Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Unfall an Kreuzung: Teilschuld trotz verbotenen Abbiegens über Sperrfläche
- Wie sich der Unfall ereignete
- Was der wartepflichtige Fahrer forderte
- Der Streit vor Gericht: Wer war schuld?
- Die Entscheidung des Landgerichts (Erste Instanz)
- Die Berufung und die Entscheidung des Oberlandesgerichts
- Das endgültige Urteil: Geteilte Haftung
- Verteilung der Prozesskosten
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was bedeutet Teilschuld bei einem Verkehrsunfall und wie wird sie bestimmt?
- Welche Rolle spielt das Überfahren einer Sperrfläche bei der Haftungsfrage nach einem Unfall?
- Wie beeinflusst eine durchgezogene Linie oder Sperrfläche die Vorfahrtregelung an einer Kreuzung?
- Welche Beweismittel sind wichtig, um die eigene Position bei einem Unfall mit Teilschuld zu untermauern?
- Was kann ich tun, wenn ich mit der Teilschuldzuweisung nach einem Unfall nicht einverstanden bin?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Hinweise und Tipps
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 3 U 1127/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Thüringer Oberlandesgericht
- Datum: 16.05.2022
- Aktenzeichen: 3 U 1127/21
- Verfahrensart: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Schadensersatzrecht, Verkehrsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Der Fahrzeughalter, dessen Pkw bei einem Unfall beschädigt wurde und der Schadensersatz (u.a. für Reparaturkosten und Wertminderung) fordert.
- Beklagte: Der Fahrer des anderen am Unfall beteiligten Fahrzeugs und dessen Haftpflichtversicherung.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Am 02.01.2021 wollte der Kläger aus einer Straße nach links in eine Vorfahrtsstraße einbiegen und fuhr dabei ca. einen halben Meter in den Kreuzungsbereich ein. Der Fahrer des Beklagten-Fahrzeugs bog zur gleichen Zeit von der Vorfahrtsstraße nach links in die Straße des Klägers ab. Dabei überfuhr er eine Sperrfläche bzw. durchgezogene Linie und kollidierte mit dem Fahrzeug des Klägers.
- Kern des Rechtsstreits: Klärung, wer für den Unfall verantwortlich ist (Haftungsverteilung) und wie hoch der Schadensersatzanspruch des Klägers für die entstandenen Schäden (Reparaturkosten: 6.815,02 Euro, Wertminderung: 250,- Euro) ist.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Urteil der Vorinstanz (Landgericht Mühlhausen) wurde teilweise geändert. Die Beklagten (Fahrer und Versicherung) müssen dem Kläger als Gesamtschuldner insgesamt 4.545,95 Euro (4.005,45 Euro + 540,50 Euro) zuzüglich Zinsen zahlen. Soweit der Kläger mehr gefordert hatte, wurde die Klage abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hatte also teilweise Erfolg.
- Folgen: Der Kläger muss 75% der Kosten des Berufungsverfahrens tragen, die Beklagten als Gesamtschuldner 25%. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar (d.h. der Kläger kann die Zahlung grundsätzlich sofort verlangen, auch wenn theoretisch noch Rechtsmittel möglich wären). Eine weitere Überprüfung des Urteils durch den Bundesgerichtshof (Revision) ist nicht zugelassen.
Der Fall vor Gericht
Unfall an Kreuzung: Teilschuld trotz verbotenen Abbiegens über Sperrfläche
Das Thüringer Oberlandesgericht hat in einem Berufungsverfahren über die Verteilung der Schuld nach einem Verkehrsunfall entschieden.

Dabei ging es um die Frage, wer haftet, wenn ein Autofahrer beim Abbiegen eine Sperrfläche überfährt und mit einem wartepflichtigen Fahrzeug kollidiert. Das Gericht änderte das Urteil der Vorinstanz ab und sprach dem ursprünglich vollen Schadensersatz fordernden Fahrer nur noch einen Teilbetrag zu.
Wie sich der Unfall ereignete
Am 2. Januar 2021 gegen Mittag wollte ein Autofahrer mit seinem Wagen von einer Seitenstraße (S…straße) in N… nach links auf die bevorrechtigte N… Straße abbiegen. Um die Kreuzung besser einsehen zu können, fuhr er nach eigenen Angaben etwa einen halben Meter in den Kreuzungsbereich hinein.
Zur gleichen Zeit befuhr ein anderer Autofahrer die bevorrechtigte N… Straße. Dieser Fahrer wollte nach links in die S…straße abbiegen – also genau in die Straße, aus der der erste Autofahrer kam. Beim Linksabbiegen überfuhr der Fahrer auf der Vorfahrtsstraße jedoch eine durchgezogene Linie bzw. eine markierte Sperrfläche. Während dieses Abbiegemanövers kam es zum Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge. Das Auto des abbiegenden Fahrers war bei einer Versicherungsgesellschaft haftpflichtversichert.
Was der wartepflichtige Fahrer forderte
Der Fahrer, der aus der Seitenstraße kam, machte Schadensersatzansprüche geltend. An seinem Fahrzeug waren laut Gutachten Reparaturkosten in Höhe von 6.815,02 Euro entstanden. Hinzu kamen eine Wertminderung von 250 Euro, Kosten für das Sachverständigengutachten von 919,87 Euro und eine allgemeine Kostenpauschale von 26 Euro. Insgesamt belief sich seine Forderung auf rund 8.011 Euro für den Fahrzeugschaden und die Nebenkosten. Zusätzlich forderte er Ersatz für seine vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 887,03 Euro.
Der Streit vor Gericht: Wer war schuld?
Die beiden Unfallbeteiligten waren sich über die Schuldfrage uneinig.
Die Sicht des wartepflichtigen Fahrers:
Er behauptete, zum Zeitpunkt der Kollision mit seinem Auto gestanden zu haben. Der andere Fahrer sei plötzlich und ohne den Blinker zu setzen links abgebogen. Mit diesem verbotenen Abbiegen über die Sperrfläche habe er nicht rechnen müssen. Der abbiegende Fahrer trage daher die alleinige Schuld am Unfall. Für ihn selbst sei der Zusammenstoß unvermeidbar gewesen. Er betonte außerdem, dass der andere Fahrer auch hätte links abbiegen können, ohne die Sperrlinie überfahren zu müssen.
Die Sicht des abbiegenden Fahrers und seiner Versicherung:
Sie vertraten die Ansicht, der Fahrer aus der Seitenstraße habe die Vorfahrt des auf der N… Straße fahrenden Wagens missachtet. Dieser habe auch nicht gestanden, sondern sei in Bewegung gewesen. Das Linksabbiegen an dieser Stelle sei erlaubt gewesen, und der Fahrer habe den Abbiegevorgang auch durch Blinken angezeigt. Unter diesen Umständen treffe den wartepflichtigen Fahrer die alleinige Schuld. Da dieser die Absicht hatte, auf die Vorfahrtsstraße einzubiegen, spreche bereits der „Beweis des ersten Anscheins“ für sein Verschulden. Das Überfahren der Sperrfläche durch ihren Fahrer begründe allenfalls dann eine Mitschuld, wenn diese Sperrfläche dem Schutz des Einbiegenden diene, was sie hier aber nicht tue. Sie beantragten daher, die Klage vollständig abzuweisen.
Die Entscheidung des Landgerichts (Erste Instanz)
Das Landgericht Mühlhausen hörte beide Fahrer persönlich an. Mit Urteil vom 21. September 2021 gab es der Klage weitgehend statt. Das Landgericht sah die alleinige Schuld beim abbiegenden Fahrer. Es verurteilte ihn und seine Versicherung dazu, dem wartepflichtigen Fahrer den gesamten Schaden von rund 8.011 Euro sowie einen Großteil der Anwaltskosten (ca. 713 Euro) zu ersetzen.
Die Begründung des Landgerichts: Zwar habe sich der wartepflichtige Fahrer nicht wie ein „Idealfahrer“ verhalten – er hätte an der Haltelinie warten können, bis die Vorfahrtsstraße komplett frei ist. Dennoch hafte der abbiegende Fahrer zu 100 %, weil er beim Linksabbiegen verbotenerweise über die Sperrfläche gefahren sei. Das Gericht argumentierte, dass der Schutzbereich einer solchen Sperrfläche auch diejenigen Verkehrsteilnehmer einschließe, die grundsätzlich darauf vertrauen dürften, dass die Sperrfläche beachtet wird. Für den wartepflichtigen Fahrer habe keine durchgezogene Linie gegolten, er hätte also theoretisch links abbiegen dürfen. Ob er im Moment des Unfalls stand oder langsam rollte, sei unerheblich, da die alleinige Unfallursache das Überfahren der Sperrlinie durch den abbiegenden Fahrer gewesen sei.
Die Berufung und die Entscheidung des Oberlandesgerichts
Gegen dieses Urteil legten der abbiegende Fahrer und seine Versicherung Berufung beim Thüringer Oberlandesgericht ein. Sie hielten das Urteil für rechtsfehlerhaft, insbesondere die Verteilung der Schuld. Sie argumentierten, dass das Landgericht den klaren Vorfahrtsverstoß des wartepflichtigen Fahrers (§ 8 der Straßenverkehrsordnung) nicht ausreichend gewürdigt habe. Dieser sei unbestritten aus einer untergeordneten Straße gekommen und habe die Vorfahrt des auf der Hauptstraße fahrenden Wagens missachtet. Dieses Vorfahrtsrecht habe auch im Moment der Kollision noch bestanden. Sie plädierten daher für eine deutliche Mithaftung des wartepflichtigen Fahrers und schlugen eine Haftungsquote von maximal 1/3 zu ihren Lasten vor.
Das Thüringer Oberlandesgericht prüfte den Fall erneut und änderte das Urteil des Landgerichts ab. Es folgte teilweise den Argumenten der Berufung und kam zu einer anderen Verteilung der Verantwortung für den Unfall.
Das endgültige Urteil: Geteilte Haftung
Das Oberlandesgericht entschied, dass der abbiegende Fahrer und seine Versicherung nicht den vollen Schaden ersetzen müssen. Sie wurden stattdessen verurteilt, als Gesamtschuldner (also gemeinsam haftend) an den wartepflichtigen Fahrer zu zahlen:
- 4.005,45 Euro für den Fahrzeugschaden und die damit verbundenen Kosten (zzgl. Zinsen seit dem 05.03.2021).
- 540,50 Euro für die vorgerichtlichen Anwaltskosten (zzgl. Zinsen seit dem 31.03.2021).
Im Übrigen wurde die Klage des wartepflichtigen Fahrers abgewiesen. Das bedeutet, dass er einen erheblichen Teil seines ursprünglich geforderten Schadens (fast die Hälfte) selbst tragen muss. Das Gericht ging also von einer deutlichen Mithaftung des wartepflichtigen Fahrers aus, obwohl der andere Fahrer die Sperrfläche überfahren hatte.
Verteilung der Prozesskosten
Die Kosten des Berufungsverfahrens spiegeln dieses Ergebnis wider: Der wartepflichtige Fahrer muss 75 % der Kosten tragen, während der abbiegende Fahrer und seine Versicherung nur 25 % übernehmen müssen. Dies zeigt, dass die Berufung der Beklagtenseite überwiegend erfolgreich war.
Eine Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen, womit das Urteil des Oberlandesgerichts rechtskräftig ist.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass das Überfahren einer Sperrfläche beim Abbiegen ein schwerwiegender Verstoß ist, der die Haftungsverteilung erheblich beeinflussen kann. Selbst wenn ein Fahrer grundsätzlich vorfahrtsberechtigt ist, kann er durch ein verbotswidriges Abbiegemanöver seinen Schutzanspruch verlieren. Bei Verkehrsunfällen an Kreuzungen ist nicht nur die klassische Vorfahrtsregelung entscheidend, sondern auch die Beachtung von Sperrflächen, da diese dem Schutz aller Verkehrsteilnehmer dienen, die auf deren Einhaltung vertrauen dürfen. Dies kann im Schadensfall zu einer vollständigen Haftung des Vorfahrtsberechtigten führen, wenn er durch Überfahren von Markierungen gegen Verkehrsregeln verstößt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Teilschuld bei einem Verkehrsunfall und wie wird sie bestimmt?
Wenn es zu einem Verkehrsunfall kommt, ist nicht immer nur eine Person allein verantwortlich. Teilschuld bedeutet, dass mehrere Beteiligte durch ihr Verhalten zum Unfall beigetragen haben und deshalb auch anteilig für die entstandenen Schäden haften. Es ist also nicht immer eine Frage von „alles oder nichts“, sondern oft wird die Verantwortung aufgeteilt.
Wie wird die Verantwortung aufgeteilt? Die Abwägung der Verursachungsbeiträge
Die rechtliche Grundlage für die Teilschuld findet sich vor allem im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), genauer in § 254 BGB (Mitverschulden). Diese Regelung besagt vereinfacht: Hat derjenige, der einen Schaden erlitten hat, selbst durch eigenes Verschulden dazu beigetragen, dass der Schaden entstanden oder sich vergrößert hat, so hängt die Pflicht zum Ersatz – und wie viel ersetzt wird – davon ab, wie viel die einzelnen Beteiligten jeweils zur Entstehung des Schadens beigetragen haben.
Gerichte oder auch Versicherungen (bei der außergerichtlichen Schadensregulierung) prüfen also genau, wer welchen Fehler gemacht hat und wie schwer dieser Fehler wiegt. Man spricht hier von einer Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile. Es wird eine Quote gebildet (z.B. 50/50, 70/30, 25/75), die angibt, zu welchem Anteil jeder Beteiligte für den Schaden aufkommen muss.
Welche Faktoren spielen bei der Bestimmung der Teilschuld eine Rolle?
Bei der Festlegung der Quote werden verschiedene Aspekte berücksichtigt:
- Art und Schwere der Verkehrsverstöße: Hat jemand eine rote Ampel überfahren? War jemand zu schnell unterwegs? Wurde die Vorfahrt missachtet? Wurde eine durchgezogene Linie oder eine Sperrfläche überfahren? Ein schwerwiegender Verstoß (wie das Überfahren einer roten Ampel) wiegt in der Regel schwerer als ein geringfügiger (wie leicht überhöhte Geschwindigkeit).
- Kausalität: Es wird geprüft, inwieweit der jeweilige Fehler tatsächlich ursächlich für den Unfall war. Hätte der Unfall auch ohne diesen spezifischen Fehler stattgefunden?
- Betriebsgefahr: Bei Unfällen zwischen Kraftfahrzeugen spielt auch die sogenannte Betriebsgefahr eine Rolle. Das ist die Gefahr, die allein schon vom Betrieb eines Fahrzeugs ausgeht, selbst wenn kein konkreter Fahrfehler vorliegt. Diese wird in die Abwägung miteinbezogen, kann aber hinter einem groben Verschulden des anderen zurücktreten.
- Vermeidbarkeit: Konnte einer der Beteiligten den Unfall trotz des Fehlers des anderen vielleicht noch verhindern? Gab es eine Reaktionsmöglichkeit?
Beispiele für Teilschuld
- Klassisches Beispiel: Ein Autofahrer nimmt einem anderen die Vorfahrt (klarer Verstoß). Der vorfahrtsberechtigte Fahrer war jedoch deutlich zu schnell unterwegs. Hier kann es zu einer Teilschuld kommen, da beide einen Beitrag zum Unfall geleistet haben – der eine durch die Vorfahrtsmissachtung, der andere durch die überhöhte Geschwindigkeit.
- Unfall trotz Sperrfläche: Stellen Sie sich vor, ein Fahrer überfährt verbotswidrig eine Sperrfläche, um abzubiegen oder zu wenden. Ein anderer Fahrer, der auf seiner Spur korrekt fährt, kollidiert mit ihm, weil er vielleicht unaufmerksam war oder die Situation falsch eingeschätzt hat. Auch hier ist eine Teilschuld möglich. Das Gericht wird abwägen: Das Überfahren der Sperrfläche ist ein klarer Verstoß und schafft eine Gefahrensituation. Hat der andere Fahrer aber ebenfalls einen Fehler gemacht (z.B. zu spät reagiert, obwohl die Situation erkennbar war), kann ihm ebenfalls ein Teil der Schuld zugewiesen werden. Es kommt immer auf die genauen Umstände des Einzelfalls an.
Es ist also wichtig zu verstehen, dass eigenes Fehlverhalten im Straßenverkehr dazu führen kann, dass man einen Teil des eigenen Schadens selbst tragen muss, auch wenn der Unfallgegner ebenfalls einen Fehler begangen hat. Die genaue Quote wird anhand einer sorgfältigen Prüfung aller Umstände festgelegt.
Welche Rolle spielt das Überfahren einer Sperrfläche bei der Haftungsfrage nach einem Unfall?
Das Überfahren einer Sperrfläche ist ein klarer Verstoß gegen die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und spielt bei der Klärung der Haftung nach einem Unfall eine gewichtige Rolle. In der Regel führt dieser Verstoß dazu, dass der Fahrer, der die Sperrfläche überfahren hat, zumindest eine Mithaftung trägt.
Eine Sperrfläche (erkennbar an den durchgezogenen weißen Linien, offiziell Zeichen 298 der StVO) markiert einen Bereich der Fahrbahn, der von Fahrzeugen nicht befahren werden darf. Sie dient dazu, den Verkehr zu lenken, Fahrstreifen zu trennen oder vor Hindernissen zu warnen. Wer sie überfährt, missachtet diese wichtige Verkehrsregel und gefährdet dadurch die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer erheblich.
Folgen für die Haftung
Das Überfahren der Sperrfläche wird als fehlerhaftes und gefährdendes Verhalten gewertet. Juristisch gesehen wird oft davon ausgegangen, dass durch diesen Verstoß eine erhöhte Gefahr für einen Unfall geschaffen oder zumindest erhöht wurde. Daher ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie zumindest teilweise für den entstandenen Schaden haften, wenn Sie eine Sperrfläche überfahren haben und es dadurch oder im Zusammenhang damit zu einem Unfall kommt.
Betrachtung des gesamten Unfallhergangs
Wichtig ist jedoch: Das Überfahren der Sperrfläche allein führt nicht automatisch zur vollen und alleinigen Haftung. Gerichte betrachten immer den gesamten Unfallablauf. Es wird geprüft, ob auch der andere Unfallbeteiligte einen Fehler gemacht hat und wie schwer dieser wiegt.
Stellen Sie sich vor, jemand überfährt eine Sperrfläche, um beispielsweise schneller auf einen Abbiegestreifen zu gelangen. Gleichzeitig missachtet ein anderer Autofahrer auf diesem Abbiegestreifen die Vorfahrt oder ist deutlich zu schnell unterwegs. In einem solchen Fall wägen die Gerichte die Schwere der jeweiligen Verstöße gegeneinander ab. Der Verstoß gegen die Sperrfläche wird dem einen Fahrer angelastet, die Vorfahrtsmissachtung oder Geschwindigkeitsüberschreitung dem anderen.
Bedeutung für die Haftungsquote
Das Ergebnis dieser Abwägung bestimmt die Verteilung der Haftung, also wer welchen Anteil am Schaden tragen muss (die sogenannte Haftungsquote). Der Verstoß durch das Überfahren der Sperrfläche ist dabei ein sehr wichtiger Faktor, der fast immer zu einer Mithaftung führt. Wie hoch diese ausfällt – ob vielleicht 25 %, 50 %, 75 % oder unter Umständen auch 100 % – hängt entscheidend von den Fehlern aller Beteiligten und den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Das Überfahren einer Sperrfläche wird aber regelmäßig als erhebliches Verschulden gewertet, das die Haftungsquote maßgeblich beeinflusst.
Wie beeinflusst eine durchgezogene Linie oder Sperrfläche die Vorfahrtregelung an einer Kreuzung?
Durchgezogene Linien und Sperrflächen auf der Straße sind mehr als nur optische Markierungen. Sie sind verbindliche Verkehrszeichen gemäß der Straßenverkehrsordnung (StVO) und haben rechtliche Bedeutung für das Verhalten im Straßenverkehr, auch an Kreuzungen.
Was bedeuten durchgezogene Linien und Sperrflächen?
- Durchgezogene Linie (Fahrstreifenbegrenzung, Zeichen 295 StVO): Diese Linie dürfen Sie in der Regel nicht überfahren oder auf ihr fahren. Sie trennt Fahrstreifen oder den Fahrbahnrand ab. An Kreuzungen oder Einmündungen bedeutet dies oft, dass ein direktes Abbiegen über diese Linie hinweg nicht erlaubt ist.
- Sperrfläche (Zeichen 298 StVO): Dies ist eine Fläche auf der Straße, die durch schräge weiße Streifen markiert ist. Sperrflächen dürfen Sie niemals befahren. Sie dienen dazu, den Verkehr zu lenken oder Bereiche zu kennzeichnen, die freigehalten werden müssen.
Wie beeinflussen sie die Vorfahrt an Kreuzungen?
Durchgezogene Linien und Sperrflächen ändern nicht die grundsätzliche Vorfahrtregelung an einer Kreuzung. Die Vorfahrt wird weiterhin durch Ampeln, Verkehrsschilder (wie „Vorfahrt gewähren“ oder „Stoppschild“) oder die Regel „Rechts vor Links“ bestimmt.
Allerdings verbieten diese Markierungen bestimmte Fahrmanöver:
- Wenn eine durchgezogene Linie oder eine Sperrfläche Sie daran hindert, in eine bestimmte Richtung abzubiegen oder eine bestimmte Spur zu benutzen, dürfen Sie dieses Manöver nicht durchführen, auch wenn Sie ansonsten vielleicht Vorfahrt hätten.
- Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie möchten an einer Kreuzung nach links abbiegen und haben grünes Licht oder laut Beschilderung Vorfahrt. Befindet sich jedoch zwischen Ihrem Fahrstreifen und dem Abbiegestreifen eine durchgezogene Linie oder eine Sperrfläche, dürfen Sie diese nicht überfahren, um abzubiegen. Sie müssen dem Fahrstreifen folgen, auch wenn dies bedeutet, dass Sie an dieser Stelle nicht wie gewünscht abbiegen können.
Welche Folgen hat das Ignorieren bei einem Unfall?
Das Überfahren einer durchgezogenen Linie oder einer Sperrfläche ist ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung. Wenn es aufgrund eines solchen verbotenen Manövers zu einem Unfall kommt, kann dies erhebliche rechtliche Konsequenzen haben:
- Auch wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer möglicherweise die Vorfahrt missachtet hat, kann Ihnen aufgrund des Überfahrens der Linie oder Sperrfläche eine Mithaftung (Teilschuld) am Unfall zugesprochen werden.
- Gerichte prüfen in solchen Fällen genau, inwieweit Ihr verkehrswidriges Verhalten (das Ignorieren der Markierung) zum Unfall beigetragen hat.
- Ein Verstoß gegen diese Markierungen kann also dazu führen, dass Sie trotz der Vorfahrtsverletzung des anderen einen Teil des Schadens selbst tragen müssen.
Es ist daher entscheidend, durchgezogene Linien und Sperrflächen stets zu beachten, da sie wichtige Anweisungen für einen sicheren und regelkonformen Verkehrsablauf geben.
Welche Beweismittel sind wichtig, um die eigene Position bei einem Unfall mit Teilschuld zu untermauern?
Um bei einem Unfall mit Teilschuld die eigene Sicht des Geschehens zu stützen und eine möglichst faire Verteilung der Haftung zu erreichen, ist die Sicherung und Dokumentation von Beweismitteln entscheidend. Diese helfen dabei, den Unfallhergang nachzuvollziehen und zu klären, wer in welchem Maße zum Unfall beigetragen hat. Das gilt insbesondere, wenn strittig ist, ob Verkehrsregeln – wie das Verbot, eine Sperrfläche zu überfahren – beachtet wurden.
Wichtige Beweismittel und ihre Sicherung
- Unfallprotokolle: Ein polizeiliches Unfallprotokoll hält die Feststellungen der Beamten vor Ort fest (z.B. Aussagen, sichtbare Spuren, Position der Fahrzeuge). Wenn keine Polizei gerufen wird, ist ein gemeinsam ausgefüllter Europäischer Unfallbericht, idealerweise von allen Beteiligten unterschrieben, eine wichtige Grundlage. Er dokumentiert die Ansichten der Fahrer direkt nach dem Unfall. Achten Sie auf korrekte und vollständige Angaben, bevor Sie unterschreiben. Machen Sie sich eine Kopie oder ein Foto davon.
- Fotos und Videos von der Unfallstelle: Fotos oder Videos sind oft sehr aussagekräftig. Dokumentieren Sie unmittelbar nach dem Unfall die Endstellung der beteiligten Fahrzeuge aus verschiedenen Perspektiven, die Schäden an allen Fahrzeugen (Nah- und Detailaufnahmen), eventuelle Bremsspuren, ausgelaufene Flüssigkeiten und die gesamte Verkehrssituation. Dazu gehören auch Verkehrszeichen, Ampelschaltungen (falls relevant) und Fahrbahnmarkierungen wie die überfahrene Sperrfläche. Fotografieren Sie auch eventuell sichtbare Verletzungen, falls zutreffend. Wichtig ist, dass die Aufnahmen zeitnah zum Unfallereignis entstehen.
- Zeugenaussagen: Unbeteiligte Beobachter können den Unfallhergang oft objektiv schildern. Notieren Sie sich daher unbedingt Namen, Adressen und Telefonnummern von Zeugen direkt am Unfallort. Bitten Sie Zeugen, kurz zu schildern, was sie gesehen haben, und notieren Sie dies gegebenenfalls stichpunktartig. Spätere schriftliche oder mündliche Aussagen dieser Zeugen können im Streitfall von großer Bedeutung sein.
- Sachverständigengutachten: Bei komplexeren Unfallhergängen, unklaren Schadensbildern oder erheblichen Schäden kann ein unfallanalytisches oder technisches Sachverständigengutachten Klarheit bringen. Ein Gutachter kann beispielsweise den Unfallhergang rekonstruieren, Geschwindigkeiten ermitteln, die Plausibilität von Schadensbildern bewerten oder feststellen, ob der Unfall für einen der Beteiligten vermeidbar gewesen wäre. Solche Gutachten werden häufig von Versicherungen oder im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eingeholt.
- Ärztliche Atteste und Berichte: Wurden Sie oder Mitfahrer verletzt, sind ärztliche Dokumentationen unerlässlich. Suchen Sie bei Verletzungen zeitnah einen Arzt auf, damit die Beschwerden und Diagnosen im Zusammenhang mit dem Unfall dokumentiert werden. Dazu gehören Atteste, Arztberichte, Krankschreibungen und Behandlungsnachweise. Sie dienen als Nachweis für Art und Umfang der erlittenen Verletzungen und deren Folgen.
Eine sorgfältige und zeitnahe Dokumentation des Unfallgeschehens, der Schäden und eventueller Verletzungen bildet die Grundlage, um die eigene Position bei der Klärung der Schuldfrage und der daraus resultierenden Ansprüche oder Abwehr von Forderungen darzulegen. Je besser der Hergang und die Folgen nachgewiesen werden können, desto fundierter kann über die Verteilung der Haftung entschieden werden.
Was kann ich tun, wenn ich mit der Teilschuldzuweisung nach einem Unfall nicht einverstanden bin?
Wenn Sie nach einem Verkehrsunfall eine Mitteilung über eine Teilschuld erhalten, mit der Sie nicht einverstanden sind, ist diese Einschätzung – oft durch die gegnerische Versicherung vorgenommen – nicht zwangsläufig endgültig. Es gibt verschiedene Wege, wie Sie darauf reagieren können.
Widerspruch bei der Versicherung einlegen
Sie haben die Möglichkeit, der Versicherung, die Ihnen eine Teilschuld zuweist (in der Regel die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners), schriftlich mitzuteilen, warum Sie mit der Einschätzung nicht einverstanden sind. Es ist hilfreich, diesen Widerspruch ausführlich zu begründen. Legen Sie dar, warum aus Ihrer Sicht der andere Unfallbeteiligte die alleinige oder eine höhere Schuld trägt. Hierbei können Sie auf den Unfallhergang, Zeugenaussagen, Fotos von der Unfallstelle oder eine Unfallskizze verweisen. Gerade bei komplexen Verkehrssituationen, wie zum Beispiel Unfällen im Zusammenhang mit Sperrflächen, kann die Schuldfrage sehr unterschiedlich bewertet werden. Eine klare Argumentation ist hier besonders wichtig.
Einholung eines eigenen Sachverständigengutachtens
Falls noch kein unabhängiges Gutachten zum Unfallhergang oder zur Schadenhöhe erstellt wurde, kann die Beauftragung eines eigenen Kfz-Sachverständigen eine Option sein. Ein solcher Gutachter kann den Unfallhergang rekonstruieren und den Schaden an Ihrem Fahrzeug bewerten. Dieses Gutachten kann als Grundlage für Ihre Argumentation gegenüber der Versicherung dienen. Beachten Sie jedoch: Die Kosten für ein solches Gutachten müssen Sie unter Umständen zunächst selbst tragen. Ob die gegnerische Versicherung diese Kosten (anteilig) übernimmt, hängt davon ab, ob und in welchem Umfang deren Haftung letztlich festgestellt wird.
Gerichtliche Klärung anstreben
Wenn eine Einigung mit der Versicherung nicht möglich ist, besteht die Möglichkeit, die Frage der Schuld und die Höhe des Schadensersatzes gerichtlich klären zu lassen. Sie können Klage beim zuständigen Zivilgericht einreichen. Das Gericht prüft dann den Sachverhalt anhand der Beweismittel (z.B. Zeugenaussagen, Gutachten, Polizeiakte) und entscheidet über die Haftungsquoten und die entsprechenden Zahlungsansprüche. Ein Gerichtsverfahren ist jedoch mit Kostenrisiken verbunden. Die unterliegende Partei trägt in der Regel die Gerichtskosten und die Anwaltskosten der Gegenseite.
Bedeutung von Fristen beachten
Bei allen Schritten ist es entscheidend, geltende Fristen zu beachten. Ansprüche auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall unterliegen der gesetzlichen Verjährung. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt am Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und Sie Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt haben. Werden Fristen versäumt, können Ansprüche möglicherweise nicht mehr durchgesetzt werden, selbst wenn sie ursprünglich berechtigt waren. Auch für Widersprüche oder bestimmte Schritte im Rahmen der Versicherungsregulierung können Fristen relevant sein.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – Fragen Sie unverbindlich unsere Ersteinschätzung an.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Mithaftung
Mithaftung bedeutet, dass mehrere Personen gemeinsam für einen entstandenen Schaden verantwortlich sind, weil jede von ihnen auf irgendeine Weise zur Entstehung des Schadens beigetragen hat. Das Gericht legt dann eine Haftungsquote fest, die bestimmt, welchen Anteil am Schaden jede Person tragen muss (z. B. 50/50, 70/30). Im Straßenverkehr ergibt sich die Verteilung oft aus § 17 Straßenverkehrsgesetz (StVG), der die Betriebsgefahr der Fahrzeuge und das Verschulden der Fahrer berücksichtigt. Im vorliegenden Fall stellte das Oberlandesgericht fest, dass sowohl der wartepflichtige Fahrer (wegen Vorfahrtsmissachtung) als auch der abbiegende Fahrer (wegen Überfahrens der Sperrfläche) zum Unfall beigetragen haben, weshalb der Schaden geteilt wurde.
Beispiel: Wenn bei Regen zwei Autos zusammenstoßen, weil eines zu schnell fuhr und das andere plötzlich bremste, können beide Fahrer eine Mithaftung tragen und müssen sich den Schaden teilen.
Sperrfläche
Eine Sperrfläche ist eine durch Linien auf der Fahrbahn markierte Fläche (amtliches Verkehrszeichen 298 der Straßenverkehrsordnung – StVO), die von Fahrzeugen nicht befahren werden darf. Sie dient dazu, den Verkehr zu lenken, Bereiche voneinander zu trennen oder Gefahrenstellen zu sichern, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Das Überfahren einer Sperrfläche stellt einen Verkehrsverstoß dar, der mit einem Bußgeld geahndet werden kann und im Falle eines Unfalls zu einer (Mit-)Haftung führen kann. Im beschriebenen Fall fuhr der links abbiegende Fahrer über eine solche Sperrfläche, was das Gericht als erheblichen Verstoß wertete, der zu seiner Mithaftung führte.
Beispiel: Auf breiten Straßen trennen Sperrflächen oft Abbiegespuren vom Geradeausverkehr oder Bereiche vor Hindernissen wie Verkehrsinseln.
Schadensersatz
Schadensersatz ist der rechtliche Anspruch einer Person, für einen erlittenen Schaden (z. B. an Eigentum oder Gesundheit) einen Ausgleich zu erhalten. Wer einem anderen schuldhaft einen Schaden zufügt, ist grundsätzlich verpflichtet, diesen zu ersetzen (§ 823 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Im Verkehrsrecht gibt es zudem die Haftung des Fahrzeughalters auch ohne Verschulden (§ 7 Straßenverkehrsgesetz – StVG). Ziel ist es, den Zustand wiederherzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, meist durch Zahlung von Geld für Reparaturen, Wertminderung, Gutachterkosten oder auch Schmerzensgeld. Im Text forderte der wartepflichtige Fahrer Schadensersatz für Reparaturkosten, Wertminderung, Gutachterkosten und eine Kostenpauschale.
Wartepflichtig
Wartepflichtig ist ein Verkehrsteilnehmer, der anderen Verkehrsteilnehmern Vorrang gewähren muss, bevor er selbst weiterfahren oder in eine Straße einbiegen darf. Diese Pflicht ergibt sich meist aus Verkehrszeichen (z. B. „Vorfahrt gewähren“, Stoppschild) oder der Grundregel „rechts vor links“ (§ 8 Straßenverkehrsordnung – StVO). Wer wartepflichtig ist und die Vorfahrt missachtet, begeht einen Verkehrsverstoß und haftet bei einem Unfall oft zumindest mit. Im Fall kam der eine Fahrer aus einer Seitenstraße und war daher gegenüber dem Verkehr auf der Hauptstraße (N… Straße) wartepflichtig, was zu seiner Mithaftung beitrug, da er nach Ansicht des Gerichts in den Kreuzungsbereich eingefahren war.
Beweis des ersten Anscheins
Der Beweis des ersten Anscheins (auch Prima-facie-Beweis genannt) ist eine Regel der Beweiserleichterung im Zivilprozess. Sie kommt zur Anwendung, wenn ein typischer Geschehensablauf nach allgemeiner Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder ein bestimmtes Verschulden hindeutet (z.B. bei Auffahrunfällen typischerweise Verschulden des Auffahrenden). In solchen Fällen wird vermutet, dass der Sachverhalt so war, wie er typischerweise abläuft, ohne dass jeder Einzelschritt bewiesen werden muss. Der Gegner kann diesen Anscheinsbeweis aber durch den Nachweis von Umständen erschüttern, die einen atypischen Verlauf nahelegen. Im Text argumentierte die Versicherung des Abbiegers, der Beweis des ersten Anscheins spreche für ein Verschulden des wartepflichtigen Fahrers, da Kollisionen beim Einbiegen typischerweise vom Einbiegenden verursacht würden.
Gesamtschuldner
Gesamtschuldner sind mehrere Personen, die einem Gläubiger gemeinsam eine Leistung (z. B. Schadensersatz) schulden, und zwar so, dass jede einzelne Person zur gesamten Leistung verpflichtet ist. Der Gläubiger kann die Leistung jedoch insgesamt nur einmal fordern (§ 421 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Er kann sich aussuchen, von welchem der Gesamtschuldner er die volle Summe verlangt (z. B. vom Fahrer oder dessen Versicherung). Leistet ein Gesamtschuldner, werden die anderen im Verhältnis zum Gläubiger frei; intern können die Gesamtschuldner dann aber untereinander einen Ausgleich verlangen (z. B. hälftig, wenn beide zu gleichen Teilen haften). Im Urteil wurden der abbiegende Fahrer und seine Haftpflichtversicherung als Gesamtschuldner zur Zahlung des anteiligen Schadens verurteilt.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB: Diese Norm regelt den Schadensersatzanspruch. Wer widerrechtlich und schuldhaft das Eigentum eines anderen verletzt, ist zum Schadensersatz verpflichtet. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger macht einen Schadensersatzanspruch geltend, da sein Fahrzeug bei dem Unfall beschädigt wurde. Die Frage ist, ob die Beklagten für diesen Schaden verantwortlich sind.
- § 7 Abs. 1 StVG: Diese Vorschrift bestimmt die Haftung des Fahrzeughalters, wenn durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Schaden entsteht. Es handelt sich um eine Gefährdungshaftung, die unabhängig von einem Verschulden greift. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Beklagte zu 2. als Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 1. haftet gemäß dieser Norm für die Schäden, die durch den Betrieb des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. entstanden sind.
- § 18 Abs. 1 StVG: Diese Norm regelt die Haftung des Fahrzeugführers bei einem Unfall. Sie setzt ein Verschulden des Fahrers voraus. Kann ein Fahrer sein Verschulden nicht widerlegen, haftet er für den entstandenen Schaden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Beklagte zu 1. als Fahrer des Fahrzeugs wird hier auf seine persönliche Haftung geprüft, insbesondere im Hinblick auf ein mögliches Fehlverhalten beim Abbiegen und Überfahren der Sperrfläche.
- § 9 Abs. 2 StVO: Diese Vorschrift regelt das Abbiegen. Wer abbiegen will, muss dies rechtzeitig und deutlich ankündigen, insbesondere durch Betätigen der Fahrtrichtungsanzeiger, und darf andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Abbiegemanöver des Beklagten zu 1. ist zentral für den Unfallhergang. Die Frage ist, ob er beim Abbiegen die notwendige Sorgfaltspflicht beachtet und insbesondere den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hat.
- Zeichen 295 StVO iVm § 41 Abs. 3 Nr. 2 StVO: Zeichen 295 StVO markiert eine Fahrbahnbegrenzung (durchgezogene Linie). § 41 Abs. 3 Nr. 2 StVO bestimmt, dass das Überfahren einer durchgezogenen Linie grundsätzlich verboten ist, um Fahrstreifen zu wechseln oder zu überholen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Überfahren der Sperrfläche bzw. durchgezogenen Linie durch den Beklagten zu 1. stellt einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung dar und kann ein Verschulden begründen, das zur Haftung führt.
Hinweise und Tipps
Praxistipps für Autofahrer bei Kreuzungsunfällen
Kreuzungen sind Unfallschwerpunkte. Schnell kommt es zu Kollisionen, bei denen unklar ist, wer verantwortlich ist. Gerade wenn ein Fahrer Verkehrsregeln missachtet, wie das Überfahren einer Sperrfläche, scheint die Schuldfrage klar – doch das ist nicht immer der Fall, wie ein Urteil zeigt.
Hinweis: Diese Praxistipps stellen keine Rechtsberatung dar. Sie ersetzen keine individuelle Prüfung durch eine qualifizierte Kanzlei. Jeder Einzelfall kann Besonderheiten aufweisen, die eine abweichende Einschätzung erfordern.
Tipp 1: Verlassen Sie sich nicht blind auf die Regelkonformität anderer
Auch wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer eindeutig gegen Verkehrsregeln verstößt (z.B. eine Sperrfläche überfährt), können Sie bei einem Unfall trotzdem eine Teilschuld erhalten. Entscheidend ist, ob auch Sie selbst die höchstmögliche Sorgfalt haben walten lassen oder durch Ihr Verhalten zur Unfallsituation beigetragen haben.
Tipp 2: Sperrflächen-Verstoß des Gegners bedeutet nicht automatisch 100% Schuld
Das Überfahren einer Sperrfläche (Zeichen 298 StVO) ist ein schwerwiegender Verstoß und führt in der Regel zu einer Hauptschuld des Verursachers. Allerdings prüft das Gericht im Streitfall das Verhalten aller Beteiligten. Haben Sie beispielsweise selbst die Vorfahrt nicht ausreichend beachtet oder sind unvorsichtig in den Kreuzungsbereich eingefahren, kann Ihnen eine Mithaftung zugesprochen werden.
⚠️ ACHTUNG: Gehen Sie nicht davon aus, dass ein klarer Regelverstoß des Unfallgegners Sie automatisch von jeder Verantwortung befreit. Jedes eigene Fehlverhalten, das zum Unfall beiträgt – auch wenn es geringfügig erscheint –, kann Ihre Schadensersatzansprüche mindern.
Tipp 3: Maximale Vorsicht beim Einfahren in Kreuzungen
Nähern Sie sich Kreuzungsbereichen immer mit erhöhter Aufmerksamkeit und angepasster Geschwindigkeit. Vergewissern Sie sich gründlich, dass die Bahn frei ist, bevor Sie einfahren – selbst wenn Sie Vorfahrt haben. Ein zu frühes oder unachtsames Einfahren, selbst nur um wenige Zentimeter („Hineintasten“), kann als Mitverschulden gewertet werden, wenn es die Unfallgefahr erhöht hat.
Beispiel: Im zitierten Urteilsfall wurde dem Kläger eine Mithaftung von 25 % zugerechnet, weil er bereits ca. einen halben Meter in den Kreuzungsbereich eingefahren war, als der Unfallgegner – die Sperrfläche missachtend – abbog und es zur Kollision kam.
Tipp 4: Unfallstelle und Regelverstöße genau dokumentieren
Sichern Sie nach einem Unfall sofort Beweise. Machen Sie Fotos von der Endstellung der Fahrzeuge, den entstandenen Schäden, der gesamten Kreuzungssituation inklusive aller Verkehrszeichen und Fahrbahnmarkierungen. Dokumentieren Sie insbesondere Regelverstöße des Unfallgegners, z. B. die Position seines Fahrzeugs relativ zu einer überfahrenen Sperrfläche oder durchgezogenen Linie. Notieren Sie Namen und Adressen von Zeugen. Diese Dokumentation ist entscheidend für die spätere Durchsetzung Ihrer Ansprüche bzw. die Abwehr von Gegenansprüchen.
Weitere Fallstricke oder Besonderheiten?
Der Hauptfallstrick liegt in der Annahme, dass ein eindeutiger Regelverstoß des Unfallgegners automatisch zur vollen Haftung führt. Gerichte nehmen jedoch eine Abwägung der Verursachungsbeiträge vor (§ 17 StVG). Selbst wenn der Beitrag des Unfallgegners deutlich überwiegt (hier: 75 % wegen Überfahrens der Sperrfläche), kann ein eigener (Mit-)Verursachungsbeitrag (hier: 25 % wegen leichten Einfahrens in die Kreuzung) zu einer erheblichen Reduzierung der eigenen Ansprüche führen.
✅ Checkliste: Verhalten bei Kreuzungsunfällen
- Immer höchste Sorgfalt und Aufmerksamkeit an Kreuzungen walten lassen.
- Nicht blind darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer alle Regeln befolgen.
- Vorfahrtsregeln und Fahrbahnmarkierungen (Linien, Sperrflächen) strikt beachten.
- Unfallstelle umgehend sichern und Beweise sammeln (Fotos, Zeugen, Skizze).
- Bei unklarer Haftungslage oder erheblichen Schäden frühzeitig Rechtsrat einholen.
Das vorliegende Urteil
Thüringer Oberlandesgericht – Az.: 3 U 1127/21 – Urteil vom 16.05.2022
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz