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Unfallersatztarif: Ersatz der Mietwagenkosten die zweckmäßig und notwendig waren

BGH

Az: VI ZR 161/05

Urteil vom 13.06.2006


Dass ein Mietwagenunternehmen dem Geschädigten nur einen Tarif angeboten hat, reicht grundsätzlich nicht für die Annahme aus, dem Geschädigten sei kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen.

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 2006 für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20. Juli 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger macht restliche Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall vom 5. Juni 2004 geltend. Die volle Haftung des Beklagten für den Unfallschaden steht dem Grunde nach außer Streit.

Der Kläger mietete im Zeitraum vom 21. Juni bis 25. Juni 2004 ein Ersatzfahrzeug an, für welches ihm 1.595 EUR in Rechnung gestellt wurden. Er verlangte vom Beklagten die Erstattung von Mietwagenkosten in Höhe von brutto 1.465,37 EUR (Pauschalmiete 1.225 EUR abzüglich 36,75 EUR = 3% Eigenersparnis zuzüglich 75 EUR = 50% Haftungsbefreiung zuzüglich 16% Mehrwertsteuer). Hierauf zahlte der Haftpflichtversicherer des Beklagten 743,50 EUR. Den Differenzbetrag von 721,87 EUR macht der Kläger nunmehr geltend.

Das Amtsgericht hat den Kläger antragsgemäß verurteilt. Die Berufung des Beklagten hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt jener seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung in der mündlichen Revisionsverhandlung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf einer Säumnisfolge, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 81 f.).

I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts findet zwar die neuere Rechtsprechung des erkennenden Senats zum „Unfallersatztarif“ auch auf das Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger Anwendung. Auf die Erforderlichkeit des Tarifes komme es jedoch nicht an, weil der Geschädigte zur Überzeugung des Gerichts dargelegt und unter Beweis gestellt habe, dass ihm ein wesentlich günstigerer „Normaltarif“ nicht ohne weiteres zugänglich gewesen sei.

Die Vermieterfirma habe nur über einen einzigen Tarif verfügt. Zumindest wäre dem Kläger kein anderer Tarif genannt worden, so dass sich die klägerseits unterlassene Nachfrage nach weiteren Tarifen im Ergebnis nicht ausgewirkt habe. Zudem sei dem Kläger unstreitig eine Preisliste mit dem in Anspruch genommenen Tarif vorgelegt worden. Auch dies spreche dafür, dass dem Kläger ein anderer Tarif nicht zugänglich gewesen sei. Genauso wie bei Preisschildern auf Waren im Supermarkt oder der Treibstoffpreisanzeige bei Tankstellen gehe der Durchschnittsbürger nicht davon aus, an diesen extra ausgezeichneten Preisen noch etwas „drücken“ zu können.

II.
Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteile BGHZ 160, 377, 383 f.; 163, 19, 22 f.; vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 – VersR 2005, 241, 242; vom 15. Februar 2005 – VI ZR 160/04 – VersR 2005, 569 und – VI ZR 74/04 – VersR 2005, 568; vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 – VersR 2005, 1256, 1257; vom 25. Oktober 2005 – VI ZR 9/05 – VersR 2006, 133; vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – VersR 2006, 669, 670 und – VI ZR 32/05 – VersR 2006, 564, 565; vom 4. April 2006 – VI ZR 338/04 – und vom 9. Mai 2006 – VI ZR 117/05 -, jeweils z.V.b.) kann der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei ebenso wie bei anderen Kosten der Wiederherstellung und ebenso wie in anderen Fällen, in denen er die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nimmt, nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt – nicht nur für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte verstößt allerdings noch nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil er ein Kraftfahrzeug zum Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem „Normaltarif“ teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen und ähnliches) einen gegenüber dem „Normaltarif“ höheren Preis bei Unternehmen dieser Art aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolge dessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind.

Inwieweit dies der Fall ist, hat grundsätzlich der bei der Schadensabrechnung nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Tatrichter – gegebenenfalls nach Beratung durch einen Sachverständigen – zu schätzen (vgl. Senatsurteile BGHZ 163, 19, 23; vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – und – VI ZR 32/05 -, jeweils aaO; vom 4. April 2006 – VI ZR 338/04 – z.V.b.). Dabei kommt – worauf der Senat bereits mehrmals hingewiesen hat – unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den Normaltarif in Betracht. Auch ist es nicht erforderlich, die Kalkulation des konkreten Unternehmens nachzuvollziehen. Vielmehr hat sich die Prüfung darauf zu beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte bei Unternehmen dieser Art den Mehrpreis rechtfertigen (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2005 – VI ZR 9/05 – VersR 2006, 133; vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – aaO und vom 4. April 2006 – VI ZR 338/04 -).

Da das Berufungsgericht im Streitfall die Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs offen gelassen hat, ist zu Gunsten des Beklagten revisionsrechtlich zu unterstellen, dass der „Unfallersatztarif“ auch mit Rücksicht auf die Unfallsituation nicht im geltend gemachten Umfang im Sinne des § 249 BGB zur Herstellung „erforderlich“ war.

2. Über das objektiv erforderliche Maß hinaus kann der Geschädigte im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung den übersteigenden Betrag nur ersetzt verlangen, wenn er darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt – zumindest auf Nachfrage – kein wesentlich günstigerer „(Normal-)Tarif“ zugänglich war (vgl. Senatsurteile BGHZ 160, 377, 384; BGHZ 163, 19, 24 f.; vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – aaO, 671; vom 4. April 2006 – VI ZR 338/04 – und vom 9. Mai 2006 – VI ZR 117/05 -, jeweils z.V.b.). Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 BGB, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung, für die der Kläger die Beweislast trägt.

a) Für die Frage der Zugänglichkeit ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalles abzustellen. Nach den vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätzen (vgl. Urteile BGHZ 163, 19, 24 f.; vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – aaO; vom 25. Oktober 2005 – VI ZR 9/05 – aaO; vom 9. Mai 2006 – VI ZR 117/05 – z.V.b.) kommt es insbesondere auf die Frage der Erkennbarkeit der Tarifunterschiede für den Geschädigten darauf an, ob ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots zu einer Nachfrage nach einem günstigeren Tarif gehalten gewesen wäre. Dies ist der Fall, wenn er Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben muss, die sich insbesondere aus dessen Höhe ergeben können. Dabei kann es je nach Lage des Einzelfalls auch erforderlich sein, sich nach anderen Tarifen zu erkundigen und gegebenenfalls ein oder zwei Konkurrenzangebote einzuholen. In diesem Zusammenhang kann es auch eine Rolle spielen, wie schnell der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug benötigt. Allein das allgemeine Vertrauen darauf, der ihm vom Autovermieter angebotene Tarif sei „auf seine speziellen Bedürfnisse zugeschnitten“, rechtfertigt es dagegen nicht, zu Lasten des Schädigers und seines Haftpflichtversicherers ungerechtfertigt überhöhte und nicht durch unfallbedingte Mehrleistungen des Vermieters gedeckte Unfallersatztarife zu akzeptieren.

b) Hier sind keine Umstände aufgezeigt, aus denen hervorgeht, dass dem Kläger kein günstigerer Tarif zugänglich war. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts reicht dafür nicht aus, dass die Vermieterfirma nur über einen einzigen Tarif verfügte und dem Kläger eine Preisliste vorlegte, aus der sich der in Anspruch genommene Tarif ergab. In Anbetracht des Umstandes, dass der angebotene Tarif erheblich über den in der sogenannten „Schwacke-Liste“ aufgezeigten Tarifen lag und auffällig hoch war, hätte es für den Kläger unter den Umständen des Streitfalls nahe gelegen, sich nach anderen Tarifen zu erkundigen. Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – zwischen dem Unfall und der Anmietung des Ersatzfahrzeugs ein Zeitraum von ca. zwei Wochen liegt und auch keine Anhaltspunkte für eine besondere Eilbedürftigkeit der Anmietung vorliegen, die gegen eine Erkundigungspflicht bezüglich günstigerer Tarife bzw. Anbieter sprechen könnten (vgl. hierzu Senatsurteile BGHZ 163, 19, 26; vom 25. Oktober 2005 – VI ZR 9/05 – VersR 2006, 133, 134; vom 4. April 2006 – VI ZR 338/04 – und vom 9. Mai 2006 – VI ZR 117/05 -, jeweils z.V.b.). Unter diesen Umständen reicht allein der Hinweis darauf, dass der konkrete Vermieter keinen anderen Tarif angeboten hat, nicht aus, um anzunehmen, dass dem Kläger ein wesentlich günstigerer „Normaltarif“ nicht ohne weiteres zugänglich war.

III.

Deshalb wird das Berufungsgericht unter Beachtung der vom Senat entwickelten Grundsätze zu prüfen haben, ob der geltend gemachte „Unfallersatztarif“ nach seiner Struktur als „erforderlicher“ Aufwand zur Schadensbeseitigung angesehen werden kann. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

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