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Unfallversicherung – Herbeiführung einer Straftat und Versicherungsschutz

Oberlandesgericht Hamm

Az: 20 U 258/06

Urteil vom 02.03.2007


Die Berufung des Klägers gegen das am 28.09.2006 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages erbringt.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Unfallversicherung (Invaliditätsleistung, Unfallkrankenhaustagegeld, Genesungsgeld) in Anspruch.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung; vereinbart sind die AUB 95 der Beklagten.

Der Kläger befuhr am Abend des 30.05.2004 mit seinem PKW Audi S 4 die B mit stark überhöhter Geschwindigkeit. Er überholte eine Polizeistreife, die wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung zur Verfolgung ansetzte, den Kläger aber zunächst wegen der von ihm gefahrenen hohen Geschwindigkeit aus den Augen verlor. In der Ortschaft F konnten die Beamten des Streifenwagens, PHM und POM, wieder aufschließen, da der Kläger vor einer Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage hielt. POM stieg aus dem Streifenwagen aus, um eine Fahrzeugkontrolle durchzuführen. Er begab sich zum Fahrzeug des Klägers, in dem die Zeugen I und S als Beifahrer mitfuhren. POM ergab sich zur Beifahrerseite und wies den Kläger an, hinter der Kreuzung anzuhalten. Durch das geöffnete Fahrzeugfenster konnte er deutlich Alkoholgeruch sowie überlaute Musik wahrnehmen.

Der Kläger setzte bei Grünlicht seine Fahrt mit hoher Geschwindigkeit fort. Der Streifenwagen folgte mit Blaulicht und Martinshorn. In der Ortsmitte F musste der Kläger erneut verkehrsbedingt anhalten. POM stieg erneut aus und ging auf das Fahrzeug des Klägers zu. Der Kläger fuhr kurz zurück und setzte sodann seine Flucht weiter fort. Den vor dem Audi befindlichen POM umfuhr er. Streitig ist, ob er direkt auf den Polizeibeamten zufuhr.

Kurz vor dem Ortsausgang von F gab der Kläger sodann gegen 22.00 Uhr seine Flucht auf. Er hielt auf der L-Straße in einer Parkbucht an und stellte den Motor aus. Der Streifenwagen stoppte neben dem Audi auf der Fahrerseite. POM stieg wiederum aus, öffnete die Fahrzeugtür, zerrte den Kläger aus seinem Fahrzeug und warf ihn zu Boden. Dabei löste sich ein Schuss aus der entsicherten Dienstwaffe des POM. Der Kläger erlitt einen Bauchdurchschuss.

Die bei dem Kläger um 23.50 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine BAK von 2,18 Promille im Mittel.

Der Kläger wurde mehrfach operiert. Er befand sich bis zum 02.07.2004 in stationärer Behandlung. Bis zum 19.09.2004 war er arbeitsunfähig.

Der Chirurg T stellte am 26.08.2005 wegen der Bauchverletzung Invalidität fest, die er mit 20 % einschätzte.

Die Beklagte verweigerte Leistungen aus der Unfallversicherung und berief sich auf Ausschlusstatbestände.

Der Kläger wurde durch Urteil des Amtsgerichts P a.M. vom 21.04.2005 wegen einer fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe verurteilt. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen (1 Ds 125 Js 8963/04 AG Obernburg).

Der Kläger hat Leistungen aus der Unfallversicherung wie folgt eingeklagt:

Krankenhaustagegeld 2.193,51 EUR
Genesungsgeld 1.213,16 EUR
Invaliditätsleistung (30 %) 44.908,00 EUR
mithin 48.314,67 EUR

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen,

Es bestehe kein Versicherungsschutz, da sich die Beklagte zu Recht auf Leistungsfreiheit gemäß § 2 I (1) AUB berufe.

Auf den Inhalt des am 28.09.2006 verkündeten Urteils wird, auch wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand in erster Instanz, Bezug genommen.

Der Kläger greift das Urteil mit der Berufung an und verfolgt seinen Klageantrag weiter. Er meint, das Landgericht habe einen adäquaten Kausalzusammenhang zwischen einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung und dem Unfall zu Unrecht bejaht und die gebotene wertende Beurteilung unterlassen. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass er, der Kläger, Flucht und Trunkenheitsfahrt bereits beendet hatte, als sich der Unfall ereignete.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.

II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Obwohl der Vorfall vom 30.05.2004 ein Unfallereignis darstellt, nämlich ein plötzlich von außen auf den Körper des Versicherten wirkendes Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt, so ist die Beklagte gleichwohl für diesen Unfall nicht eintrittspflichtig, sondern sie beruft sich mit Erfolg auf den Ausschluss gemäß § 2 I. (2) ihrer AUB 95.

Nach § 2 I. (2) AUB fallen nicht unter den Versicherungsschutz in der Unfallversicherung „Unfälle, die dem Versicherten dadurch zustoßen, dass er vorsätzlich eine Straftat ausführt oder versucht“.

Der Ausschluss ist rechtlich unbedenklich und wirksam; dies ist höchstrichterlich wiederholt entschieden worden (vgl. nur BGH, Urt.v. 23.09.1998 – IV ZR 1/98 – VersR 1998, 1410 mit Nachweisen). Er ist nicht in sittlichen Erwägungen begründet, sondern er dient der Ausschaltung des selbstverschuldeten besonderen Unfallrisikos, das mit der Ausführung einer strafbaren Handlung verbunden ist und durch die Erregung und Furcht vor Entdeckung noch gesteigert wird (so schon BGH, Urt.v. 10.01.1957 II ZR 162/55 BGHZ 23, 76). Sinn und Zweck des Ausschlusses rechtfertigen nicht die Versagung des Versicherungsschutzes in Fällen eines rein zufälligen Zusammenhangs zwischen einer Straftat und einem Unfall; vielmehr greift der Ausschluss nur dann, wenn zwischen dem Unfall und der Straftat ein adäquat ursächlicher Zusammenhang besteht. Ereignet sich der Unfall nur bei Gelegenheit eines begangenen Delikts, bleibt der Versicherungsschutz bestehen. Er ist jedoch zu versagen, wenn ein der Straftat eigentümlicher Gefahrenbereich zum Unfall geführt hat (BGH, Urt.v. 10.01.1957, aaO.). Die Adäquanz eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer strafbaren Handlung und einem Unfallereignis ist mithin zu bejahen, wenn durch die Ausführung der Straftat eine erhöhte Gefahrenlage geschaffen worden ist, die generell geeignet ist, Unfälle der eingetretenen Art herbeizuführen (so BGH, Urt.v. 23.09.1998, aaO.).

Der Kläger hat am 30.05.2004 im Verkehr ein Fahrzeug geführt, obwohl er mit einer BAK von mehr als 2,18 ? absolut fahruntüchtig war. Er hat damit rechtswidrig den Tatbestand des § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr) erfüllt.

Der Kläger hat – unbestritten – vorsätzlich gehandelt. Dass er sich bei der Fahrt seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bewusst war, hat er deutlich dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er auf die Aufforderungen seiner Mitfahrer, doch anzuhalten, wiederholt darauf hinwies, nicht anhalten zu wollen, da dann sein Führerschein weg wäre. Diese Äußerungen sind nur dahin zu verstehen, dass der Kläger sich dessen bewusst war, bei einer Alkoholkontrolle der absoluten Fahruntüchtigkeit überführt zu werden.

Der Feststellung des Senats, dass der Kläger rechtswidrig und vorsätzlich den Tatbestand der Trunkenheit im Verkehr erfüllt hat, steht nicht entgegen, dass der Kläger durch Urteil vom 21.04.2005 wegen einer lediglich fahrlässig begangenen Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden ist. Denn die Feststellungen im Strafurteil binden den Senat nicht.

Der Unfall (Bauchschuss) ist dem Kläger dadurch zugestoßen, dass er vorsätzlich die Straftat „Trunkenheit im Verkehr“ ausgeführt hat. Der Senat bejaht eine adäquate Kausalität zwischen der Trunkenheitsfahrt und dem Unfallereignis.

Richtig ist zwar, dass die Trunkenheitsfahrt unmittelbar vor dem Unfall bereits abgeschlossen war. Die Straftat war nicht nur vollendet, sondern auch beendet. Gleichwohl greift der Ausschluss des § 2 I. (2) AUB.

Die „Ausführung“ einer Straftat beschränkt sich nicht auf den Zeitraum, in dem der Straftatbestand verwirklicht wird, sondern sie wirkt darüber hinaus, so dass auch Unfälle beim Rückzug vom Tatort, auf der Flucht usw. vom Ausschluss erfasst werden (Grimm, Unfallversicherung, 4.Aufl. § 5 AUB 99 Rn. 29). Das folgt aus Sinn und Zweck des Ausschlusses, wie er von der Rechtsprechung herausgearbeitet worden ist (s.o.).

Zwischen Ausführung und Unfall muss ein unmittelbarer zeitlicher und adäquat ursächlicher Zusammenhang bestehen. An einer zurechenbaren Kausalität würde es fehlen, wenn der Unfall unabhängig von der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens allein auf das Verhalten eines Dritten zurückzuführen ist, dessen fehlerhaftes Handeln durch die Rechtsverletzung des Versicherten weder ausgelöst noch veranlasst oder mit veranlasst worden ist (Grimm, aaO. Rn. 30; BGH, Urt.v. 23.09.1998, aaO). Kausalität fehlt, wenn der Unfall lediglich zufällig zeitlich parallel zu einer Straftat geschieht.

Entscheidend für die Beurteilung ist das Vorliegen einer typischen, vom Zweck des Risikoausschlusses mitumfassten Gefahrerhöhung durch die Straftat. Verwirklicht sich in dem Unfallereignis der für die Straftat eigentümliche Gefahrenbereich, greift der Ausschluss, der darauf abzielt, die Gemeinschaft der Versicherten nicht mit den selbstverschuldeten besonderen Unfallrisiken zu belasten, die Folge von Straftaten sind.

Mit dem Schuss aus der Dienstpistole des POM, der die erhebliche Verletzung des Klägers verursachte, realisierte sich die vom Kläger durch seine Trunkenheitsfahrt geschaffene besondere Gefahrenlage:

Die Trunkenheitsfahrt des Klägers war der entscheidende Grund für seine Flucht, mit der er die Aufdeckung seiner Straftat zu verhindern trachtete. Die Flucht des von der Polizei als alkoholisiert erkannten Fahrers forderte deren Verfolgung heraus, da den Polizeibeamten die Pflicht oblag, die gefährliche Trunkenheitsfahrt zu unterbinden. Durch die wiederholten Fluchtreaktionen des Klägers eskalierte die Situation zu einer über alkoholbedingte Fehleinschätzungen hinaus gesteigerten Gefahrenlage, auf die POM schließlich mit seiner entsicherten Dienstpistole reagierte. Der Senat unterstellt, dass sich POM dabei – wie vom Kläger behauptet – vorschriftswidrig verhielt. Eine typische, vom Zweck des Risikoausschlusses mit umfasste Gefahrensituation im Falle einer Verfolgungsjagd bei und zur Verhinderung der Aufrechnung einer Straftat mit anschließender Festnahme besteht darin, dass ein Polizeibeamter überreagiert, einen Fehler begeht und – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – seine Schusswaffe einsetzt.

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Der Kläger hat mit der Trunkenheitsfahrt und der dadurch bedingten Flucht zurechenbar eine Kausalkette in Gang gesetzt, die in das Unfallereignis mündete. Er hat den Kausalverlauf nicht dadurch unterbrechen können, dass er sich unmittelbar vor seiner Festnahme zur Aufgabe entschloss. Denn die von ihm geschaffene Gefahrenlage wirkte noch bis zum Unfall fort. Die durch die Straftat ausgelöste Gefahrerhöhung hatte durch den Entschluss zur Aufgabe, anders als dies beim Antreffen zuhause nach geglückter Flucht der Fall sein wird, noch nicht abgebaut werden können.

Da der Ausschlusstatbestand des § 2 I. (2) AUB zu bejahen ist, stehen dem Kläger Ansprüche aus der Unfallversicherung nicht zu.

Der Senat lässt offen, ob zusätzlich auch der Ausschluss des § 2 I. (1) AUB (Unfälle durch trunkenheitsbedingte Bewusstseinsstörung) gegeben ist, wovon das Landgericht in seinem Urteil ausgegangen ist.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. I, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 ZPO n.F.).

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