SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT
Az.: 5 U 638/09-127
Urteil vom 22.12.2010
In dem Rechtsstreit wegen Leistungen auf Grund einer Unfallversicherung hat der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 24.11.2010 für Recht erkannt:
I. Auf die Berufung des Klägers wird Ziffer 1) des am 07.12.2009 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken (12 O 179/08) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
„Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.368,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung am 20.06.2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.“
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu 89 % und die Beklagte zu 11 %.
III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um einen Anspruch aus einem Unfallversicherungsvertrag.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine private Unfallversicherung, in der auch seine Ehefrau, die Zeugin N…, versichert ist. Vereinbart war u. a. eine Invaliditätsleistung für den Fall unfallbedingter Invalidität mit einer Grundversicherungssumme von 51.130,00 € und – im Hinblick auf die vereinbarte Progression – einer Leistung bei Vollinvalidität in Höhe von 255.650,00 € (vgl. Nachtrag zum Versicherungsschein vom 18.09.2003 (Bl. 16 d. A.); allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen der Beklagten – AUB 94 (Bl. 9 d. A.); Besondere Bedingungen der Beklagten für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel – Progression 500 % (Bl. 14 d. A.)).
Im Mai 2006 zeigte der Kläger der Beklagten eine Schulterverletzung seiner Ehefrau in der Nach vom 30.06. zum 01.07.2005 (ca. 1.30 Uhr am 01.07.2005) an. Nach dem Vorfall begab sich seine Ehefrau erstmals am 09.09.2005 zum Arzt (Bl. 3 d. A.). Die Beklagte zahlte dem Kläger wegen des Vorfalls eine Invaliditätsleistung in Höhe von 3.579,10 €. Dabei legte sie eine Invalidität von ¼ Armwert zu Grunde und eine Mitwirkung unfallfremder Ursachen in Höhe von 60 % (vgl. das Schreiben der Beklagten vom 09.08.2007 – Bl. 27 d. A.).
Der Kläger beansprucht, dass seine Ehefrau als Krankenschwester im Nachtdienst am 01.07.2005 gegen 1.30 Uhr einen Patienten besser habe lagern wollen. Infolge der mit dem Heben verbundenen Kraftanstregung habe sie einen einschießenden Schmerz in der rechten Schulter verspürt (Bl. 3 d. A.). Sie habe nämlich bei dem Vorfall eine inkomplette Ruptur der Rotatorenmanschette erlitten (Diagnosen Bl. 4 f d. A.). Infolge des Unfalls leide sie an einer weitgehenden Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Schulter. Durch diese sei sie bei der täglichen Arbeit erheblich behindert (Bl. 3 d. A.). Als Krankenschwester oder Pflegehilfe könne sie nicht mehr arbeiten (Bl. 4 d. A.). Diese dauerhafte Einschränkung seit mit 3/5 bis 5/4 Armwert zu bemessen (Bl. 5 ff d. A.).
Mit seiner Klage hat der Kläger eine Invaliditätsleistung unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades von 40 % gefordert. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, nach den Bedingungen der progressiven Invaliditätsstaffel sei die volle Grundversicherungssumme zu zahlen. Davon sei die bereits geleistete Zahlung in Abzug zu bringen (51.130,00 € – 3.579,10 € = 47.550,90 €).
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
an ihn 47.550,90 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung am 20.06.2008 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der geschilderte Verletzungshergang („Verheben“) sei nicht geeignet, die behauptete Schädigung der Rotatorenmanschette hervorzurufen (Bl. 42 ff d. A.). Gegen eine schwerwiegende Verletzung der Rotatorenmanschette spreche auch der lange Zeitraum zwischen dem Vorfall und dem erstmaligen Aufsuchen eines Arztes (Bl. 42 d. A.). Die jetzigen Beschwerden resultierten aus einem langjährigen degenerativen Prozess (Bl. 41 d. A.). Der Mitwirkungsanteil von Vorschäden liege bei mindestens 90 %, eher sogar bei 100 % (Bl. 47. d. A.).
Mit dem am 07.12.2009 verkündeten Urteil (Bl. 181 d. A.) hat das Landgericht Saarbrücken – nach informatorischer Anhörung des Kläger (Bl. 89 d. A.) und Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin N… (Bl. 89 d. A.) sowie Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen A… vom 02.02.2009 (Bl. 109 d. A.) nebst schriftlicher Ergänzung vom 26.07.2009 (Bl. 147 d. A.) – die Klage abgewiesen. Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils Bezug.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt.
Der Kläger ist der Auffassung, das Landgericht habe die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht gewürdigt und die Beweislast verkannt (Bl. 216 f d. A.).
Das Landgericht habe den Kürzungstatbestand des § 8 AUB 94 fehlerhaft angewandt, nämlich die Begriffe Krankheit und Gebrechen falsch ausgelegt und die Darlegungs- und Beweislast des Versicherers verkannt. Bei einer altersbedingten Degeneration des Rotatorenmanschettenapparates liege weder eine Krankheit noch ein Gebrechen vor, da alterstypische Verschleißerscheinungen auch dann keine Krankheiten und Gebrechen seien, wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten (Bl. 217 d. A.).
Die Beklagte habe eine über eine alterstypische Degeneration der Rotatorenmanschette hinausgehende Abnutzung weder behauptet noch unter Beweis gestellt (Bl. 217 d. A.). Daher sei von einem alterbedingten Normalzustand auszugehen gewesen. Darüber hinaus habe der Sachverständige A… ausgeführt, dass bei über 50-jährigen immer von einer degenerativen Veränderung der Rotatorenmanschette auszugehen sei, auch wenn keine klinischen Symptome bestünden. Das Vorhandensein gesunder Sehnen im Alter der Zeugin N… stelle angesichts des bereits mit 20 Jahren beginnenden typischen Alterungsprozesses die Ausnahme dar. Eine Anspruchskürung gemäß § 8 AUB 94 komme daher nicht in Betracht (Bl. 218 d. A.).
Unerheblich seien dagegen die Arthrose des Schultereckgelenkes, die Arthrose des Schulterhauptgelenks mit beginnender Kopfentrundung und vermehrter subchondraler Sklerose der Gelenkpfanne sowie die Verschmälerung des Gelenkspaltes zwischen Oberarm, Kopf und Unterarmpfanne als eine das altersübliche Maß übersteigende degenerative Veränderung (Bl. 218 f d. A.). Diese seien für das Unfallereignis nicht kausal gewesen, da sie an völlig anderer Stelle im Schultergelenk lägen und nicht zum Defekt der Supraspinatussehne geführt hätten (Bl. 219 d. A.). Das Landgericht sei ungeprüft davon ausgegangen, dass die Arthrose im Schultergelenk zum unfallbedingten Defekt geführt habe. Der Sachverständige A… habe zwar erklärt, die unfallbedingte Invalidität der Zeugin sei zu 60 % auf Vorschäden zurückzuführen, sich aber zur Kausalität nicht geäußert (Bl. 219 d. A.).
Der Kläger beantragt, das Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen
an ihn 47.550,90 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung am 20.06.2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe den erstinstanzlich festgestellten Invaliditätsgrad von ¼ Armwert, also 17,5 %, und damit die Unanwendbarkeit der Progressionsstaffel mangels Überschreitung des Schwellenwertes von 25 % nicht angegriffen. Hieraus ergebe sich unabhängig von der Anwendbarkeit von § 8 AUB 94 bereits allenfalls eine Invaliditätsleistung von 8.947,75 €, auf die unstreitig 3.579,10 € geleistet worden seien (Bl. 223 d. A.).
Zu Unrecht greife der Kläger auch die Anwendung des § 8 AUB 94 an (Bl. 223 d. A.). Sinn und Zweck der Regelung sei es, sicherzustellen, dass der Versicherer nur für die unfallbedingte Ursachen, nicht aber für Schäden durch degenerative Veränderungen, etwa an den Sehnen leisten müsse. Zwar stellten altersbedingte Veränderungen keine Krankheiten oder Gebrechen dar. Jedoch liege bei der Ehefrau des Klägers keine alterbedingte Degeneration der Rotatorenmanschette vor, sondern ein Zustand, der das alterübliche Maß degenerativer Veränderungen bei weitem überschreite, nämlich eine Arthrose des Schultereckgelenks, eine Arthrose des Schulterhauptgelenks, eine vermehrte Sklerose der Gelenkpfanne sowie eine Verschmälerung des Gelenkspaltes zwischen Oberarmkopf und Oberarmpfanne. Diese Stellen lägen nicht an völlig anderer Stelle im Schultergelenk. Vielmehr sei die Rotatorenmanschette die unmittelbar über dem Oberarmkopf gelegene Sehnenhaube, die durch die umgebenden knöchernen Anteile des Schultergürtels grundsätzlich geschützt sei (Bl. 224 d. A.). Bei Bewegungen komme es zu einem Kontakt der Manschette mit dem Schulterdach und durch Verschleißerscheinungen im Schultergelenk zu einer zusätzlichen Enge dieses Raums. Dadurch komme es zu einem vorzeitigen Sehnenverschleiß und einer zunehmenden Ausdünnung der Sehne (Bl. 225 d. A.).
Die von der Ehefrau des Klägers geschilderte Kraftanstregung beim Anheben eines Patienten sei ein völlig ungeeigneter Verletzungsmechanismus für die Schädigung der Rotatorenmanschette. Bereits daraus ergebe sich, dass der die altersbedingten Veränderungen überschreitende Verschleißzustand mitgewirkt haben müsse. Der Sachverständige A… habe deshalbs ausgeführt, dass bei den Gesundheitsschädigungen der Ehefrau des Klägers eindeutig Krankheiten und Gebrechen mitgewirkt haben müssten (Bl. 225 d. A.).
In der zweiten Instanz werde ferner bestritten, dass Ursache der Beschwerden der Ehefrau des Klägers überhaupt der vermeintliche Vorfall vom 01.07.2005 gewesen sei (Bl. 226 d. A.). Nach den Feststellungen des Sachverständigen A… sei es denkbar, dass sich die Ehefrau des Klägers die Partialruptur bei anderer Gelegenheit zugezogen habe (Bl. 227 d. A.).
Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrags im Einzelnen sowie des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen A… vom 02.02.2009 (Bl. 109 d. A.) nebst schriftlicher Ergänzung vom 26.07.2006 (Bl. 147 d. A.), die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 10.11.2008 (Bl. 89 d. A.), vom 16.11.2009 (Bl. 158 d. A.) und des Senats vom 24.11.2010 (Bl. 238 d. A.) sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 07.12.2009 (Bl. 181 d. A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
Gemäß Art. 1 Abs. 1 u. 2 EGVVG ist das bis zum 31.12.2007 geltende Recht anwendbar.
1.
Der Kläger hat grundsätzlich einen Anspruch gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VVG a. F. i. V. m. § 7 Nr. I AUB 94 auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung.
a) Zwischen den Parteien besteht ein Unfallversicherungsvertrag, der u. a. eine Invaliditätsleistung sowie eine Unfallrente ab einer Invalidität von 20 % vorsieht.
b) Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass die mitversicherte Zeugin N… gemäß § 1 Nr. IV AUB einen Unfall erlitten hat, nämlich die Verrenkung an Gliedmaßen, der Wirbelsäule oder eines Gelenks auf Grund erhöhter Kraftanstregung an Gliedmaßen oder der Wirbelsäule, indem sie einen Patienten höher lagern wollte und sich dabei eine Rotatorenmanschettenruptur zugezogen hat. Die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen, welche auf Grund der Ausführungen des Sachverständigen A… sowie der übrigen ärztlichen Zeugnisse getroffen wurden, sind in sich schlüssig und nachvollziehbar. Das Landgericht hat die Verletzung auch rechtlich zutreffend als eine der Gliedmaßen, nämlich des Arms gewertet, da ein enger Zusammenhang des Schultergelenks mit dem in ihm endenden Arm besteht.
Soweit die Beklagte die (Mit)ursächlichkeit des Unfalls für die Verletzungen nunmehr in der zweiten Instanz erstmals bestreitet und auf eine mögliche andere Ursache verweist, ist dieser Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO verspätet, da dieser schon in der ersten Instanz hätte erfolgen können. Im Übrigen stellt sich die Beklagte hierdurch in Widerspruch zu der durch die Zahlung erfolgten Anerkennung des Unfalls.
c) Ebenfalls zutreffend ist das Landgericht ferner davon ausgegangen, dass die Beklagte sich mangels Erteilung einer entsprechenden Belehrung nicht auf den Ablauf der 15-Monats-Fries gemäß § 7 Nr. I Abs. 1 Satz 3 AUB 94 berufen kann und dies auch nicht getan hat.
d) Des Weiteren ist nach den Feststellung des Sachverständigen A…, welche ebenfalls im Rahmen des Berufungsverfahrens von keiner der Parteien angegriffen werden, davon auszugehen, dass der Grad des Dauerschadens sich ¼ Armwert, also ¼ von 70 % und damit 17,5 % beträgt. Mithin beträgt die Invaliditätsleistung mangels Anwendbarkeit der ab einer Invalidität von 25 % geltenden progressiven Staffel 8.947,75 €.
2.
Der Anspruch ist durch unstreitige Zahlung von 3.579,10 € seitens der Beklagten gemäß § 362 Abs. 1 BGB nicht vollständig erloschen, da die Invaliditätssumme von 8.947,75 € nicht gemäß § 8 AUB wegen mitwirkender Vorerkrankungen um 60 % zu kürzen ist, so dass die Forderung noch in Höhe eines Restbetrages von in der Hauptsache 5.368,65 € besteht.
a) Gemäß § 8 AUB 94 wird die Leistung entsprechend dem Anteil der Krankheit oder der Gebrechen gekürzt, wenn Krankheiten oder Gebrechen bei der durch das Unfallereignis hervorgerufen Gesundheitsbeschädigung oder deren Folgen mitgewirkt haben und dieser Anteil mindestens 25 % beträgt.
Zutreffend hat der Kläger darauf hingewiesen, dass zu Krankheiten (regelwidriger Körperzustand, der ärztlicher Behandlung bedarf) und Gebrechen (dauernder abnormer Gesundheitszustand, der eine einwandfreie Ausübung normaler Körperfunktionen (teilweise) nicht mehr zulässt) nicht altersbedingt normale Verschleiß- und Schwächezustände gehören, auch wenn sie eine gewisse Disposition für Gesundheitsstörungen bedeuten. Es ist vielmehr eine Abweichung vom altersbedingten Normalzustand erforderlich (vgl. BGH, Urt. v. 08.07.2009 – IV ZR 216/07 r+s 2009, 423; OLG Hamm, VersR 2002, 180; Prölss/Martin-Knappmann, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Auflage, § 8 AUB 94, Rdn. 4). Diese Vorerkrankungen müssen bei den Unfallfolgen, nicht unbedingt bei dem Unfallereignis selbst, mitgewirkt haben und zwar entweder bei der ersten Gesundheitsschädigung oder der späteren Heilung und Entwicklung (vgl. BGH, Urt. v. 07.06.1989 – IVa ZR 137/88, VersR 1989, 902; Prölss/Martin-Knappmann, aaO., § 8 AUB 94, Rdn. 3). Der Versicherer ist hinsichtlich dieser Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig (vgl. OLG Hamm VersR 2002, 180; OLG Koblenz, r+s 2001, 348; Prölss/Martin-Knappmann, aaO., § 8 AUB 94, Rdn. 6).
b) Der Sachverständige A… hat zwar in seinem Gutachten vom 02.02.2009 ausgeführt, dass die Krankheiten oder Gebrechen bei der durch das Unfallereignis hervorgerufenen Gesundheitsschädigung oder deren Folgen eindeutig mitgewirkt hätten (Bl. 119a d. A.). Bei dem geschilderten Mechanismus „Anheben einer schweren hemiplegischen Person“ habe es sich um keinen der geeigneten Verletzungsmechanismen gehandelt, sondern die aktive Kraftanstregung sei ein typisches Beispiel für ungeeignete Verletzungsmechanismen. Durch seine biomechanische Schutzfunktion verhindere der Deltamuskel eine strukturelle Schädigung der Rotatorenmanschette. Des Weiteren spreche das lange Intervall zwischen Ereignis und Arztbesuch (9 Wochen) gegen einen solchen Mechanismus. Auch die Kernspintomographie vom 15.11.05 spreche für eine degenerative Vorschädigung. Es fehle nämlich das sogenannte „bone bruise“, also eine Ödembildung des Knochens als Zeichen der auf das Gelenk bzw. die knöchernen Bestandteile des Gelenks einwirkenden Kräfte (Bl. 120 d. A.). Dagegen bestünden Zeichen der Degeneration, z. B. eine Arthrose im Schultereckgelenk und Signalveränderungen der Rotatorenmanschette i. S. v. narbigen Veränderungen. Dagegen werde ein Gelenkerguss als Zeichen einer Traumatisierung des Gelenks nicht beschrieben (Bl. 121 d. A.).
In einem Lebensalter über 50 Jahren sei immer eine degenerative Veränderung der Rotatorenmanschette anzunehmen, wenn bislang auch keine klinischen Symptome bestanden hätten. Auf Grund des Alters der Zeugin, der Umstands, dass ein Arztbesuch innerhalb von 24 Stunden bis 3 Tagen nicht stattgefunden habe, sowie des pathomorphologischen Befundes müsse daher eine Vorschädigung angenommen werden (Bl. 121 d. A.). Deren mitursächlicher Anteil an der Gesundheitsbeschädigung belaufe sich auf 60 % (Bl. 122 d. A.). Die gegenteiligen ärztlichen Feststellungen seien nicht zutreffend (Bl. 122 f d. A.).
In seinem Ergänzungsgutachten vom 26.07.2009 hat der Sachverständige diese Feststellungen bestätigt, ohne zunächst neue Erkenntnisse aufzuführen (Bl. 147 ff d. A.).
c) Bei dieser Sachlage blieb zunächst die Frage offen, ob Gebrechen oder Krankheiten mitgewirkt haben, die über den altersbedingten Verschleiß hinausgehen. Bei der Degeneration der Rotatorenmanschette als solcher handelt es sich nach den Ausführungen des Sachverständigen A… um eine solche, die bei über 50-Jährigen regelmäßig vorkommt, also auch bei der Zeugin N… altersbedingt ist. Darüber hinausgehende degenerative Veränderungen oder Schädigungen hat der Sachverständige zwar nicht hinsichtlich der Rotatorenmanschette selbst, jedoch in Gestalt diverser arthrotischer Veränderungen an verschiedenen Teilen des Schultergelenksystems festgestellt. Ob diese ebenfalls altersbedingt sind oder nicht, hat der Sachverständige schriftlich zunächst nicht näher ausgeführt.
Darüber hinaus ist zwischen den Parteien streitig, ob die letztgenannten degenerativen Veränderungen (Arthrosen) überhaupt bei der Entstehung des unfallbedingten Schadens mitgewirkt haben. Der Kläger ist der Auffassung, nur die Degeneration der Rotatorenmanschette selbst habe mitgewirkt, die übrigen Veränderungen beträfen aber ganz andere Bereiche des Schultergelenks, die mit dieser nichts zu tun hätten. Die Beklagte meint, die Rotatorenmanschette sei die unmittelbar über dem Oberarmkopf gelegene Sehnenhaube, die durch umgebenden knöchernen Anteile des Schultergürtels grundsätzlich geschützt sei. Bei Bewegungen komme es zu einem Kontakt der Manschette mit dem Schulterdach und durch Verschleißerscheinungen im Schultergelenk zu einer zusätzlichen Enge dieses Raums. Dadurch komme es zu einem vorzeitigen Sehnenverschleiß und einer zunehmenden Ausdünnung der Sehne. Auch hierzu hat der Sachverstände A… bisher keine Feststellungen getroffen. Der Wirkungszusammenhang im Einzelnen bleibt unklar.
d) Im Rahmen seiner mündlichen Anhörung am 24.11.2010 (Bl. 238 d. A.) hat der Sachverständige jedoch klargestellt, dass es sich dem Schultergelenk um einen sehr komplexen Mechanismus handle, bei dem die einzelnen Teile des Schultergelenks durch einen Muskel-Sehen-Geflecht umschlossen würden. Die für die Beweglichkeit der einzelnen Gelenkteile zuständige Rotatorenmanschette sei sehr empfindlich gegenüber Verletzungen und degenerativen Veränderungen. Aus den bezogen auf den 09.09. in seinem schriftlichen Gutachten beschriebenen degenerativen Entwicklungen der Gelenkteile müsse er zwingend schließen, dass auch die Rotatorenmanschette zu diesem Zeitpunkt bereits degeneriert gewesen sei. Das bestätige auch die Kernspinaufnahme vom 15.11.2009, in der man auch degenerative Entwicklungen der Rotatorenmanschette selbst sehe. Das im Falle traumatischer Veränderungen zu verlangende Bonebruise (Knochenödem) sei dagegen nicht zu erkennen. Dessen Fehlen lasse zwingend darauf schließen, dass keine erhebliche Beeinträchtigung durch ein Trauma der Rotatorenmanschette vorliege (Bl. 239 d. A.).
Jedoch seien bei körperlich durch den Beruf ähnlich wie die Zeugin N… belasteten Menschen gleichen Alters gleiche oder ähnlich degenerative Veränderungen im Röntgen oder Kernspin ebenfalls festzustellen, auch wenn sie klinisch keine Relevanz hätten, also nicht belastend auffielen (Bl. 240 d. A.).
Demnach ist davon auszugehen, dass zwar degenerative Vorschädigungen bei der Zeugin N… vorhanden waren, welche zu der Verletzung beigetragen haben, dass es sich insoweit jedoch lediglich um nicht zu berücksichtigende Veränderungen altertypischer Art handelt.
3.
Daher ist der Klage in Höhe des Differenzbetrages von 8.947,75 € – 3.579,10 € = 5.368,65 € unter Klageabweisung im Übrigen stattzugeben und die weitergehende Berufung zurückzuweisen. Keinesfalls kann der Kläger die mit der Berufung in vollem Umfang weiterverfolgten 47.550,90 € verlangen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, ZPO. § 713 ZPO ist nicht anwendbar, da die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, nicht für jede der Parteien unzweifelhaft nicht gegeben sind. Dies folgt daraus, dass zwar die Revision nicht zugelassen ist, jedoch gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO n. F. die Nichtzulassungsbeschwerde nicht für jede der Parteien unzulässig ist, da die Beschwer des Klägers im Berufungsverfahren mehr als 20.000,00 € beträgt. (Auch wenn Kläger teilweise obsiegt.)
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO n. F. nicht gegen sind. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n. F.) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n. F.).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 47.550,90 €. Die klageweise geltend gemachten außergerichtlichen Kosten stelle eine Nebenforderung dar und sind daher bei der Streitwertbemessung nicht zu berücksichtigen.