Nach dem tödlichen Verkehrsunfall ihres Vaters wurde den minderjährigen Kindern die geforderte Unterhaltsrente nach tödlichem Verkehrsunfall verweigert, weil der Mann keine festen Einkünfte hatte. Das Oberlandesgericht korrigierte die Haftungspflicht radikal, indem es den Unterhaltsschaden auf Basis rein fiktiver Einkünfte neu bewertete.
Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wer zahlt Unterhalt für mein Kind, wenn der getötete Elternteil unfallbedingt stirbt?
- Habe ich Anspruch auf Unterhaltsrente, auch wenn der getötete Vater keinen festen Job hatte?
- Wie wird die Höhe der Unterhaltsrente nach einem Todesfall konkret berechnet?
- Kann die Versicherung die Zahlung kürzen, wenn der Getötete Mitschuld am Unfall hatte?
- Bis wann muss die Versicherung die Unterhaltsrente für mein minderjähriges Kind zahlen?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 U 74/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
- Datum: 24.10.2024
- Aktenzeichen: 2 U 74/23
- Verfahren: Zivilverfahren (Schadensersatz/Unterhaltsrente nach Verkehrsunfall)
- Rechtsbereiche: Straßenverkehrsrecht, Unterhaltsrecht, Schadensersatz
- Das Problem: Die Kinder eines bei einem Auffahrunfall getöteten Vaters klagten gegen den Unfallfahrer und dessen Versicherung auf Ersatz des verlorenen Kindesunterhalts. Die Vorinstanz hatte die Ansprüche abgewiesen und dem Vater ein überwiegendes Mitverschulden am Unfall zugerechnet.
- Die Rechtsfrage: Hat der Unfallfahrer hauptsächlich für den Tod gehaftet und muss seine Versicherung deswegen Unterhalt zahlen, auch wenn der Verstorbene keine festen Einkommensnachweise hatte und in der Vergangenheit inhaftiert war?
- Die Antwort: Ja. Das Gericht erhöhte die Haftung des Unfallfahrers und seiner Versicherung auf zwei Drittel des Schadens. Es konnte nicht bewiesen werden, dass der Getötete den Unfall überwiegend verschuldet hat oder dauerhaft nicht in der Lage gewesen wäre, Unterhalt zu zahlen.
- Die Bedeutung: Bei tödlichen Verkehrsunfällen müssen Unfallverursacher den Unterhalt für die Kinder ersetzen, selbst wenn der Getötete kaum Einkommensnachweise vorlegen konnte. Die Haftungsquote des Auffahrenden steigt, wenn er ein überwiegendes Mitverschulden des Getöteten nicht beweisen kann.
Der Fall vor Gericht
Was passiert, wenn ein Vater stirbt und sein Leben ein Puzzle war?
Es ist kurz vor sechs Uhr morgens an einem Oktobertag. Auf dem Beschleunigungsstreifen einer Bundesstraße steht ein VW Fox, die Warnblinkanlage ist aktiv. Der 43-jährige Fahrer steht neben seinem Auto. Sekunden später nähert sich ein anderes Fahrzeug mit fast 100 km/h. Der Aufprall ist heftig. Der Mann am Pannenauto wird in den Straßengraben geschleudert und stirbt. Er hinterlässt drei minderjährige Kinder. Für sie beginnt ein juristischer Kampf, der eine einfache Frage aufwirft: Wer bezahlt den Unterhalt, den ihr Vater ihnen nie mehr leisten kann? Die Antwort darauf war alles andere als einfach, denn das Leben des Vaters war von Brüchen gezeichnet – und genau diese Brüche wurden zum Dreh- und Angelpunkt eines komplexen Rechtsstreits.
Warum war die Haftungsfrage so umstritten?

Ein Auffahrunfall scheint juristisch oft eine klare Sache zu sein. Wer auffährt, hat in der Regel die Schuld. In diesem Fall war die Situation komplizierter. Der Unfallverursacher und seine Versicherung argumentierten, der getötete Vater trage eine Mitschuld. Sein Fahrzeug stand verbotenerweise auf dem Beschleunigungsstreifen (§ 18 Abs. 8 StVO). Er hätte es besser absichern müssen (§ 15 StVO). Das erste Gericht folgte dieser Logik teilweise. Es sah eine weit überwiegende Haftung beim Getöteten und sprach der Versicherung nur ein Drittel der Verantwortung zu.
Das Oberlandesgericht Stuttgart sah das anders. Es stellte eine entscheidende Frage: Wer muss eigentlich beweisen, dass der Getötete einen Fehler gemacht hat? Die Antwort ist ein Grundpfeiler des deutschen Schadensrechts: Der Schädiger – hier der auffahrende Fahrer – muss das Mitverschulden des Opfers nachweisen. Spekulationen reichen nicht aus.
Die Richter durchleuchteten die Fakten. Ein Gutachten zeigte, dass die Batterie des Pannenautos schwach war, Motor und Lichtmaschine aber funktionierten. Das Warnblinklicht war eingeschaltet. Warum der Mann wirklich auf dem Beschleunigungsstreifen stand – ob aus Leichtsinn oder wegen einer unverschuldeten technischen Panne – konnte niemand mehr sagen. Genau dieser unaufgeklärte Punkt fiel der Versicherung zur Last. Da sie ein schuldhaftes Halten des Vaters nicht beweisen konnte, blieb nur die sogenannte Betriebsgefahr seines liegengebliebenen Autos als kleiner Haftungsanteil übrig. Demgegenüber stand das massive Verschulden des auffahrenden Fahrers. Er hatte laut Gutachten rund 200 Meter freie Sicht auf das stehende Hindernis. Er hätte den Unfall problemlos vermeiden können. Das Gericht korrigierte die Haftungsquote radikal. Die Versicherung und ihr Fahrer haften zu zwei Dritteln für die Folgen des Unfalls.
Musste die Versicherung Unterhalt für einen Vater ohne festen Job zahlen?
Die zweite große Hürde war die Lebensgeschichte des Vaters. Er hatte keinen festen Wohnsitz in Deutschland, saß in der Vergangenheit im Gefängnis und es gab keine Gehaltsnachweise. Die Versicherung argumentierte: Dieser Mann hätte ohnehin keinen Unterhalt zahlen können. Ein Anspruch, der in der Realität nicht durchsetzbar gewesen wäre, muss auch nicht ersetzt werden. Das erste Gericht stimmte dieser pessimistischen Prognose zu und wies die Klage der Kinder auf Unterhaltsrente ab.
Auch hier vollzog das Oberlandesgericht eine Kehrtwende. Die Richter stellten klar, dass an eine solche negative Prognose hohe Anforderungen zu stellen sind. Es gilt der Grundsatz der sogenannten Erwerbsobliegenheit. Eltern sind minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, ihre Arbeitskraft einzusetzen, um den Mindestunterhalt zu sichern. Das Gesetz schützt diesen Anspruch stark. Ein Gericht kann sogar von einem fiktiven, also nur theoretisch erzielbaren, Einkommen ausgehen.
Die Richter prüften die Fakten nüchtern. Der Vater war ausgebildeter Stuckateurmeister. Er war jung und arbeitsfähig. Seine restliche Haftstrafe wäre nach wenigen Monaten verbüßt gewesen. Es gab keine handfesten Beweise dafür, dass er dauerhaft arbeitsunwillig oder -unfähig gewesen wäre. Die bloße Tatsache eines unsteten Lebenslaufs reichte dem Gericht nicht, um den Kindern ihren gesetzlichen Anspruch abzusprechen. Im Klartext bedeutet das: Die Versicherung muss den Unterhaltsschaden so ersetzen, als hätte der Vater seine Pflicht erfüllt und zumindest den Mindestunterhalt für seine Kinder erwirtschaftet. Für die Berechnung dieses Schadens greift das Gesetz auf eine richterliche Schätzung zurück, die im Prozessrecht verankert ist (§ 287 ZPO).
Wie wurde der Schadensersatz für die Kinder konkret berechnet?
Der Anspruch der Kinder auf Ersatz des entgangenen Unterhalts ist gesetzlich geregelt (§ 844 Abs. 2 BGB). Das Gericht nahm als Grundlage den gesetzlichen Mindestunterhalt, der sich nach dem Alter der Kinder staffelt (§ 1612a BGB). Von diesem Betrag wird die Hälfte des staatlichen Kindergeldes abgezogen, da dieses beiden Elternteilen zugutekommt. Das Ergebnis, multipliziert mit der Haftungsquote von zwei Dritteln, ergibt die monatliche Geldrente, welche die Versicherung zahlen muss.
Für die Vergangenheit – vom Unfall bis zum Urteil – rechnete das Gericht die aufgelaufenen Monatsbeträge zu einer einmaligen Summe zusammen. Für das jüngste Kind, das noch viele Jahre unterhaltsberechtigt sein wird, legte das Gericht eine laufende monatliche Zahlung bis zur Volljährigkeit fest. Für die Zeit danach und für die älteren Kinder, deren Unterhaltsbedarf sich durch Ausbildung oder Studium ändern könnte, trafen die Richter eine andere Entscheidung. Sie verurteilten die Versicherung nicht zu einer konkreten Zahlung, sondern stellten deren grundsätzliche Ersatzpflicht fest. So bleibt der Anspruch der Kinder für die Zukunft gesichert, ohne dass heute schon über ungewisse Entwicklungen spekuliert werden muss.
Die Urteilslogik
Die juristische Analyse eines tödlichen Verkehrsunfalls bekräftigt, dass die Schutzrechte von Kindern und die Grundprinzipien des Schadensrechts stets Vorrang vor Spekulationen über das unstete Leben des Verstorbenen haben.
- Fiktive Erfüllung der Unterhaltspflicht: Das Gesetz schützt den Unterhaltsanspruch Minderjähriger derart stark, dass das Gericht von fiktiven Einkünften ausgeht, wenn der Verstorbene seiner Erwerbsobliegenheit zum Mindestunterhalt hätte nachkommen müssen.
- Beweislast liegt beim Schädiger: Der Verursacher eines Unfalls trägt die volle Beweislast dafür, dass der Getötete oder Verletzte eine Mitschuld trägt; unbewiesene Annahmen oder Spekulationen über die Ursache seines Verhaltens entlasten den Haftenden nicht.
Entscheidend ist nicht der unstete Lebenslauf des Getöteten, sondern die unbedingte Verpflichtung des Schädigers, den entstandenen Schaden so auszugleichen, als wäre die gesetzliche Unterhaltspflicht des Opfers erfüllt worden.
Benötigen Sie Hilfe?
Wird Ihnen nach einem tödlichem Unfall der Ersatz des Kindesunterhalts verwehrt? Nutzen Sie die Möglichkeit zur Klärung und fordern Sie eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihres Falls an.
Experten Kommentar
Wenn jemand stirbt, der ohnehin keinen festen Job hatte, argumentieren Versicherungen oft: Wofür sollen wir Unterhaltsschaden ersetzen, der in der Realität nie geflossen wäre? Das Gericht zieht hier eine klare rote Linie, denn das Gesetz schützt den Unterhaltsanspruch Minderjähriger konsequent und lässt sich von einem unsteten Lebenslauf nicht beirren. Die Entscheidung sendet das wichtige Signal, dass die Pflicht, den Mindestunterhalt zu sichern, höher wiegt als die tatsächliche Erwerbssituation des Verunglückten. Praktisch bedeutet dies: Die fiktive Leistungsfähigkeit des Vaters wird zur Grundlage für die Unterhaltsrente – zum Glück der Hinterbliebenen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wer zahlt Unterhalt für mein Kind, wenn der getötete Elternteil unfallbedingt stirbt?
Nach dem Schock des Verlusts ist die finanzielle Sicherheit der Kinder die wichtigste Frage. Die Unterhaltsansprüche des Kindes gehen jedoch nicht verloren. Das deutsche Recht wandelt den Anspruch gegen den verstorbenen Elternteil in einen Schadensersatzanspruch gegen den Unfallverursacher um. Dieser Anspruch schützt den entgangenen gesetzlichen Unterhalt und sichert die zukünftige Versorgung.
Grundlage dieser Regelung bildet § 844 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Diese Vorschrift stellt sicher, dass Kinder finanziell so gestellt werden, als wäre der Elternteil nicht getötet worden und hätte seine gesetzliche Pflicht erfüllt. Zahlungspflichtig ist primär der Schädiger, dessen Haftpflichtversicherung die laufende Belastung übernehmen muss. Die Versicherung leistet diesen Ersatz des entgangenen Unterhalts in Form einer monatlichen Geldrente.
Der Anspruch umfasst den Unterhalt, den der Verstorbene gesetzlich hätte zahlen müssen. Die Berechnung basiert in vielen Fällen auf dem Mindestunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle, selbst wenn der Elternteil kein festes Einkommen nachweisen konnte. Gerichte können von einem fiktiven Einkommen ausgehen, wenn der Verstorbene potenziell arbeitsfähig war. Es handelt sich juristisch um den „Ersatz des entgangenen Unterhalts“ – dies ist wichtig für die konsequente Durchsetzung gegen die Versicherung.
Sichern Sie sofort alle Dokumente (wie Geburtsurkunden und Unterhaltstitel), da diese die Grundlage für die korrekte Schadensberechnung bilden.
Habe ich Anspruch auf Unterhaltsrente, auch wenn der getötete Vater keinen festen Job hatte?
Die Behauptung der Versicherung, der Verstorbene hätte wegen unsteter Arbeit keinen Unterhalt zahlen können, ist meist unbegründet. Ja, der Anspruch auf Unterhaltsrente besteht fast immer, solange der Elternteil potenziell arbeitsfähig war. Das Gesetz schützt minderjährige Kinder durch das Prinzip der sogenannten Erwerbsobliegenheit des Elternteils, die den Anspruch auf Unterhalt sichert.
Eltern sind ihren minderjährigen Kindern gegenüber grundsätzlich verpflichtet, ihre gesamte Arbeitskraft einzusetzen, um zumindest den gesetzlichen Mindestunterhalt zu sichern. Gerichte gehen daher von einem fiktiven Einkommen aus, wenn der Verstorbene keine aktuellen Gehaltsnachweise lieferte, aber körperlich arbeitsfähig war. Die Versicherung trägt in diesem Fall die volle Beweislast. Sie muss hieb- und stichfest nachweisen, dass der Elternteil dauerhaft arbeitsunfähig oder generell arbeitsunwillig gewesen wäre, um den gesetzlichen Unterhaltsanspruch abzuwehren.
Die bloße Tatsache eines unsteten Lebenslaufs, fehlender Zeugnisse oder einer früheren Inhaftierung reicht Gerichten nicht aus, um den gesetzlichen Anspruch der Kinder zu negieren. Bei der Berechnung stützen sich Richter auf die berufliche Qualifikation und das Alter des Verstorbenen. War der Vater beispielsweise ausgebildet, wird sein Einkommen so geschätzt, als hätte er diese Qualifikation genutzt, um zumindest den Mindestunterhalt zu erwirtschaften. Dies stellt sicher, dass Kinder nicht für die Fehler oder Lebensumstände des getöteten Elternteils bestraft werden.
Um die potenziellen Einnahmemöglichkeiten des Verstorbenen zu dokumentieren, stellen Sie umgehend eine detaillierte Liste aller formalen Ausbildungsnachweise und Berufsabschlüsse zusammen.
Wie wird die Höhe der Unterhaltsrente nach einem Todesfall konkret berechnet?
Die Berechnung der Unterhaltsrente folgt einer klaren Formel, um den entgangenen Mindestunterhalt des Kindes zu sichern. Das Gericht legt die Höhe durch richterliche Schätzung (§ 287 ZPO) fest. Basis ist immer der gesetzliche Unterhaltsbedarf, der dann um das Kindergeld und die festgestellte Haftungsquote des Verursachers korrigiert wird. So erhalten Sie Transparenz darüber, wie die monatliche Rentenzahlung der Versicherung zustande kommt.
Der Gesetzgeber schützt den Anspruch des Kindes auf Ersatz des entgangenen Unterhalts sehr intensiv. Als Ausgangswert dient der gesetzliche Mindestunterhalt (§ 1612a BGB), der in der ersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle festgelegt ist. Dieser Betrag staffelt sich nach dem Alter des Kindes. Die Versicherung muss diesen Unterhalt grundsätzlich ersetzen, selbst wenn der Verstorbene keine Gehaltsnachweise hatte und nur ein fiktives Einkommen erzielen konnte. Existieren keine Nachweise für ein tatsächlich höheres Einkommen, wird die Berechnung auf dieser gesetzlichen Mindestbasis festgeschrieben.
Von diesem festgelegten Bedarf zieht man die Hälfte des staatlichen Kindergeldes ab. Dieser Abzug ist nötig, da das Kindergeld den Unterhaltsbedarf mindert und beiden Elternteilen anteilig zusteht. Das Ergebnis multiplizieren Sie anschließend mit der festgestellten Haftungsquote des Schädigers. Trägt der Unfallverursacher beispielsweise zwei Drittel der Schuld, wird die errechnete Unterhaltsbasis auch nur zu zwei Dritteln ersetzt. Auf diese Weise entsteht die konkrete Höhe der monatlichen Geldrente, welche die Haftpflichtversicherung des Schädigers fortlaufend zahlen muss.
Besorgen Sie sich die aktuelle Düsseldorfer Tabelle (Stufe 1), um den Unterhaltsbedarf Ihres Kindes zum Unfallzeitpunkt exakt zu ermitteln und die Forderungen der Versicherung überprüfen zu können.
Kann die Versicherung die Zahlung kürzen, wenn der Getötete Mitschuld am Unfall hatte?
Ja, die Versicherung kann die Zahlungen kürzen, wenn dem verstorbenen Opfer eine Mitschuld am Unfall zugerechnet werden kann. Entscheidend ist dabei die sogenannte Haftungsquote. Um diese Quote festzulegen und Zahlungen zu reduzieren, muss die gegnerische Haftpflichtversicherung jedoch zweifelsfrei nachweisen, dass der Getötete einen schuldhaften Fehler begangen hat. Bloße Spekulationen über die Ursache des Unfalls oder mögliche Fahrfehler reichen hierfür nicht aus.
Im deutschen Schadensrecht trägt der Schädiger, also der Unfallverursacher, stets die Beweislast für das Mitverschulden des Opfers. Wenn die Faktenlage unklar bleibt, weil die genauen Umstände des Geschehens nicht mehr rekonstruiert werden können, fällt diese Unsicherheit der Versicherung zur Last. Gelang es beispielsweise nicht zu klären, ob eine Panne unverschuldet war oder ob Leichtsinn vorlag, bleibt dem Opfer maximal die abstrakte Betriebsgefahr seines Fahrzeugs als geringer Haftungsanteil anzurechnen.
Selbst wenn dem Getöteten ein Verkehrsverstoß nachgewiesen wird, muss das Gericht immer das Verschulden beider Parteien abwägen. Konkret überwiegt das massive Fehlverhalten des Auffahrenden – etwa überhöhte Geschwindigkeit trotz freier Sicht auf ein stehendes Hindernis – meist deutlich die Mitschuld des Pannenopfers. Das Oberlandesgericht Stuttgart korrigierte die Haftungsquote in einem Fall radikal von 1/3 auf 2/3 zugunsten des Opfers, da der Verursacher den Unfall problemlos hätte vermeiden können.
Fordern Sie umgehend das polizeiliche Protokoll und die Sachverständigengutachten an, um die juristische Belastbarkeit des Mitschuldvorwurfs zu prüfen.
Bis wann muss die Versicherung die Unterhaltsrente für mein minderjähriges Kind zahlen?
Die monatliche Unterhaltsrente der Haftpflichtversicherung ist zunächst exakt bis zur Volljährigkeit Ihres Kindes, also dem 18. Geburtstag, festgelegt. Die tatsächliche Zahlungspflicht des Schädigers endet jedoch nicht automatisch an diesem Datum. Ansprüche bestehen auch danach weiter, solange sich das Kind in der ersten Berufsausbildung oder im Studium befindet.
Zivilgerichte legen die konkrete Rentenhöhe nur für die absehbare Zeit der Minderjährigkeit fest, da der Bedarf des Kindes dann feststeht. Nach dem 18. Lebensjahr werden zukünftige Schäden, wie der Unterhaltsbedarf während eines Studiums oder einer Ausbildung, zu ungewiss. Aus diesem Grund muss dringend eine gerichtliche Feststellung der grundsätzlichen Ersatzpflicht der Versicherung erwirkt werden. Dieses Vorgehen sichert den Anspruch für alle künftigen, noch unvorhersehbaren Unterhaltsschäden juristisch ab und verhindert, dass später neu geklagt werden muss.
Der Anspruch auf Ersatz des entgangenen Unterhalts dauert so lange an, wie der getötete Elternteil unterhaltspflichtig gewesen wäre. Typischerweise ist dies bis zum erfolgreichen Abschluss der ersten Berufsausbildung der Fall. Akzeptieren Sie niemals eine vorschnelle Kapitalabfindung für die Zeit nach der Volljährigkeit. Eine solche Einmalzahlung beendet den Anspruch oft endgültig, selbst wenn die Ausbildung länger dauert oder die tatsächlichen Kosten steigen.
Sichern Sie stets schriftlich die gerichtliche Feststellung der Ersatzpflicht für alle künftigen Unterhaltsschäden, bevor Sie einer finalen Regulierung zustimmen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Betriebsgefahr
Betriebsgefahr ist die juristische Bezeichnung für die abstrakte Gefahr, die allein schon vom Vorhandensein oder dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ausgeht, unabhängig von einem konkreten Fahrfehler. Weil Fahrzeuge gefährliche Maschinen sind, muss der Halter selbst ohne eigenes Verschulden für Schäden haften, die durch diese Betriebsgefahr entstehen. Das Gesetz verteilt so Risiken, selbst wenn die Unfallursache nicht abschließend geklärt werden kann.
Beispiel:
Obwohl der Vater sein Pannenauto nicht schuldhaft abgestellt hatte, verblieb ein kleiner Teil der Haftung bei der Betriebsgefahr seines liegengebliebenen VW Fox, da das Fahrzeug selbst eine abstrakte Gefahr darstellte.
Erwerbsobliegenheit
Die Erwerbsobliegenheit beschreibt die strenge gesetzliche Pflicht eines Elternteils, die gesamte Arbeitskraft einzusetzen, um den Unterhaltsbedarf seiner minderjährigen Kinder zu sichern. Das Gesetz schützt den Unterhaltsanspruch von Kindern, indem es die Eltern dazu verpflichtet, alles Zumutbare zu tun, um zumindest den gesetzlichen Mindestunterhalt zu erwirtschaften, und verhindert damit, dass Unterhaltspflichtige sich auf fehlende Jobnachweise berufen können.
Beispiel:
Da der getötete Stuckateurmeister jung und arbeitsfähig war, ging das Gericht trotz seines unsteten Lebenslaufs davon aus, dass die Erwerbsobliegenheit bestand und er den gesetzlichen Mindestunterhalt erwirtschaftet hätte.
Feststellung der grundsätzlichen Ersatzpflicht
Die Feststellung der grundsätzlichen Ersatzpflicht ist ein gerichtlicher Beschluss, der sicherstellt, dass die Versicherung auch für alle zukünftigen, derzeit noch unvorhersehbaren Schäden haften muss, beispielsweise für Unterhaltsansprüche während eines späteren Studiums. Weil niemand weiß, wie lange die Kinder nach der Volljährigkeit tatsächlich Unterhalt benötigen, wird der Anspruch für die ferne Zukunft mit dieser Feststellung juristisch abgesichert.
Beispiel:
Das Oberlandesgericht verurteilte die Versicherung nicht zu konkreten Zahlungen für die Zeit nach dem 18. Geburtstag der Kinder, sondern stellte die grundsätzliche Ersatzpflicht fest, um künftige Unterhaltsansprüche bei Ausbildung oder Studium abzusichern.
Fiktives Einkommen
Fiktives Einkommen ist ein vom Gericht geschätzter, theoretisch erzielbarer Betrag, der als Berechnungsgrundlage für den Unterhalt dient, wenn der Unterhaltspflichtige keine oder nur unzureichende tatsächliche Gehaltsnachweise vorlegen kann. Dieses Instrument ermöglicht es Richtern, Unterhaltsansprüche zu schützen, selbst wenn der Pflichtige seine Erwerbsobliegenheit verletzt oder wie im Todesfall keine aktuellen Nachweise mehr existieren.
Beispiel:
Obwohl der getötete Vater keinen festen Job hatte, konnte das Gericht aufgrund seiner beruflichen Qualifikation als Stuckateurmeister ein fiktives Einkommen ansetzen und so den Mindestunterhalt für die Kinder bestimmen.
Haftungsquote
Die Haftungsquote (auch Verschuldensquote genannt) ist eine prozentuale oder bruchteilige Aufteilung des Schadens, die festlegt, in welchem Verhältnis Unfallbeteiligte für die entstandenen Schäden verantwortlich sind. Gerichte müssen im Schadensfall das Verursacherprinzip anwenden und das Verschulden beider Seiten abwägen, um eine gerechte Risikoverteilung zu erreichen, wobei die Haftungsquote den Zahlungsanteil bestimmt.
Beispiel:
Nach der Neubewertung durch das Oberlandesgericht korrigierte das Gericht die Haftungsquote radikal auf zwei Drittel zugunsten des Kindesunterhaltsanspruchs, da das massive Verschulden des auffahrenden Fahrers überwog.
Mindestunterhalt
Der Mindestunterhalt ist der gesetzlich festgelegte Betrag, der notwendig ist, um den elementaren Lebensbedarf eines Kindes zu decken, und wird in der untersten Stufe der Düsseldorfer Tabelle festgeschrieben (§ 1612a BGB). Dieser Betrag dient als unverrückbare Untergrenze, die Eltern nicht unterschreiten dürfen, um die materielle Versorgung des Kindes zu garantieren.
Beispiel:
Für die Berechnung der Unterhaltsrente nach dem Tod des Vaters nahm das Gericht als Basis den gesetzlichen Mindestunterhalt der Kinder, der sich nach deren Altersstufe staffelte.
Unterhaltsrente
Eine Unterhaltsrente ist die gesetzlich geregelte Form des Schadensersatzes, die der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherung leisten muss, um den finanziellen entgangenen Unterhalt für die Kinder des Getöteten auszugleichen (§ 844 Abs. 2 BGB). Das Gesetz wandelt den Unterhaltsanspruch gegen den verstorbenen Elternteil in einen Schadensersatzanspruch gegen den Unfallverursacher um, um die finanzielle Zukunft der Kinder so abzusichern, als hätte der Elternteil seine Pflicht erfüllt.
Beispiel:
Die Versicherung wurde dazu verurteilt, für das jüngste Kind eine laufende monatliche Unterhaltsrente bis zu dessen Volljährigkeit zu zahlen, wobei die Höhe auf zwei Drittel des Mindestunterhalts festgelegt wurde.
Das vorliegende Urteil
OLG Stuttgart – Az.: 2 U 74/23 – Urteil vom 24.10.2024
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.
→ Lesen Sie hier den vollständigen Urteilstext…
Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz





