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Untätigkeitsklage auf bauaufsichtliche Überprüfung und  Einschreiten

VG Cottbus, Az.: 3 K 1477/14, Urteil vom 12.09.2019

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 28. September 2016 verpflichtet, gegen die Errichtung und Änderung am Wirtschaftsgebäude der Beigeladenen auf dem Grundstück G… in C… bauaufsichtlich einzuschreiten und den Abriss zu verfügen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar, für den Kläger nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Der Kläger begehrt ein bauaufsichtliches Einschreiten des Beklagten gegen das Wirtschaftsgebäude der Beigeladenen.

Er ist Eigentümer des Grundstücks in der G… in C… (Flur 78, Flurstück 131), das im unbeplanten Innenbereich liegt.

Die Beigeladene ist Eigentümerin des östlich angrenzenden und zu Wohnzwecken genutzten Grundstücks in der G… (Flurstück 143). Für dieses Grundstück wurde dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen im Jahr 1981 eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Wirtschaftsgebäudes mit einer Breite von 5,00 m, einer Länge von 9,96 m und einem Abstand von 0,50 m zur klägerischen Grundstücksgrenze erteilt. Tatsächlich errichtet wurde ein grenzständiges Wirtschaftsgebäude über die gesamte Länge des klägerischen Grundstücks von 21,53 m.

Im Jahr 2009 führte die Beigeladene ohne Einholung einer Baugenehmigung verschiedene Baumaßnahmen am Wirtschaftsgebäude durch und ließ insbesondere das Dach derart erneuern, dass das Gefälle nunmehr zum klägerischen Grundstück neigt. Hierzu erhöhte sie sämtliche Wände des Gebäudes, wobei die grenzständige Gebäudewand um ca. 30 cm angehoben und mit Dachbalken versetzt wurde. Die angebrachte Dachrinne entspricht nicht dem Stand der Technik.

Mit Schreiben vom 15. März 2009 beantragte der Kläger unter Verweis auf die baulichen Änderungen am Wirtschaftsgebäude der Beigeladenen eine „bauaufsichtliche Überprüfung und Einschreitung“.

Am 1. Oktober 2014 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Der Beklagte sei seit mehr als fünf Jahren trotz mehrfacher Aufforderung nicht tätig geworden.

Mit Bescheid vom 15. Oktober 2014 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten bestünde nicht. Der Kläger habe nicht die Beseitigung des Gebäudes, sondern dessen bauliche Anpassung gefordert. Ein eigenständiges Anpassungsverlangen könne nur auf Grundlage von § 78 Abs. 1 BbgBO a.F. (§ 81 Abs. 1 BbgBO n.F.) gefordert werden, dessen Voraussetzungen nicht vorlägen. Im Übrigen habe der Kläger auch keinen Anspruch auf Beseitigung, weil ein solcher nur im Fall einer Ermessensreduzierung auf Null vorläge, der hier nicht gegeben sei. Ein abstandsflächenrechtlicher Verstoß scheide mit Blick auf die in der näheren Umgebung vorhandenen grenzständigen Nebengebäude aus. Zwar spreche Vieles für einen Verstoß gegen § 26 BbgBO, indes seien die von den baulichen Änderungen ausgehenden Beeinträchtigungen nicht derart erheblich, dass sie das Interesse an der Beibehaltung des Ist-Zustands deutlich überwiegten. Da sich der Baukörper durch die Dacherneuerung nicht wesentlich geändert habe und das Wirtschaftsgebäude von Anfang an ohne Brandwand errichtet worden sei, sei keine wesentliche Verschlechterung der nachbarlichen Situation eingetreten. Eine Brandüberschlagsgefahr sei vorliegend nicht anzunehmen, weil auf dem klägerischen Grundstück keine baulichen Anlagen in einem Abstand von 5 m zum streitgegenständlichen Gebäude vorhanden seien. Zudem ginge es dem Kläger nicht um den Abriss, sondern um eine Anpassung des Gebäudes, sodass auch aus diesem Grund eine Abrissverfügung unter Berücksichtigung des damit einhergehenden Eingriffs in das Eigentum der Beigeladenen nicht gerechtfertigt sei.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2016 zurück und wiederholte zur Begründung im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Ausgangsbescheid.

Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 1. November 2016 hat der Kläger den Widerspruchsbescheid in das Klageverfahren eingeführt.

Er trägt vor, in nachbarschützenden Rechten verletzt zu sein. Der Schwarzbau reduziere den Wert seines Grundstücks, habe entgegen § 52 des Brandenburgischen Nachbarrechtsgesetzes Einfluss auf die Ableitung des Niederschlagwassers und Auswirkungen auf die eigene Bebaubarkeit hinsichtlich der Brandwand und einzuhaltender Abstandsflächen.

Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 28. September 2016 zu verpflichten, gegen die Errichtung und Änderung am Wirtschaftsgebäude auf dem Grundstück G… in C… vorzugehen und den Abriss zu verfügen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er tritt der Klage unter Wiederholung und Vertiefung seiner Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden entgegen und verweist insbesondere auf das ihm zukommende Ermessen, das er dahingehend ausgeübt habe, gegen das Wirtschaftsgebäude der Nachbarin nicht einzuschreiten.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Das Gericht hat durch die Berichterstatterin am 2. April 2019 die Gegebenheiten vor Ort in Augenschein genommen. Auf die Niederschrift über den Ortstermin wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung der Kammer waren.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat Erfolg.

Nachdem das mit der Untätigkeitsklage begehrte bauaufsichtliche Einschreiten durch den Beklagten mit Bescheid vom 15. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 28. September 2016 abgelehnt wurde, konnte der Kläger seine Klage unter Einbeziehung dieser Bescheide als Verpflichtungsklage aufrechterhalten und fortführen. Die Umstellung der ursprünglich erhobenen Untätigkeitsklage in eine Verpflichtungsklage ist zulässig, ohne dass es auf die Voraussetzungen des § 91 VwGO ankommt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 161 Rn. 43). Der bloße Übergang von einer zunächst zulässig erhobenen Untätigkeitsklage in eine Verpflichtungsklage nach Erlass des Ablehnungs- bzw. Widerspruchsbescheides stellt eine gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klageänderung dar.

Die Klage ist begründet. Die Ablehnung des Antrags auf bauaufsichtliches Einschreiten mit Bescheid vom 15. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 28. September 2016 war rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten, § 113 Abs. 5 VwGO.

a) Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 80 Abs. 1 S. 1 der Brandenburgischen Bauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. November 2018 (GVBl.I/18, [Nr. 39]). Die Übergangsregelung des § 89 Abs. 4 BbgBO (und damit auch die Vorschriften der Brandenburgischen Bauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. September 2008 (GVBl. I S. 226), zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. November 2010 (GVBl. I Nr. 39)), findet auf bauaufsichtliche Verfahren, mit denen ein bauaufsichtsrechtliches Einschreiten geltend gemacht wird, keine Anwendung. § 89 Abs. 4 BbgBO bezieht sich vielmehr nur auf bereits eingeleitete Baugenehmigungsverfahren (Gesetzesbegründung zur Brandenburgischen Bauordnung 2016, Landtag Brandenburg, Drs. 6/3268: „bauaufsichtliches Verfahren zur Erteilung einer Baugenehmigung“; Beschlüsse der Kammer vom 20. Oktober 2017 – 3 L 475/17 – juris Rn. 7; und vom 12. November 2018 – 3 L 497/18; Reimus/Semtner/Lange, Die neue Brandenburgische Bauordnung, 4. Auflage 2017, § 89 Rn. 7 ff.; a.A. Otto, Brandenburgische Bauordnung 2016, 4. Auflage 2016, § 89 Rn. 2227).

Gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 BbgBO können Bauaufsichtsbehörden die teilweise oder vollständige Beseitigung der baulichen Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Die Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

b) Das Wirtschaftsgebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen ist formell rechtwidrig, da es nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt ist (§ 54 BbgBO). Die dem Rechtsvorgänger der Beigeladenen im Kalenderjahr 1981 erteilte Baugenehmigung berechtigte nur zur Errichtung des beantragten Vorhabens, wie im Bauantrag und den Bauvorlagen beschrieben. Hiervon weicht das im Jahr 1981/1982 errichtete Wirtschaftsgebäude erheblich ab. Es kann dahingestellt bleiben, ob es Bestandsschutz genoss, da dieser jedenfalls mit Durchführung der baulichen Änderungen im Jahr 2009 entfallen ist.

Der Bestandsschutz erlischt infolge baulicher Änderungen dann, wenn das geänderte Gebäude nicht mehr mit dem alten, bestandsgeschützten identisch ist und dieses gegenüber dem ursprünglichen als ein anderes Bauwerk („aliud“) darstellt. Eine solche Identitätsänderung liegt hier mit Austausch der Bausubstanz vor (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 1986 – 4 C 80.82 – juris Rn. 12; vom 18. Oktober 1974 – IV C 75.71 – juris Rn. 18; Beschlüsse vom 21. März 2001 – 4 B 18.01 – juris Rn. 11; vom 27. Juli 1994 – 4 B 48.94 – juris Rn. 6; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. September 2014 – OVG 10 B 5.12 – juris Rn. 46). Der Kläger hat insoweit ausgeführt, dass die Beigeladene das Dach erneuert, die Dachneigung geändert, Dachbalken eingesetzt und die Außenwände erhöht hat. Dies hat die Beigeladene nicht bestritten. Die baulichen Änderungen haben schon konstruktiv nichts mit dem vorherigen Zustand gemein. Auf den bei dem Ortstermin gefertigten Fotografien ist zudem erkennbar, dass (zumindest auch) neue Baumaterialien verwendet wurden.

c) Das Vorhaben der Beigeladenen ist auch materiell illegal.

Es sind bauordnungsrechtliche Vorschriften verletzt, worauf sich der Kläger berufen kann.

aa) Der Kläger kann einen Verstoß gegen die brandschutzrechtlichen Regelungen des § 30 Abs. 4 S. 1 und Abs. 7 S. 1 BbgBO geltend machen. Die brandschutzrechtlichen Vorschriften der Brandenburgischen Bauordnung haben insoweit nachbarschützende Wirkung, als sie (auch) die Ausbreitung eines Brandes auf ein Nachbargebäude verhindern sollen; dies gilt insbesondere für die Vorschriften über äußere Brandwände in Bezug auf das Nachbargrundstück (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Dezember 2011 – OVG 10 B 6.11 – juris Rn. 36 m.w.N.; Reimus/Semtner/Langer, Die neue Brandenburgische Bauordnung, 4. Auflage 2017, § 30 Rn. 1).

Der Kläger kann verlangen, dass die seinem Grundstück zugewandte Außenwand als Brandwand i.S.d. § 30 BbgBO ausgeführt wird. Gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 1 BbgBO sind Brandwände erforderlich als Gebäudeabschlusswand, ausgenommen von Gebäuden ohne Aufenthaltsräume und ohne Feuerstätten mit nicht mehr als 50 Kubikmeter Brutto-Rauminhalt, wenn diese Abschlusswände an oder mit einem Abstand von weniger als 2,50 m gegenüber der Grundstücksgrenze errichtet werden, es sei denn, dass ein Abstand von mindestens 5 m zu bestehenden oder nach den baurechtlichen Vorschriften zulässigen künftigen Gebäuden gesichert ist. Ein Brandwanderfordernis besteht. Wie aus den im Ortstermin gefertigten Fotografien ersichtlich, ist das Wirtschaftsgebäude unmittelbar an den auf dem klägerischen Grundstück erforderlichen Schuppen, der ein Gebäudes i.S.d. § 2 Abs. 2 BbgBO darstellt, errichtet. Zudem ist auch nicht gesichert, dass ein Abstand von 5 m zu künftigen Gebäuden eingehalten wird. Es kann dahingestellt bleiben, ob die grenzständige Gebäudewand die sich aus § 30 Abs. 1 BbgBO ergebenden Anforderungen an eine Brandwand erfüllt, weil jedenfalls ein Verstoß gegen § 30 Abs. 4 S. 1 und Abs. 7 S. 1 BbgBO gegeben ist. Nach Abs. 4 S. 1 müssen Brandwände bis zur Bedachung durchgehen; Abs. 7 S. 1 verlangt, dass Bauteile mit brennbaren Baustoffen über Brandwände nicht hinweggeführt werden dürfen. Diese Anforderungen erfüllt das Nebengebäude mit Blick auf die im Jahr 2009 durchgeführte Erhöhung der Wand um etwa 30 cm und die eingezogenen (brennbaren) Holzbalken unstreitig nicht.

Ohne Erfolg bleibt der in der mündlichen Verhandlung geäußerte Einwand des Beklagten, vorliegend werde § 30 BbgBO durch die weniger strenge Sonderbestimmung des § 10 Abs. 3 der Brandenburgischen Verordnung über den Bau von Garagen und Stellplätzen und den Betrieb von Garagen (Brandenburgische Garagen- und Stellplatzverordnung – BbgGStV) vom 8. November 2017 verdrängt. Diese Vorschrift sieht Erleichterungen für Kleingaragen insoweit vor, als dass als Gebäudeabschlusswand Wände genügen, die feuerhemmend sind oder aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen. Die Vorschrift ist hier schon deshalb nicht anwendbar, weil das 5,00 m x 21,53 m-große Wirtschaftsgebäude der Beigeladenen eine Nutzfläche von 100 m² übersteigt und damit keine „Kleingarage“ i.S.d. § 1 Abs. 8 Nr. 1 BbgGStV ist. Zudem werden Teile des Wirtschaftsgebäudes von der Beigeladenen ohnehin als Schuppen und nicht als Garage genutzt. Im Übrigen ist offen, ob § 10 Abs. 3 BbgGStV auch dahingehend zu verstehen ist, dass § 30 Abs. 7 S. 1 BbgBO auf Kleingaragen nicht anzuwenden ist.

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bb) Ferner kann der Kläger erfolgreich einwenden, dass die Ableitung des Niederschlagswassers über das Dach des Wirtschaftsgebäudes auf sein Grundstück ihn in drittschützenden Rechten verletzt. Zwar kann der Kläger insoweit keinen Verstoß von § 52 Brandenburgisches Nachbarschaftsgesetz geltend machen, weil es sich hierbei nicht um eine öffentlich-rechtliche Norm handelt, deren Verletzung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen ist. Stattdessen regelt das Nachbarschaftsgesetz die privatrechtlichen nachbarlichen Rechte und Pflichten, für deren Durchsetzung der Zivilrechtsweg eröffnet ist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. Dezember 2011 – OVG 10 S 29.10 – juris Rn. 26).

Indes liegt ein Verstoß gegen § 13 S. 1 BbgBO vor. Danach sind bauliche Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass durch Wasser oder Feuchtigkeit keine Gefahren oder unzumutbare Belästigungen entstehen. Die Vorschrift dient nicht nur dem Schutz der Bewohner und Benutzer der baulichen Anlage selbst, sondern auch dem Schutz des Nachbarn gegenüber Einflüssen aus der baulichen Anlage (vgl. zur Vorgängervorschrift der alten Fassung der Brandenburgischen Bauordnung OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 21. Dezember 2011 – OVG 10 S 29.10 – juris Rn. 27, und vom 8. Dezember 2010 – OVG 2 S 56.10 – juris Rn. 6; Reimus/Semtner/Langer, Die neue Brandenburgische Bauordnung, 4. Aufl. 2017, § 13 Rn. 7). Sie präzisiert die sich aus § 3 Abs. 1 BbgBO ergebende Pflicht, Anlagen so zu errichten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdet wird. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfasst auch das bisher regelhaft aufgezählte „Eigentum“, welches der Kläger vorliegend als gefährdet ansieht. Insofern schützen die Regelungen der §§ 3 Abs. 1 und 13 BbgBO auch den Einzelnen und können damit bei einem Verstoß nachbarschützend sein (vgl. Urteil der Kammer vom 16. Juli 2018 – 3 K 1187/15 – juris Rn. 26).

Nicht jede durch ein Vorhaben verursachte Veränderung der Ableitung des Niederschlagswassers begründet zugleich eine unzumutbare Beeinträchtigung i.S.d. § 13 S. 1 BbgBO; gewisse Veränderungen der Wasserverhältnisse muss der Nachbar grundsätzlich hinnehmen. Nach der Rechtsprechung liegt eine die Erheblichkeitsschwelle überschreitende Verschlechterung der Situation aber zumindest dann vor, wenn das Niederschlagswasser auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und dort zu Überschwemmungen führt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Dezember 2018 – 2 M 82/18 – juris Rn. 51; VGH Bayern, Beschluss vom 29. November 2006 – 1 CS 06.2717 – juris Rn. 20).

Hieran gemessen ruft die Ableitung des Regenwassers auf das Grundstück des Klägers unzumutbare Belästigungen hervor. Angesichts des Umstands, dass das Dach des Wirtschaftsgebäudes zum klägerischen Grundstück geneigt ist und eine Fläche von mehr als 100 m² aufweist, kann trotz fehlender Bodenversiegelung nicht mehr angenommen werden, dass das auf das Grundstück des Klägers geleitete Niederschlagswasser vollständig im Boden versickern kann. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich im grenzständigen Bereich des klägerischen Grundstücks Wasser ansammelt. Der Kläger hat insoweit ausgeführt, dass bei einer Regenmenge von 10 Litern pro Stunde mehr als eine Tonne Niederschlagswasser auf sein Grundstück flössen und angesichts der klimabedingten Starkregen sogar mit noch größeren Regenmengen zu rechnen sei. Zudem ist einzustellen, dass gemäß § 66 Abs. 2 BbgWG dem Grundstückseigentümer die Pflicht zur Beseitigung des Niederschlagswassers zukommt und er dieser nicht hinreichend entspricht, wenn mangels ausreichend dimensionierter Dachentwässerung sich das Niederschlagswasser auf dem Nachbargrundstück ergießt. In diesem Zusammenhang hat der Kläger auch nachvollziehbar vorgetragen, der Nasseintrag führt zur Schädigung an der bereits vorhandenen Bausubstanz bzw. stehe der Bebauung des betroffenen Grundstücksbereichs entgegen.

cc) Es ist nach derzeitigem Erkenntnisstand offen, ob der Kläger darüber hinaus auch mit Erfolg eine Verletzung des nachbarrechtlichen Abstandsflächengebots geltend machen kann. Zwar hält das grenzständig errichtete Wirtschaftsgebäude entgegen § 6 Abs. 1 S. 1 BbgBO keine Abstandsflächen frei. Ob vorliegend aber überhaupt Abstandsflächen einzuhalten sind, bedarf – sollte es hierauf ankommen (siehe unten) – einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts durch den Beklagten.

§ 6 Abs. 1 S. 3 BbgBO schränkt den Grundsatz es § 6 Abs 1 S. 1 BbgBO zur Erforderlichkeit von Abstandsflächen ein. Eine Abstandsfläche ist danach nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften das Gebäude an die Grundstücksgrenze gebaut werden muss oder darf. Die Vorschrift gilt nicht nur in Bereichen, in denen planungsrechtliche Festsetzungen in Bebauungsplänen bestehen, sondern auch – wie hier – im unbeplanten Innenbereich. Maßgebliche planungsrechtliche Vorschrift ist im vorliegenden Fall § 34 Abs. 1 BauGB. Ob die Außenwände an der Grundstücksgrenze errichtet werden dürfen, ist davon abhängig, ob sich das Vorhaben nach der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. März 2013 – OVG 10 B 4.12 – juris Rn. 34). Dies richtet sich grundsätzlich nach der im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung tatsächlich vorhandenen Bebauung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 1994 – 4 B 158/93 – juris Rn. 10; Reimus/Semtner/Langer, Die neue Brandenburgische Bauordnung, 4. Aufl. 2017, § 6 Rn. 9). In einem unbeplanten Gebiet mit teils offener, teils geschlossener Bauweise sind regelmäßig beide Bauweisen planungsrechtlich zulässig (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. März 1994 – 4 B 53.94 – Rn. 4; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Februar 2019 – OVG 2 B 5.16 – S. 11 des Entscheidungsabdrucks). Erforderlich ist aber, dass für die jeweilige Bauweise prägende Vorbilder in der maßgeblichen Umgebung vorhanden sind (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Februar 2019 – OVG 2 B 5.16 – S. 11 des Entscheidungsabdrucks).

Hiervon ausgehend zeichnet sich die Bebauung der umliegenden Grundstücke und damit der näheren Umgebung ausweislich der im Ortstermin gewonnenen Eindrücke der Berichterstatterin und den Luftbildaufnahmen im Brandenburgviewer auch durch grenzständig errichtete Gebäude mit Nebennutzungen aus. Fraglich ist indes, ob von ihnen eine prägende Vorbildwirkung ausgeht. Zwar kommt es nach der Rechtsprechung hinsichtlich der Beurteilung der überbaubaren Grundstücksflächen auf die vorhandenen Hauptanlagen (Hauptgebäude), nicht dagegen auf die Nebenanlagen an, weil ihnen grundsätzlich keine maßstabbildende Kraft zukommt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 13. März 2013 – OVG 10 B 4.12 – juris Rn. 51; vom 1. Dezember 2004 – OVG 2 B 14.03 – juris Rn. 16). In Anbetracht der für ein Nebengebäude erheblichen Größe des streitgegenständlichen Wirtschaftsgebäudes und der Vielzahl und – was durch den Beklagten zu klären sein wird – Größe der weiteren auf den umliegenden Grundstücken vorhandenen Nebenanlagen ist hier allerdings nicht ausgeschlossen, dass von ihnen eine prägende Kraft ausgehen kann. Dies bedarf indes, wie ausgeführt, einer weiteren Aufklärung der konkreten Verhältnisse vor Ort.

 

d) Der Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten ist auch nicht verwirkt, weil er bzw. sein Rechtsvorgänger über lange Zeit zugelassen hatte, dass das Wirtschaftsgebäude den brandschutzrechtlichen (und ggf. den abstandflächenrechtlichen) Anforderungen nicht entspricht. Soweit die Beigeladene darauf vertraut haben sollte, dass der Kläger seine Abwehrrechte nicht mehr geltend machen werde und sich infolgedessen in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen auf diesen Zustand eingerichtet hat (vgl. zu den Voraussetzungen der Verwirkung BVerwG, Beschluss vom 12. Januar 2004 – 3 B 101/03 – juris Rn. 3; Urteile vom 7. Februar 1974 – III C 115.71 – juris Rn. 18, und vom 16. Mai 1991 – 4 C 4.89 – juris Rn. 22), kann sich das Vertrauen allenfalls auf den Zustand beziehen, der bis zum Jahr 2009 bestand. Mit den vorgenommenen Umbauten fehlt es an der Identität des ursprünglichen Bestandes mit dem nun errichteten Vorhaben mit der Folge, dass etwa die Brandschutzfrage neu aufgeworfen wird. Ein neuer rechtlicher Sachverhalt ist eingetreten, der einer eigenständigen Beurteilung des Verwirkungstatbestands unterliegt.

e) Sind mithin die Voraussetzungen für ein Einschreiten des Beklagten gegeben, ist auch sein Entschließungsermessen insoweit gebunden, dass nur eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers zutreffend sein kann. Es ist anerkannt, dass die bauaufsichtliche Ordnungsverfügung zu den Fällen des sogenannten intendierten Ermessens gehört, in denen regelmäßig bereits das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen den Eintritt der in der Vorschrift vorgesehenen Rechtsfolge rechtfertigt. Denn die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde hat sich nach der in § 58 Abs. 2 BbgBO niedergelegten Aufgabe zu richten, wonach sie darüber zu wachen hat, dass die öffentlich-rechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden. Gegen die Verletzung des formellen und materiellen Baurechts ist daher grundsätzlich und regelmäßig einzuschreiten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 26. Juni 2017 – OVG 10 N 27.14 – juris Rn. 14 ff.; vom 30. Mai 2016 – OVG 10 S 34.15 – juris Rn. 10; Urteil vom 23. September 2014 – OVG 10 B 5.12 – juris Rn. 36 m.w.N.; Urteil der Kammer vom 2. Juni 2016 – 3 K 911/12 – juris Rn. 53). Im Hinblick auf die erhebliche Gefährdung, die bei Übertritt eines Brandes auf ein Nachbargrundstück für Leib und Leben des Nachbarn, aber auch für hohe Sachwerte, gilt dies insbesondere bei der Verletzung der Bestimmungen über äußere Brandwände (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. Dezember 2011 – OVG 10 B 6.11 – juris Rn. 36). Einer besonderen Auseinandersetzung mit den Umständen des Einzelfalls bedarf es deshalb nur, wenn sich dies in einer für die Ermessensentscheidung erheblichen Weise vom Regelfall abhebt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 27. Juli 2015 – OVG 2 N 23.13 – juris Rn. 3; vom 26. Juni 2017 – OVG 10 N 27.14 – juris Rn. 14; Urteil vom 25. Februar 2015 – OVG 10 B 6.10 – juris Rn. 41; Beschlüsse der Kammer vom 11. Februar 2016 – 3 L 18/16 – juris Rn. 17; und vom 20. Oktober 2017 – 3 L 475/17; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25. Oktober 2012 – OVG 2 S 62.12 –).

Die Gefährdung oder Verletzung subjektiv öffentlicher Nachbarrechte ist in die Ermessensentscheidung, für die regelmäßig ohnehin wenig Spielraum besteht, gesondert einzustellen. Ist das Ermessen schon objektiv rechtlich reduziert, kann es in dem Fall, in dem zusätzlich Nachbarrechte verletzt sind, regelmäßig nur mit der Folge des Einschreitens rechtmäßig betätigt werden (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2015 – OVG 10 B 6.10 – juris Rn. 54). Das öffentliche Baurecht lässt sich, soweit es das Verhältnis von Nachbarn betrifft, als Regelung eines Konflikts zwischen rivalisierenden Privaten und dem Umfang des Eigentumsrechts des einen wie des anderen verstehen. Mit der Überwachung des Baugeschehens daraufhin, ob die öffentlich-rechtlichen Vorschriften eingehalten werden, hat die Bauaufsichtsbehörde auch für die Verwirklichung dieser Konfliktregelung zu sorgen. Dabei kann die Bauaufsichtsbehörde nicht nach eigenem Ermessen über die Verwirklichung des subjektiven Rechts des Dritten entscheiden, sondern ist strikt an die Verwirklichung der ihr kraft Gesetzes übertragenen Aufgabe gebunden. Die Baubehörde ist daher gehalten, eine rechtswidrige, Nachbarrecht verletzte Nutzung zu untersagen und gegebenenfalls Anlagen zu beseitigen, wenn kein milderes Mittel Abhilfe schaffen kann (vgl. Urteil der Kammer vom 2. Juni 2016 – 3 K 911/12 – juris Rn. 53).

Gründe, die es ausnahmsweise rechtfertigen könnten, von einem bauaufsichtlichen Einschreiten abzusehen, sind nicht erkennbar. Dies gilt insbesondere mit Blick darauf, dass die Beigeladene auf eigenes Risiko handelt, wenn sie ohne Einholung einer Baugenehmigung bauliche Anlagen errichtet bzw. ändert.

Die Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als unverhältnismäßig. Insbesondere ist der Beklagte nicht gehalten, Erwägungen anzustellen, ob etwa ein Teilabriss oder eine Umgestaltung des Wirtschaftsgebäudes zur Herstellung rechtmäßiger Zustände in Frage kommen. Es ist nicht Sache der Behörde, in eingehende Überlegungen einzutreten, ob dem rechtswidrigen Zustand nicht vielleicht durch den Betroffenen weniger belastende Maßnahmen abgeholfen werden kann (OVG Hamburg, Urteil vom 11. November 2009 – 2 Bf 201/06 – juris Rn. 28). Besteht die Möglichkeit, durch Beseitigung einzelner Teile und Umgestaltung anderer Teile einen rechtmäßigen Zustand herzustellen, so obliegt die Initiative dazu grundsätzlich dem Bauherrn (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Juni 2007 – OVG 10 S 11.07 – juris Rn. 5). Zur Wahrung seiner Interessen reicht es aus, dass die Behörde am Erlass einer Beseitigungsverfügung nicht festhalten darf, wenn der Betroffene alternative Maßnahmen zur Beseitigung des rechtswidrigen Zustands anbietet (OVG Hamburg, Urteil vom 11. November 2009 – 2 Bf 201/06 – juris Rn. 28). Im Übrigen sieht die Kammer vorliegend keine Möglichkeit, allein durch einen Umbau, eine Umgestaltung oder Teilabriss des Wirtschaftsgebäudes einen rechtmäßigen Zustand herzustellen, ohne dass das Grundstück des Klägers hierfür beansprucht wird. Sollte die Beigeladene dennoch Alternativmaßnahmen anbieten und es demzufolge auf die Frage eines Abstandsflächenverstoßes ankommen, obliegt es dem Beklagten zu ermitteln, ob von den Nebengebäuden eine maßstabbildende Kraft ausgeht. Sollte diese Frage verneint werden, kommt ohnehin nur ein Abriss des Nebengebäudes in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154Abs. 1, 3 und § 162 Abs. 3 VwGO. Da sich die Beigeladene mangels eigener Antragstellung einem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen die ihr entstandenen Kosten nicht zu erstatten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708Nr. 11, 711 ZPO.

 

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