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Unfallversicherungsträger – Beitragsrückstände von Nachunternehmen

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen

Az: L 17 U 46/06

Urteil vom 21.02.2007


Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin für rückständige Beiträge der T Bau GmbH aus T (Gemeinschuldnerin) wie ein Bürge haften muss.

Die Klägerin erwirbt, entwickelt und erschließt als Bauträgerunternehmen bebaute und unbebaute Grundstücke, plant Blauvorhaben auf eigenen Grundstücken, koordiniert und überwacht die Bauausführung, berät ihre Kunden in Finanzierungsfragen und veräußert schlüsselfertige Wohn- und Geschäftshäuser. Als Mitglied der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (BG) erbringt sie selbst keine Bauleistungen, verfügt über keine Baumaschinen, beschäftigt keine baugewerblichen Arbeitnehmer und unterliegt nicht dem allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für das Baugewerbe. Nach dem 01. August 2002 beauftragte sie die Gemeinschuldnerin im Rahmen von Werkverträgen, Rohbauarbeiten an sieben Einzelbauvorhaben auszuführen (C-weg 48, H 44, 45, 46-49, Q-Straße). Die Gesamtauftragssumme betrug 368.480,00 EUR. Mit Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg vom 17. März 2003 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet.

Mit Bescheid vom 24. April 2003 setzte die Beklagte für die Zeit vom 01. Januar bis zum 31. Dezember 2002 folgende Beiträge gegenüber der Gemeinschuldnerin fest: A. Umlagebeitrag 23.686,57 EUR B. Ausgleichsverfahren zum Umlagebeitrag 2.368,66 EUR C. Beitrag für den Anteil am Lastenausgleich zwischen den BGen 239,69 EUR D. Beitrag für das Insolvenz-/Konkursausfallgeld 1.219,90 EUR E. Beitrag für den Betriebsarzt/Arbeitsmedizinischen Dienst 405,59 EUR Gesamt 27.920,41 EUR.

Mit Wertstellung zum 15. Mai 2003 belastete die Beklagte das Beitragskonto der Gemeinschuldnerin mit folgenden Beträgen: Beitrag BG 2002 21.317,91 EUR Ausgleichslast 2002 239,69 EUR Beitrag Insolvenzgeld (INSG) 2002 1.219,90 EUR Beitrag Arbeitsmedizinischer Dienst (AMD) 2002 405,59 EUR Summe 23.183,09 EUR abzüglich Guthaben in Höhe von 10.489,91 EUR 12.693,18 EUR

Mit Abfindungsbescheid vom 02. Juli 2003 setzte die Beklagte für die Zeit vom 01. Januar bis zum 16. März 2003 gegenüber der Gemeinschuldnerin folgende Beiträge fest und belastete mit ihnen das Beitragskonto zum 15. August 2003: A. Umlagebeitrag 6.492,41 EUR B. Ausgleichsverfahren zum Umlagebeitrag C. Beitrag für den Anteil am Lastenausgleich zwischen den BGen 0,00 EUR D. Beitrag für das Insolvenz-/Konkursausfallgeld 335,08 EUR E. Beitrag für den Betriebsarzt/Arbeitsmedizinischen Dienst 111,53 EUR Summe 6.939,02 EUR

Es ergab sich eine Gesamtforderung von 12.693,18 EUR + 6.939,02 EUR = 19.632,20 EUR Mahnungen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen blieben erfolglos.

Nach Anhörung nahm die Beklagte die Klägerin „als Unternehmen des Baugewerbes“ mit Bescheid vom 23. Juni 2004 für die Beitragsrückstände der Gemeinschuldnerin i.H.v. 18.572,37 EUR in Anspruch. Zur Begründung führte sie aus, seit dem 01. August 2002 müssten alle gewerblichen Auftraggeber von Bauleistungen, also auch Bauträgergesellschaften, für die rückständigen Zahlungsverpflichtungen der Nachunternehmer im Bereich der Sozialversicherung wie selbstschuldnerische Bürgen haften. Hiervon seien nur private Bauherren und solche gewerblichen Unternehmer befreit, die gelegentlich ohne Gewinnerzielungsabsicht Dritte beauftragten, Bauleistungen zu erbringen. Zu diesem privilegierten Personenkreis gehöre die Klägerin nicht, so dass sie für die Beitragsrückstände der Gemeinschuldnerin wie ein selbstschuldnerischer Bürge hafte. Die Lohnsummen, die auf die einzelnen Bauvorhaben entfielen, habe die Gemeinschuldnerin nicht aufgezeichnet. Sie müssten daher geschätzt werden, wobei der Beitragsberechnung 2/3 der gesamten Auftragssumme, also 234.653,33 EUR, als Arbeitsentgelt zugrunde zu legen sei. Daraus errechne sich ein Haftungsgesamtbetrag von 18.572,37 EUR.

Dem widersprach die Klägerin am 23. Juli 2004 und machte geltend, sie sei kein Unternehmen des Baugewerbes, weil sie keine Bauleistungen erbringe, keine baugewerblichen Arbeitnehmer beschäftige und kein Zwangsmitglied der Beklagten sei. Die Haftungsnorm, auf die sich die Beklagte berufe, gelte – schon nach ihrem Wortlaut – nur im Verhältnis zwischen Bau- und Subunternehmer, nicht jedoch gegenüber dem Auftraggeber der Bauleistung. Zudem könne sich jeder gutgläubige Arbeitgeber exkulpieren (§ 28e Abs. 3b des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB IV]), wenn die Einzugsstelle den Gesamtsozialversicherungsbeitrag fordere. Überdies hafte ein Unternehmer des Baugewerbes der Einzugsstelle erst ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 500.000,00 EUR (§ 28e Abs. 3d SGB IV). Dass der Gesetzgeber diese Bestimmungen nicht auf die Unfallversicherung erstreckt habe, beruhe „auf einem offensichtlichen redaktionellen Versehen“ und verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 des Grundgesetzes [GG]), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG). Bei verfassungskonformer Auslegung seien diese Entlastungsvorschriften (§ 28e Abs. 3b und d SGB IV) „analog anzuwenden“.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04. November 2004, der am 08. November 2004 zur Post gegeben worden ist (Bl. 83R VA), wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Bl. 75/82 VA): Bauträger gehörten zu den Unternehmen des Baugewerbes, wie sich aus den Gesetzesmaterialien, insbesondere der Gesetzesbegründung, ergebe. Die Haftungsnorm des § 150 Abs. 3a des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) räume dem Auftraggeber im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung keine Entlastungsmöglichkeiten ein. Diese strenge Haftung sei gerechtfertigt, weil die gesetzliche Unfallversicherung „arbeitsbedingte Gefahren für Leib und Leben“ bannen solle und damit „hochwertige Rechtsgüter“ präventiv schütze. Dass der Gesetzgeber die Auftraggeberhaftung auf den Teilarbeitsmarkt des Baugewerbes beschränkt habe, sei mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) vereinbar, denn in der Bauwirtschaft seien „mehr Missstände anzutreffen als in anderen Branchen“. Der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG sei verfassungsrechtlich durch Allgemeinwohlbelange gerechtfertigt, weil die Auftraggeberhaftung die Ordnung auf dem baugewerblichen Arbeitsmarkt wieder herstelle sowie die finanzielle Stabilität und Funktionsfähigkeit der Sozialversicherung sichere.

Dagegen hat die Klägerin am 09. Dezember 2004 Klage erhoben und ergänzend vorgetragen, nach der Begriffsbestimmung des § 211 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) müsse ein Betrieb des Baugewerbes „gewerblich überwiegend Bauleistungen auf dem Baumarkt“ erbringen. „Bauleistungen“ seien „alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken“ dienten (§ 211 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Derartige Bauleistungen führe sie nicht aus, wie auch der „Verordnung über die Betriebe des Baugewerbes (Baubetriebe-Verordnung)“ zu entnehmen sei. Mit der Bürgenhaftung wolle der Gesetzgeber verhindern, dass Unternehmer des Baugewerbes Leistungen, die sie an sich mit eigenem Personal erbringen müssten, missbräuchlich auf insolvente Nachunternehmer oder Scheinselbständige verlagerten. Diese Konstellation bestehe bei Bauträgern gerade nicht. Außerdem hat sie bestritten, dass der Lohnanteil 2/3 des gezahlten Werklohns betrage. Dieser Verteilungsmaßstab sei grob unbillig und überhöht, weil er Materialkosten und die gesetzliche Mehrwertsteuer mitberücksichtige. Realistisch sei ein Lohnsummenanteil von allenfalls 40%. Denn in den letzten Jahren hätten sich die Materialkosten erhöht, während die Löhne stagnierten. Zudem habe die Klägerin nur 272.290,00 EUR incl. 16% Mehrwertsteuer an die Gemeinschuldnerin gezahlt, was den tatsächlich geleisteten Arbeiten entspreche.

Daraufhin hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 03. März 2005 die Gesamtauftragssumme i.H.v. 368.480,00 EUR brutto um den Mehrwertsteueranteil reduziert, eine Gesamtauftragssumme von 317.655,18 EUR netto errechnet, hiervon einen 2/3-Arbeitsentgeltanteil von 211.770,12 EUR ermittelt, die angefochtenen Bescheide teilweise zurückgenommen und den Haftungsbetrag auf 16.010,66 EUR vermindert. Im Übrigen hat sie vorgetragen, dass der Erwerb, die Bebauung und Verwertung von Grundstücken eindeutig zu den Betätigungen im Baugewerbe zählten, wie das Bundesverfassungsgericht (allerdings in anderem Zusammenhang, Kammerbeschluss vom 29. April 1993, Az.: 1 BvR 738/88) bereits entschieden habe. Für den Haftungstatbestand sei es gleichgültig, ob die Klägerin selbst Bauleistungen erbringe oder Mitglied der Beklagten sei. Der Gesetzgeber habe die Bürgenhaftung nicht auf Betriebe im Sinne der Baubetriebe-Verordnung beschränkt.

Mit Urteil vom 19. Januar 2006 hat das SG die Klage abgewiesen: Für die Beitragsrückstände der Gemeinschuldnerin hafte die Klägerin wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Denn sie gehöre zu den Unternehmen des Baugewerbes, obgleich sie keine gewerblichen Arbeitnehmer beschäftige und keine baulichen Leistungen erbringe. Denn aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gehe hervor, dass alle gewerblichen Auftraggeber von Bauleistungen für Zahlungspflichten des Nachunternehmers im Bereich der Sozialversicherung haften sollten. Um zu verhindern, dass Hauptunternehmer ihre Beitragspflicht umgingen, indem sie Bauträgergesellschaften oder vergleichbare Konstruktionen bildeten, habe der Gesetzgeber die Haftung auf alle gewerblichen Auftraggeber erstreckt. Nur wer als „Bauherr“, also „Letztbesteller eines Werkes“ auftrete, sei von der Haftung befreit. Die Klägerin sei als Bauträger jedoch nicht „Letztbesteller eines Werkes“, weil sie Häuser zum Weiterverkauf an Letztbesteller errichte. Als Haftungsschuldner nenne der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich „Bauträgergesellschaften“, wobei gleichgültig sei, ob sie eigene „Bautrupps“ unterhielten oder keine gewerblichen Arbeitnehmer beschäftigten. Entlastungsmöglichkeiten habe der Gesetzgeber den Haftungsschuldnern bewusst versagt, so dass kein Redaktionsversehen vorliege. Die strenge Haftung sei mit der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) vereinbar und verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG), weil alle Unternehmen des Baugewerbes in gleicher Weise betroffen seien. Um ihr Haftungsrisiko zu mindern, könnten die Unternehmen des Baugewerbes „Rücksprache mit der jeweiligen Berufsgenossenschaft“ halten (gemeint ist wohl die Vorlage qualifizierter Unbenklichkeitsbescheinigungen der Beklagten verlangen). Zu Recht habe die Beklagte bei der Schätzung der Lohnsummen 2/3 des Gesamtumsatzes zu Grunde gelegt.

Nach Zustellung am 08. Februar 2006 hat die Klägerin gegen dieses Urteil am 07. März 2006 Berufung eingelegt und bekräftigt, dass sie als Bauträger, Bauherr und „Letztbesteller“ kein Unternehmen des Baugewerbes sei, das Bauleistungen erbringe. Diese Wortlautinterpretation werde durch systematische Erwägungen gestützt: Denn nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) und nach § 354 SGB III seien Arbeitgeber des Baugewerbes nur solche Personen, die auf dem Baumarkt gewerbliche Bauleistungen anböten. Zudem hätten das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 28. Februar 2004, Az.: 10 AZR 370/03) und das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin (Urteil vom 01. November 2005, Az.: 3 SA 1307/05) die Bürgenhaftung von Bauträgergesellschaften nach der Parallelvorschrift des § 1a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) verneint. Die Begründung der Bundesregierung zum „Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit“, auf die sich das SG stütze, führe dabei zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Gesetzentwurf sei auf Betreiben des Bundesrates im Vermittlungsausschuss entschärft und insgesamt neu gefasst worden. Dabei sei es „offensichtlich“ zu einem Redaktionsversehen gekommen und versäumt worden, die Entlastungsmöglichkeiten auch auf die gesetzliche Unfallversicherung auszudehnen. Diese planwidrige Regelungslücke sei im Wege der Gesetzesanalogie zu schließen. Ungeachtet dessen sei die Bürgenhaftung verfassungs- und europarechtswidrig. Denn der Hauptunternehmer trage das Insolvenzrisiko des Subunternehmers, was mit der Berufsfreiheit unvereinbar sei, die Art. 12 GG garantiere. Zudem beschränke die Bürgenhaftung die Dienstleistungsfreiheit von Nachunternehmen mit Sitz im EU-Ausland und verstoße deshalb gegen die Verordnung EWG 1408/71.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 19. Januar 2006 zu ändern und den Bescheid vom 23. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2004, beide in der Fassung des Bescheides vom 03. Mai 2005, aufzuheben.

Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, zu den „Unternehmen des Baugewerbes“ zählten alle (bau)gewerblichen Auftraggeber von Bauleistungen, wobei zwischen Generalübernehmern sowie Bauträgern, die keine gewerblichen Mitarbeiter hätten, und Generalunternehmern, die Bauleistungen ganz oder teilweise mit eigenen Mitarbeitern ausführten, nicht unterschieden werden müsse, weil sie alle auf die Nachunternehmer einwirken könnten. Entlasse man Bauträger aus der Bürgenhaftung, so liefe dies dem gesetzgeberischen Ziel zuwider, Beitragsausfälle durch missbräuchlichen Nachunternehmereinsatz in der Baubranche zu verhindern. Als „Letztbesteller“ wolle der Gesetzgeber nur private Endverbraucher, nicht jedoch private Bauträger privilegieren. Die Bürgenhaftung sei verfassungsrechtlich unbedenklich, wie das Bundessozialgericht (BSG) zur Vorläufernorm des § 729 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bereits mehrfach entschieden habe. Denn der Gesetzgeber sei nicht gehindert, Gefährdungs- oder Garantiehaftungstatbestände für Sachverhalte zu schaffen, von denen besondere Gefahren für schutzbedürftige Gemeinwohlinteressen ausgingen. Um sein Haftungsrisiko zu minimieren, könne sich jeder Hauptunternehmer von seinen Nachunternehmern qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigungen vorlegen lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beitragsakten (Teil 1 und 2, Az.: 000) Bezug genommen. Beide Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Das SG hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, weil der Bescheid vom 23. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. November 2004 (§ 95 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]), beide in der Fassung des Bescheides vom 03. Mai 2005, formell (A.) und materiell (B.) rechtswidrig sind und die Klägerin deshalb beschweren (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Denn die Beklagte war nicht befugt, die Bürgschaftsforderung durch Verwaltungsakt geltend zu machen, und die Klägerin ist als Bauträgergesellschaft kein „Unternehmen des Baugewerbes. Der (Teil-)Rücknahmebescheid vom 03. Mai 2005 ist gem. § 96 Abs. 1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klageverfahrens (und damit auch des Berufungsverfahrens) geworden, weil er die ursprünglich angefochtenen Bescheide änderte.

A. Die Beklagte war nicht ermächtigt, ihre Forderung aus der gesetzlich fingierten Bürgschaft gegen die Klägerin in der Handlungsform des Verwaltungsaktes festzusetzen und einen vollstreckbaren Zahlungsbescheid zu erlassen. Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 31 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB X]). Auch wenn der Bürgschaftsanspruch im öffentlichen Recht wurzelt, berechtigt dies die Beklagte nicht, ihre vermeintliche Forderung gegen die Klägerin durch Leistungsbescheid, also in der Handlungsform hoheitlicher Verwaltung, geltend zu machen. So hat das Bundessozialgericht (BSG) beispielsweise für den Fall der versehentlichen Weiterzahlung einer Rente nach dem Tode des Berechtigten wiederholt entschieden, dass der Rücküberweisungsanspruch des Versicherungsträgers gegen das kontoführende Geldinstitut (§ 118 Abs 3 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB VI]) trotz seines öffentlich-rechtlichen Charakters nicht durch Verwaltungsakt festgesetzt werden kann, weil es insoweit an einem Über-/Unterordnungsverhältnis und der damit verbundenen Befugnis des Versicherungsträgers zu einseitiger verbindlicher Regelung fehlt (Urteile vom 28. August 1997, Az.: 8 RKn 2/97, SozR 3-2600 § 118 Nr. 1; vom 29. Juli 1998, Az.: B 9 V 5/98 R, SozR 3-2600 § 118 Nr. 2; vom 09. Dezember 1998, SozR 3-2600 § 118 Nr. 4, vom 20. Dezember 2001, Az.: B 4 RA 53/01 R, SozR 3-2600 § 118 Nr. 9 und vom 13. Dezember 2005, B 4 RA 28/05 R, SozR 4-2600 § 118 Nr. 2; ähnlich zum Schadensersatzanspruch des Arbeitsamts gegen den Arbeitgeber wegen unrichtiger Ausfüllung der Arbeitsbescheinigung: BSG, Urteil vom 12. Februar 1980, Az.: 7 RAr 26/79, SozR 4100 § 145 Nr. 1; anders: Subordinationsverhältnis kraft Indienstnahme des Arbeitgebers, BSG, Urteil vom 30. Januar 1990, Az.: 11 RAr 11/89, SozR 3-4100 § 145 Nr. 1). Denn eine Behörde darf mit Verwaltungsakt nur dann in die Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) und in die allgemeine wirtschaftliche Handlungs- bzw. Betätigungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) inländischer juristischer Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) eingreifen, wenn sie hierzu gesetzlich ermächtigt ist. Die angefochtenen Bescheide greifen ohne ausreichende gesetzliche Grundlage in diese (Grund-) Rechte der Klägerin ein. Denn mit ihnen stellt die Beklagte ihren vermeintlichen Zahlungsanspruch aus der (gesetzlich fingierten) Bürgenhaftung in sofort vollstreckbarer Weise fest. Damit macht sie nicht nur ihren materiell-rechtlichen Zahlungsanspruch geltend, sondern nimmt für sich das Recht in Anspruch, gegenüber der Klägerin einen Verwaltungsakt zu erlassen. Das Recht zu einer solchen Maßnahme fehlte der Beklagten, wie das Bundessozialgericht (BSG) zur Vorgängerregelung in § 729 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bereits mehrfach entschieden hat (Urteile vom 18. Dezember 1969, Az.: 2 RU 314/67, BSGE 30, 230, 232, vom 15. Juni 1983, Az.: 9b/8 RU 66/81, SozR 2200 § 729 Nr. 2, vom 30. Juli 1987, Az.: 2 RU 37/85, HV-Info 1987, 1714 ff. und vom 06. Dezember 1989, Az.: 2 RU 27/89, HV-Info 1990, 656). Denn das Gesetz muss dem Versicherungsträger die Befugnis einräumen, Rechtsbeziehungen hoheitlich zu gestalten. Diese Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten muss sich ausdrücklich (I.) oder mittelbar aus dem Sinnzusammenhang (II.) des materiellen Rechts ergeben, das für das jeweilige Sachgebiet einschlägig ist und den betreffenden Rechtsbeziehungen zugrunde liegt (BSG, Urteil vom 13. Dezember 2005, Az.: 2 B U 16/05 R, SozR 4-2700 § 150 Nr. 2; Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 5. Aufl 2005, § 31 Rn. 7; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, S. 612).

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I. Was die Beitragserhebung durch den Träger der Unfallversicherung anbelangt, sieht das Gesetz eine Festsetzung durch Verwaltungsakt ausdrücklich vor: Nach § 168 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) teilt der Unfallversicherungsträger dem Beitragspflichtigen durch schriftlichen Beitragsbescheid (vgl. die amtliche Überschrift) mit, welchen Beitrag er zu zahlen hat. Die Vorschrift stellt damit klar, was aufgrund des Regelungszusammenhangs ohnehin unzweifelhaft ist: Dass der Unfallversicherungsträger hoheitlich handelt, wenn er Beiträge festsetzt und erhebt. Dagegen fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, wonach die Beklagte berechtigt wäre, die Zahlungspflicht aus der Bürgenhaftung durch Verwaltungsakt auszusprechen. Denn § 168 Abs. 1 SGB VII erlaubt der Beklagten nur, den „zu zahlendenden Beitrag“ gegenüber dem Beitragspflichtigen durch schriftlichen Beitragsbescheid festzusetzen. Die Klägerin ist aber keinesfalls beitragspflichtig (vgl. dazu § 150 Abs. 1 oder 2 SGB VII), auch wenn der Gesetzgeber die Bürgenhaftung in § 150 Abs. 3 SGB VII unter der Überschrift „Beitragspflichtige“ statuiert hat. Dafür sind folgende Überlegungen maßgeblich: Der Hauptunternehmer haftet nach § 150 Abs. 3 VII i.V.m. § 28e Abs. 3a SGB IV „wie ein selbstschuldnerischer Bürge“. Die Rechtsnatur dieser Haftung ist in Anlehnung an die selbstschuldnerische Bürgschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu bestimmen (Rixen, Die Generalunternehmerhaftung für Sozialversicherungsbeiträge, SGb 2002, S. 536, 540). Nach § 773 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. 771 BGB bürgt selbstschuldnerisch, wer sich nicht auf die Einrede der Vorausklage gegen den Hauptschuldner berufen kann. Zahlt der Bürge, so erfüllt er eine eigene Leistungspflicht, die neben der Hauptschuld besteht, also von ihr zu unterscheiden ist (Sprau in: Palandt, 62. Aufl. 2003, Einf. v. § 765 Rn. 1). Dies verdeutlicht auch § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach die Hauptschuld durch Zahlung des Bürgen nicht erlischt, sondern auf ihn übergeht. Durch die Bürgenhaftung, also dem persönlichen Einstehenmüssen für eine fremde Schuld, wird der Hauptunternehmer nicht zum Beitragspflichtigen. Dies sieht offenbar auch die Gesetzesbegründung so, wenn sie betont, dass der „Hauptunternehmer aber nicht gleichberechtigter Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge“ werde, „sondern nur eine subsidiäre Haftung begründet“ werde (BT-Drs. 14/8221, S. 15 r.Sp). Andernfalls hätte es der komplizierten Bürgschaftskonstruktion mit ihrer gesetzlichen Bürgschaftsfiktion gar nicht bedurft. Auch Rixen (a.a.O., S. 541) geht davon aus, das „die Haftung als Bürge eine eigene Leistungspflicht“ sei; der Bürge also „seine eigene Schuld“ erfülle und nicht dem Vollstreckungszugriff des Gläubigers unterworfen sei. Könnte die Beklagte sich mit dem Erlass eines Bescheides selbst einen Vollstreckungstitel verschaffen, unterläge die Klägerin aber gerade ihrem Vollstreckungszugriff (wobei allerdings fraglich erscheint, ob § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG auf die Bürgschaftsschuld überhaupt anwendbar ist, so offenbar aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. April 2006, Az.: L 3 B 1138/05 U ER).

II. Die Verwaltungsaktsbefugnis ergibt sich auch nicht aus dem Sinnzusammenhang oder der Systematik des Gesetzes oder der Eigenart des zwischen den Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses (Engelmann, a.aO.). Rixen (a.a.O., S. 536, 541 in Rn. 66) meint, dass sich die Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes „aus dem Sinnzusammenhang“ mit § 28h Abs. 1 Satz 3 SGB IV ergebe. Diese Vorschrift ermächtigt die Einzugsstellen, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (durch Verwaltungsakt) geltend zu machen. Die Beklagte gehört jedoch gerade nicht zu den Einzugsstellen (vgl. dazu § 28h Abs. 1 Satz 1 SGB IV), und sie fordert von der Klägerin auch nicht Teile des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, sondern nur die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung (incl. der Insolvenzgeldumlage). Zwischen § 28h SGB IV und den bereichsspezifischen Sonderregelungen in § 168 SGB VII besteht kein „Sinnzusammenhang“. Dies sieht offenbar auch Rixen so. Denn seine Ausführungen zur Verwaltungsaktsbefugnis beziehen sich ausdrücklich nur auf „die Haftung für deutsche Sozialversicherungsbeiträge ohne Unfallversicherung“ (vgl. die Gliederungsnummer B. I. auf S. 537).

Zu Recht hat das BSG zur Vorgängernorm in § 729 Abs. 2 RVO entschieden, dass der Versicherungsträger sein Rechtsverhältnis zum Bürgen mangels eines Über- und Unterordnungsverhältnisses nicht durch Verwaltungsakt regeln kann und damit Leistungsklage erheben muss. Fingiert der Gesetzgeber eine selbstschuldnerische Bürgenhaftung wie sie im BGB geregelt ist (und dort immerhin der Schriftform bedarf, vgl. § 766 Satz 1 BGB), so knüpft er an zivilrechtliche Regelungen an, die für gleichberechtigte Privatpersonen geschaffen worden sind. Das Verhältnis zwischen Bürge und Gläubiger (und die entsprechende Verteilung der Feststellungslasten) ist völlig untypisch für ein Verwaltungsverfahren, das nach Ermittlungen durch die Behörde mit einem Verwaltungsakt endet. Vielmehr setzen sich Auseinandersetzungen zwischen Bürgen und Gläubigern typischerweise in einem Klageverfahren unter gleichberechtigten Partnern fort, falls keine Einigung erzielt werden kann. Es wäre außerordentlich und bedürfte einer ausdrücklichen Regelung, wenn am Ende einer außergerichtlichen Auseinandersetzung der Gläubiger sich selbst einen Vollstreckungstitel gegen den Bürgen ausstellen dürfte. Dabei ist zusätzlich zu erwägen, dass die Klägerin nicht zu den Zwangsmitgliedern der Beklagten zählt, die mit der Bürgenhaftung über ihren sonstigen Rechtskreis hinaus jeden baubeteiligten Dritten mit Haftungsbescheiden überziehen könnte (vgl. zu dieser Konstellation: Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen [NW], Urteil vom 26. Januar 2007, Az.: L 4 U 57/06). Deshalb hat das BSG zur Vorgängerregelung des § 729 Abs. 2 RVO zu Recht entschieden, dass die BG ihren Haftungsanspruch gegen den Zwischenunternehmer aus § 729 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Satz 1 RVO nicht durch einen an ihn gerichteten Bescheid geltend machen könne, „weil dieses Recht eine von der Mitgliedschaft des Unternehmers getrennte und insoweit selbständige, lediglich der Sicherung des Aufkommens der Mittel dienende Rechtsbeziehung zwischen der BG und dem Bauherren“ darstelle (BSG, Urteil vom 06. Dezember 1989, Az.: 2 RU 27/89, HV-Info 1990, 656).

B. Ungeachtet der formellen Rechtswidrigkeit sind die angefochtenen Bescheide aber auch materiell rechtswidrig. Denn die Klägerin ist kein „Unternehmen des Baugewerbes“. Zwar ist sie Unternehmerin im Sinne des § 136 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Denn ihr gereicht das Ergebnis der Bauträgergesellschaft unmittelbar zum Vor- und Nachteil. Sie ist jedoch nicht im „Baugewerbe“ tätig. Für diese Auslegung sprechen vor allem die systematische (2.) und teleologische Interpretation (3.), wobei Wortlaut (1.) und Entstehungsgeschichte der Norm (4.) dieser Lesart nicht entgegenstehen.

1. Das Vierte Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IV) definiert den Begriff des „Baugewerbes“ nicht. Der Wortsinn lässt es zu, Bauträger dem Baugewerbe zuzuordnen, wie es beispielsweise das BVerfG in seinem Kammerbeschluss vom 29. April 1993 getan hat, auf den sich die Beklagte mehrfach berufen hat. Der Begriff des „Baugewerbes“ setzt sich aus den Wortbestandteilen „Bau“ und „Gewerbe“ zusammen. Beide Begriffe lassen sich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mit einer Bauträgergesellschaft gut vereinbaren. Der „Bau“-Begriff ist bereits im Wort „Bauträgergesellschaft“ enthalten und zu den „Gewerbe“-Betrieben zählen auch Unternehmen, die – wie die Klägerin – mit eigenen, von Dritten bebauten Grundstücken handeln. Auf der anderen Seite legt der zusammengesetzte Begriff des „Baugewerbes“ ein Tätigwerden im Sinne von „errichten“, „konstruieren“, eben „bauen“ nahe. Die Klägerin erbringt aber gerade keine Bauleistungen im technisch-handwerklichen Sinne. Die Analyse des Wortlauts führt zu keinem eindeutigen Ergebnis.

2. Bei logisch-systematischer Interpretation ist zu bedenken, dass § 211 Abs. 1 Satz 1 SGB III (früher: § 75 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 AFG; seit dem 01. April 2006: § 175 Abs. 2 Satz 1 SGB III) für den Bereich der Arbeitsförderung den „Betrieb des Baugewerbes“ legaldefiniert. Auf § 211 Abs. 1 Satz 2 SGB III verweist § 28e Abs. 3a SGB IV, soweit es um den Begriff der „Bauleistungen“ geht, die der (Sub-)Unternehmer erbringen muss, damit der Hauptunternehmer haftet (Rixen, a.a.O., S. 535). Es liegt daher nahe, sich für die hier maßgebliche Auslegungsfrage an § 211 Abs. 1 Satz 1 SGB III (heute: § 175 SGB III) zu orientieren. Danach ist ein Betrieb des Baugewerbes ein Betrieb, der gewerblich überwiegend Bauleistungen auf dem Baumarkt erbringt. Diese Definition ist nicht so bereichsspezifisch formuliert, dass sie nur im Rahmen der „Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft“ (so die Überschrift des Neunten Abschnitts des SGB III, in dem sich § 211 befand) anwendbar wäre. Beachtenswert ist ferner, dass § 211 Abs. 1 SGB III a.F. und § 175 Abs. 2 SGB III n.F. – anders als noch § 75 AFG a.F. – die Legaldefinition nicht mehr auf den Unterabschnitt begrenzen, in dem sie stehen. Die Begriffsdefinition in §§ 211 Abs. 1, 175 Abs. 2 SGB III ist deshalb verallgemeinerungsfähig. Da die Klägerin keine Bauleistungen auf dem Baumarkt erbringt, „die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen“, wäre sie bei systematischer Auslegung kein „Unternehmen des Baugewerbes“.

Diese Interpretation hat zudem den Vorteil, dass sie mit der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zu § 1a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes kompatibel ist, der in Fällen mit Auslandsberührung eine vergleichbare Bürgenhaftung vorsieht und augenscheinlich Vorbild für die Bürgenhaftung in § 28e Abs. 3a SGB IV war (vgl. BT-Drs. 14/8221, S. 15). Nach § 1a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 175 Abs. 2 SGB III (bis 31. März 2006: § 211 Abs. 1 SGB III) beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers ebenfalls wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, für die Zahlung des Mindestentgelts an einen Arbeitnehmer oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien. In seinem Urteil vom 12. Januar 2005 (Az.: 5 AZR 617/01, AP Nr. 2 zu § 1a AEntG) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) ausgeführt, dass der Begriff des Unternehmers in § 1a AEntG einschränkend auszulegen sei und keinesfalls Bauherren erfasse.

3. Zu demselben Ergebnis gelangt die Auslegung nach dem Zweck der Norm. Der Gesetzgeber wollte nicht jeden Unternehmer, der eine Bauleistung in Auftrag gibt, in den Geltungsbereich des § 28e Abs. 3a SGB IV einbeziehen. In dem Entwurf der Bundesregierung heißt es ausdrücklich, dass „Unternehmen, die keine Bauunternehmen sind, sondern nur als `Bauherren´, also als Letztbesteller eines Werkes auftreten, von der Regelung nicht erfasst“ sind (BT-Drs. 14/8221, S. 15 r.Sp.). Ziel des Gesetzes ist vielmehr, Bauunternehmer, die sich verpflichtet haben, ein Bauwerk ganz oder teilweise zu errichten, und dies nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigen, sondern sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtung eines oder mehrerer Subunternehmen bedienen, als Bürgen haften zu lassen. Da diesen Bauunternehmen der wirtschaftliche Vorteil der Beauftragung von Nachunternehmern zu Gute kommt, sollen sie für die Beitragsschulden der Subunternehmer einstehen. Diese Ziele treffen nicht auf andere Unternehmer zu, die als Bauherren eine Bauleistung in Auftrag geben. Denn sie beschäftigen keine eigenen Bauarbeitnehmer, die bei der Errichtung eines Bauvorhabens verunglücken könnten und für die die Beklagte als Unfallversicherungsträger einstehen müsste. Sie beauftragen auch keine Subunternehmer, die für sie eigene Leistungspflichten erfüllen. Bauherren fallen daher nicht in den Geltungsbereich des § 28a Abs. 3 SGB IV. Die Klägerin ist aber Bauherrin, weil sie eigene Grundstücke durch Dritte bebauen lässt. In diesem Sinne ist sie auch Letztbestellerin der Bauleistungen, denn der Bauunternehmer oder Handwerker haftet nur ihr gegenüber für die ordnungsgemäße Fertigstellung des Werkes. Konsequenterweise hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin mit Urteil vom 01. November 2005 (Az.: 3 Sa 1307/05) die Bürgenhaftung einer Bauträgergesellschaft nach § 1a des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes verneint und dazu zutreffend ausgeführt: „Die Beklagte [Bauträgergesellschaft] ist nicht Inhaber eines baugewerblichen Betriebes. Sie beschäftigt keine baugewerblichen Arbeitnehmer, sondern beauftragt Bauunternehmen mit der Durchführung von Sanierungs- bzw. Renovierungsarbeiten an ihren Immobilienobjekten; sie führt die baugewerblichen Arbeiten weder selbst aus noch gibt sie diese Arbeiten an Subunternehmen weiter. Sie ist vielmehr als Grundstücks- und Gebäudeeigentümerin Bestellerin einer Werkleistung (Bauherr)“.

Diese Ausführungen treffen auch auf die Klägerin zu. Denn sie erwirbt, entwickelt und erschließt als Bauträgerunternehmen bebaute und unbebaute Grundstücke, plant Blauvorhaben auf eigenen Grundstücken, koordiniert und überwacht die Bauausführung, berät ihre Kunden in Finanzierungsfragen und veräußert schlüsselfertige Wohn- und Geschäftshäuser. Sie erbringt selbst keine Bauleistungen, verfügt über keine Baumaschinen, beschäftigt keine baugewerblichen Arbeitnehmer und unterliegt nicht dem allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für das Baugewerbe. Im Verhältnis zu Handwerksbetrieben oder Bauunternehmen, die sie beauftragt, ist sie (Letzt-) Bestellerin und Bauherrin.

4. Soweit die Bundesregierung in der Begründung ihres Gesetzesentwurfs davon ausgeht (BT-Drs. 14/8221, S. 15 r. Sp.), dass die „Haftung des Hauptunternehmers durch die Bildung von Bauträgergesellschaften oder vergleichbaren Konstruktionen“ nicht „umgangen“ werden dürfe, liegt ein derartiger Fall hier nicht vor. Denn es existiert kein „Hauptunternehmen“, das zu Umgehungszwecken eine „Bauträgergesellschaft“ gegründet hätte. Die Klägerin ist seit jeher eine seriöse Bauträgergesellschaft, die nicht gegründet worden ist, um Beitragspflichten anderer zu umgehen. Stattdessen tritt sie im Geschäftsverkehr ausschließlich als Bauherrin und damit als „Letztbestellerin´“.

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