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Unbestimmte Formulierung in Coronainfektionsschutzordnung Brandenburg

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 2 OLG 53 Ss-OWi 84/21 – Beschluss vom 31.03.2021

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Senftenberg vom 15. Dezember 2020 mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Senftenberg hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 15. Dezember 2020 wegen Verstoßes gegen § 5 der Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 in Brandenburg (SARS-CoV-2-EindV) eine Geldbuße von 1000 € festgesetzt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts sei der Betroffene Betreiber eines Fitnessstudios in S… . Am 21. April 2020 sei ihm durch Mitarbeiter der Stadt mitgeteilt worden, dass der Betrieb seines Fitnessstudios bis vorerst 8. Mai 2020 untersagt werde, er aber weiterhin Nahrungsergänzungsmittel unter Einhaltung der Hygienevorschriften verkaufen können. Am 22. April 2020 hätten Mitarbeiter der Stadt einen Kontrollgang an dem Fitnessstudio durchgeführt und durch ein angekipptes Fenster hindurch eine Person wahrgenommen, die auf einem Fitnessgerät gesessen und telefoniert habe. Daraufhin habe der Landkreis O… dem Betroffenen am 28. April 2020 eine Schließungsverfügung übermittelt.

Gegen das Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 15. Januar 2021 rechtzeitig begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

Der Einzelrichter hat die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt zu entscheiden, wie geschehen.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist mit der Sachrüge zulässig und begründet. Es fehlt bereits an einer zur Tatzeit wirksamen Bußgeldbewehrung. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 25. Februar 2021 das Folgende ausgeführt:

„Zum Tatzeitpunkt galt die Verordnung über Maßnahmen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 und COVID-19 in Brandenburg (SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung – SARS-CoV-2-EindV) vom 17. April 2020 (GVBl. ll/20, [Nr. 211), geändert durch Verordnung vom 24. April 2020 (GVBl.11/20, [Nr. 251), die am 8. Mai 2020 außer Kraft getreten ist.

§ 5 Abs. 1 SARS-CoV-2-EindV lautete zum Tatzeitpunkt wie folgt:

,,§ 5

Badeanstalten, Sportstätten, Spielplätze und Sportbetrieb

(1) Der Sportbetrieb auf und in allen öffentlichen und privaten Sportanlagen, Schwimmbädern, Fitnessstudios, Tanzstudios sowie der Betrieb von Thermen, Wellnesszentren und ähnlichen Einrichtungen ist untersagt.“

Der Bußgeldtatbestand des zum Tatzeitpunkt geltenden § 13 SARS-CoV-2-EindV lautete wie folgt:

,,§ 13

Durchsetzung der Verbote, Bußgelder

Verstöße gegen die in den §§ 1 bis 12 dieser Rechtsverordnung enthaltenen Gebote und Verbote stellen gemäß § 73 Absatz 1a Nummer 24 des Infektionsschutzgesetzes eine Ordnungswidrigkeit dar und können mit einer Geldbuße bis zu 25 000 Euro geahndet werden.“

Diese Vorschrift entspricht weder dem von Verfassung wegen zu beachtenden Bestimmtheitsgebot noch ist sie in der Lage, das Blankett des § 73 Abs. 1a Nr. 24 Infektionsschutzgesetz (lfSG) wirksam auszufüllen.

a)

Das allgemeine Bestimmtheitsgebot wird für Strafgesetze in Art. 103 Abs. 2 GG konkretisiert; § 3 OWiG hat diese Voraussetzung ins Ordnungswidrigkeitenrecht übernommen (Keine Ahndung ohne Gesetz als Verfassungsgrundsatz).

Unbestimmte Formulierung in Coronainfektionsschutzordnung Brandenburg
(Symbolfoto: Dreamprint/Shutterstock.com)

Der Bestimmtheitsgrundsatz enthält mehrere Folgerungen: Die Norm muss – was hier unproblematisch der Fall ist – vor der Tat bestanden haben (Rückwirkungsverbot), damit sie eine Bestimmungswirkung auf den Handelnden ausüben konnte. Sie muss aber auch das missbilligte Verhalten hinlänglich bestimmt bezeichnen (BVerfGE 14, 245, 251 = NJW 1962, 1563, 1564; 32, 346, 362 = NJW 1972, 860, 862; KK/Mitsch, OWiG, 5. Aufl., Einl. Rn 122 m.w.N.; Bohnert, NStZ 1988, 134). Gleichgültig ist, ob die Norm, welche die Bußgelddrohung enthält, selbst ihre Voraussetzungen benennt oder auf eine andere Norm verweist; das Bestimmtheitsverlangen erstreckt sich dann auf die Bezugsnorm (BVerfG NJW 1987, 3175) Verfassungsrechtlich ist geklärt, dass Bußgeldnormen auch durch Rechtsverordnungen (BVerfGE 14, 174, 185 = NJW 1962, 1339; 14, 245, 251 = NJW 1962, 1563, 1564; 14, 254, 257 = NJW 1962, 1563; 22, 21, 25 = NJW 1967, 1221; 38, 348, 371 = NJW 1975, 727, 730; 51, 60, 73 = NJW 1979, 1981, 1982) und durch Satzungen (BVerfGE 32, 346, 362 = NJW 1972, 860, 862; LK-Dannecker § 1 Rn 129) gefüllt werden können. Dem Bestimmtheitsgebot müssen dann sowohl die ausfüllenden als auch die hierzu ermächtigenden Normen genügen (BVerfGE 32, 346, 362 = NJW 1972, 860, 862).

Blankettstrafgesetze – oder wie hier Blankettordnungswidrigkeitstatbestände – genügen den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots nur dann, wenn sich die möglichen Fälle der Strafbarkeit schon aufgrund des Gesetzes voraussehen lassen. Auch die das Blankettstrafgesetz ausfüllenden Vorschriften müssen dementsprechend den Anforderungen des Art 103 Abs 2 GG genügen.

Diesen Anforderungen wird § 73 Abs. 1a Nr. 24 lfSG i.V.m. § 13 SARS-CoV-2-EindV nicht gerecht. § 13 SARS-CoV-2-EindV verweist nämlich ohne nähere Differenzierung auf sämtliche Gebote und Verbote, die in §§ 1-12 SARS-CoV-2-EindV genannt sind. Welche konkreten Verstöße vorliegend bußgeldbewehrt sind, ist für den Normanwender nicht ohne weiteres erkennbar. Die von § 13 SARS-CoV-2-EindV umfassten Regelungen betreffen Veranstaltungen, Versammlungen, Gewerbebetriebe, spezielle Betriebe der Kampfmittelbeseitigung, Zusammenkünfte, Gaststätten, den Personaleinsatz in bestimmten Betrieben, Berufsregelungen und vieles mehr. Der Normanwender müsste – um erkennen zu können, ob sein Handeln bußgeldbewehrt ist oder nicht, die gesamte Verordnung auf ihre Verbote und Gebote überprüfen und zudem das Vorliegen möglicher Ausnahmetatbestände für Ge- oder Verbote in seine Überlegungen einstellen. Hinzu kommt noch, dass nach § 5 Abs. 1 SARS-CoV-2-EindV der „Sportbetrieb auf und in . . . Fitnessstudios . . . untersagt“ ist – jedoch nicht (wie bei Thermen, Wellnesszentren und ähnlichen Einrichtungen) der Betrieb „von“. Ob diese Norm lediglich die Nutzer von Fitnessstudios zum Adressaten hat oder darüber hinaus auch die Betreiber von Fitnessstudios zu deren Schließung verpflichtet, ist – jedenfalls was die Bußgeldbewehrung und einen möglichen Verstoß gegen das strafrechtliche Analogieverbot betrifft – ebenfalls nicht eindeutig ersichtlich.

b)

Nach § 73 Abs. 1 a Nr. 24 lfSG in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig

„24. einer Rechtsverordnung nach § 5 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 Buchstabe c bis f oder g oder Nummer 8 Buchstabe c, § 13 Absatz 3 Satz 1, § 17 Absatz 4 Satz 1 oder Absatz 5 Satz 1, § 20 Abs. 6 Satz 1 oder Abs. 7 Satz 1, § 23 Absatz 8 Satz 1 oder Satz 2, § 32 Satz 1, § 36 Absatz 8 Satz 1 oder Satz 3 oder Absatz 10 Satz 1, § 38 Abs. 1 (Satz 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 3 oder 5 oder § 53 Abs. 1 Nr. 2 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.“

Nach § 73 Abs. 2 lfSG kann die Ordnungswidrigkeit in den Fällen des Absatzes 1 a Nummer 7a bis 7d, 8, 9b, 11a, 17a und 21 mit einer Geldbuße bis zu zweitausendfünfhundert Euro, in den übrigen Fällen – wie etwa im Fall der Nr. 24 – mit einer Geldbuße bis zu fünfundzwanzigtausend Euro geahndet werden.

Bei § 73 Abs. 1 a Nr. 24 lfSG handelt es sich um ein sogenanntes „unechtes Blankett mit Rückverweisungsklausel“. Um die oben dargestellten Bestimmtheitsmängel zu vermeiden, müssen Bußgeldblankette die zu bewehrenden Vorschriften durch eine paragrafengenaue Angabe der Verordnungsermächtigung bezeichnen und eine Rückverweisungsklausel enthalten. Die Norm wird dementsprechend – da sie die Ermächtigungsnorm, aufgrund derer der Landesgesetzgeber die SARS-CoV-2-EindV erlassen hat, ausreichend benennt – den Bestimmtheitsanforderungen gerecht.

§ 13 SARS-CoV-2-EindV verweist hingegen nicht – und schon gar nicht „für einen bestimmten Tatbestand“ – auf § 73 Abs. 1 a Nr. 24 lfSG. Nach dem genauen Wortlaut der Norm konstatiert diese lediglich, dass es sich bei den Verstößen gegen die Ge- und Verbote §§ 1-12 SARSCoV-2-EindV bereits um Ordnungswidrigkeiten handelt. Dass der Verordnungsgeber den Bußgeldtatbestand des § 73 Abs. 1 a Nr. 24 lfSG ausfüllen wollte, lässt sich hingegen der Norm nicht entnehmen. (Hierzu wäre beispielsweise eine Formulierung wie in der nunmehr geltenden Fassung der SARS-CoV-2-EindV, wonach ordnungswidrig im Sinne des § 73 Absatz 1 a Nummer 24 des Infektionsschutzgesetzes handelt, wer eine im Folgenden konkret bezeichnete Tat begeht, erforderlich gewesen.)

Da es somit an einer ausreichend bestimmten Bußgeldnorm fehlt, anhand derer das Verhalten des Betroffenen – Weiterbetrieb seines Fitnessstudios – sanktioniert werden kann, ist der Betroffene vorliegend freizusprechen.“

Diesen zutreffenden Erwägungen tritt der Senat bei.

III.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO).

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