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Unfallversicherung – unfallbedingte Gesundheitsschädigung bei degenerativer Vorerkrankung

LG Wiesbaden, Az.: 3 O 172/17, Urteil vom 23.03.2018

Die Klage wird abgewiesen.

Dem Kläger werden die Kosten des Rechtsstreites einschließlich der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 5 des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien haben einen Unfallversicherungsvertrag zu der Versicherungsscheinnummer 36.026.305456 mit Beginn zum 01.12.2010 geschlossen. Die Invaliditätssumme wurde mit 205.0000,– EUR vereinbart. Dem Versicherungsvertrag liegen die Gothaer Unfallversicherungsbedingungen (GUB 210) zugrunde, wegen deren Inhaltes auf die Anlage K 2 verwiesen wird. In Abänderung der GUB haben die Parteien vereinbart, dass eine Verletzung des linken Schenkelhalses vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist. Grund hierfür war, dass der Kläger bereits am 05.08.2007 einen Fahrradunfall mit Oberschenkelhalsbruch erlitten hat. Bei dem Kläger lagen bereits bei Vertragsschluss degenerative Veränderungen beginnend ab der LWS R 8 vor. Weiter heißt es in dem ärztlichen Bericht des vom 15.10.2012 bezüglich Vorerkrankungen des Klägers (Anlage K 3): 2008, Gonarthrose RE, posttraumatische Coxarthrose li“.

Am 19.08.2012 erlitt der Kläger einen Treppensturz, aufgrund dessen er vorliegend Versicherungsleistungen geltend macht. Der Kläger fiel dabei laut Schadensmeldung auf das linke Hinterteil. Am 28.09.2012 erfolgte die Operation eines sequestrierten, nach kaudal disloziertem Bandscheibenvorfall LKW 4/5 links. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 08.04.2013 jegliche Invaliditätsleistungen aufgrund des streitgegenständlichen Unfallereignisses ab und begründete dieses damit, dass Schädigungen an den Bandscheiben grundsätzlich nicht unter dem Versicherungsschutz fallen würden gemäß Ziff. 4.2.6. GUB 2010.

Der Kläger behauptet, dass er unmittelbar nach dem Treppensturz starke Schmerzen im Bereich des linken Gesäßes, Oberschenkel und Wade mit starker Laufeinschränkung im linken Fuß und Taubheit in den Zehen verspürt habe. das Schmerzempfinden sei zwar infolge Tabletten und Infusionen zurückgegangen, sei jedoch nach wie vor vorhanden. Dasselbe gelte für die durch das Unfallereignis entstandene Taubheit in den Zehen und das eingeschränkte Abrollen des Fußes beim Gehen. Die durch das Unfallereignis aufgetretene Fußheberschwäche mit Kraftverlust sei ebenfalls nach wie vorhanden. Auch nach der Bandscheibenoperation seien noch Rückenbeschwerden und Beschwerden im rechten Bein vorhanden. Es sei unfallbedingt ein sequestrierter, nach kaudal geschlagener Bandscheibenprolaps LKW 4/5 mit Fußheber- und Gluteusmediusparese verblieben. Der sequestrierte NPP LKW 4/5, die anhaltende Fußheberparese und Gluteusmediusparese, die Kraftminderung, die Gangunsicherheit sowie die Schmerzsymptomatik seien Unfallfolgen, die einen Anspruch auf Invaliditätsleistung auslösen würden, Ursache der Beschwerden sei unter anderem, dass er sich bei dem Treppensturz eine Kontusion des nervus ischiadicus links zugezogen habe. Es sei davon auszugehen, dass sich bei dem Sturz ein Knorpelteilchen gelöst habe und zu der Nervenschädigung geführt habe, welche sich dann in der Fußheberparese ausgewirkt habe. Er behauptet, dass er vor dem Unfallereignis keine Beschwerden gehabt habe. Er behauptet weiter, dass aufgrund des Unfalles ein Invaliditätsgrad in Höhe von 19, 5 % vorliege.

Der Kläger hat am 20.10.2014 die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt. Im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens hat der Sachverständige Dr. med. ein orthopädisches Gutachten erstellt. Des Weiteren haben die Sachverständigen Dr. med / Prof. Dr.med. ein neurologisches Gutachten erstellt. Im Termin des selbständigen Beweisverfahrens vom 23.08.2017 ist der Sachverständige zudem angehört worden.

Der Kläger beantragt,

1) die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.912, 50 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit dem 05.06.2013 zu zahlen.

2) die Beklagte wird verurteilt, den Kläger hinsichtlich der nicht anzurechnenden Rechtsanwaltsgebühren für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 1100, 51 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit Rechtshängigkeit gegenüber der Partnerschaftsgesellschaft, 65187 Wiesbaden, freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass der Kläger den Vollbeweis einer unfallbedingten Erstkörperschädigung nicht erbracht habe. Die Unfallbedingtheit der streitgegenständlichen Beschwerden ergebe sich auch nicht mit der für die Beweisführung erforderlichen Sicherheit aus dem im selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachten. Zudem sei erheblich, dass für die geltend gemachten Beeinträchtigungen „Kraftminderung“ und Gangunsicherheit keine fristgerechte Invaliditätsfeststellung vorliege. Vorliegend sei auch nicht erwiesen, dass ein traumatischer vom Versicherungsschutz umfasster Bandscheibenvorfall vorliege. Dabei sei der Vortrag des Klägers zum Treppensturz auch nicht ausreichend substantiiert, um zu prüfen, ob der Sturz die behaupteten Beschwerden ausgelöst haben könnte. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die vom Kläger geschilderten Beschwerden Folgen des nicht traumatischen, sondern auf degenerative Veränderungen beruhenden Bandscheibenvorfalles seien. Hierfür spreche auch, dass die die Lähmungserscheinungen offensichtlich nicht sofort eingesetzt hätten. Auch für ein sich später gebildetes Hämatom, welches ggf. eine Nervenschädigung verursacht haben könnte, beständen keine Anhaltspunkte.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat den Beweis einer unfallbedingten versicherten Erstkörperschädigung nicht erbracht. Ein Unfall liegt gemäß Ziff.1.3. GUB 2010 vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis eine Gesundheitsschädigung erleidet. Bei Schädigungen an Bandscheiben besteht Versicherungsschutz nur dann, wenn neben der Schädigung an der Bandscheibe weitere Körperteile verletzt sind und ein unter den Vertrag fallendes Unfallereignis nach Ziff. 1.3. die überwiegende Ursache hierfür war. Für diese Voraussetzung hatte der Kläger als Anspruchsteller gemäß § 286 BGB den Vollbeweis zu führen. Dabei musste sicher ausgeschlossen werden, dass die behauptete Gesundheitsbeeinträchtigung nicht auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre (vgl. OLG Saarbrücken, VersR 2004, 1544). Nicht ursächlich ist ein Unfallereignis für eine Gesundheitsbeeinträchtigung zudem auch dann, wenn es lediglich eine bereits zuvor bestehende Gesundheitsschädigung sichtbar werden lässt, wie z.B. wenn festgestellte Schädigungen auf ein degeneratives Grundleiden zurückzuführen sind oder es aber lediglich eines banalen Anlasses bedarf, um sich zum Abschluss einer langen Entwicklung als Gesundheitsschädigung zu offenbaren (OLG Köln VersR, 1689). Bleibt ungeklärt, ob die Gesundheitsschädigung durch einen Sturz oder eine unfallunabhängige innere Erkrankung herbeigeführt wurde, so ist eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung nicht nachgewiesen (vgl. OLG Köln, VersR 1996, 620).

Nach diesen Grundsätzen ließ sich vorliegend weder mit der für § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Bandscheibenvorfall überwiegend durch das Unfallereignis verursacht, noch dass die Nervenschädigung unmittelbar durch das Unfallereignis hervorgerufen wurde. Zwar vermochte das Gericht aufgrund der im selbständigen beweisverfahren eingeholten Gutachten zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer unfallbedingten Nervenschädigung erkennen, jedoch war das Gericht letztendlich auch hiervon nicht überzeugt, da nicht unfallbedingte Alternativursachen nicht ausgeschlossen werden konnten und somit Zweifel verblieben.

Aufgrund des im selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachtens des Sachverständigen bestehen vorliegend zunächst erhebliche Zweifel daran, dass ein versicherter traumatischer Bandscheibenvorfall durch das Unfallereignis verursacht wurde. Der Kläger schilderte das Unfallereignis dahingehend, dass er mit Socken auf einer Holztreppe ausgerutscht sei und dadurch mit seinem Hinterteil auf die Treppe gefallen sei. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen erscheint bereits das geschilderte Unfallereignis nicht als geeignet, einen traumatischen Bandscheibenvorfall zu verursachen. Bandscheibenvorfälle treten bei Gesunden nur unfallbedingt auf, wenn ein Trauma von ähnlicher Schwere ist, dass hierdurch eine Wirbelfraktur ausgelöst werden könne. Geringgradige Unfallwirkungen sind normalerweise bei vorgeschädigten Bandscheiben nicht in der Lage, zu einer Bandscheibenruptur und damit zu einem Vorfall des Nucleus Pulposus zu führen. Zudem würde es im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an den Unfall zu deutlichen Wurzelreizungssymptomen kommen, aufgrund dessen der Verletzte seine Aktivitäten umgehend einstellen müsste. Das vorliegende Unfallereignis wäre demnach nicht geeignet bei einem Gesunden einen Bandscheibenvorfall auszulösen. Aufgrund der vorliegenden nicht festgestellten degenerativen Veränderungen und Vorerkrankungen, welche im Bericht des Dr. vom 15.10.2012 wie folgt beschrieben werden „degenerative Veränderungen beginnend ab der LWS R 8 (6/2008)2008, Gonarthrose RE, posttraumatische Coxarthrose li“ liegt demzufolge die Schlussfolgerung näher, dass durch den Sturz allenfalls die bereits zuvor bestehenden Vorerkrankungen sichtbar gemacht wurden. Dahingestellt bleiben kann dabei, ob der Kläger schon vor dem Unfallereignis unter Beschwerden gelitten hat, weil degenerative Vorzustände häufig klinisch stumm bleiben.

Auch kann nicht von einer überwiegenden Ursächlichkeit des Unfallereignisses im Sinne der allgemeinen Versicherungsbedingungen ausgegangen werden. Der Sachverständige geht von einer überwiegenden Mitverursachung in Höhe von 0,75 % aus durch die degenerativen Vorerkrankungen aus, so dass der erlittene Bandscheibenvorfall vom Versicherungsschutz ausgeschlossen war.

Letztendlich verbleiben auch Zweifel an einer unfallbedingten Erstkörperschädigung hinsichtlich der vom Kläger geschilderten neurologischen Beschwerden. Es lässt sich auch nach dem im selbständigen Beweisverfahren eingeholten Gutachten nicht ausschließen, dass es sich bei den Beschwerden „Fußheberparese, Gluteusmediusparese, Kraftminderung, Gangunsicherheit, Schmerzen um Folgeschäden handelt, welche durch den nicht versicherten Bandscheibenvorfall entstanden sind. Eine Schädigung der Nervenwurzel als Erstkörperschädigung ist indes nicht bewiesen. Der Beweis ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht auch nicht aus den im selbständigen Beweisverfahren eingeholten neurologischen Gutachten der Sachverständigen vom 07.04.2016. Soweit der Kläger die neurologischen Beschwerden mit Verweis auf das eingeholte neurologische Gutachten damit erklärt, dass sich ein Knorpelteilchen infolge des Sturzes gelöst und zu einer Nervenschädigung geführt habe, welche sich dann wiederum in der Fußheberparese ausgewirkt habe, so mag dieses eine plausible Erklärung darstellen, letztendlich handelt es sich aber nur um eine von mehreren möglichen Ursachen. Dem Kläger ist dahingehend zuzustimmen, dass aufgrund der vorgelegten Gutachten vieles für das Vorliegen einer solchen Ursachenkette spricht, aber selbst eine überwiegende Wahrscheinlichkeit reicht für die Beweisführung nicht, sofern die alternative Ursache der Nervenschädigung als Folge der Bandscheibenschädigung nicht ernsthaft auszuschließen ist. Die Beklagte verweist in diesem Zusammenhang zutreffend auf die Ausführungen des Sachverständigen dahingehend, dass der Nerv im Bereich des Beckens gut geschützt ist, so dass eine isolierte Schädigung durch das genannte Sturzereignis nicht möglich erscheine. Die objektivierbare Sicherung einer muskulären oder nervalen Kontusion hätte in der Akutphase mittels MRT erfolgen können, welche vorliegend nicht durchgeführt wurde. Der Sachverständige hält es insofern selbst für fraglich, ob ein MRT dreieinhalb Jahre nach dem Unfallereignis den Nachweis einer nervalen Schädigung noch erbringen könne. Eine mögliche Alternativursache bleibt danach der Bandscheibenvorfall. Zudem ist aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen, dass Nervenschädigungen außerhalb eines Bandscheibenvorfalls durch ein Trauma zu sofortigen Lähmungserscheinungen führen würden, welche vom Kläger nicht geschildert wurden. Mangels Nachweises einer unfallbedingten vom Versicherungsschutz umfassten körperlichen Erstschädigung war die Klage daher in vollem Umfang abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S.1 ZPO.

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