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Übertragung der Entscheidungsbefugnis einer Corona-Schutzimpfung auf einen Elternteil

Amtsgericht überträgt Entscheidungsbefugnis zur Corona-Impfung auf den Kindesvater.

Eine nicht verheiratete Mutter und ein Vater, die gemeinsames Sorgerecht für ihren Sohn haben, streiten darüber, ob ihr 2009 geborener Sohn gegen das Corona-Virus geimpft werden soll. Die Mutter hat die Impfung abgelehnt, während der Vater dafür ist. Der Fall landete vor Gericht, und das Amtsgericht hat nun dem Kindesvater die Entscheidungsbefugnis übertragen. Die Mutter hatte argumentiert, dass die mRNA-Impfstoffe nur bedingt zugelassen seien und die Langzeitwirkungen unklar seien. Sie verwies auch darauf, dass ihr Sohn infolge seiner Multi-Allergien und Autoimmunerkrankungen impfunfähig sei. Der Kindesvater und die vom Gericht bestellten Vertreter von Jugendamt und Verfahrensbeistand argumentierten jedoch, dass die Impfung das Kindeswohl am besten schütze und von den langjährig behandelnden Ärzten empfohlen werde. Das Amtsgericht entschied, dass der Kindesvater im Hinblick auf die Impfung das bessere Konzept verfolgt, das auf den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) basiert. Es betonte, dass die Entscheidung dem Kindeswohl dienen müsse und dass es nicht angemessen sei, die Entscheidung auf die Schultern eines zwölfjährigen Kindes abzuladen, das völlig verunsichert sei.

Das Amtsgericht hat einem Vater das Entscheidungsrecht über eine COVID-19-Impfung seines Kindes übertragen. Das Gericht bezieht sich auf die Empfehlungen der STIKO und SI-RL, um eine Entscheidung zu treffen. Die STIKO empfiehlt eine COVID-19-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren, unabhängig von Vorerkrankungen. Das Gericht entschied, dass es letztendlich in der Verantwortung des Arztes liegt, der die Impfung durchführt, die spezifischen Impfrisiken für das Kind aufgrund von Vorerkrankungen zu berücksichtigen. Das Gericht betonte auch, dass das betroffene Kind nicht in der Lage sei, die Bedeutung und Tragweite der ärztlichen Behandlung zu verstehen. Es wurde keine Änderung der Sachlage erwartet und die Kosten wurden dem unterlegenen Elternteil auferlegt.

OLG Frankfurt – Az.: 6 UF 134/22 – Beschluss vom 30.08.2022

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Übertragung der Entscheidungsbefugnis einer Corona-Schutzimpfung auf einen Elternteil
Kindesvater erhält Entscheidungsbefugnis für Corona-Impfung seines Sohnes. Amtsgericht stützt sich auf Empfehlungen der STIKO und betont das Kindeswohl. Mutter hatte Impfung abgelehnt, während Vater dafür war. Gericht entschied, dass Arzt Impfrisiken berücksichtigen müsse. (Symbolfoto: Ira Lichi/Shutterstock.com)

Die nicht miteinander verheirateten Eltern, welche das gemeinsame Sorgerecht für ihren am XX.XX.2009 geborenen Sohn A ausüben, streiten darüber, ob ihr gemeinsamer Sohn gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 geimpft werden soll. A lebt im Haushalt der Beschwerdeführerin.

Das betroffene Kind ist am 20.12.2021 an SARS-CoV-2 erkrankt, die Erkrankung verlief bei ihm mit milden Symptomen. Eine zunächst für den XX.XX.2022 geplante Impfung des Kindes beim Kinderarzt musste abgesagt werden, da die Beschwerdeführerin dieser nicht zugestimmt hat.

Der Antragsteller und Kindesvater befürwortet die Impfung des gemeinsamen Sohnes.

Er hat mit Schriftsatz vom 31.03.2022 beantragt, ihm die alleinige Befugnis zur Entscheidung über die Impfung seines Sohnes zu übertragen. Zur Begründung verweist er darauf, dass der Kinderarzt die Impfung empfehle und A selbst in seinem Gespräch mit dem Kinderarzt seine Zustimmung erklärt habe. Auch die behandelnde Allergologin empfehle die Impfung unbedingt.

Die Kindesmutter ist der Impfung ihres Sohnes entgegengetreten. Sie verweist darauf, dass bei einer erneuten Infektion von einem milden Verlauf bzw. einem Verlauf ohne Krankheitssymptome auszugehen sei. A sei infolge der natürlichen Infektion nach wie vor immunisiert. Nach ihrer Einschätzung seien aufgrund der nur bedingten Zulassung der mRNA-Impfstoffe langfristige Impffolgen in Studien noch gar nicht erfasst, es handele sich um eine experimentelle Gentherapie. Es bestehe die Gefahr, dass die Impfung zu einer Myokarditis führe. A dürfe wegen vorliegender Kontraindikationen nicht gegen Covid-19 und nicht gegen eine andere Krankheit geimpft werden, er sei impfunfähig. Er leide seit frühester Kindheit an einer Vielzahl von Allergien und an einer Autoimmunerkrankung (Neurodermitis). Schon nach der ersten Kinderimpfung sei es zu einer akuten Impfreaktion mit Fieberschüben und Unruhe gekommen.

Das Amtsgericht hat die Stellungnahme eines Verfahrensbeistandes eingeholt. Dieser hat in seinem Bericht vom 20.06.2022 unter anderem ausgeführt, dass A ihm gegenüber erklärt habe, verunsichert zu sein. Er wisse nicht, welchen Argumenten er Glauben schenken solle.

Das Amtsgericht hat A am 23.06.2022 im Beisein des Verfahrensbeistands persönlich angehört. A hat dabei erklärt, dass er wohl nicht geimpft werden möchte. Er habe mit seinem Kinderarzt über die Vor- und Nachteile der Impfung gesprochen, dieser habe ihn auch über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt. Danach sei er total verunsichert gewesen. Mittlerweile habe er sich doch eher eine Meinung gebildet und möchte selbst wohl nicht geimpft werden.

Zur jeweiligen weiteren erstinstanzlich vorgebrachten Argumentation der Kindeseltern und zur Sachverhaltsdarstellung im Übrigen wird auf die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Das Amtsgericht hat dem Kindesvater mit Beschluss vom 24.06.2022 die Entscheidungsbefugnis über die Zustimmung zu einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-19 gemäß § 1628 Abs. 1 BGB antragsgemäß übertragen und den Antrag der Mutter zugleich zurückgewiesen. Der Kindesvater verfolge im Hinblick auf die Impfung das für das Kindeswohl bessere Konzept. Er orientiere sich an den Empfehlungen der STIKO und der das Kind langjährig behandelnden Ärzte, dem Kinderarzt B und der Allergologin C. Die Mutter hingegen berufe sich auf ein Attest des Arztes D, der A erst zweimal gesehen habe, dem noch nicht einmal eine Diagnose entnommen werden könne. Der Vortrag der Kindesmutter, bei dem Kind bestehe möglicherweise eine der Impffähigkeit entgegenstehende Allergie oder Autoimmunerkrankung führe nicht dazu, dass die Impffähigkeit des Kindes im hiesigen Verfahren zu überprüfen sei. Vielmehr gehöre die Prüfung der Impffähigkeit zu den ärztlichen Pflichten vor der Vergabe der jeweiligen Impfung, ebenso eine Aufklärung über Kontraindikationen. Der Sorge der Mutter um die körperliche Unversehrtheit des Kindes im Hinblick auf den Impfvorgang werde durch eine den Empfehlungen der STIKO entsprechenden Behandlung aufgegriffen. Für den Impfvorgang sei eine am Kindeswohl orientierte Vorgehensweise mit im Einzelnen dargestellten Handlungsvorschlägen empfohlen.

Die Mutter könne nicht damit durchdringen, dass der entgegenstehende Wille des Kindes eine Impfung ausschließen würde. A sei zwar sicherlich altersgemäß entwickelt, aber nicht einwilligungsfähig in Bezug auf die Impfung, da er durch die Positionen der Eltern völlig verunsichert sei. Auf der Basis seiner Angaben sei eine verantwortungsbewusste Abwägung zwischen Chancen und Risiken überhaupt nicht möglich, bei ihm dominiere lediglich ein Angstgefühl und ein Gefühl der Verunsicherung im Zusammenhang mit der Impfung. Es wäre schließlich auch unangebracht, die Entscheidung über eine durchzuführende Impfung auf den Schultern eines 12-jährigen Kindes abzuladen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter. Sie macht geltend, die angefochtene Entscheidung entspreche nicht dem Kindeswohl. Eine gerichtliche Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil könne nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 03.05.2017 nur dann erfolgen, wenn es sich um eine Standard- oder Routineimpfung handele und bei dem Kind keine besondere Impfrisiken vorlägen, was beides bei A nicht zutreffe. Bei den auf dem Markt befindlichen Covid-Impfstoffen handele es sich nicht um Standardimpfungen mit einer standardmäßig vollständigen regulären Zulassung, sondern nur um bedingte – mit Auflagen verbunden – zugelassene Impfstoffe. Es könne nicht darauf abgestellt werden, dass der Vater, der A der STIKO-Empfehlung folgend impfen lassen würde, dem Wohl des Kindes besser gerecht werde. Der Vater leugne mögliche Neben- und Langzeitwirkungen einer Impfung. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Vater die benannten Impfrisiken nicht mit der gebotenen elterlichen Abwägung betrachte. Deshalb sei auch zu befürchten, dass der Kindesvater beim impfenden Arzt sicher nicht die vollständige Krankengeschichte darlegen werde, so dass dieser die Beurteilung der Impffähigkeit überhaupt nicht leisten könne. Unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vorbringens verweist sie darauf, dass A impfunfähig sei. Die Mutter meint, dass in Fällen, in denen eine Kontraindikation bezüglich einer Schutzimpfung vorliege, das Gericht im Wege des Amtsermittlungsgrundsatzes die Impffähigkeit des Kindes aufklären müsse, wenn eine Entscheidung pro Impfung erfolgen solle. Schließlich sei As Entscheidung zu respektieren. Er habe sich sehr genau über Vorteile und möglichen Risiken der Impfung informiert und diese im Ergebnis kraft seines natürlichen Willens abgelehnt. Dies habe die Anhörung durch Gericht sowie die Befragung durch den Verfahrensbeistand eindeutig ergeben.

Zur weiteren Begründung ihrer Beschwerde hat die Mutter einen ärztlichen Befund des Arztes D vom 18.07.2022 vorgelegt. Danach leide A an multiplen Allergien (Pollen, Staub, Tierhaare, Fisch- und Schalentiere, Hasel- und Walnüsse, diverse körperfremde Eiweiße, Erdnüsse, Kernobst, …). Es bestehe aufgrund As Vorgeschichte ein stark erhöhtes Risiko für akute auch längerfristige allergische Nebenwirkungen, was vor der Impfung durch einen Allergietest auf die Inhaltsstoffe der mRNA-Impfstoffe überprüft werden müsse. Der Verdacht eines Impfschadens nach Impfungen in den Jahren 2010 und 2014 stehe im Raum und werde derzeit beim hessischen Amts für Versorgung geprüft. Als Arzt erkläre er A, solange bis alle offenen Fragen geklärt seien, für impfunfähig, um Schaden von ihm abzuwenden.

Der Kindesvater verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Er verweist unter anderem darauf, dass sowohl die beiden langjährig behandelnden Ärzte, der Kinderarzt B und die Allergologin C, uneingeschränkt die Impfung empfehlen, wohingegen der von der Mutter benannte Arzt weder Kinderarzt noch Spezialist auf dem Gebiet der Allergien sei.

Auch der Verfahrensbeistand und das Jugendamt verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung.

II.

Die statthafte und zulässige (§§ 58 ff. FamFG), insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, ist unbegründet.

Nach § 1628 S. 1 BGB kann das Familiengericht, wenn sich die Eltern bei gemeinsamer elterlicher Sorge in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen können, auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Abs. 1 BGB (BGH, Beschluss vom 03. Mai 2017 – XII ZB 157/16 -, Rn. 17, beck-online; OLG Frankfurt, Beschluss vom 04. September 2015 – 6 UF 150/15 -, Rn. 8, beck-online).

Die aufgrund des § 1628 BGB zu treffende Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697 a BGB nach dem Kindeswohl. Bei der Übertragung der elterlichen Entscheidungsbefugnis trifft das Familiengericht keine eigene Sachentscheidung, sondern prüft nur, welche Auffassung welchen Elternteils dem Kindeswohl am besten entspricht (Amend-Traut, in: BeckOGK, 01.05.2022, BGB § 1628 Rn. 58). Die Entscheidungskompetenz ist dabei dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Ob und inwiefern das Kindeswohl berührt ist, ist nach der Eigenart der zu regelnden Angelegenheit zu beurteilen, aus der sich auch die konkreten Anforderungen an die für die Entscheidung nach § 1628 BGB zu treffende Prüfung ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 – XII ZB 157/16 -, Rn. 14 f. m.w.N.). Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt (vgl. BGH, wie vor, Rn. 15).

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Bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis über Schutzimpfungen nach § 1628 Abs. 1 BGB auf einen Elternteil kann grundsätzlich maßgeblich darauf abgestellt werden, dass ein Elternteil Impfungen offen gegenübersteht und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert, ohne dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf, wenn im Einzelfall kein Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht (vgl. BGH, wie vor, Rn. 22; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. April 2018 – 9 UF 77/18 – Rn. 18 ff., beck-online).

Dass das Amtsgericht unter Anwendung dieser Grundsätze die elterliche Entscheidungsbefugnis für die Zustimmung zur Schutzimpfung des Kindes gegen das Corona Virus SARS-CoV-2 auf den Kindesvater übertragen hat, ist nach der hierfür maßgebenden Vorschrift des § 1628 S. 1 BGB gerechtfertigt.

Entgegen der Ansicht der Beschwerde setzt die Übertragung der Entscheidungsbefugnis für eine Impfung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht voraus, dass es sich dabei um eine Standardimpfung handeln muss. Die von der Mutter vorgenommene Differenzierung zwischen Impfstoffen mit einer standardmäßig vollständigen regulären Zulassung und solchen mit einer nur bedingten – mit Auflagen verbunden – Zulassung ist der zitierten Entscheidung vom 03.05.2017 nicht zu entnehmen. Zwar heißt es in den Leitsätzen, auf die die Mutter in ihrer Argumentation abstellt: Die Schutzimpfung eines Kindes ist auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn es sich um eine sogenannte Standard- oder Routineimpfung handelt. Damit differenziert der BGH jedoch nicht zwischen Impfungen mit standardmäßig vollständig regulärer Zulassung und solchen – wie die Beschwerde meint – mit bedingter und nur mit Auflagen verbundener Zulassung. Der Leitsatz und die Entscheidungsgründe sind unmissverständlich dahingehend zu verstehen, dass auch (routinemäßige) Schutzimpfungen oder Standardimpfungen als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne von § 1628 BGB gelten (BGH, Beschluss vom 3.5.2017 – XII ZB 157/16, Rn. 16 beck-online). Dem Leitsatz liegt damit die Abgrenzungsfrage zugrunde, ob § 1628 BGB auch bei Schutz-/Standardimpfungen überhaupt anwendbar ist, mithin welche Angelegenheiten zu den alltäglichen Geschäften des Lebens oder zu denjenigen Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung zählen.

Das Amtsgericht hat dem Kindesvater zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen die Entscheidungsbefugnis übertragen und dabei ausgeführt, dass für die erforderliche Kindeswohlprüfung und Bewertung der beabsichtigten Entscheidung des Elternteils grundsätzlich auf die bekannten und veröffentlichten Erfahrungssätze der STIKO verwiesen werden kann. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass eine an den Empfehlungen der STIKO orientierte Entscheidung des Kindesvaters über vorzunehmende Impfungen im Ausgangspunkt das für das Kindeswohl bessere Konzept im Sinne der Rechtsprechung darstellt. Im Hinblick auf eine grundsätzliche Abwägung zwischen Risiken im Fall einer Impfung und Risiken bei unterbleibender Impfung kann die Entscheidung grundsätzlich auf den Elternteil übertragen werden, der diesbezüglich den fachlichen Empfehlungen der STIKO folgt, denen insoweit die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommt (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 09. Juli 2009 – 10 S 3385/08 -, Rn. 23).

Vorliegend besteht eine Empfehlung der STIKO für eine COVID-19 Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty als Indikationsimpfung für Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren, unabhängig davon ob sie aufgrund von Vorerkrankungen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19 Erkrankung haben.

Es liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, die Richtigkeit der Feststellungen dieser auf Sachverständigenerkenntnissen hierfür eingesetzten Expertenkommission in Zweifel zu ziehen. Dafür genügt auch der zuletzt vorgelegte ärztliche Befund des Arztes D nicht.

Soweit die Beschwerde unter Verweis auf dessen Befund einwendet, das Gericht habe zu den behaupteten Tatsachen und Risiken der Impfung, insbesondere zur Impffähigkeit des betroffenen Kindes, ein Sachverständigengutachten einzuholen, kann sie nicht durchdringen. Denn wie der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 08.03.2021 im Verfahren 6 UF 3/21 ausgeführt hat, liegt es, ausgehend von der Impfempfehlung der STIKO, letztendlich alleine in der Verantwortung der Ärzte, die die Impfungen durchführen, die konkreten Impfrisiken für das Kind in Anbetracht der Vorerkrankungen zu berücksichtigen und dementsprechend die Impfung durchzuführen oder nicht. Daran hält der Senat fest. Auch im vorliegenden Fall bestehen deshalb keine Anhaltspunkte zu überprüfen, ob bei dem betroffenen Kind eine grundlegende gesundheitliche Disposition besteht, die es erforderlich macht, zunächst die Impffähigkeit des Kindes allgemein, unabhängig von einer konkreten Impfung gegen einzelne Erkrankungen, zu überprüfen, bevor darüber entschieden wird, welchem Elternteil die Entscheidungskompetenz übertragen wird. Der Senat hat wie eingangs ausgeführt, keine Befugnis zur eigenen Sachentscheidung, sondern kann nur die Entscheidungskompetenz einem der beiden Elternteile übertragen. Deshalb hat der Senat im vorliegenden Fall nicht darüber zu befinden, ob die Impfung des betroffenen Kindes gegen COVID-19 geboten, zweckmäßig, nicht sinnvoll oder gefährlich ist. Die Einholung eines Gutachtens zu der Frage, ob A aufgrund bestehender Vorerkrankungen impfunfähig ist, ist somit entbehrlich.

Etwas anderes gilt auch nicht etwa deshalb, weil die COVID-19-Impfung noch keine langjährig bewährte Standardimpfung darstellt (so auch OLG München, Beschluss vom 18.10.2021 – 26 UF 928/21 – und OLG Rostock, Beschluss vom 10.12.2021 – 10 UF 121/21 -, beck-online). Auch bei der COVID-19 Impfung hat die Expertenkommission der STIKO eine sorgfältige Abwägung von deren Nutzen und Risiken für die Gruppe der zwölf bis siebzehnjährigen Kinder und Jugendlichen vorgenommen, die fortlaufend aktualisiert wird. Mit der 21. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung vom 18.08.2022 spricht die STIKO nach wissenschaftlich begründeter Abwägung von Nutzen und Risiken für alle Kinder und Jugendlichen im Alter von zwölf bis siebzehn Jahren eine generelle Impfempfehlung (Grundimmunisierung und 1. Auffrischungsimpfung) des mRNA-Impfstoffes Comirnaty aus (vgl. STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung, Aktualisierung vom 18.08.2022, Epidemiologisches Bulletin des RKI 33/2022, Seite 8 ff.). Nach den Empfehlungen der STIKO ist vorgesehen, dass eine Impfung bei vorliegenden Kontraindikationen (Gegenanzeigen, die die Behandlung verbieten oder nur nach strenger Abwägung denkbar erscheinen lassen) nicht erfolgen kann (vgl. Ziff. 4.7 der in älterer Fassung im erstinstanzlichen Verfahren bereits zitierten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut 2020/2021, Epidemiologisches Bulletin Nr. 34/2020 vom 20. August 2020). Auch nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über Schutzimpfungen nach § 20i Absatz 1 des Sozialgesetzbuchs V – gesetzliche Krankenversicherung – in der Fassung vom 21. Juni 2007/18. Oktober 2007 zuletzt geändert am 15. Oktober 2020 (SI-RL, BAnz AT 22.12.2020 – abrufbar unter https://www.g-ba.de/downloads/62-492-2330/SI-RL_2020-10-15_iK-2020-12-23.pdf) müssen Schutzimpfungen nach den Regeln der ärztlichen Kunst und unter Beachtung von Indikationen, Anwendungsvoraussetzungen und Kontraindikationen durchgeführt werden und es sind die Hinweise der STIKO und die jeweiligen Fachinformationen des verwendeten Impfstoffs zu beachten. Die Prüfung der Impffähigkeit im Einzelfall vor der Vergabe der jeweiligen Impfung gehört also zu den ärztlichen Pflichten (Hinweise zur praktischen Umsetzung, Epidemiologisches Bulletin Nr. 46/2021 vom 18. November 2021, S. 15). Auch für die von der Mutter geltend gemachte Immundefizienz wegen einer vorliegenden Autoimmunerkrankung enthalten die Empfehlungen der STIKO Umgangsempfehlungen (vgl. 4.8 der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut 2020/2021, Epidemiologisches Bulletin Nr. 34/2020 vom 20. August 2020). Gleiches gilt bezüglich allergischer Unverträglichkeitsreaktionen. Hier wird zusätzlich auf die Empfehlung zur Coronaimpfung für Allergikerinnen und Allergiker des Paul-Ehrlich-Instituts vom 23.12.2020 verwiesen (Hinweise zur praktischen Umsetzung, Epidemiologisches Bulletin Nr. 46/2021 vom 18. November 2021, S. 18). Danach ergeben sich für den Personenkreis mit nicht-schweren allergischen Reaktionen auf andere Impfstoffe oder Personen mit einer allergischen Reaktion, gleich welchen Schweregrades, auf Medikamente, Nahrungsmittel oder Umweltallergien, auch solcher Erkrankungen aus dem atopisch-allergischen Formenkreis – so die Erkrankung1 – , keine Hinweise, dass dieser Personenkreis ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Wirkungen hätte. Das Robert Koch-Institut hat dabei in enger Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut und den allergologischen Fachgesellschaften Deutschlands ein Flussdiagramm zum empfohlenen Vorgehen bei positiver Allergieanamnese vor einer COVID-19-mRNA-Impfung entwickelt, wonach im Rahmen des Impfaufklärungsgesprächs allergische Vorerkrankungen abzuklären sind. Eine Aufklärung über Kontraindikationen gehört insoweit zu den ärztlichen Pflichten des impfenden Arztes (vgl. Ziff. 4.1 der Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut 2020/2021, Epidemiologisches Bulletin Nr. 34/2020 vom 20. August 2020 und § 7 der SI-RL).

Eine den Empfehlungen der STIKO und SI-RL entsprechende Impfung trägt damit den von der Kindesmutter erhobenen Bedenken hinsichtlich einer Kontraindikation der Impfung aus gesundheitlichen Gründen umfassend Rechnung.

Soweit die Mutter vorbringt, dass der Vater dem impfenden Arzt sicher nicht As vollständige Krankengeschichte darlegen und das anhängige Verfahren beim Versorgungsamt auf Anerkennung eines Impfschadens erwähnen wird, vermag der Senat dieser Argumentation nicht zu folgen. Zum einen hat sich der Vater in der Vergangenheit als verantwortungsvoll im Umgang mit den Allergien des betroffenen Kindes und einer etwaigen Impfung gezeigt. Gemeinsam mit A hat er einen Termin beim Kinderarzt wahrgenommen, damit dieser Gelegenheit erhält, seine Fragen zu stellen. Auch mit der behandelnden Allergologin hat er Kontakt aufgenommen und deren Empfehlung eingeholt. Ein nachvollziehbarer Grund, warum der Vater in der konkreten Impfsituation Vorerkrankungen verschweigen sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Zum anderen kann in Anbetracht der Verunsicherung und der Ängste, die A bezüglich der Impfung zeigt, dass er diese in einem Aufklärungsgespräch selbst ansprechen wird, so wie er dies im Gespräch mit dem Verfahrensbeistand und der gerichtlichen Anhörung auch getan hat.

Einer Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Vater steht auch nicht der Wille des betroffenen Kindes entgegen. Das Amtsgericht ist zutreffend zu der Einschätzung gelangt, dass das betroffene Kind als nicht einwilligungsfähig angesehen werden kann, da es die Bedeutung und Tragweite der ärztlichen Behandlung gerade nicht ausreichend beurteilen kann. Ein Minderjähriger kann in einen ärztlichen Eingriff dann selbst einwilligen, wenn er aufgrund des geistigen und sittlichen Reifegrads in der Lage ist, die Bedeutung des Eingriffs und dessen Schwere und Tragweite zu erkennen. Der Minderjährige muss in der Lage sein, die Bedeutung der erteilten Erlaubnis einzuschätzen. Entscheidend ist die natürliche Einsichtsfähigkeit, wie auch die Regelung des § 630 d BGB zeigt (Thorsten Seebach/Manuela Teubel, in: Grandel/Stockmann, Stichwort Kommentar Familienrecht, Körperliche Eingriffe bei Minderjährigen Rn. 5, beck-online). Dass dem betroffenen Kind die erforderliche Einwilligungsfähigkeit fehlt, zeigt sich schon an seiner schwankenden Einstellung zu einer Impfung, die er in dem Gespräch mit dem Verfahrensbeistand und der gerichtlichen Anhörung offenbarte. In beiden Gesprächen dominierten diffuse Ängste und A war jeweils merklich verunsichert. Seine Äußerung, nicht zu wissen, welchen Argumenten er Glauben schenken soll, belegt, dass ihm das eigene Urteilsvermögen für eine eigenverantwortliche Entscheidung fehlt.

Die Entscheidung über die Beschwerde konnte gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne neuerliche Anhörung der Beteiligten getroffen werden. Das Amtsgericht hat alle erforderlichen Anhörungen durchgeführt. Von einer Wiederholung im Beschwerdeverfahren waren keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten. Es hat sich insbesondere keine Änderung der Sachlage ergeben und es wurden auch keine neuen Tatsachen vorgetragen, zu denen die Beteiligten hätten angehört werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. 7. 2017, XII ZB 350/16, Rn. 19 f.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, von der regelhaft vorgesehenen Überbürdung der Kosten erfolgloser Beschwerden auf den Beschwerdeführer abzusehen.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 40 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 Nr. 2 FamGKG.

Es besteht keine Veranlassung, die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Der Senat wendet die vom BGH in ständiger Rechtsprechung vertretene rechtliche Beurteilung bei Entscheidungen über Impfungen gemäß § 1628 BGB an. Auch für Covid-19-Impfungen gibt es, soweit ersichtlich, keine abweichenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte. Auch ist aus Gründen der Fortentwicklung des Rechts die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht geboten. Fragen, die im Zusammenhang mit Impfungen entsprechend den STIKO Empfehlungen stehen, sind geklärt.

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