern oder aber aufgrund von Befragungen des Wachpersonals, ob der Empfänger das Haus verlassen habe, erfolgen würden. Erst am 31.03.2008 sei eine neue Handlungsanweisung ergangen, wonach Schriftstücke durch das Personal nur noch entgegengenommen werden dürften, wenn davon auszugehen sei, dass diese noch am selben Tag an den Adressaten ausgehändigt werden könnten. Zuvor sei die Praxis insoweit großzügiger gewesen, als man eine Übergabe an den Adressaten innerhalb einer Woche für möglich gehalten habe. Es werde durch die Einrichtung keine Anwesenheitsliste geführt. Bewohner müssten sich auch nicht abmelden, wenn sie die Unterkunft verließen.
II.
Die statthafte sofortige Beschwerde ist frist- und formgerecht erhoben worden. Sie führt in der Sache zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses.
Nach den nicht zu widerlegenden Angaben des Beschwerdeführers hat sich dieser zum Zeitpunkt der Ersatzzustellung am 06.02.2008 in seinem Zimmer aufgehalten. Der Angeklagte hat seine Angaben zwar nicht glaubhaft gemacht, jedoch war ihm dies aufgrund der erklärten Weigerung der Zeugen S.… und Lemme auch nicht möglich. Es handelt sich insoweit um eine unverschuldete Unmöglichkeit des Angeklagten, der sich zum Zeitpunkt der Ersatzzustellung unwiderleglich alleine in seinem Zimmer aufgehalten hat, zur Glaubhaftmachung. Die eigenen Ermittlungen der Kammer im Freibeweisverfahren haben die schlüssige und erschöpfende Darstellung des Beschwerdeführers jedoch bestätigt. Hiernach ist davon auszugehen, dass die Praxis der Ersatzzustellung ohne vorherige Kontrolle der Anwesenheit des Zustellungsempfängers durch den Zusteller üblich ist. Dem steht auch der Wortlaut der Postzustellungsurkunde nicht entgegen. Hier ist lediglich vermerkt, dass der Zusteller den Angeklagten nicht angetroffen haben will. Dass der Zusteller tatsächlich versucht hätte, den Angeklagten in dessen Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft persönlich anzutreffen, ergibt sich aus der Zustellungsurkunde nicht.
Es ist vielmehr eine leider zu beklagende Erscheinung, dass Zustellungen für die Gerichte durch private Zustelldienste oftmals nicht in ordnungsgemäßer Weise bewirkt werden. Das Gericht hält die Darstellung des Angeklagten für erwiesen, so dass davon auszugehen ist, dass die bewirkte Ersatzzustellung unzulässig war und die Einspruchsfrist mithin erst mit tatsächlicher Kenntnisnahme seitens des Angeklagten zu laufen begann. Dies war vorliegend unwiderleglich der 8. Februar, so dass sich der Einspruch vom 22. Februar 2008 noch als rechtzeitig darstellt. Hiervon ausgehend war für einen Antrag auf Wiedereinsetzung von vornherein kein Raum. Vielmehr ist von einer rechtzeitigen Einspruchseinlegung auszugehen, mit der Folge, dass Hauptverhandlung anzuberaumen ist. Der Beschluss, mit dem der Einspruch des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, war auf die begründete sofortige Beschwerde aufzuheben.
Die Kostenentscheidung rechtfertigt sich aus § 473 StPO.