BUNDESFINANZHOF
Az.: VI R 175/99
Urteil vom 23. März 2001
Vorinstanz: Hessisches FG
Leitsätze:
1. Erfolgt ein Umzug aus Anlass der Eheschließung von getrennten Wohnorten in eine gemeinsame Familienwohnung, so ist die berufliche Veranlassung des Umzugs eines jeden Ehegatten gesondert zu beurteilen.
2. Steht bei einem Umzug eine arbeitstägliche Fahrzeitersparnis des Arbeitnehmers von mindestens einer Stunde fest, so kommt dem Umstand, dass der Umzug im Zusammenhang mit einer heiratsbedingten Gründung eines gemeinsamen Haushalts steht, grundsätzlich keine Bedeutung mehr zu (Fortführung des BFH-Urteils vom 22. November 1991 VI R 77/89, BFHE 166, 534, BStBl II 1992, 494).
Normen:
EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, § 12 Nr. 1 Satz 2
Gründe
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) heirateten im Streitjahr 1996 und wurden antragsgemäß zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten beide Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit. Die Arbeitsstätte des Klägers befand sich in D, diejenige der Klägerin in S. Die Kläger bezogen im Mai 1996 ein Haus in S, das sie im April 1995 erworben hatten. Zuvor hatte der Kläger in N und die Klägerin in I gewohnt.
In ihrer Einkommensteuer-Erklärung für 1996 machten der Kläger Umzugskosten in Höhe von 1 259 DM und die Klägerin in Höhe von 1 578 DM als Werbungskosten geltend. Zur Begründung führten sie an, die tägliche Fahrzeit zur jeweiligen Arbeitsstätte habe sich erheblich verkürzt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) erkannte die Umzugskosten mangels beruflicher Veranlassung nicht als Werbungskosten an, da aufgrund der Heirat und des Umzugs in die gemeinsame Wohnung die private Lebensführung betroffen sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 484 veröffentlichten Gründen statt.
Mit der Revision rügt das FA eine Verletzung des § 12 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Umzüge der Kläger seien durch private Motive mitveranlasst. Die erstmalige Gründung eines gemeinsamen Haushalts sei so gewichtig, dass sie nicht mit der im Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. November 1991 VI R 77/89 (BFHE 166, 534, BStBl II 1992, 494) als unschädlich angesehenen Auswahl der konkreten Wohnung vergleichbar sei. In dieser Entscheidung sei offen gelassen worden, ob bei einem Umzug mit einer wesentlichen Fahrzeitersparnis auch offensichtlich private Motive soweit in den Hintergrund träten, dass der Umzug als fast ausschließlich beruflich veranlasst zu qualifizieren sei. Denn der BFH habe dort ausgeführt, dass der Entscheidung eine Gesamtbewertung der Umstände des Einzelfalls zu Grunde zu legen sei. Die im Streitfall vorliegenden privaten Gründe seien von erheblich größerem Gewicht als solche für die Auswahl der Wohnung hinsichtlich Art und Lage. Das zufällige Erreichen der zeitlichen Grenze der Fahrzeitersparnis bei einem Partner könne nicht entscheidend sein.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
Trotz erstmaliger Gründung eines gemeinsamen Hausstandes könne ein Umzug bei einer täglichen Fahrzeitverkürzung von mindestens einer Stunde beruflich veranlasst sein. Der Umzug in ein Eigenheim stehe dem Werbungskostenabzug nicht entgegen, da die Kläger auch dann umgezogen wären, wenn sie kein Eigenheim erworben hätten.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
1. Der erkennende Senat tritt der Ansicht des FA bei, dass die berufliche Veranlassung der beiden Einzelumzüge des Klägers und der Klägerin gesondert für sich zu beurteilen ist. Dies entspricht dem Grundsatz der Individualbesteuerung der Eheleute, wonach die Einkünfte eines jeden Ehegatten –ungeachtet der Möglichkeit der Zusammenveranlagung– getrennt zu ermitteln sind (vgl. BFH-Beschluss vom 23. August 1999 GrS 1/97, BFHE 189, 151, BStBl II 1999, 778, 781). Der Streitfall bietet keine Veranlassung, sich mit der Kritik (vgl. von Bornhaupt in Betriebs-Berater –BB– 1995, 2042) an der Rechtsprechung des Senats zur Frage der Zusammenrechnung von Fahrzeitverkürzungen bei einem gemeinsamen Umzug berufstätiger Ehegatten auseinanderzusetzen (vgl. Urteil vom 27. Juli 1995 VI R 17/95, BFHE 178, 345, BStBl II 1995, 728).
2. Die umstrittenen Aufwendungen können Werbungskosten bei den Einkünften der Kläger aus nichtselbständiger Arbeit sein.
Nach der Rechtsprechung des BFH sind Werbungskosten alle Aufwendungen, die durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind. Dazu können auch Umzugskosten gehören (zuletzt BFH-Urteil vom 24. Mai 2000 VI R 147/99, BFHE 191, 561, BStBl II 2000, 476, m.w.N.). Voraussetzung dafür ist, dass der Umzug nahezu ausschließlich beruflich veranlasst ist, private Gründe also eine allenfalls ganz untergeordnete Rolle spielen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 16. Oktober 1992 VI R 132/88, BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610; vom 28. April 1988 IV R 42/86, BFHE 153, 357, BStBl II 1988, 777).
Eine derartige berufliche Veranlassung hat der BFH z.B. anerkannt, wenn der Umzug aus Anlass eines Arbeitsplatzwechsels erfolgen musste oder wenn –auch ohne berufliche Veränderung– durch den Umzug der erforderliche Zeitaufwand für den Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wesentlich vermindert worden ist. Als wesentliche Verkürzung der Wegezeit hat er dabei eine Ersparnis von mindestens einer Stunde täglich angesehen (vgl. BFH-Beschluss vom 11. September 1998 VI B 208/98, BFH/NV 1999, 178; Urteile in BFHE 178, 345, BStBl II 1995, 728; in BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610).
Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile in BFHE 170, 484, BStBl II 1993, 610; in BFHE 166, 534, BStBl II 1992, 494; Beschluss vom 19. Oktober 2000 VI B 280/99, BFH/NV 2001, 588) ist jedoch auf Motive des Steuerpflichtigen für den Umzug in eine bestimmte Wohnung (z.B. größere Mietwohnung oder Einfamilienhaus) dann nicht mehr abzustellen, wenn die berufliche Veranlassung des Umzugs nach objektiven Kriterien eindeutig feststeht. Dem ist die Verwaltung gefolgt (vgl. H 41 –Berufliche Veranlassung– LStH 2001). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest.
Das Abstellen auf eine Fahrzeitersparnis von mindestens einer Stunde zielt einerseits darauf ab, einen solchen Umzug zumindest ähnlich wie einen Umzug anlässlich eines Arbeitsplatzwechsels zu behandeln. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass eine in Aussicht stehende mindestens einstündige Fahrzeitersparnis nach der Lebenserfahrung für viele Arbeitnehmer so bedeutsam ist, dass sie einen Umzug näher an den Arbeitsplatz ernsthaft in Erwägung ziehen (vgl. von Bornhaupt in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 9 Rdnr. B 601). Dem Gesichtspunkt der mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis kann deshalb ein solches Gewicht beigemessen werden, dass private Motive –wie hier die gemeinsame heiratsbedingte Haushaltsgründung– im Rahmen des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG generell in den Hintergrund treten.
Zum anderen enthält das Erfordernis einer mindestens einstündigen Fahrzeitersparnis eine die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung. Der damit verbundene Zweck der Vereinfachung und Praktikabilität in der Rechtsanwendung wäre beeinträchtigt, wenn private Motive bei einem ansonsten typischerweise beruflich veranlassten Umzug wieder Bedeutung erlangten. Die Auffassung des Senats vermeidet überdies –wie auch die Vorinstanz zutreffend anführt– ein nicht gebotenes Eindringen in die Privatsphäre der Steuerpflichtigen.
Im Übrigen hat der Senat bereits im Urteil vom 6. November 1986 VI R 106/85 (BFHE 148, 164, BStBl II 1987, 81) entschieden, dass Umzugskosten auch dann als Werbungskosten anerkannt werden können, wenn der Umzug in ein zuvor erworbenes Eigenheim erfolgt. Nach Ansicht des Senats liegen keine zusätzlichen hinreichenden Gründe dafür vor, den Streitfall anders zu entscheiden. Ebenso kann auch bei der Trennung von Eheleuten ein beruflich veranlasster Umzug dann vorliegen, wenn der ausziehende Ehegatte den neuen Wohnort so wählt, dass sich zu seinem Arbeitsplatz eine erhebliche Fahrzeitersparnis ergibt (a.A. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Juli 1997 6 K 30/94, EFG 1998, 91).
3. Die Sache wird an das FG zurückverwiesen. Die Feststellungen der Vorinstanz zur Frage der arbeitstäglichen Fahrzeitersparnis bei beiden Klägern reichen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob die geltend gemachten Umzugskosten Werbungskosten darstellen. Das FG hat dies zwar in beiden Fällen bejaht. Der Vorentscheidung können jedoch keine nachvollziehbaren Feststellungen zur Frage der Fahrzeitverkürzung entnommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 23. September 1999 IV R 4/99, BFH/NV 2000, 426 a.E., m.w.N.). Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG zu beachten haben, dass die Verkürzung der Fahrtstrecke zwar ein wesentliches, jedoch nicht das alleinige Kriterium für eine Wegezeitverkürzung darstellt. Das FG wird ggf. auch zu prüfen haben, ob beim Kläger die nach dem Umzug verbleibende Wegezeit zur Arbeitsstätte als im Berufsverkehr normal angesehen werden kann (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 166, 534, BStBl II 1992, 494, 496). Ferner wird ggf. der Frage nachzugehen sein, ob die einfache Umzugsstrecke bei der Klägerin 76 km oder 40 km betragen hat.