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Überschreitung Gutachtenauftrags – Besorgnis der Befangenheit

OLG Frankfurt am Main – Az.: 17 W 3/22 – Beschluss vom 28.04.2022

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 27.625,00 €.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Antrags, den Sachverständigen A wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Der Antragsteller will mit dem selbständigen Beweisverfahren klären lassen, ob aufgrund eines behandlungsfehlerhaften Verhaltens (falsche Befunderhebung und weitere Behandlung) der bei der Beklagten angestellten Ärzte materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche sowie die Feststellung weiterer Schäden gemäß §§ 630a, 278, 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, Abs. 2, 831, 253 BGB, 223 Abs. 1, 229 StGB in Betracht kommen.

Der Antragsteller verweilte in Zeit vom 26. bis 30. November 201X stationär in der Klinik der Beklagten. Die notärztliche Zuweisung beruhte auf einer Dyspnoe und stärksten rechtsseitigen, atemabhängigen und bereits durch leichten Druck auslösbaren thorakalen Schmerzen. Röntgen und CT Thorax erfolgten am Aufnahmetag. Die Entlassung erfolgte ohne weitere Bildgebung und/oder Sonographie mit der Beurteilung eines Infiltrats im rechten Unterlappen mit angrenzendem schmalen Begleiterguss (vorläufiger Entlassungsbrief vom 30. November 201X, Bl. 15-17 d. A.; Röntgen und CT – Befunde vom 26. November 201X, Bl. 62-65 d. A.). Es schlossen sich weitere anlassbezogene stationäre und ambulante Behandlungen des Antragstellers in der B Klinik in Stadt1 in der Zeit vom 7. Dezember 201X bis Mai 201Y (Arztberichte Bl. 20-28 d. A.) und der C Klinik in Stadt2 vom 11. Juni bis November 201Y an (Arztberichte Bl. 29-33 d. A.), wobei abschließend dort u. a. eine Pleuraverschwartung rechts bei Zustand nach rechtsseitiger Pleuropneumonie 11-12/201X diagnostiziert wurde.

Das Landgericht hat im Wesentlichen antragsgemäß am 2. Oktober 2020 einen Beweisbeschluss unter Einbindung der Behauptungen der Antragsgegnerin gefasst (Bl. 84-86 d. A.) und ergänzend – wohl nach Maßgabe des Vorschlags der LÄK bei der Gutachterbenennung – beschlossen, dass der Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie, A, und der Facharzt für Radiologie, E, zu Sachverständigen „für das in dem Beweisbeschluss vom 02.10.2020 vorgesehene Gutachten ernannt“ werden. A hat das von dem Landgericht angeforderte Gutachten mit umfassender Beantwortung der Beweisfragen am 18. November 2021 erstattet (Bl. 130-133 d. A.). Gemäß Verfügung vom 2. Dezember 2021 hat das Landgericht den Parteien mitgeteilt, dass die Erstattung des „radiologischen Zusatzgutachtens“ noch ausstehe. Dies setze die „vorherige Einholung des ersten Gutachtens voraus“.

Nach der Übermittlung des Gutachtens von A an den Antragsteller hat er im Schriftsatz vom 1. Dezember 2021 gerügt, der Sachverständige habe durch Beantwortung der Beweisfragen 2, 6, 7 und 8 den ihm erteilten Gutachtensauftrag überschritten. Mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2021 hat der Antragsteller den Sachverständigen deshalb wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, weil eine „glatte Überschreitung“ des Gutachtenauftrags und eine Vorbeurteilung und die Anmaßung einer Überkompetenz durch den Sachverständigen erfolgt sei. Der Sachverständige hat sich hierzu mit Schreiben vom 4. Januar 2022 (Bl. 198 d. A.) geäußert.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss das Befangenheitsgesuch zurückgewiesen, weil die Klärung der Beweisfragen durch ein internistisch/pneumologisch-radiologisches Zusammenhanggutachten erfolgen solle und (auch) mit Blick auf die Beantwortung der Beweisfrage 2 eine fachspezifische Betrachtung veranlasst sei.

Hiergeben wendet sich die sofortige Beschwerde unter Wiederholung der bereits angeführten, nach Ansicht des Antragsstellers die Besorgnis der Befangenheit tragenden Umstände. Das Landgericht habe sich damit nicht erschöpfend befasst.

Die Antragsgegnerin ist dem Rechtsmittel unter Verweis auf den angefochtenen Beschluss entgegengetreten.

II.

Die sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist daher zurückzuweisen. Das Landgericht geht zu Recht davon aus, Gründe, die für den Antragsteller die Besorgnis der Befangenheit in der Person des Sachverständigen gemäß § 406 Abs. 1 i. V. m. § 42 Abs.2 ZPO hervorrufen könnten, lägen nicht vor.

Das Ablehnungsgesuch ist rechtzeitig innerhalb der dem Antragsteller gemäß § 411 ZPO gewährten Frist zur Stellungnahme auf das Gutachten angebracht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2005 – VI ZB 74/04 -, Rn. 11 f., juris).

Ein Sachverständiger kann abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe vorliegen, die vom Standpunkt einer vernünftigen Partei aus geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu wecken. Es ist unerheblich, ob der gerichtlich beauftragte Sachverständige tatsächlich parteilich ist oder ob das Gericht etwa Zweifel an dessen Unparteilichkeit hegt. Es ist allein maßgeblich, ob für die das Ablehnungsgesuch stellende Partei der Anschein einer nicht vollständigen Unvoreingenommenheit und Objektivität besteht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – X ZR 100/05 -, Rn. 5, juris), wobei mehrere Gründe, die für sich genommen eine Besorgnis der Befangenheit nicht zu rechtfertigen vermögen, in ihrer Gesamtheit die notwendige Überzeugung vermitteln können (vgl. OLG München, Beschluss vom 4. Juli 2005 – 1 W 1010/05 -, Rn. 11, juris; Huber: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., Rn. 4, § 406 ZPO).

In diesem Zusammenhang können Negativäußerungen über eine Prozesspartei die Voreingenommenheit begründen (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1981 – IVa ZR 108/80 -, Rn. 19, juris); ebenso können einzelfallbezogen das Überschreiten des Gutachtenauftrags oder eine parteilastige Beweiswürdigung und das Nichtoffenbaren herangezogener Beweisunterlagen zu einer Voreingenommenheit beitragen (vgl. i. e. Scheuch in: BeckOK ZPO, Stand 1. März 2022, Rn. 24.2 f., § 406 ZPO m. w. N.).

Ob die Überschreitung eines Gutachterauftrags geeignet ist, bei einer Partei bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen hervorzurufen, ist einer schematischen Betrachtungsweise nicht zugänglich, sondern kann nur auf Grund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2013 – VII ZB 32/12 -, Rn. 13, juris mwN), wobei der dem Sachverständigen erteilte Gutachtenauftrag und der damit zusammenhängende Beweisbeschluss dahin zu bewerten sind, ob mit der Beantwortung der Beweisfragen aus Sicht der verständigen Partei bereits eine offensichtliche und ohne Weiteres erkennbare Überschreitung des Beweisthemas durch den Sachverständigen einhergeht (vgl. ähnlich OLG Karlsruhe, Beschluss vom 4. September 2013 – 9 W 21/13, Rn. 24f., juris; OLG Bremen, Beschluss vom 11. August 2014 – 5 W 26/14 -, Rn. 2f., juris).

Gemessen daran liegen für den Antragsteller in der Person des Sachverständigen keine Gründe vor, die Anlass zur Besorgnis der Befangenheit bieten.

Der der Begutachtung zugrundeliegende Beweisbeschluss gibt den betrauten Sachverständigen keine Vorgabe, welche Beweisthemen etwa exklusiv durch sie in dem Gutachten behandelt werden sollen. Es kann aus dem maßgeblichen Beweisbeschluss zudem nicht entnommen werden, dass sich die später bestellten Sachverständigen im Sinne eines internistisch/pneumologisch-radiologischen Zusammenhanggutachtens zu den Beweisfragen äußern sollten, sei es in einem unter den Sachverständigen abgesprochenen Gutachten oder sukzessiv unter Vernachlässigung der Reihenfolge, weil eine solche in dem Beweisbeschluss und auch dem Gutachtenauftrag nicht eindeutig vorgegeben war, was der Antragsteller in der Stellungnahme vom 6. Januar 2022 insoweit berechtigt aufgreift.

Für den Sachverständigen A musste sich ein beweisthemenbeschränkter Gutachtenauftrag zudem nicht aufdrängen, wie das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss mit Blick auf das Beweisthema 2 zutreffend ausgeführt hat und worauf der Sachverständige in der Stellungnahme zu dem Antrag, ihn wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, hingewiesen hat. Die Fragestellung, ob „das Thorax-CT des Antragstellers vom 26.11.201X von den Ärzten der Antragsgegnerin fehlerhaft bewertet“ wurde, richtet sich jedenfalls nicht von vorneherein ausschließbar auch den sachverständigen Pneumologen, weil es diesem obliegt, die weitere Behandlung daran auszurichten. Damit einher geht selbstverständlich die Beurteilung des Bildbefundes durch diesen selbst, mag eine begleitende Einschätzung durch den radiologischen Sachverständigen (auch) gewollt sein.

Das Landgericht geht in der angefochtenen Entscheidung schließlich zutreffend davon aus, dass mit Blick auf die Beweisthemen 6, 7 und 8 des Beweisbeschlusses eine spezifisch radiologische Bewertung nicht veranlasst war.

Die Beweisthemen 6 und 8 befassen sich mit der Nichtdurchführung einer „Kontroll-CT“ vor der Entlassung mit der Folge des Übersehens des Pleuraergusses; das Beweisthema 7 erfasst die Nichtdurchführung einer Sonograhie. Hierüber hatte sich jedenfalls auch der Sachverständige A zu äußern, nachdem die am 26. November 201X durchgeführte Tomographie einen schmalen Begleiterguss und eine Pneumonie ergeben hatte. Die Einschätzung des Behandlungsverlaufs und die zu dessen Verifizierung zu ergreifenden Maßnahmen muss notwendigerweise ex ante durch den Facharzt erfolgen. Ob der (erhobene) radiologische Befund aussagekräftig wäre, kann (begleitend) der Beurteilung eines Radiologen unterstellt werden, wobei sich dies für den Senat vorliegend indessen nicht aufdrängt.

Soweit bei wohlwollender Auslegung des Befangenheitsgesuchs der Antragsteller den Gutachteninhalt als oberflächlich, weil kurzgutachterlich begreift, so dass das Gutachten (jedenfalls in der Gesamtbetrachtung) nicht verwertbar sei, vermögen diese Umstände die Besorgnis der Befangenheit auch in einer Gesamtschau nicht zu begründen.

Die Besorgnis der Befangenheit wird mit Blick darauf auf Umstände gestützt, die ihre Ursache in einer Auseinandersetzung mit dem sachlichen Inhalt des Gutachtens haben. Der Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehler können das Gutachten entwerten, rechtfertigen für sich genommen indessen nicht die Besorgnis der Befangenheit bei dem Antragsteller. Wenn der Antragsteller moniert, der Sachverständige habe sich die Bewertung fachfremder Themen angemaßt, wirft er dem Sachverständigen eine unzureichende Sorgfalt bei der Begutachtung vor. Dieser Vorwurf vermag aber vorliegend nicht die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, weil er nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2005 – VI ZB 74/04 -, Rn. 14, juris). Dem damit erhobenen Vorwurf der mangelnden Sorgfalt sehen sich nämlich grundsätzlich beide Prozessparteien in gleicher Weise ausgesetzt. Sowohl dem Gericht als auch den Parteien wird mittels der mündlichen Erläuterung des Gutachtens gemäß § 411 Abs. 3 ZPO – was der Antragsteller beantragt hat – oder der Neubegutachtung gemäß § 412 ZPO die Möglichkeit eröffnet, etwaige Mängel in dem Gutachten zu beseitigen und auf ein Gutachten hinzuwirken, das als Entscheidungsgrundlage dienen kann (vgl. BGH, aaO).

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Der Gegenstandswert der Beschwerde wird auf 27.625,00 € festgesetzt.

Der Senat geht regelmäßig – so auch hier – davon aus, dass das Interesse an der Ablehnung des Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit mit einem Drittel des Streitwerts der Hauptsache sachgerecht abgebildet wird, §§ 47, 48 GKG, 3 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2003 – II ZB 32/03 -, unter Ziff. 4., BeckRS 2004, 1738). Der Antragsteller hat den Gegenstandswert des selbständigen Beweisverfahrens mit vorläufig 82.875,00 € angegeben, hieran hat sich der Senat orientiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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