Haftung von Tierhalter und Tieraufseher für Pferdetritt
LG Offenburg – Aktenzeichen: 2 O 212/17 – Urteil vom 30.08.2019
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin 12.000,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von jährlich 4 Prozent seit 07.09.2014 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 805,20 € zu zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.05.2016 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin 74%, die Beklagten gesamtschuldnerisch 26% zu zahlen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 46.318,71 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadensersatz infolge des seitlichen Zusammenstoßes zweier Turnierpferde auf dem Reitturnier in K. am 06.09.2014.
Die zum Vorsteuerabzug berechtigte Klägerin betreibt seit mehreren Jahren einen Pferdehandel mit Ausbildungsbetrieb für Pferde. Sie ist Eigentümerin des Turnierpferdes „M.“, einem im Jahr 2000 geborenen Wallach, der von ihr im Jahr 2013 zum Preis von 15.000,00 € käuflich erworben wurde und mit dem seit dem Kauf bis zum Unfalltag 31 Turniere geritten wurden. Der Beklagte zu 1) ist Halter und Eigentümer des Pferdes „L.“, die Beklagte zu 2) dessen volljährige Enkelin, der das vorgenannte Pferd regelmäßig – so auch am vorgenannten Unfalltag – von ihm für Reitturniere überlassen wird.
An vorgenanntem Turniertag befanden sich sowohl das streitgegenständliche Pferd „L.“ mit der minderjährigen Tochter der Klägerin, der Zeugin J., als Reiterin als auch das Pferd des Beklagten zu 1) mit der darauf sitzenden Beklagten zu 2) zusammen mit weiteren Reitern auf dem abgegrenzten Vorbereitungsplatz (sog. Abreiteplatz) für das Springreiten, welches gerade begonnen hatte. Kurz bevor die Zeugin J. mit dem Pferd der Klägerin an der Reihe war, näherte sich das von der Beklagten zu 2) berittene, in diesem Augenblick widersetzliche Pferd dem wartenden Wallach der Klägerin. Es kam zu einer seitlichen Berührung beider Pferde. Beide Reiterinnen sind nach der Berührung allerdings nicht von ihren Pferden abgestiegen, um intensiver nach eventuellen Verletzungen an den Tieren zu schauen. Vielmehr wurde die Zeugin J. von der Turnierleitung per Glocke zur Absolvierung des Springparcours aufgefordert. Diesen hat die Zeugin J. mit dem streitgegenständlichen Wallach auch vollständig mit einer Zeit von knapp 54 Sekunden absolviert. Nach der Rückkehr vom Parcours wurde eine blutende Wunde am vorderen rechten Bein des Wallachs festgestellt, die vom vor Ort anwesenden Tierarzt, dem Zeugen A., erstversorgt wurde. In der Arztrechnung heißt es unter dem Punkt Diagnose: „Vorne rechts lateral kurz oberhalb des Kronsaums Trittverletzung durch fremdes Pferd * auf dem Abreiteplatz von fremdem Pferd mit Stolleneisen verletzt worden Haut bis auf die Gelenkkapsel freigelegt *“ (vgl. Anlage K7).
Das Pferd der Klägerin wurde in der Folgezeit mehrmals tierärztlich nachbehandelt. Dennoch klangen die Lahmheitserscheinungen am rechten Bein bis heute nicht ab, sodass der Wallach seit dem Tag des Zusammenstoßes nicht mehr als Turnierpferd eingesetzt werden konnte. Der Wallach wurde von der Klägerin im Zeitraum September 2014 bis Mai 2015 in einem F. Reitverein untergestellt. Der monatliche Mietzins für die dortige Pferdebox betrug 330,00 € netto. Weiterhin hat die Klägerin monatlich 24,30 € netto für Futterkosten sowie 100,00 € netto für die Pflege durch eine Hilfskraft aufgewendet. Dies ergab auf über 8 Monate hochgerechnet einen Gesamtbetrag von 3.967,55 €, den die Klägerin für die Unterhaltung des Pferdes aufwenden musste. Im Zeitraum Juni bis August 2015 wurde der Wallach im Reitverein E. untergestellt. Hierfür hat die Klägerin insgesamt 900,00 € (= 3 Monate x 300,00 €/Monat) aufgewendet. Für die anschließende Unterstellung auf dem Gut E. musste die Klägerin für November 2015 weitere 134,35 € aufwenden. Zudem hat die Klägerin 300,00 € für einen Hufschmied ausgegeben.
Nachdem die Klägerin den Beklagten zu 1) zum Ersatz der vorgenannten Aufwendungen zzgl. weiterer 42.016,81 € als entgangenen Gewinn aus einem vorgeblichen Pferdekaufvertrag aufgefordert hatte, sowohl der Beklagte zu 1) als auch dessen Haftpflichtversicherung eine Einstandspflicht aber abgelehnt haben, hat die Klägerin Klage erheben lassen. Diese wurde den beiden Beklagten am 30.04.2016 zugestellt.
Die Klägerin behauptet, dass sie ihr Pferd „M.“ im Jahr 2013 mangelfrei gekauft habe, dieses vor dem streitgegenständlichen Vorfall vom 06.09.2014 keine Vorerkrankungen gehabt habe und insbesondere lahmfrei gegangen sei. Das Pferd sei am Tag vor dem Reitturnier an den Zeugen S., einen ehemaligen Pferdezüchter, zum Preis von 50.000,00 € brutto (= 42.016,81 € netto) verkauft worden. Diesen Preis sei der Wallach auch wert, da er sich auch von jungen Reitern bei Turnieren führen ließe. Tag der Auslieferung des Pferdes sollte der 08.09.2014 sein. Es sei mit dem Zeugen S. vereinbart worden, dass das Pferd noch am bereits angemeldeten Turnier in K. teilnimmt. Am Turniertag habe die Beklagte zu 2) die Kontrolle über das Pferd des Beklagten zu 1) verloren. „L.“ habe den Wallach „M.“ getreten. Dabei sei der Wallach am rechten Vorderbein, lateral (seitlich), kurz oberhalb des Kronsaums durch die Stolleneisen des Pferdes der beiden Beklagten verletzt worden. Der Vorfall sei vom Turnierrichter, dem Zeugen E. beobachtet worden. Die beiden Beklagten hätten sich noch vor Ort bei der Familie [der Klägerin] für den Vorfall entschuldigt und eine Schadensregulierung zugesagt. Der Käufer des Wallachs, der Zeuge S., sei in der Folgezeit vom Kaufvertrag zurückgetreten, da kein mangelfreier Wallach mehr übereignet werden konnte. Das Pferd könne mittlerweile nicht einmal mehr für 2.500 – 3.500 – € verkauft werden.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass ihr der Beklagte zu 1) als Tierhalter nach § 833 S. 1 BGB und die Beklagte zu 2) als Tieraufseherin nach § 834 BGB für den genannten Schaden haften würden. Ein Mitverschulden sei der Klägerin nicht anzulasten, da der Tochter der Klägerin kein Fehlverhalten vorzuwerfen sei.
Die Klägerin hat ihre ursprüngliche Klage mit Schriftsatz vom 20.03.2018 erweitert (Bl. 493 d.A.).
Die Klägerin beantragt zuletzt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 46.318,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.09.2014 aus dem Betrag in Höhe von 44.818,71 € und nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klageerweiterung aus weiteren 1.500,00 € zu bezahlen, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.822,96 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu bezahlen, wobei der Beklagte zu 1 die Zinsen seit dem 05.02.2015 und die Beklagte zu 2 Zinsen seit Rechtshängigkeit zu erbringen hat.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, dass das Pferd der Klägerin sich die Verletzungen nicht durch den Zusammenstoß mit dem Pferd des Beklagten zu 1) zugezogen habe. Hätte das Pferd der Klägerin tatsächlich eine bis auf die Gelenkkapsel reichende Verletzung davongetragen, hätten erstens die Turnierrichter das Pferd gar nicht erst zur Punktprüfung antreten lassen dürfen. Zweitens hätte das Pferd den Parcours physisch nicht vollständig absolvieren können. Die Verletzung müsse daher während oder nach der Punkteprüfung entstanden sein. Als weitere Ursache für die Lahmheit des Wallachs komme zudem die Hufknorpelverknöcherung im rechten Bein in Betracht, deren Ursache ständige Überbelastung sei. Dies vor dem Hintergrund, dass der Wallach in den Jahren 2013/2014 31 Turniere geritten sein soll. Auch habe das Pferd an der Innenseite des rechten Beines eine deutlich erkennbare Narbe, sodass es einen weiteren Vorfall gegeben habe müsse, der genauso gut für die Lahmheit des Wallachs ursächlich sein könne. Der Wert des Pferdes der Klägerin habe vor dem Vorfall aufgrund der Vorschäden maximal 10.000,00 EUR betragen. Der angebliche Kaufvertrag mit dem Zeugen S. sei fingiert, da der Kaufpreis erstens völlig überzogen sei und zweitens kein Käufer der Welt ein derart teures Pferd noch ein Reitturnier vor Übergabe absolvieren lassen würde.
Die Beklagten sind der Ansicht, dass die Klägerin keinen Nachweis dafür erbracht habe, dass die blutende Wunde vom Turniertag aus einem Tritt von „L.“ resultiert. Selbst wenn, habe die Klägerin nicht bewiesen, dass die Verletzung vom Turniertag Ursache für die spätere Lahmheit des Pferdes ist. Gewissheit für letzteres könne nur eine MRT-Untersuchung bringen. Im Übrigen sei die Beklagte zu 2) nicht Tierhüterin i.S.v. § 834 BGB, da ihr das Pferd „L.“ nur aus Gefälligkeit vom Beklagten zu 1) überlassen worden sei, sodass Ansprüche gegen sie bereits aus diesem Grund von vornherein ausscheiden würden.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Klägerin vom 26.04.2016, 02.08.2016, 30.11.2016, 20.03.2018, 18.09.2018 und 28.02.2019 sowie die der Beklagten vom 10.06.2016, 14.09.2016, 07.12.2016, 22.08.2017, 10.04.2018, 25.07.2018 und 14.02.2019 nebst dazugehöriger Anlagen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. med. vet. B. sowie die uneidliche Vernehmung der Zeugen J., M., E., A. und S.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf die Sitzungsniederschriften vom 21.12.2016, 02.08.2017, 06.02.2019 und 24.xx.2019.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
I.
Die Beklagten haften der Klägerin gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Höhe von 12.000,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 4 Prozent p.a. seit dem 07.09.2014.
1.) Der Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 12.000,00 EUR gegen den Beklagten zu 1) ergibt sich aus § 833 S. 1 BGB (sog. Tierhalterhaftung), dessen tatbestandliche Voraussetzungen vorliegen.
a) So steht zur Überzeugung des Gerichts i.S.v. § 286 ZPO fest, dass ein Tritt des Pferdes „L.“ auf dem sog. Abreiteplatz ursächlich für die blutende Wunde des Wallachs „M.“ am rechten Vorderbein war.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität den strengen Anforderungen des § 286 ZPO, während der Tatrichter nur bei der Ermittlung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden, der sog. haftungsausfüllenden Kausalität, nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt ist (BGH, Urt. v. 04.11.2003 – VI ZR 28/03, r + s 2004, 39). Erforderlich ist im Rahmen des § 286 ZPO mithin ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. BGH, Urt. v. 08.07.2008 – VI ZR 274/07, NZV 2008, 501).
aa) Nach diesen Maßstäben hat das Gericht zunächst keine vernünftigen Zweifel, dass ein Tritt des „L.“ die blutende Verletzung am vorderen rechten Bein des Wallachs verursacht hat, die der vor Ort behandelnde Tierarzt, der Zeuge A., in seiner Rechnung vom 07.10.2014 beschrieben hat (vgl. Anlage K7).
Zwar haben vorliegend weder die Reiterin des streitgegenständlichen Wallachs, die Zeugin J., noch der Turnierrichter E. noch eine sonstige Person einen Tritt des „L.“ gesehen. Unstrittig gab es lediglich einen Zusammenprall der beiden Pferde auf dem Abreiteplatz. Der Vollbeweis für die Primärverletzung kann aber auch dadurch geführt werden, dass das Gericht sämtliche anderen Ursachen hierfür ausschließen kann. Unstrittig ist dabei wiederum, dass der streitgegenständliche Wallach unverletzt auf dem Abreiteplatz auf seinen Turnierstart gewartet hatte, bevor der widersetzliche „L.“ sich ihm näherte. Dass nach dem Zusammenprall der beiden Pferde auf dem Weg zum Springparcours ein Hindernis zu überwinden war, welches als weitere Ursache für die klaffende Wunde in Betracht kommt, wurde nicht vorgetragen. Ebenso wenig steht im Streit, dass eines der Hindernisse oder eine Hindernisstange, die der Wallach überquert bzw. heruntergerissen hat, die Ursache für die laterale Wunde des Pferdes gesetzt hat. Zwischen den Parteien wurde nicht einmal diskutiert, aus welchem Material die Hindernisstangen sind und wie leicht sie bei Berührung abfallen, sodass das Gericht davon ausgeht, dass zwischen den Parteien als Pferdesportfreunde bekannt und damit unstrittig ist, dass Hindernisstangen beim Springreiten derart leicht abfallen, dass sich die Tiere keine Verletzungen zuziehen können. Hätte am Unfalltag im Übrigen der Verdacht bestanden, dass ein Hindernis oder eine Hindernisstange die Verletzung verursacht hat, wäre das Reitturnier bei lebensnaher Einschätzung des Sachverhalts wohl nicht unvermindert fortgesetzt worden. Gründe für eine Verletzung des Pferdes bei der Rückkehr vom Parcours bis zur Entdeckung der Wunde wurden ebenfalls nicht vorgetragen. Dass das Pferd sich die tiefe Wunde nicht selbst zugezogen haben kann, folgt daraus, dass sich die zu nähende Wunde außen am Bein befand, noch dazu auf der Seite, nämlich der rechten Seite, die als einzige Kollisionsseite in Betracht kommt. Dass der wartende Wallach mit dem Hinterteil voran auf den Turnierstart gewartet hat, sodass als Kollisionsseite auch die linke Seite in Betracht kommt, wurde selbst von der Beklagtenseite nicht vorgetragen. Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass es dem erkennenden Gericht aufgrund eines Richterwechsels verwehrt ist, die Aussage der Zeugin J., dass die Kollision an der rechten Seite des Wallachs stattgefunden haben soll, auf ihre Glaubhaftigkeit hin zu überprüfen (BVerfG, Beschl. v. 30.01.2008 – 2 BvR 2300/07, NJW 2008, 2243). Dass blutende Tiere nicht am Springreiten teilnehmen dürfen und Turnierrichter verpflichtet sind, einzugreifen, mag zutreffen, setzt aber voraus, dass irgendjemand, insbesondere der Turnierrichter, die blutende Wunde bemerkt hat. Der Turnierrichter, der damals 74-jährige E., will keine blutende Wunde unmittelbar vor dem Start vom Richterturm aus gesehen haben, wobei unklar blieb, ob und wie genau er überhaupt den Wallach beim Einlaufen betrachtet hatte, da er sich an kaum etwas noch erinnern konnte (vgl. Bl. 291 ff. d.A.). Dass der Zeuge E. die blutende Wunde vor dem Start entgegen seiner Zeugenaussage doch gesehen hat, wurde im weiteren Verlauf des bisherigen Verfahrens von keiner Seite behauptet. Das Gericht gibt auch zu Bedenken, ob jede blutende Wunde auf dunklem Pferdehaar zwangsläufig von jedem Turnierrichter, noch dazu von einem 74-Jährigen, vom Richterturm aus gesehen werden kann und muss. Das Gericht hält es bei lebensnaher Betrachtung auch nicht für ausgeschlossen, dass der Wallach sich mit der blutenden Wunde über den Parcours „geschleppt“ hat. Das Gericht stimmt insofern mit dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. überein, wonach – ebenso wie beim Menschen auch – der Hormonausstoß im Körper des Tieres dafür sorgen kann, dass trotz schwerwiegenderer Verletzung kurzzeitig noch sportliche Höchstleistungen erbracht werden können (vgl. Seite 11 des schriftlichen Sachverständigengutachtens). Dies vor dem Hintergrund, dass die Absolvierung des Parcours nur 54 Sekunden gedauert hat. An der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin J., wonach das Pferd spürbar Probleme bei der Absolvierung des Parcours gehabt haben soll, sieht sich das erkennende Gericht aufgrund des Richterwechsels gehindert.
bb) Ob über diese Primärverletzung hinaus der Tritt des „L.“ für die dauerhafte Lahmheit des Wallachs ursächlich ist, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität, die sich nach oben zitierter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach § 287 ZPO beurteilt. Bei der Ermittlung dieses Kausalzusammenhangs zwischen dem Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden unterliegt der Tatrichter also nicht den strengen Anforderungen des § 286 ZPO. Vielmehr ist er nach Maßgabe des § 287 ZPO freier gestellt. Zwar kann der Tatrichter auch eine haftungsausfüllende Kausalität nur feststellen, wenn er von diesem Ursachenzusammenhang überzeugt ist. Im Rahmen der Beweiswürdigung gemäß § 287 ZPO werden aber geringere Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt. Hier genügt, je nach Lage des Einzelfalles, eine höhere oder deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für die Überzeugungsbildung (BGH, Urt. v. 28.01.2003 – VI ZR 139/02, r + s 2003, 172). Die bloße zeitliche Nähe zwischen einem Unfallereignis und der Entstehung der Beschwerden und die daran anknüpfende „gefühlsmäßige“ Wertung, beide Ereignisse müssten irgendwie miteinander in Zusammenhang stehen, reicht allerdings nicht aus. Als Mindestmaß für die Beweisführung ist zu fordern, dass die unfallbedingte Entstehung und Fortdauer der behaupteten Beschwerden wahrscheinlicher ist als ihre unfallunabhängige Entstehung und Fortdauer (OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.09.1999 – 10 U 85/99, NZV 2001, 511; OLG München, Urt. v. 06.03.2015 – 10 U 824/14, r+s 2015, 574).
Nach diesen Maßstäben sieht das Gericht den Beweis dafür, dass die durch „L.“ zugefügte Trittverletzung letztlich die Lahmheit am rechten vorderen Bein des streitgegenständlichen Wallachs verursacht hat, auch ohne Gewissheit bringende MRT-Untersuchung erbracht.
Dies deshalb, weil nach Betäubung der lateralen Stelle, an der vom Zeugen A. die klaffende Wunde am Unfalltag festgestellt wurde, die Lahmheit nicht mehr weiter bestand (vgl. Seite 10 des Gutachtens des Sachverständigen Dr. B.). Das Gericht hält es daher für deutlich unwahrscheinlicher, dass die Lahmheit aus der nicht weiter bekannten Verletzung an der rechten Beininnenseite stammt. Dem steht zur Überzeugung des Gerichts auch nicht entgegen, dass die laterale MPA (Mittlere Palmarnerven-Anästhesie) erst nach über drei Jahren durchgeführt wurde, da der Wallach unstrittig bereits seit dem Unfalltag durchgehend lahmte, sodass überholende Ursachen unwahrscheinlich sind.
Soweit die Gegenseite behauptet, dass durch den Tritt genauso gut lediglich die nachweislich bereits im rechten Bein vorhanden gewesenen Degenerationsschäden aktiviert worden sein könnten, so ist hierzu zu sagen, dass sich der Schädiger nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht darauf berufen kann, dass der Schaden nur deshalb eingetreten sei, weil der Verletzte für den Schaden besonders anfällig war (vgl. BGH, Urt. v. 05.11.1996 – VI ZR 275/95, NZV 1997, 69). Das Gericht sieht dabei keinen Grund, diese für Menschen entwickelte Rechtsprechung nicht auch auf Wirbeltiere anzuwenden, vgl. Art. 20a GG.
Soweit die Einwände der Gegenseite dahingehend zu verstehen sein sollen, dass die Degenerationsschäden Alleinursache der Lahmheit seien, verweist das Gericht im Rahmen seiner Wahrscheinlichkeitsbetrachtung darauf, dass es ein seltener Zufall wäre, wenn die Degenerationsschäden ausgerechnet am Turniertag zum allerersten Mal aufgetreten wären.
b) Es unterliegt in rechtlicher Hinsicht weiterhin keinem Zweifel, dass sich durch das plötzliche Treten eines widersetzlichen Pferdes die typische Tiergefahr verwirklicht (vgl. OLG Stuttgart, Urt. v. 07.09.1993 – 10 U 315/92, NJW-RR 1994, 93).
c) Die Klägerin kann daher gemäß §§ 249 ff. BGB Ersatz ihres Schadens verlangen.
aa) Nicht ersatzfähig sind zunächst die geltend gemachten 42.016,81 € als entgangener Gewinn i.S.v. § 252 BGB aus dem angeblichen Kaufvertrag vom Vortag des Reitturniers mit dem Zeugen S., da zur Überzeugung des Gerichts feststeht, dass der Kaufvertrag im Nachhinein fingiert wurde, um am Schadensereignis zu verdienen.
Der Zeuge S. gab in seiner Zeugenvernehmung vor dem erkennenden Gericht an, den Wallach an einem Bierstand auf einem Reitturnier in L. vom Zeugen M. [Ehemann der Klägerin] gekauft zu haben, wobei er mit dem vom Zeugen M. vorgegebenen Kaufpreis in Höhe von 50.000,00 € ohne Nachverhandlung und ohne vorherige Untersuchung des Pferdes einverstanden gewesen sein will, weil er schlicht ein neues Pferd für seine Tochter gesucht habe. Auf den Vorhalt der Prozessvertreterin der Beklagten, dass er damals in einem desolaten Reihenhaus gewohnt habe und seine Tochter nachweislich in den Jahren 2012 bis 2018 nicht an Reitturnieren teilgenommen habe, sodass der Kauf eines neuen, derart teuren Pferdes überhaupt keinen Sinn gehabt hätte, reagierte der Zeuge S. aufbrausend. Antworten wollte er auf diese Fragen partout nicht geben. Eine Antwort sei ihm, so seine mehrfache Beteuerung unter Benutzung seines Zeigefingers „zu schäbig“. Letztlich hat der Zeuge S. den Gerichtssaal in erregtem Zustand derart schnell verlassen, dass das verdutzte Gericht glatt vergessen hat, den Zeitpunkt seiner Entlassung im Protokoll festzuhalten. Auf seine Zeugenentschädigung hat der Zeuge S. schließlich noch beim Gang Richtung Tür verzichtet.
Abgesehen davon, dass es das Gericht für höchst unwahrscheinlich erachtet, dass jemand an einem Bierstand 50.000,00 € für ein Pferd ausgibt, ohne nachzuverhandeln und ohne das Pferd jemals genauer begutachtet zu haben, würdigt das Gericht das oben beschriebene Verhalten des Zeugen S. dahingehend, dass er das Gericht angelogen hat, da schlicht kein vernünftiger Grund ersichtlich ist, dermaßen verärgert auf die zwar provokanten aber höflich gestellten und im vorliegenden Fall auch angemessenen Fragen der Prozessvertreterin zu reagieren. Das Gericht zitiert in diesem Zusammenhang den Sachverständigen Dr. B., wonach der angebliche Kaufpreis in Höhe von 50.000,00 € ein „astronomischer Betrag“ sei, den allenfalls der „Scheich von Dubai“ zahlen würde (Bl. 657 d.A.). Der Zeuge S. hat auf das Gericht nicht den Eindruck gemacht, als würde bei ihm das Geld so locker sitzen, dass er an einem Bierstand 50.000,00 € für ein Pferd ausgeben könnte. Dies vor dem Hintergrund, dass seine Tochter aus Trauer wohl tatsächlich erst im Jahr 2018 wieder an Reitturnieren teilgenommen hat, nachdem ihr vorheriges Pferd im Jahr 2012 verstorben war. Die Fragen an den Zeugen S., wieso der angebliche Kaufvertrag vom Vortag des Reitturniers vorgeblich in H. von ihm unterschrieben wurde, während er im Rahmen der Zeugenvernehmung angab, den Vertrag in F. unterschrieben zu haben und wieso er letztlich weder schriftlich vom Kaufvertrag zurückgetreten ist noch irgendwelche Vertragserfüllungsansprüche geltend gemacht hat, erübrigte sich für das Gericht im Hinblick auf dieses Verhalten.
bb) Mangels wirksamen Kaufvertrags zwischen der Klägerin und dem Zeugen S. stellen auch die Unterhaltungskosten für das Pferd in der Folgezeit keinen ersatzfähigen Schaden dar, da diese Kosten mangels tatsächlich beabsichtigter Übergabe an den Zeugen S. so oder so für die Klägerin angefallen wären.
cc) Ersatzfähig ist folglich lediglich der Wertverlust des nunmehr dauerhaft lahmenden Wallachs in Höhe von 12.000,00 €.
Dieser vom Gericht nach § 287 ZPO geschätzte Betrag setzt sich zusammen aus einem vom Gericht angenommenen Wert des Wallachs vor dem schädigenden Ereignis in Höhe von 12.500,00 € abzüglich eines geschätzten Restwertes in Höhe von 500,00 € infolge des schädigenden Ereignisses.
Das Gericht folgt dabei nicht der ursprünglichen Beurteilung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B., der von einem Wert des „unversehrten Wallachs“ von maximal 35.000,00 € ausgeht (vgl. Bl. 531 d.A. und Seite 13 seines schriftlichen Gutachtens), da der Wallach – wie sich nach den diversen Untersuchungen herausgestellt hat – auch schon vor dem Unfallereignis erhebliche Degenerationsschäden aufwies. Weiterhin geht das Gericht davon aus, dass der von ihm angesetzte Schlachtwert in Höhe von 1.000,00 € zu hoch angesetzt ist (vgl. Seite 14 seines Gutachtens), was sich letztlich auch daran zeigt, dass selbst der Gnadenhof Gut E. kein Interesse an einem Kauf zu einem niedrigen vierstelligen Betrag gezeigt hatte (vgl. Bl. 15 d.A.).
Das Gericht orientiert sich vielmehr an den Angaben aus dem Privatgutachten der öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Pferde, Frau W., die den Wallach ebenfalls persönlich begutachtet hat und ihre Wertangaben unter Berücksichtigung u.a. von ursprünglichem Kaufpreis, Lebensalter, Marktlage, Gesundheitszustand, Ausbildung und Erziehung, Turniererfolgen, verbleibende Einsatzmöglichkeiten etc. ausführlichst begründen konnte. Der Widerspruch zum Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen wurde letztlich dadurch gelöst, dass auch der gerichtliche Sachverständige seine Angaben unter Berücksichtigung der Vorschäden auf einen Wert von 10.000,00 – 15.000,00 € angepasst hat (Bl. 657 d.A.).
Der Wertverlust in Höhe von 12.000,00 € ist gemäß §§ 849, 246 BGB in Höhe von jährlich 4 Prozent zu verzinsen, beginnend ab dem Tag nach dem schädigenden Ereignis, dem 07.09.2014 (§ 187 Abs. 1 BGB analog).
dd) Der Schadensersatzanspruch ist auch nicht aufgrund eines Mitverschuldens der Klägerin bei der Schadensentstehung i.S.v. § 254 Abs. 1 BGB zu kürzen, insbesondere ist der Klägerin nicht die Tiergefahr ihres eigenen Pferdes anzurechnen, da von ihrem Wallach keinerlei eigene Energie an dem Geschehen auf dem Abreiteplatz beteiligt war (vgl. BGH, Urt. v. 31.05.2016 – VI ZR 465/15, NJW 2016, 2737, 2738 Tz.9). Der Wallach stand schlicht wartend auf dem Abreiteplatz als sich der widersetzliche „L.“ näherte.
2.) Weiterhin ersatzfähig sind die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Dem Klägervertreter steht nach Nr. 1230 VV RVG eine 1,3 Geschäftsgebühr aus einem Geschäftswert von bis zu 13.000 € zzgl. Pauschale für Post- und Telekommunikationsmittel nach Nr. 7002 VV RVG, mithin ein Betrag von 805,20 € (= 785,20 € + 20,00 €) zu.
Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin ist dieser Anspruch gegen den Beklagten zu 1) allerdings nicht schon ab dem 05.02.2015 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen, sondern erst ab Rechtshängigkeit. Abgemahnt wurde seitens der Klägerin gegenüber dem Beklagten zu 1) lediglich der entgangene Gewinn aus dem angeblichen Kaufvertrag mit dem Zeugen S. sowie die oben genannten Unterhaltungskosten (vgl. Anlage K21). Zur Zahlung dieser höchst fragwürdigen Schadensersatzforderung ist der Beklagte zu 1) nach oben Gesagtem gerade nicht verpflichtet. Auch musste der Beklagte zu 1) nach Treu und Glauben die Zuvielmahnung nicht dahingehend verstehen, dass lediglich der deutlich geringere Wertverlust des Wallachs zu ersetzen sei, da hiervon in der in der außergerichtlichen Korrespondenz nie die Rede war.
3.) Der Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 12.000,00 € gegen die Beklagte zu 2.) ergibt sich aus § 834 BGB.
a) Die Beklagte zu 2) hat die Aufsichtsführung über das Pferd des Beklagten zu 1) „durch Vertrag“ i.S.v. § 834 S. 1 BGB übernommen.
Die Übernahme der Aufsichtsführung durch Vertrag bedeutet die Übertragung der selbstständigen allgemeinen Gewalt und Aufsicht über das Tier (Palandt/Sprau, § 834 Rn. 2). Eine ausdrückliche derartige Abrede ist hierfür nicht erforderlich. Es genügt nach allgemeiner Rechtsgeschäftslehre eine konkludente Einigung.
Eine solche ist vorliegend nach §§ 133, 157 BGB in Abgrenzung zur bloßen Gefälligkeit und trotz der familiären Beziehung zwischen den Beklagten anzunehmen.
Dies deshalb, weil „L.“ nicht nur wenige Minuten oder Stunden im Gewahrsam der Beklagten zu 2) war (vgl. etwa zum Hufschmied OLG Hamm, Urt. v. 22.04.2015 – 14 U 19/14, NJW-RR 2015, 1114, 1117 Tz. 55), sondern regelmäßig über ganze Turniertage samt An- und Abreise. Es ist daher davon auszugehen, dass die zum Unfallzeitpunkt bereits volljährige Beklagte zu 2) auch die Verantwortung für das Wohl und Wehe des Tieres in Abwesenheit von dessen Halter, dem Beklagten zu 1), übernehmen wollte. Eine derartige Erwartungshaltung dürfte aufgrund des hohen Wertes des Pferdes, der übermäßigen Beanspruchung des Tieres in mit Geldgewinnen dotierten Wettkämpfen (in Abgrenzung zum bloßen Ausreiten) auch beim Halter vorhanden gewesen sein.
b) Den Entlastungsbeweis i.S.v. § 834 S. 2 BGB hat die Beklagte zu 2) nicht erbracht.
Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten zu 2) trifft aufgrund der negativen Formulierung in § 834 S. 2 BGB nicht die Klägerin, sondern sie selbst die Beweislast dafür, dass sie ihr Pferd sorgfältig beaufsichtigt hat oder dass der Schaden auch bei sorgfältiger Beaufsichtigung eingetreten wäre (MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 834 Rn. 9).
Im Hinblick darauf, dass die Beklagte zu 2) selbst zugegeben hat, dass sie bereits vor dem Zusammenstoß von der Aufsicht des Abreiteplatzes auf ihr nervöses Pferd hingewiesen worden war (Bl. 167 d.A.), sie aber dennoch keine Maßnahmen zum Schutz der anderen Reiter und Tiere ergriffen hat, wäre ihr der Entlastungsbeweis so oder so auch nicht gelungen.
c) Im Übrigen gilt das oben zum Beklagten zu 1) Gesagte.
4.) Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten ergibt sich § 840 Abs. 1 BGB.
II.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.