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Unfallversicherung – Teilinvalidität nach Hüftgelenksimplantation

BGH 4. Zivilsenat, Az.: IV ZR 36/89, Urteil vom 28.02.1990

Tatbestand

Der Kläger beansprucht von dem Beklagten, seinem Unfallversicherer, eine monatliche Invaliditätsrente in Höhe von 570,22 DM, zahlbar seit 18. April 1987; der Beklagte zahlt lediglich eine monatliche Invaliditätsrente von 114,04 DM, und zwar seit dem 18. April 1987 vierteljährlich im voraus.

Zwischen den Parteien besteht ein Unfallversicherungsvertrag, in dem die Ehefrau des Klägers mitversichert ist. Vertragsgrundlage sind die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB). Es ist eine Versicherungssumme von 80.000 DM vereinbart. Für den Fall, daß Invalidität einer versicherten Person auf einen Unfall zurückzuführen ist, den der Versicherte nach Vollendung seines 65. Lebensjahres erlitten hat, hat der Beklagte die Zahlung einer an der Versicherungssumme und dem Invaliditätsgrad orientierten Rente zugesagt.

Am 18. April 1986 erlitt die 1917 geborene Ehefrau des Klägers bei einem Sturz einen Oberschenkelhalsbruch rechts. Zur Wiederherstellung von Belastbarkeit und Gebrauchsfähigkeit des Beines wurde ihr rechtes Hüftgelenk entfernt und durch eine Endoprothese ersetzt. Die Rentenzahlung des Beklagten basiert auf einer 14%igen Invalidität. Der Kläger vertritt den Standpunkt, nach der Gliedertaxe des § 8 II Abs. 2 AUB sei eine 70%ige Invalidität anzunehmen, da – unstreitig – die teilweise Funktionsfähigkeit des rechten Beines nur durch den Einsatz der Hüftgelenksprothese habe erhalten werden können. Der Einsatz einer Endoprothese sei dem totalen Gebrauchsverlust des Beines gleichzusetzen.

Das Landgericht hat der Zahlungsklage unter Berücksichtigung der vom Beklagten geleisteten Teilzahlungen stattgegeben, die Berufung des Beklagten hat zur Urteilsabänderung geführt; er ist lediglich zu vierteljährlichen Rentenvorauszahlungen von 342,13 DM, abzüglich der vom 18. April bis 31. Dezember 1987 bereits geleisteten Zahlungen verurteilt geblieben. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Unfallversicherung - Teilinvalidität nach Hüftgelenksimplantation
Symbolfoto: Eraxion/Bigstock

1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Invalidität der Ehefrau des Klägers sei im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages nach der Gliedertaxe zu bestimmen, und zwar mit einem Fünftel Beinwert gemäß § 8 II Abs. 2b, Abs. 3 Satz 2 AUB. Beim Verlust oder bei völliger Gebrauchsunfähigkeit eines Beines über der Mitte des Oberschenkels sei nach der Gliedertaxe eine entschädigungspflichtige Invalidität von 70% gegeben. Indes habe die Ehefrau des Klägers ihr rechtes Bein nicht verloren, es sei auch nicht auf Dauer völlig gebrauchsunfähig geworden. Sie könne ihr rechtes Bein – mit gewissen Einschränkungen – seiner natürlichen Zweckbestimmung entsprechend benutzen. Zwar sei diese überwiegende Gebrauchsfähigkeit nur durch den Einsatz eines künstlichen Hüftgelenks erhalten worden, ihr Fall sei aber nicht demjenigen vergleichbar, in dem ein Körperteil insgesamt durch eine Prothese ersetzt werde, etwa nach einer Amputation; das Bein selbst könne nach wie vor zweckentsprechend benutzt werden. Es biete sich bei Endoprothesen eine Analogie zu den Fällen künstlicher Funktionshilfen wie Brillen, Gehstöcken und ähnlichem an. Dagegen könne nicht der Argumentation des Klägers gefolgt werden, entscheidend sei, daß das Bein nach dem Unfall ohne den Einsatz des künstlichen Hüftgelenks gebrauchsunfähig geblieben wäre. Es könne unterstellt werden, daß das Hüftgelenk mit konservativen Behandlungsmethoden nicht mehr zu retten gewesen wäre. Dies sei nicht entscheidend.

Anschließend führt das Berufungsgericht aus, daß es seine Feststellung einer 14%igen unfallbedingten Invalidität auf ein chirurgisches Gutachten vom 2. April 1987 gründet, in dessen Zusammenfassung es unter anderem wörtlich heißt:

„2. Ein beurteilungsfähiger Endzustand liegt noch nicht vor. Es kann sowohl eine weitere Besserung, z.B. in der Beweglichkeit des rechten Beines im Hüftgelenk eintreten, als auch eine Verschlechterung, wie durch eine Prothesenlockerung.

4. Eine Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit des rechten Beines nach Ablauf des 3. Unfalljahres

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ist anzunehmen.

8. Eine Beurteilung des Endzustandes ist bei einem Hüftgelenksersatz nicht möglich, da eine Lockerung der Prothesenteile jederzeit, auch nach zehn Jahren, noch erfolgen kann.“

2. Der Feststellung des Berufungsgerichts, die Versicherte sei zu 14% invalid geblieben, kann nicht gefolgt werden.

a) Mit Erfolg rügt die Revision, daß das Berufungsgericht diese Feststellung nur auf das medizinische Gutachten vom 2. April 1987 gestützt hat und nicht dem Beweisantrag auf Erholung eines Gutachtens zu dem nach den AUB maßgeblichen gesundheitlichen Dauerzustand der verunglückten Versicherten stattgegeben hat.

Im April 1987 lag, wie der die Versicherte nach dem Unfall behandelnde Chirurg in seinem vom Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten ausdrücklich klargestellt hat, ein beurteilungsfähiger Dauerzustand schon deshalb nicht vor, weil für die Folgezeit eine weitere Besserung wie eine Verschlechterung des seinerzeitigen Standes der Gebrauchsfähigkeit des rechten Beines erwartet werden konnte. Zum anderen hatte dieser Arzt betont, daß auch eine spätere Beurteilung des Dauerzustandes bei einem Hüftgelenksersatz nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Entwicklung überhaupt nicht möglich sei.

Gemäß § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB besteht die von einem Unfallversicherer zu entschädigende Invalidität in einer dauernden (unfallbedingten) Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Abschließend maßgebend für die Höhe der zu leistenden Entschädigung ist gemäß § 13 Abs. 3a AUB der drei Jahre nach dem Unfall gegebene Dauerzustand. Veränderungen nach diesem Stichtag, es mag sich um Verbesserungen oder Verschlechterungen handeln, spielen in einer Unfallversicherung, in der die AUB vereinbart worden sind, keine Rolle mehr. Bislang fehlt es an einer rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellung eines Dauerzustandes.

Da die Beurteilung des Berufungsgerichts, bei der Versicherten liege eine 14%ige unfallbedingte Invalidität vor, schon aus diesem Grund keinen Bestand hat, kommt es auf die weiteren Revisionsrügen zum angenommenen Invaliditätsgrad für die Revisionsentscheidung nicht mehr an.

b) Ist die Gebrauchsfähigkeit des rechten Beines der mitversicherten Ehefrau des Klägers infolge des Einsetzens eines künstlichen Hüftgelenks mit dauerhaftem Erfolg wiederhergestellt oder meßbar gesteigert worden, so wäre es allerdings ungerechtfertigt, dies bei der Bemessung des Invaliditätsgrades unberücksichtigt zu lassen. Ein solches Vorgehen liefe der mit den AUB getroffenen Regelung erkennbar zuwider. Es stünde in derartigen Fällen nämlich fest, daß das anfängliche Ausmaß der unfallbedingten Gebrauchsbeeinträchtigung – hier des rechten Beines – nicht von Dauer gewesen ist, so daß dieses anfängliche Ausmaß eben nicht den Maßstab abgeben kann für die Ermittlung der entschädigungspflichtigen Invalidität. Anders als bei der Verwendung einer körperfremden Prothese anstelle eines verlorenen Beines geht es hier um die Frage der dauerhaften Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit eines (vorhandenen) Beines.

Zu der Frage, wie eine Visuskorrektur durch eine Brille im Rahmen der AUB Berücksichtigung zu finden hat, hatte der Senat bereits Stellung zu nehmen. Er hat in seinem Urteil vom 27. April 1983 – BGHZ 87, 206 – ausgeführt, daß sich eine Sehhilfe gerade dadurch von Prothesen für verlorene Körperteile unterscheidet, daß die Augen selbst gebrauchsfähig geblieben sind und gebraucht werden können. Andernfalls würde eine Brille nichts nützen. Es liegt aber in jedem Fall, unabhängig davon, wieweit die Visuskorrektur möglich ist, nur noch eine beschränkte Gebrauchsfähigkeit der Augen vor, die sich aus der Notwendigkeit ergibt, eine Brille zu tragen; allein dieser Umstand bringt es mit sich, daß die Augen nicht mehr uneingeschränkt einsatzfähig sind wie bei voller Sehkraft. Der Senat ist deshalb für derartige Fälle zu dem Ergebnis gelangt, daß das Ausmaß der Minderung der Gebrauchsfähigkeit tatsächlicher Feststellungen im Einzelfall bedarf und daß bei der Beurteilung der Gebrauchsfähigkeit eines Auges zwar grundsätzlich von der durch eine Brille korrigierten Sehkraft auszugehen ist, hiervon jedoch ein Abschlag für diejenige Minderung der Gebrauchsfähigkeit gemacht werden muß, die sich aus der Notwendigkeit des Tragens der Brille und den damit generell verbundenen Belastungen ergibt.

Weder für eine visuskorrigierende Brille noch für eine mit Dauererfolg implantierte Hüftgelenks-Endoprothese kann eine Gleichsetzung mit einer körperfremden, nicht implantierten (Bein-)Prothese in Betracht kommen. Beiden Fällen ist gemeinsam – und das fällt ins Gewicht -, daß es nicht (mehr) um Totalverlust oder um totale Gebrauchsunfähigkeit eines Gliedes oder Sinnesorganes geht. Deshalb ist nach einer gelungenen Gelenkimplantation die hierdurch wiederhergestellte Gebrauchsfähigkeit des unfallgeschädigten Gliedes zu ermitteln. Stets bleibt dabei die Gebrauchsfähigkeit gemindert durch die generell mit der Tatsache der Implantation eines künstlichen Gelenks verbundenen Belastungen. Das Maß der jeweiligen Minderung der Gebrauchsfähigkeit bedarf – wie jede Teilinvalidität im Rahmen des § 8 II Abs. 3 Satz 2 AUB – tatsächlicher Feststellungen im Einzelfall. Diese wird das Berufungsgericht mit sachverständiger Hilfe zu treffen haben.

3. Für das weitere Verfahren gibt der Senat noch vorsorglich folgende Hinweise:

Bei der gerichtlichen Entscheidung über den Invaliditätsgrad dürfen keine Tatsachen berücksichtigt werden, die innerhalb von drei Jahren vom Unfalltag ab gerechnet noch nicht erkennbar waren, § 13 Abs. 3a AUB (siehe Senatsurteil vom 8. Juli 1981 – IVa ZR 192/80 – VersR 1981, 1151).

Ist die endoprothetische Maßnahme innerhalb dieses Zeitraumes mißlungen, so hat ihr nur zeitweiser Erfolg für die Invaliditätsbeurteilung außer Betracht zu bleiben. Hat die Maßnahme nur einen dauerhaften Teilerfolg gezeitigt, so ist dieser im Rahmen der vorzunehmenden Invaliditätsbeurteilung mitzuberücksichtigen, dagegen nicht ein nur zeitweise weitergehender Erfolg.

Lautet das ärztliche Urteil weiterhin, daß – unter Berücksichtigung aller innerhalb von drei Jahren ab dem Unfalltag an gerechnet erkennbar gewordenen Tatsachen – nicht gesagt werden könne, der Ehefrau des Klägers sei mit dauerhaftem (Teil-)Erfolg ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt worden, so hat der Kläger den ihm obliegenden Beweis völliger Gebrauchsunfähigkeit des rechten Beines der Versicherten geführt. Dagegen hätte der Beklagte den ihm obliegenden Beweis nicht erbracht, daß der an sich gegebene Dauerzustand völliger Gebrauchsunfähigkeit auf Dauer wieder behoben oder zumindest gebessert werden konnte. Das Risiko, ob einer einmal eingetretenen Invalidität im Sinne der AUB mit neuartigen Heilmethoden auf Dauer wirksam begegnet werden konnte, liegt bei den Versicherern, die mit der Einführung der Drei-Jahresfrist des § 13 Abs. 3 AUB eine endgültige Zäsur für die Berücksichtigungsfähigkeit invaliditätsrelevanter Tatsachen geschaffen haben.

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