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Dauerhafte Überlassung einer Wohnung an die Angehörigen – ein Kündigungsgrund?

Landgericht Hamburg

Az.: 316 S 133/98

Verkündet am 05.10.1999


Das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 16 – erkennt auf die mündliche Verhandlung vom 5.10.1999 für Recht:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 20. Juli 1998 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Entscheidungsgründe

Von der Abfassung eines Tatbestandes wird gemäß § 543 I ZPO abgesehen.

Nachdem die ursprünglich Klägerin verstorben ist, wird der Rechtsstreit vom Nachlaßpfleger für die unbekannten Erben fortgeführt. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung von X und Y.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die Beklagten sind nicht zur Räumung und Herausgabe der Wohnung im verpflichtet. Denn sie können dem Anspruch des Klägers aus § 985 BGB ein Recht zum Besitz i. S. v. § 986 I BGB entgegenhalten. Sie bewohnen die Wohnung mit Einverständnis der Mieterin, der Zeugin X deren Mietverhältnis zur Rechtsvorgängerin des Klägers durch die Kündigung vom

24. 11. 1997 nicht beendet wurde.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts läßt sich nicht allein daraus, daß die Zeugin der Kündigung nicht widersprochen hat, herleiten, daß die Kündigung auch wirksam gewesen ist. Eine unwirksame Kündigung erzeugt keine Rechtswirkung, kann folglich auch keine Äußerungspflicht des Erklärungsempfängers begründen(BGH NJW 1981, 43(44)); sein Schweigen kann daher auch nicht als Zustimmung zum Eintritt der Kündigungswirkungen ausgelegt werden. Unabhängig davon hat die Zeugin X bereits dadurch, daß sie mit Anwaltsschreiben vom 21.1.1998 ihre ehemalige Vermieterin zur Beseitigung von Mängeln aufgefordert hat, deutlich zu verstehen gegeben, daß sie die Kündigung für unwirksam hält.

Die Kündigung ist auch materiellrechtlich nicht begründet. Weder die Voraussetzungen des § 553 BGB für eine fristlose, noch die Voraussetzungen des § 564b I Nr. 1 BGB für eine fristgemäße Kündigung sind erfüllt.

Dadurch, daß die Zeugin die Beklagten, ihre Tochter und ihren Enkelsohn, in die Wohnung aufgenommen hat, hat sie keine Vertragswidrigkeit begangen. Es ist in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, daß der Mieter für die Aufnahme von nächsten Familienangehörigen grundsätzlich keiner Erlaubnis bedarf; diese Personen sind nicht Dritte i. S. v. § 549 I Satz 1 BGB (vgl. BayObLG WM 1997, 603(604) mwNw).

Vielmehr greift diese Vorschrift überhaupt nicht ein, wenn es sich um nächste Angehörige handelt (OLG Hamm WM 1997, 364(365)). Die Beklagten sind Angehörige der Zeugin X in diesem Sinne. Angesichts der Größe der Wohnung, die über viereinhalb Zimmer verfügt, stehen einer Aufnahme der Beklagten auch keine anderen Gesichtspunkte entgegen.

Auch der Umstand, daß sich die Zeugin X häufig, möglicherweise auch weit überwiegend, nicht in Hamburg aufhält und in der Wohnung anwesend ist, steht der Zulässigkeit der Aufnahme ihrer Tochter und ihres Enkelkindes nicht entgegen. Soweit in der Rechtsprechung verlangt wird, daß der Mieter und die aufgenommene Person einen gemeinsamen Haushalt führen, der alle Lebensbereiche umfaßt (so LG Cottbus WM 1995, 38 (39); vgl. auch LG Berlin GE 1988, 409), beruht diese Auffassung zum einen auf der unzutreffenden Annahme, auch nahe Familienangehörige seien Dritte i. S. v. § 549 BGB (so LG Cottbus WM 1995, 38(39); AG Schöneberg GE 1989, 1229). Zum anderen handelt es sich um eine sachfremde Erwägung, wenn von den die Wohnung nutzenden Personen eine bestimmte Art der Haushaltsführung verlangt wird, obgleich durch deren Ausgestaltung die Interessen des Vermieters in keiner Weise beeinträchtigt werden können.

Die Kammer vermag auch die Argumentation nicht zu teilen, wonach die vollständige Überlassung auf Dauer an Angehörige deshalb unzulässig sei, weil § 549 I BGB den Vermieter gerade davor schützen wolle, daß er sich de facto einem völlig neuen Vertragspartner ausgesetzt sieht (so LG Frankfurt/Main NJW-RR 1993, 143 im Anschluß ah BayObLG WM 1984, 13; OLG Hamm MDR 1998, 1127(1128)). Ein Vertragspartnerwechsel steht bei der vorliegenden Konstellation nämlich gerade nicht in Rede. Allein entscheidend ist, ob es einen hinreichenden Grund zur Beendigung des Mietverhältnisses wegen vertragswidrigen Verhaltens abgibt, daß der Mieter nahe Angehörige in die Wohnung aufnimmt, obgleich er selbst die Wohnung nur noch gelegentlich nutzt. Darüber hinaus ist es nicht etwa Zweck des § 549 I BGB, den Vermieter vor einem Vertragspartnerwechsel zu schützen, sondern es wird das Interesse des Vermieters geschützt, darüber zu befinden, ob das Mietobjekt, das er dem von ihm ausgewählten Mieter zum vertragsgemäßen Gebrauch überlassen hat, in die Hände Dritter gelangt oder nicht (BGH NJW 195, 2527(2528)). Die Aufnahme naher Angehöriger in die Mietwohnung steht jedoch, da der Vermieter sie ohnehin zu dulden hat, außerhalb seines Einflußbereichs. Auch daraus folgt, daß die Fälle der Gebrauchsüberlassung an Dritte einerseits und an nächste Angehörige andererseits unterschiedlich zu behandeln sind.

Schließlich gebietet es die soziale Wirklichkeit, an die Aufnahme naher Angehöriger in die Wohnung andere Maßstäbe anzulegen, als an die Aufnahme anderer Personen. So ist nicht erkennbar, warum ein älterer Mieter, der beabsichtigt, den weitaus größten Teil des Jahres des besseren Klimas wegen im Süden zu verbringen, hierzu mietvertraglich berechtigt sein sollte, wenn er von vornherein allein lebt, aber eine Vertragswidrigkeit beginge, wenn er vor der Umsetzung seiner Absicht – berechtigterweise – einen nahen Angehörigen in die Wohnung aufnimmt. Ähnlich gestalten sich die Verhältnisse bei dem zur See fahrenden Mieter, der nur selten nach Hause kommt oder bei dem aus beruflichen Gründen längere Zeit im Ausland lebenden Mieter.

Eine Beeinträchtigung der Vermieterbelange kommt nach Auffassung der Kammer folglich erst dann in Betracht, wenn der Mieter den Gewahrsam über die Wohnung vollständig aufgibt und den ihn treffenden Obhutspflichten nicht mehr nachkommt. Dies wäre dann der Fall, wenn er endgültig und auf Dauer aus der Wohnung auszieht und nicht mehr oder nur noch unter Erschwernissen als Ansprechpartner für sich aus dem Vertragsverhältnis ergehenden Fragen zur Verfügung steht, wenn also die gemietete Wohnung den Familienangehörigen zum völlig selbständigen Gebrauch weitergegeben wird (vgl. LG Frankfurt WM 1989, 237).

Daß die Zeugin X in diesem Sinne ihre Bindungen zu der von ihr angemieteten Wohnung aufgegeben hätte, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben. Zwar hat die Zeugin glaubhaft bekundet, die Zeugin X habe ihr gesagt, sie werde ganz nach Mallorca ziehen, während ihre Tochter – die Beklagte zu 1) – in die Wohnung einziehen werde. Allein hieraus läßt sich jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnehmen, daß die Zeugin X auf Dauer und ohne -sei es auch nur zeitweilige – Rückkehrabsicht nach Mallorca verzogen ist. Dagegen spricht, daß die Zeugin X weiter in Hamburg gemeldet war und ist, sich ihr Namensschild an der Tür befindet und sie bereits im Dezember 1997 wieder in Hamburg aufhältlich war. Herbst 1997 nur selten angetroffen hat, ist kein hinreichendes Indiz für einen endgültigen und auf Dauer angelegten Fortzug. Im übrigen ist auch der Zeitraum zwischen dem Einzug der Beklagten und dem Ausspruch der Kündigung zu gering, um hieraus rechtserhebliche Schlußfolgerungen hinsichtlich des Aufenthalts der Zeugin X zu ziehen.

Die Beweisaufnahme hat auch nicht ergeben, daß die Zeugin X sich ihrer vertraglichen Verantwortung für die Wohnung hätte entziehen wollen. So geht aus der Aussage der Zeugin hervor, daß Frau C auf Telefonate nach Mallorca wegen Lärmstörungen, die von dem Beklagten zu 2) in der Wohnung ausgegangen seien, ihren Einfluß geltend gemacht und danach Ruhe geherrscht habe. D aß die Zeugin X angesichts des Wasserschadens an die Beklagte zu 1) verwies, liegt angesichts dessen, daß ihre konkreten Einflussmöglichkeiten von Mallorca aus gering gewesen sind, ebenso nahe wie ihr Ansinnen im Schreiben vom 21.1.1998, sich wegen einer Terminsabsprache zur Beseitigung der Wasserschäden an die Beklagte zu 1) zu wenden. In beiden Fällen ist die Zeugin den sie treffenden Obhutspflichten nachgekommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 911 ZPO.

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