OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
Az.: 7 U 22/00
Verkündet am 28.02.2001
Vorinstanz: LG Wiesbaden – Az.: 10 O 139/99
In dem Rechtsstreit hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. Januar 2001 für R e c h t erkannt:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 05. Januar 2000 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.951,45 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 01. Juni 1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist mit 10.951,45 DM beschwert.
Von der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus den zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsverträgen ein Anspruch auf Zahlung von Tagegeld, Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld in Höhe von 11.466 DM zu. Hierauf läßt sich der Kläger Versicherungsprämien für das Jahr 1999 in Höhe von 514,55 DM anrechnen, woraus sich die Klageforderung ergibt.
Die Beklagte kann sich nicht auf Leistungsfreiheit wegen der falschen Angabe des Klägers in der Unfallschadenanzeige berufen.
Im vorliegenden Fall sind die AUB 94 vereinbart. Gemäß § 8 Abs. 2, § 9 AUB 94 in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG ist der Versicherer von der Leistungspflicht frei, wenn der Versicherungsnehmer in der Unfallschadensanzeige wahrheitswidrige Angaben macht, es sei denn, daß die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Verletzung bleibt der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung weder Einfluß auf die Feststellung des Unfalles noch auf die Bemessung der Leistung gehabt hat. Bei vorsätzlicher folgenloser Obliegenheitsverletzung tritt Leistungsfreiheit nach der sogenannten Relevanzrechtsprechung (vgl. BGH VersR 1982, 183) nicht ein, wenn die Obliegenheitsverletzung nicht geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden und kein erhebliches Verschulden des Versicherungsnehmers vorliegt. Über diese Rechtsfolgen muß der Versicherungsnehmer zuvor belehrt worden sein.
Der Kläger hat die in der Unfallschadensanzeige enthaltene Frage, ob er in den letzten 12 Stunden vor dem Unfall Alkohol zu sich genommen habe, wahrheitswidrig verneint. Den ihm als Versicherungsnehmer obliegenden Beweis, daß er die Frage nicht vorsätzlich falsch beantwortet hat, hat der Kläger nicht geführt. Denn es handelt sich um eine unmißverständliche Frage, für deren Falschbeantwortung der Kläger außer Nachlässigkeit keinen plausiblen Grund nennen konnte. Das von der Klägerin verwandte Anzeigeformular enthält auch eine ausreichende Belehrung des Versicherungsnehmers.
Der Senat hat jedoch erhebliche Zweifel, ob die falsche Angabe des Klägers geeignet war, die Interessen der Beklagten ernsthaft zu gefährden. Der Kläger ist als Beifahrer bei einem Verkehrsunfall verletzt worden, der darauf zurückzuführen ist, daß der Fahrer des Unfallfahrzeugs bei glatter Fahrbahn die Kontrolle über das Fahrzeug verloren hat. Anzeichen für eine Alkoholisierung des Fahrers haben die den Unfall aufnehmenden Beamten nicht festgestellt. Demgemäß ist der Fahrer lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden. Es ist daher nicht ersichtlich, welchen Einfluß der Alkoholkonsum des Klägers auf den Eintritt des Versicherungsfalls gehabt haben könnte. Daß sich der Kläger in einem Zustand rauschbedingter Bewußseinsstörung einem nicht fahrtüchtigen Fahrer anvertraut haben könnte und die Beklagte deshalb im Hinblick auf die Ausschlußklausel gemäß § 2 Abs. 1 AUB 94 ein Interesse daran hätte, zu erfahren, in welchem Grad der Kläger selbst alkoholisiert war, liegt bei dem hier vorliegenden Unfallgeschehen fern. Ob bei einer derart fernliegenden Möglichkeit die Interessen des Versicherers aufgrund einer Falschangabe des Versicherungsnehmers noch als abstrakt gefährdet zu beurteilen sind, kann aber letztlich offen bleiben.
Denn jedenfalls liegt kein erhebliches, d. h. grobes Verschulden vor. Es ist nicht ersichtlich, daß sich der Kläger mit der falschen Angabe einen Vorteil verschaffen wollte. Ein Motiv dafür ist nicht ersichtlich. Denn auch bei wahrheitsgemäßen Angaben drohte dem Kläger kein Nachteil. Eine Absicht des Klägers, die Beklagte durch Verschweigen seines Alkoholkonsums zu einer schnelleren Regulierung zu bewegen, hält der Senat deshalb für ausgeschlossen. Der Kläger hat auch wahrheitsgemäß auf die ihm entnommene Blutprobe hingewiesen. Er hat ferner der Schadensanzeige einen Klinikbericht beigefügt, aus dem sich unschwer entnehmen läßt, daß die aufnehmenden Ärzte bei der Einlieferung des Klägers ins Krankenhaus eine „Alkoholfahne“ festgestellt haben. Auch dies läßt es ausgeschlossen erscheinen, daß der Kläger in Verschleierungsabsicht gehandelt hat.
Leistungsfreiheit der Beklagten ergibt sich auch nicht daraus, daß der Kläger den Unfall bei der Beklagten möglicherweise nicht unverzüglich angezeigt hat. In der Regel ist nämlich nicht davon auszugehen, daß ein Versicherungsnehmer seinen Versicherungsschutz durch vorsätzliche Verzögerung der Anzeige des Versicherungsfalls gefährdet. Umstände, die eine andere Beurteilung rechtfertigen, sind nicht ersichtlich. Sollte die Unfallanzeige grob fahrlässig verzögert worden sein, scheitert die Leistungsfreiheit daran, daß die Verzögerung weder Einfluß auf die Feststellung des Unfalls noch auf die Bemessung der Leistung gehabt hat.
Zinsen gebühren dem Kläger, der die Beklagte zur Zahlung der Versicherungsleistung zum 01.06.1999 gemahnt hat, unter dem Gesichtspunkt des Verzuges.
Demgemäß war das angefochtene Urteil abzuändern und nach dem Antrag des Klägers zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708, Nr. 10, 713 ZPO.