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Werbungskosten und Umschulungsmaßnahme – Rechtsprechungsänderung

BUNDESFINANZHOF

Az.: VI R 120/01

Urteil vom 04.12.2002

Vorinstanz: FG Rheinland-Pfalz – Az.: 2 K 1607/99 – Urteil vom 14.08.2001


Leitsatz:

Aufwendungen für eine Umschulungsmaßnahme, die die Grundlage dafür bildet, von einer Berufs- oder Erwerbsart zu einer anderen überzuwechseln, können vorab entstandene Werbungskosten sein (Änderung der Rechtsprechung).


Gründe

I.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden für das Streitjahr 1995 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin erlernte den Beruf der Industriekauffrau und war bis 1977 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Danach war sie nicht mehr berufstätig. In der Zeit vom 2. Februar 1995 bis zum 18. September 1995 nahm sie im Alter von 44 Jahren an einem Lehrgang u.a. an der Fahrlehrerakademie in X, einer amtlich anerkannten Fahrlehrerausbildungsstätte, teil. Die Prüfung als Fahrlehrerin legte sie erfolgreich Ende Oktober 1995 ab. Ab dem 1. November 1995 war sie als angestellte Fahrlehrerin beschäftigt und erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Mittlerweile unterhält sie eine eigene Fahrschule.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte die Klägerin Aufwendungen für die Fahrlehrerausbildung in Höhe von 23 240 DM als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend (z.B. Semester- und Kursgebühren in Höhe von 11 290 DM). Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) sah die Aufwendungen als Berufsausbildungskosten an und ließ diese nur mit dem Höchstbetrag von 900 DM nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als Sonderausgaben zum Abzug zu.

Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage führte die Klägerin aus, sie sei nach ihrer Tätigkeit als Industriekauffrau arbeitslos gewesen. Aufgrund der geänderten Arbeitsmarktsituation sei sie weder in ihrem erlernten Beruf noch als kaufmännische Angestellte zu vermitteln gewesen. Um auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu erhalten, habe sie sich für eine Weiterqualifizierung zur Fahrlehrerin entschieden. Dabei habe sie keine unsichere Einkunftsquelle angestrebt, weil sie sich bereits vor Beginn des Lehrgangs um eine Arbeitsstelle bemüht habe. Die ihr entstandenen –nicht unerheblichen– Aufwendungen seien nur wegen der zu erwartenden Einnahmen sinnvoll und finanzierbar gewesen. Nach Ablegung der Prüfung sei sie unmittelbar als Fahrlehrerin angestellt worden. Eine solche hauptberufliche Fahrlehrertätigkeit sei Voraussetzung für eine Fahrschulerlaubnis und damit für ihre jetzige selbständige Tätigkeit gewesen.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 127 veröffentlichten Gründen statt.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Das FG habe den Begriff der vorab entstandenen Werbungskosten zu weit ausgelegt. Jeder Berufsausbildung liege die Absicht zugrunde, nach deren Abschluss Einkünfte aus der erlernten Tätigkeit zu erzielen. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG wäre damit hinsichtlich der ersten Alternative „Berufsausbildung“ praktisch gegenstandslos. Durch den Lehrgang habe die Klägerin erst das für den zukünftigen Beruf typische Können erworben. Erst durch Bestehen der Fahrlehrerprüfung habe sie die Befähigung erlangt, den Beruf der Fahrlehrerin auszuüben. Die vor Abschluss dieser Ausbildung entstandenen Aufwendungen seien daher Sonderausgaben.

Das FA beantragt, die Klage unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils abzuweisen.

Die Kläger treten der Revision entgegen; sie sind der Ansicht, in Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit und sich ändernder Berufstätigkeiten könne die Unterscheidung zwischen Aus- und Fortbildungskosten nicht mehr undifferenziert aufrechterhalten werden.

II.

Die Revision des FA ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

Das FG hat die Aufwendungen für die Umschulungsmaßnahme der Klägerin zu Recht als vorab entstandene Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt. Diese Aufwendungen sind keine Kosten der Berufsausbildung i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Der erkennende Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung nicht mehr fest.

1. Diese unterschied zwischen den als Werbungskosten abziehbaren Kosten einer Fortbildung in einem bereits ausgeübten Beruf und den als Sonderausgaben begrenzt absetzbaren Kosten einer Ausbildung zu einem künftigen Beruf.

a) Als Fortbildungskosten erkannte der Bundesfinanzhof (BFH) nur Ausgaben an, die ein Steuerpflichtiger tätigt, um in dem ausgeübten Beruf auf dem Laufenden zu bleiben und den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden, sowie Ausgaben, die ein Steuerpflichtiger macht, um sich in dem von ihm ausgeübten Beruf fortzubilden, damit er ohne Wechsel der Berufs- oder Erwerbsart, also ohne Übergang zu einem anderen Beruf, besser vorwärtskommen kann (Urteil vom 7. November 1980 VI R 50/79, BFHE 132, 49, BStBl II 1981, 216).

b) Dagegen nahm der BFH Berufsausbildungskosten bereits dann an, wenn die Aufwendungen dem Ziel dienen, Kenntnisse zu erwerben, die als Grundlage für einen künftigen Beruf notwendig sind oder welche die Grundlage dafür bilden sollen, um von einer Berufs- oder Erwerbsart zu einer anderen überzuwechseln, die also einen Berufswechsel vorbereiten sollen (BFH-Urteil vom 9. März 1979 VI R 141/77, BFHE 127, 210, BStBl II 1979, 337). Derartige Aufwendungen stünden noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang. Ausgaben dieser Art erwüchsen grundsätzlich jedem Steuerpflichtigen; sie gehörten daher zu den Kosten der Lebensführung und seien deshalb nach § 12 Nr. 1 EStG nicht als Werbungskosten abziehbar. Sie seien nur bis zu den gesetzlich vorgesehenen Höchstbeträgen als Sonderausgaben zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 6. November 1992 VI R 12/90, BFHE 169, 436, BStBl II 1993, 108).

Diese Grundsätze gehen letztlich zurück auf die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH), der –ohne weitere Begründung– davon ausging, dass „die Erlangung der für den Lebenskampf notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten grundsätzlich der privaten Lebensführung zugehört, die Aufwendungen hierfür daher nicht abzugsfähig sind“ (RFH-Urteil vom 24. Juni 1937 IV A 20/36, RStBl 1937, 1089, 1090).

c) Im Einzelnen wandte der BFH diese Grundsätze wie folgt an:

aa) Zu den Berufsausbildungskosten gehörten stets die Aufwendungen eines Steuerpflichtigen für ein Erststudium an einer Hochschule (Universität oder Fachhochschule), weil es dem Steuerpflichtigen eine andere (höherrangige) berufliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung eröffne. Ein Hochschulstudium schaffe regelmäßig die Grundlage für eine neue oder andere als die bisherige Lebensgestaltung des Steuerpflichtigen (Grundsatzurteil des BFH vom 16. März 1967 IV R 266/66, BFHE 89, 511, BStBl III 1967, 723). Das akademische Studium müsse einheitlich bewertet werden, da anderenfalls kaum zu bewältigende Abgrenzungsschwierigkeiten entstünden und der Grundsatz der gleichmäßigen Besteuerung gefährdet werde (BFH-Urteile vom 28. September 1984 VI R 44/83, BFHE 142, 262, BStBl II 1985, 94, und vom 17. April 1996 VI R 94/94, BFHE 180, 341, BStBl II 1996, 450; s. auch Schuster in Littmann/Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, 15. Aufl., § 12 EStG Rz. 139). Dies gelte aber nicht für einen Studiengang an einer Akademie oder Fachschule, welcher ohne Verleihung eines akademischen Grades bzw. des Titels „graduiert“ abgeschlossen werde (Urteil vom 23. August 1979 VI R 87/78, BFHE 128, 472, BStBl II 1979, 773).

bb) Bei einem Zweitstudium (Zusatz-, Aufbau- oder Ergänzungsstudium) nahm der BFH Fortbildungskosten an, wenn das Erststudium zu einem Berufsabschluss geführt hatte, es sich bei dem Zweitstudium um ein darauf aufbauendes Zusatzstudium handelte, durch das die im Erststudium erworbenen Erkenntnisse ergänzt und vertieft wurden, und das Zweitstudium keinen Wechsel in eine andere Berufsart eröffnete (BFH-Urteile vom 17. April 1996 VI R 29/94, VI R 2/95, VI R 27/95, VI R 87/95, BFHE 180, 339 ff., BStBl II 1996, 444 ff.). Darüber hinaus wurden Fortbildungskosten dann bejaht, wenn –trotz eines möglichen Wechsels in eine andere Berufsart– die vom Steuerpflichtigen angestrebte Berufstätigkeit gegenüber der bisherigen Berufstätigkeit nur eine „Spezialisierung“ bedeutete (BFH-Urteil vom 8. Mai 1992 VI R 134/88, BFHE 167, 538, BStBl II 1992, 965, zum Zahnmedizinstudium eines Humanmediziners, der Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurg werden wollte; s. auch BFH-Urteil vom 19. Juni 1997 IV R 4/97, BFHE 184, 283, BStBl II 1998, 239, zum Studium der Betriebswirtschaftslehre eines Diplom-Bauingenieurs mit dem Ziel, Projektleiter einer Baufirma zu werden oder eine eigene Baufirma zu gründen).

cc) Ferner sah der BFH als Berufsausbildungskosten die Aufwendungen zum Erwerb von Kenntnissen an, welche die Grundlage dafür bilden sollten, von einer Berufs- oder Erwerbsart zu einer anderen überzuwechseln (Umschulungskosten). Fortbildungskosten wurden nur unter den Voraussetzungen anerkannt, die der BFH zum Zweitstudium entwickelt hatte (BFH-Urteile vom 26. April 1989 VI R 95/85, BFHE 156, 494, BStBl II 1989, 616; vom 24. April 1992 VI R 131/89, BFHE 168, 144, BStBl II 1992, 963; vom 14. April 1993 I R 95/92, BFH/NV 1994, 157; in BFHE 169, 436, BStBl II 1993, 108). Beispielsweise ließ der BFH die Aufwendungen für den Erwerb der Erlaubnis für Berufsflugzeugführer durch einen Flugingenieur zum Werbungskostenabzug zu, weil der Steuerpflichtige bereits eine Berufsausbildung abgeschlossen hatte und kein Wechsel der Berufsart vorlag (BFH-Urteil in BFHE 168, 144, BStBl II 1992, 963). Darüber hinaus beurteilte er die Ausgaben einer Sonderschullehrerin für eine Bildungsmaßnahme als Werbungskosten, weil diese Maßnahme auf einschlägigen Vorkenntnissen aufbaute und zur Qualifikation „klinische Musiktherapeutin“ führte (BFH-Urteil vom 13. Juni 1996 VI R 28/95, BFH/NV 1996, 809), oder die Aufwendungen eines Diplom-Finanzwirts/Finanzbeamten für die Steuerberaterprüfung (BFH-Urteile in BFH/NV 1994, 157, und in BFHE 169, 436, BStBl II 1993, 108).

2. Diese bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung wurde zunehmend kritisiert (z.B. Hessisches FG, Urteil vom 29. September 1999  12 K 1823/97, EFG 2000, 355, rkr.; Niedersächsisches FG, Urteile vom 6. August 1997 XIII 252/93, EFG 1998, 640, Rev. VI R 5/98; vom 25. März 1998 IV 664/94, EFG 1999, 19, rkr.; FG Nürnberg, Urteil vom 4. März 1998 III 75/97, EFG 1998, 1511, Rev. VI R 61/98; FG Brandenburg, Urteil vom 23. November 1999  3 K 1011/98 E, EFG 2000, 424, Rev. VI R 42/00; Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 8. März 2000 V 221/98, EFG 2000, 780, Rev. VI R 60/00; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Februar 2000  4 K 344/98, EFG 2000, 783, Rev. VI R 113/00; FG Köln, Urteil vom 8. Februar 2000  9 K 1857/99, EFG 2001, 676, Rev. VI R 8/01; FG Münster, Urteil vom 17. April 2001  14 K 7649/98 E, EFG 2001, 1122, rkr.; Niedersächsisches FG, Urteil vom 28. Februar 2001  4 K 177/97, EFG 2001, 1424, Rev. VI R 106/01; FG Düsseldorf, Urteil vom 27. August 2001  17 K 4198/98 E, EFG 2001, 1600, Rev. VI R 119/01; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. August 2001  2 K 1607/99, EFG 2002, 127, Rev. VI R 120/01; FG Münster, Urteil vom 21. August 2001  1 K 5736/98 E, EFG 2002, 79, Rev. VI R 137/01; FG Düsseldorf, Urteil vom 17. Mai 2001  10 K 3721/98 E, EFG 2001, 1023, Rev. IV R 44/01, zu § 4 Abs. 4 EStG; vgl. FG Berlin, Urteil vom 21. Januar 1997  5170/96, EFG 1997, 1105, Rev. VI R 85/97; Hessisches FG, Urteil vom 18. Juli 1997  11 K 1446/97, EFG 1998, 181, Rev. VI R 190/97; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 19 Rz. 60 unter Ausbildungskosten; ders., Steuer und Wirtschaft –StuW– 1999, 3 ff.; Prinz in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 9 EStG Rz. 268 f., 271; Söhn, StuW 2002, 97 ff.; Kreft, Vorab veranlasste Erwerbsaufwendungen im Einkommensteuerrecht, Berlin, Heidelberg, New York 2000, S. 77 ff.; ders., Finanz-Rundschau –FR– 2002, 657 ff.; Keßler, Lexikon des Steuer- und Wirtschaftsrechts –LSW– Heft 6/2000, Gruppe 4/129, Fortbildungskosten, 1, 2; Flies, Deutsches Steuerrecht –DStR– 1997, 725 ff.; E. Schmidt, FR 1997, 762 ff.; Balke, Neue Wirtschafts-Briefe –NWB–, Meinungen, Stellungnahmen 1997, 1269 ff.; Koenig, Deutsche Steuer-Zeitung –DStZ– 1996, 769; Gast-de Haan, Festschrift für L. Schmidt, München 1993, 105 ff.; Beul, FR 1986, 340, 347 ff.; Herb, Berufliche Ausbildung und Fortbildung im Einkommensteuerrecht, Augsburg 1986, S. 77 ff.; Dilthey, FR 1984, 333 ff.; Stolz, FR 1979, 242, 246 f.; Suhr, StuW 1966, 579 ff.; Weisensee, DStR 1965, 224 ff.; Glade, FR 1959, 297, 300; Heidrich, FR 1958, 532 ff.; Katzsch, Betriebs-Berater –BB– 1958, 300 f.).

Der Rechtsprechung wurde insbesondere entgegengehalten, die von ihr entwickelte Terminologie mit der Unterscheidung zwischen Berufsausbildung und Berufsfortbildung vernachlässige steuersystematische Gesichtspunkte (z.B. Prinz, a.a.O., § 9 EStG Rz. 268 f.; Kreft, FR 2002, 657, 661 ff.). Die Rechtsprechung verwende zur Abgrenzung nur noch „Begriffsdefinitionen“ und entferne sich damit immer mehr vom Gesetz (z.B. Söhn, StuW 2002, 97 f.). Vornehmlich die Zuordnung von Aufwendungen für ein Erststudium zum Privatbereich ohne Beachtung der das Studium veranlassenden Umstände beinhalte eine unzulässige Typisierung (z.B. Niedersächsisches FG in EFG 2001, 1424, Rev. VI R 106/01; Keßler, LSW Heft 6/2000, Gruppe 4/129, Fortbildungskosten, 1, 2). Zudem sei die Rechtsprechung in ihrer Kasuistik kaum mehr zu überschauen, sie sei in vielen Fällen schwer nachvollziehbar und führe deshalb zu Rechtsunsicherheit (z.B. Niedersächsisches FG in EFG 1998, 640, Rev. VI R 5/98; Hessisches FG in EFG 2000, 355, rkr.; Prinz, a.a.O., § 9 EStG Rz. 269; Koenig, DStZ 1996, 769).

Die höchstrichterliche Rechtsprechung trage den tiefgreifenden Änderungen und Entwicklungen im heutigen Berufsleben sowie der zunehmenden Arbeitslosigkeit nicht ausreichend Rechnung (z.B. FG Düsseldorf in EFG 2001, 1023, Rev. IV R 44/01; E. Schmidt, FR 1997, 762 ff.). Die Rechtsprechung hemme die notwendige Flexibilität der Arbeitnehmer. Wegen der Vielgestaltigkeit der beruflichen Weiter- oder Fortbildung verstoße eine solche Typisierung gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und gewährleiste –insbesondere im Fall einer durch den Arbeitsmarkt veranlassten Umschulung– nicht die nach dem Sozialstaatsprinzip gebotene Bekämpfung von Arbeitslosigkeit (z.B. FG Brandenburg in EFG 2000, 424, Rev. VI R 42/00). Die Rechtsprechung zur Anerkennung der Aufwendungen für ein Zweitstudium stelle sich als ein im Gesetz nicht angelegtes, sachlich nicht gerechtfertigtes Akademikerprivileg dar, da allein Hochschulabsolventen die Kosten für ein Zweitstudium als Werbungskosten geltend machen könnten (z.B. FG Schleswig-Holstein in EFG 2000, 780, Rev. VI R 60/00; Niedersächsisches FG, Urteile in EFG 1998, 640, Rev. VI R 5/98; in EFG 2001, 1424, Rev. VI R 106/01).

Für die Annahme von Betriebsausgaben/Werbungskosten sei –von hier nicht interessierenden Einschränkungen abgesehen– ausschließlich auf den Veranlassungszusammenhang abzustellen (Prinz, a.a.O., § 9 EStG Rz. 268 ff.; Schmidt/Drenseck, a.a.O., § 19 Rz. 60 unter Ausbildungskosten; ders., StuW 1999, 3, 6 ff.; Gast-de Haan, Festschrift für L. Schmidt, 105 ff.; Flies, DStR 1997, 725, 727 ff.; Söhn, StuW 2002, 97, 98 ff.; Kreft, FR 2002, 657, 664 ff.); der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG sei einzuschränken.

3. Soweit nach der bisherigen Rechtsprechung Aufwendungen zum Erwerb von Kenntnissen nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen wurden, welche die Grundlage dafür bilden, von einer Berufs- oder Erwerbsart zu einer anderen überzuwechseln (Umschulungskosten), hält der erkennende Senat an dieser Rechtsprechung nicht mehr fest. Aufwendungen für eine auf die Erzielung von Einkünften gerichtete Umschulungsmaßnahme können Werbungskosten sein. Ob die Bildungsmaßnahme eine neue Basis für andere Berufsfelder schafft oder einen Berufswechsel vorbereitet, ist unerheblich.

a) Der Einkommensteuer unterliegen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG) und damit nur der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. §§ 8 bis 9a EStG). Das gebietet das objektive Nettoprinzip als Ausdruck des aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatzes der steuerlichen Leistungsfähigkeit. Was im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit ausgegeben wird, unterliegt nicht dem Steuerzugriff (BFH-Beschluss vom 30. Januar 1995 GrS 4/92, BFHE 176, 267, BStBl II 1995, 281, unter C. III. der Gründe; Tipke, StuW 1980, 1, 3; Wolff-Diepenbrock, DStZ 1999, 717).

b) § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG definiert Werbungskosten als Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Die Rechtsprechung hat den Werbungskostenbegriff dem Begriff der Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG angeglichen (BFH-Urteil vom 4. März 1986 VIII R 188/84, BFHE 146, 151, BStBl II 1986, 373). Werbungskosten liegen danach vor, wenn sie durch den Beruf bzw. durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind (z.B. Blümich/Lindberg, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 12 EStG Rz. 14, m.w.N.). Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (BFH-Urteil in BFHE 169, 436, BStBl II 1993, 108). Dabei ist ausreichend, wenn die Ausgaben den Beruf des Arbeitnehmers im weitesten Sinne fördern (vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 151, BStBl II 1986, 373).

Erzielt der Steuerpflichtige noch keine Einnahmen, liegen vorab entstandene Werbungskosten vor, wenn die Aufwendungen in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Zusammenhang mit späteren Einnahmen stehen (BFH-Urteile vom 18. April 1996 VI R 89/93, BFHE 180, 353, BStBl II 1996, 449; vom 19. April 1996 VI R 24/95, BFHE 180, 360, BStBl II 1996, 452). Der erforderliche Veranlassungszusammenhang kann bei jedweder berufsbezogenen Bildungsmaßnahme erfüllt sein, zumal in § 9 EStG keine Sonderregelung zu Berufsbildungskosten enthalten ist. Er wird häufig bei einer Umschulungsmaßnahme gegeben sein. Denn in einem solchen Fall werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Steuerpflichtige das hierdurch erworbene Berufswissen am Arbeitsmarkt einsetzen kann, um künftig Einnahmen zu erzielen.

c) Einer solchen Beurteilung steht § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG nicht entgegen. Nach dieser Regelung sind Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung nur dann Sonderausgaben, „wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind“. Nach dem Gesetz hat der Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzug Vorrang vor dem Abzug von Berufsausbildungskosten als Sonderausgaben, so dass § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG keine Sperrwirkung entfaltet (so bereits BFH-Urteile in BFHE 180, 360, BStBl II 1996, 452; BFH-Beschluss vom 22. November 2000 VI B 174/00, BFH/NV 2001, 451).

Aus der Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG (jetzt Nr. 7; eingefügt durch das Steueränderungsgesetz –StÄndG– 1968, BStBl I 1968, 116) ergibt sich nichts anderes. Zwar heißt es in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks V/3430, 8 f.; vgl. Bericht des Finanzausschusses zu BTDrucks V/3602, 2, 3):

„Aufwendungen für die eigene Berufsausbildung, zu der auch eine Umschulung gehört, können nach geltendem Recht einkommensteuerlich nicht berücksichtigt werden. Bei diesen Aufwendungen handelt es sich um Lebenshaltungskosten, weil durch sie erst das für den Beruf typische Können und schließlich eine selbständige, gesicherte Lebensstellung erworben werden sollen. Anders als bei Fortbildungskosten fehlt den eigenen Aufwendungen für die Berufsausbildung der unmittelbare Zusammenhang mit Einnahmen; sie können daher nicht wie diese als Betriebsausgaben oder Werbungskosten geltend gemacht werden, sondern sind vielmehr nach § 12 EStG vom Abzug ausgeschlossen. Ausbildungskosten in diesem Sinne sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs insbesondere auch die eigenen Aufwendungen für einen Berufswechsel oder für eine Berufsumschulung.
Die derzeitige steuerliche Behandlung der eigenen Ausbildungskosten wird den Anforderungen, die an eine fortschrittliche Bildungspolitik gestellt werden müssen, nicht mehr gerecht … Um die Ausbildungsförderung zu verbessern, insbesondere auch um Umschulungen mehr als bisher zu fördern, schlägt die Bundesregierung als ersten Schritt vor, in Zukunft die eigenen Aufwendungen für die Berufsausbildung als Sonderausgaben bei der Ermittlung des Einkommens zum Abzug zuzulassen und damit der derzeitigen Unterscheidung zwischen Ausbildungskosten und Fortbildungskosten weitgehend die Bedeutung zu nehmen.“

Damit hat der Gesetzgeber aber nicht die Abziehbarkeit von Betriebsausgaben oder Werbungskosten einschränken wollen. § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG, der den Vorrang des Werbungskosten- bzw. Betriebsausgabenabzugs vorsieht, blieb unberührt. Es sollten vielmehr Abzugsmöglichkeiten geschaffen werden, die nach der seinerzeitigen Rechtsprechung nicht bestanden. Insbesondere hat der Gesetzgeber eine Fortentwicklung der Rechtsprechung hinsichtlich der steuersystematischen Einordnung von Berufsbildungsmaßnahmen nicht hindern wollen. Dementsprechend hat der erkennende Senat seine ursprüngliche Rechtsprechung im Hinblick auf Zweit- oder Zusatzstudien (s. oben unter II. 1. c bb) sowie betreffend Ausbildungsdienstverhältnisse fortentwickelt (Urteile in BFHE 132, 49, BStBl II 1981, 216: Hochschulstudium eines Bundeswehroffiziers; vom 28. September 1984 VI R 144/83, BFHE 142, 258, BStBl II 1985, 89: mittlere Reife eines Zeitsoldaten; vom 15. April 1996 VI R 99/95, BFH/NV 1996, 804: Verkehrsfliegerausbildung eines Bundeswehrsoldaten). Im Übrigen sind z.B. auch die in § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG ausdrücklich aufgeführten Steuerberatungskosten im Fall beruflicher Veranlassung unstreitig vorrangig als Betriebsausgaben oder Werbungskosten zu berücksichtigen (Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz. 520 unter Rechtsverfolgungskosten, m.w.N.).

d) Einem Abzug der Aufwendungen für eine Umschulungsmaßnahme als Werbungskosten steht § 12 Nr. 1 Satz 1 und 2 EStG ebenfalls nicht entgegen. Die aus beruflichen Gründen entstandenen Kosten stellen nicht zugleich Aufwendungen für die private Lebensführung dar, welche die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt.

Nach ständiger Rechtsprechung dient das in § 12 Nr. 1 EStG enthaltene Aufteilungs- und Abzugsverbot vornehmlich der steuerlichen Gerechtigkeit. Hiermit soll verhütet werden, dass ein Steuerpflichtiger durch eine mehr oder weniger zufällige oder bewusst herbeigeführte Verbindung von beruflichen und privaten Erwägungen Aufwendungen für seine Lebensführung nur deshalb steuerlich geltend machen kann, weil er einen entsprechenden Beruf hat, während andere Steuerpflichtige gleichartige Aufwendungen aus versteuerten Einkünften decken müssen. Im Übrigen soll verhindert werden, dass solche Aufwendungen als vom Steuerpflichtigen durch den Betrieb bzw. als beruflich veranlasst dargestellt werden, ohne dass für das FA die Möglichkeit besteht, diese Angaben nachzuprüfen und die tatsächliche berufliche oder private Veranlassung festzustellen (BFH-Beschluss vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17, unter II. 3. der Gründe). Dies ist im Fall einer durch Arbeitslosigkeit bedingten Umschulung nicht zu befürchten. Die damit im Zusammenhang stehenden Aufwendungen weisen keinen Bezug zur privaten Lebensführung auf.

Eine Zuordnung derartiger Aufwendungen zu den Kosten der privaten Lebensführung ließe die tiefgreifenden Veränderungen im Berufsleben, Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt außer Acht. Die bisherige Rechtsprechung, welcher die „Lebenskampfthese“ des RFH zugrunde liegt (s. oben unter II. 1. b), stammt aus einer Zeit, in der es zum Regelfall gehörte, den ursprünglich erlernten Beruf das gesamte Berufsleben lang auszuüben. In der heutigen Zeit kann dagegen ein Arbeitnehmer nicht mehr davon ausgehen, nur eine Berufsausbildung absolvieren zu müssen. Die Arbeitsmarktsituation erfordert es immer häufiger, umzulernen und die erforderlichen Kenntnisse für eine völlig anders geartete Berufstätigkeit zu erwerben. Darüber hinaus steigen die Anforderungen an das dem allgemeinen Entwicklungsstand angepasste berufliche Spezialwissen, so dass die Fort- und Weiterbildung zunehmend wichtiger wird. Arbeitnehmer stehen heutzutage nach mehreren Jahren der Berufstätigkeit vor der Situation, ohne weitere Qualifikation eine verbesserte oder höher bezahlte Stellung nicht erreichen oder diese beibehalten zu können. Dies gilt erst recht bei einer längeren Unterbrechung der bisherigen beruflichen Tätigkeit. Das aktuelle Berufsleben ist durch häufigen Arbeitsplatzwechsel gekennzeichnet. Es gibt zudem eine Vielzahl von vor allem neuen Berufen und Berufsbildern, die nicht mehr klar voneinander abgrenzbar sind und ständig wechseln.

e) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwar noch mit Beschluss vom 8. Juli 1993  2 BvR 773/93 (Die Information –Inf– 1993, 549) die in der Rechtsprechung vorgenommene Abgrenzung zwischen den –als Werbungskosten abziehbaren– Berufsfortbildungskosten und den –als Sonderausgaben beschränkt abziehbaren– Berufsausbildungskosten für mit der Verfassung vereinbar erklärt. Die Entscheidung enthält –entsprechend der Aufgabenstellung des BVerfG– keine Aussage zur Auslegung des einfachen Rechts. Im Übrigen hatte das BVerfG aber schon im Jahr 1984 darauf hingewiesen, dass die Entscheidung, ob ein anderer „Beruf“ i.S. der bisherigen Rechtsprechung anzunehmen sei, schwierig und oft kaum zuverlässig durchführbar sei. Es sei ferner zu berücksichtigen, dass sich im Bildungswesen ebenfalls tiefgreifende Änderungen und Entwicklungen vollzogen hätten. Die einzelnen Bereiche der Aus- und Fortbildung, die früher stärker gegeneinander abgeschottet gewesen seien, wiesen heute breitere Übergänge, Zwischenformen und Angebote auf. Daher sei es „zweifelhaft, ob früher getroffene höchstrichterliche Entscheidungen zur Abgrenzung zwischen Fortbildungs- und Ausbildungskosten gegenwärtig unverändert aufrechterhalten werden können“ (Beschluss vom 22. Mai 1984  1 BvR 523/84, Inf 1984, 406).

f) Die Einordnung der Kosten für Berufsbildungsmaßnahmen zu den Erwerbsaufwendungen verringert Wertungsungleichheiten, die sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ergaben. Während manche Steuerpflichtige die Umschulungskosten nach den Bestimmungen des Arbeitsförderungsgesetzes (nunmehr des Dritten Buches Sozialgesetzbuch –SGB III–) vom Staat steuerfrei erstattet bekamen, konnten die Steuerpflichtigen, die sich auf eigene Kosten zu einem anderen Beruf umschulen ließen, diese Kosten noch nicht einmal in Form von Werbungskosten oder Betriebsausgaben geltend machen. Die Wertungsungleichheit tritt nicht ein, wenn Kosten der Umschulung als Erwerbsaufwendungen abziehbar sind (Gast-de Haan, Festschrift für L. Schmidt, 105, 111 f.).

4. Im Streitfall hat das FG anhand seiner tatsächlichen Feststellungen zutreffend entschieden, dass die Aufwendungen für die Umschulungsmaßnahme der Klägerin vorab entstandene Werbungskosten darstellen. Denn vorliegend ist ein hinreichend konkreter Zusammenhang dieser Aufwendungen mit späteren Einnahmen gegeben. Die Bildungsmaßnahme bereitete konkret und berufsbezogen auf eine Fahrlehrertätigkeit vor, welche die Klägerin auch alsbald nach Bestehen der Prüfung ausübte. Die Umschulungskosten wurden deswegen aufgewendet, um nach Zeiten der Arbeitslosigkeit wieder Einnahmen zu erzielen.

5. Eine Anrufung des Großen Senats ist nicht erforderlich. Der III. Senat hält an seiner in den Urteilen vom 28. August 1997 III R 195/94 (BFHE 184, 389, BStBl II 1998, 183) und in BFH/NV 1998, 569 geäußerten Rechtsauffassung nicht mehr fest.

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