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Unfallflucht bei Verkehrsunfall – keine generelle Beweislastumkehr

OLG Frankfurt/Main

Az: 4 U 138/10

Urteil vom 12.07.2010


Die Beklagten werden in Abänderung des Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 11.05.2010 als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger über die bereits zuerkannten 6.909,88 € weitere 3.997,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 11.03.2007 zu zahlen.

Dem Kläger wird zur Wahrnehmung der Rechte in diesem Rechtszug ………..beigeordnet.

Die monatlich zu zahlenden Raten werden festgesetzt auf 95 €.

Gründe

Der Kläger nimmt die Beklagten aus einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 11.05.2010, mit dem die Beklagten gesamtschuldnerisch zur Zahlung von 6.909,88 € nebst Zinsen hieraus unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt worden sind. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es sei von einer 50-prozentigen Haftungsquote der Beklagten auszugehen. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme bleibe der genaue Unfallhergang, insbesondere die Kollisionsstelle unaufgeklärt. Ließen sich aber zum beiderseitigen Verschulden keinerlei Feststellungen treffen, so könne jedem Halter nur seine Betriebsgefahr zugerechnet werden, die bei Kraftfahrzeugen gleichen Typs und annähernd gleicher Geschwindigkeit gleich groß anzusetzen sei. Die Unfallflucht des Beklagten zu 2) habe keine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers zur Folge.

Gegen diese ihm am 20.05.2010 zugestellte Entscheidung beabsichtigt der Kläger die Berufung durchzuführen. Mit am 18. Juni 2010 eingegangenem Schriftsatz begehrt der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung, mit der er seine ursprünglichen Klageanträge in vollem Umfang weiter verfolgen will.

Zur Begründung führt er aus, der Unfall sei für den Kläger unvermeidbar gewesen. Die Unfallflucht des Beklagten zu 2) habe zwingend eine Beweislastumkehr zugunsten des geschädigten Klägers zur Folge. Durch die Unfallflucht und dem Verschwinden des beklagten Fahrzeugs sei eine Unfallrekonstruktion unmöglich geworden.

Dem Kläger war für einen – wie aus dem Beschlusstenor ersichtlich – eingeschränkten beabsichtigten Berufungsantrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Eine hinreichende Erfolgsaussicht hat das Rechtsmittel nur, soweit eine Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von weiteren 3.997,35 € begehrt wird.

Es ist dabei eine 80-prozentige Haftungsquote der Beklagten zugrunde zu legen. Die Unfallflucht des Beklagten zu 2) hat zwar keine Beweislastumkehr zur Folge. Es ist aber zugunsten des beweispflichtigen Klägers zu unterstellen, dass das vereitelte Beweismittel das von ihm behauptete Ergebnis gehabt hätte. Dieses Ergebnis unterliegt jedoch noch der vollen richterlichen Beweiswürdigung (Laumen, MDR 2009, 177, 180; Rixecker in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 23. Auflage, Kapitel 37 Rn. 29; LG Hechingen, Urteil vom 24.07.1985, 2 S 127/84, zitiert nach JURIS).

Dem Landgericht ist zunächst darin zuzustimmen, dass die Unfallflucht des Beklagten zu 2) nicht zu einer Beweislastumkehr zugunsten des geschädigten Klägers führt. Der Bundesgerichtshof lässt zwar in Fällen der Beweisvereitelung, in denen jemand seinem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht, Beweiserleichterungen zu, „die unter Umständen bis zur Umkehr der Beweislast gehen können“ (BGH NJW 1998, 79, 81; MDR 2006, 510 f). Danach steht dem Tatrichter ein Ermessen zu, ob er der beweisführungsbelasteten Partei bloße Beweiserleichterungen zubilligt oder zu einer gänzlichen Beweislastumkehr greift. Er hat dabei im Rahmen des § 286 ZPO alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen (BGH MDR 2008, 373, 375).

Unabhängig von der Frage, ob – wie das Landgericht – diese Formel des Bundesgerichtshofs als begrifflich unscharf und irreführend grundsätzlich abgelehnt wird (zu den Bedenken gegen diese Formel im Einzelnen vergleiche Laumen, MDR 2009, 177 ff), ist jedenfalls eine generelle Umkehr der objektiven Beweislast – wie von dem Kläger geltend gemacht – als Rechtsfolge der Beweisvereitelung im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Dagegen sprechen bereits die in den gesetzlich geregelten Fällen der Beweisvereitelung (§§ 371 Abs. 3, 427, 441 Abs. 3, 444 und 446 ZPO) vorgesehenen Rechtsfolgen. Die dort gesetzlich geregelten Fälle der Beweisvereitelung zeigen deutlich, dass das beweisvereitelnde Verhalten einer Partei die Verteilung der objektiven Beweislast unberührt lassen soll. Eine generelle Umkehr der objektiven Beweislast stellt eine durch nichts gerechtfertigte Überkompensation des beweisvereitelnden Verhaltens einer Partei dar. Ausreichend sanktioniert wird das beweisvereitelnde Verhalten bereits dadurch, dass zugunsten der beweisführungsbelastenden Partei unterstellt wird, dass das vereitelte Beweismittel das von ihr behauptete Ergebnis gehabt hätte. Dieses Ergebnis unterliegt dann aber noch der vollen richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. 1 ZPO. Nur eine derart flexible Lösung wird den vielfältigen Erscheinungsformen der Beweisvereitelung gerecht (Laumen, a. a. O., Seite 180).

Auf der Basis dieser Grundsätze hat der Kläger den Nachweis, dass der Unfall für ihn ein unabwendbares Ereignis i.S.v. §17 III StVG war, nicht führen können. Allerdings wird bei der im Rahmen der Prozesskostenhilfeprüfung gebotenen vorläufigen Prüfung der Sach- und Rechtslage von einem überwiegenden Verschulden der Beklagten auszugehen sein, welches jedoch die Betriebsgefahr des klägerischen PKW nicht vollständig zurücktreten lässt.

Den Nachweis der Unabwendbarkeit des Unfalls hat der Kläger auch unter Berücksichtigung der in der Unfallflucht des Beklagten zu 2) begründeten Beweisvereitelung nicht geführt. Auch ohne die Unfallflucht des Beklagten zu 2) hätte sich aller Voraussicht nach die Stelle der Kollision nicht mehr exakt klären lassen. Der Zeuge Z1 hat nämlich aufgrund eigenen Willensentschlusses bis zum Eintreffen der Polizei die unfallbedingte Entstellung des Klägerfahrzeuges verändert und damit – unabhängig von dem unerlaubten Entfernen des Beklagten zu 2) vom Unfallort – die Feststellung des Kollisionspunktes wesentlich erschwert. Aufgrund der vom Kläger angegebenen Motivation für dieses Verhalten, Vermeidung von Verkehrsbehinderungen, ist zudem zu vermuten, dass die unfallbeteiligten Fahrer auch ohne Unfallflucht des Beklagten zu 2) die beteiligten Fahrzeuge von der Unfallstelle entfernt und am Straßenrand abgestellt hätten. Lässt sich sodann aber aus dem im landgerichtlichen Urteil zutreffend angegebenen Gründen die Kollisionsstelle nicht hinreichend eindeutig klären, bleibt der Kläger den Nachweis schuldig, dass der Zeuge Z1 beim Abbiegen in die …-Straße ordnungsgemäß die rechte Fahrspur eingehalten hatte.

Andererseits hätten sich aber, wäre der Beklagte zu 2) mit dem PKW am Unfallort verblieben, weitere Feststellungen zu der Behauptung, der Beklagte zu 2) sei in Schlangenlinien gefahren, treffen lassen. Die mit dieser Behauptung inzident verbundenen Zweifel an der Fahrtüchtigkeit des Beklagten zu 2) hätten zweifelsfrei geklärt werden können. Darüber hinaus wäre ohne Verschwinden des Beklagtenfahrzeuges aller Voraussicht nach eine Unfallrekonstruktion möglich gewesen.

Ist somit zugunsten des beweisführungsbelasteten Klägers zu unterstellen, dass das vereitelte Beweismittel zur Feststellung des behaupteten Fahrens des Beklagten zu 2) in Schlangenlinien geführt hätte, ist von einem überwiegenden Verschulden des Beklagten zu 2) an dem Unfall auszugehen.

Unter Berücksichtigung der vom klägerischen Fahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr begründet sich damit eine 80-prozentige Haftung der Beklagten für die Unfallfolgen.

Hinsichtlich der Schadenshöhe verbleibt es bei den Feststellungen im landgerichtlichen Urteil, die mit der Prozesskostenhilfebegründung auch nicht substantiiert angegriffen worden sind. Bei einem danach festzustellenden Gesamtschaden in Höhe von 12.586,92 € beläuft sich die 80-prozentige Haftungsquote der Beklagten auf 10.069,53 €. Unter Berücksichtigung der bereits durch das landgerichtliche Urteil zuerkannten 6.305,96 € verbleibt noch ein Differenzbetrag in Höhe von 3.763,75 €.

Hinsichtlich der geltend gemachten nicht anrechenbaren Anwaltsvergütung verbleibt noch ein Differenzbetrag in Höhe von 233,60 €.

Bei der Bemessung der monatlichen Raten ist von einem monatlichen Nettoeinkommen des Klägers in Höhe von 1.870 € auszugehen. Diesen Betrag hat der Kläger durch Vorlage einer Einkommensbescheinigung seiner Steuerberaterin vom 17.06.2009 für die Zeit vom Jan. bis März 2009 glaubhaft gemacht. Die mit Schriftsatz vom 06.07.2010 vorgelegte Gewinnermittlung für 2008 mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von lediglich 1.679,50 € ist nicht maßgebend, weil zeitlich durch die aktuellere Bescheinigung der Steuerberaterin überholt. Einkommenserhöhend ist das bezogene Kindergeld in Höhe von 558 € zu berücksichtigen.

Der dem Kläger für seine Lebensführung monatlich zur Verfügung stehende Gesamtbetrag in Höhe von 2.428 € reduziert sich um nachfolgend Positionen:

– jeweils 395 € gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO für den Kläger und seine Ehefrau

– jeweils 276 € gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ZPO für die drei Kinder

– 444 € Miete; nur diesen Betrag hat der Kläger hinreichend glaubhaft gemacht durch Vorlage der Mietbescheinigung der … vom 26.09.2006. Die vom Kläger geltend gemachten monatlichen Gesamtkosten für die Wohnung in Höhe von 635 € sind nicht belegt worden.

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– 102,26 Lebensversicherung bei A. Lediglich diesen monatlichen Beitrag hat der Kläger durch Vorlage einer Leistungsübersicht der genannten Versicherung belegt. Für die darüber hinaus gehenden Lebensversicherungsbeiträge in einer Gesamthöhe von 355 € hat der Kläger keinerlei Unterlagen eingereicht.

Die Schulkosten für die Kinder X und Y sowie die Kosten des Musikunterrichts und für das Ballett sind einkommensmindernd nicht zu berücksichtigen. Es handelt sich hierbei um keine berücksichtigungsfähigen besonderen Belastungen gemäß § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO. Der Kläger hat keinerlei Gründe dargelegt, warum seine beiden Kinder nicht eine kostenfreie staatliche Schule besuchen.

Nach alledem verbleiben dem Kläger monatlich 264 €, die nach der Tabelle zu § 115 ZPO die Anordnung einer monatlichen Rate in Höhe von 95 € rechtfertigen.

 

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