Landessozialgericht Rheinland-Pfalz
Az.: L 3 ER 143/06 SO
Urteil vom 28.09.2006 (rechtskräftig)
Vorinstanz: Sozialgericht Speyer, Az.: S 16 ER 208/06 SO, Urteil vom 07.07.2006
Entscheidung:
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 07.07.2006 geändert und der Beschwerdegegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Beschwerdeführerin vorläufig ab dem 23.06.2006 für die Dauer von sechs Monaten, längstens bis zur Entscheidung über den Widerspruch der Beschwerdeführerin Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin für die Wohnung in Bad Dürkheim, Weinstraße Süd 8 zu zahlenden Kaltmiete in Höhe von 245,00 EUR monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Beschwerdegegner trägt 1/3 der außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin im Antrags- und Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten ein Anspruch der 1942 geborenen Beschwerdeführerin auf Verpflichtung des Beschwerdegegners, ihr im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zu gewähren.
Die Beschwerdeführerin lebte bis Ende Februar 2006 in M , wo sie Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bezog.
Der Beschwerdegegner teilte der Beschwerdeführerin vor ihrem Umzug mit, dass weder Mietkaution noch Maklergebühren oder sonstige umzugsbedingte Kosten übernommen würden. Die Beschwerdeführerin schloss am 07.02.2006 einen Mietvertrag über die von ihr nunmehr bewohnte Wohnung in der W in B. Die Gesamtmiete in Höhe von 260,00 EUR setzt sich aus einer Kaltmiete in Höhe von 245,00 EUR und den Nebenkosten in Höhe von 15,00 EUR zusammen. Nach der Abschlagsrechnung der Stadtwerke B sind von der Beschwerdeführerin Abschlagszahlungen für Strom in Höhe von 15,00 EUR und für Gas in Höhe von 40,00 EUR monatlich zu leisten. Die Beschwerdeführerin entrichtete die mietvertraglich vereinbarte Kaution in Höhe von 490,00 EUR.
Auf den Antrag der Beschwerdeführerin bewilligte der Beschwerdegegner zuletzt mit Änderungsbescheid vom 22.03.2006 der Beschwerdeführerin Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ab dem 01.03.2006 bis einschließlich Februar 2007 in Höhe von monatlich 348,14 EUR. Hierbei wurden ein Regelbedarf in Höhe von 345,00 EUR, ein ernährungsbedingter Mehrbedarf in Höhe von 37,00 EUR und Kosten der Unterkunft in Höhe von 277,75 EUR zu Grunde gelegt. Dabei erkannte der Beschwerdegegner nicht die von der Beschwerdeführerin tatsächlich gezahlte Kaltmiete an, sondern nahm monatlich einen Abzug in Höhe von 15,05 EUR vor. Hinsichtlich der Heizungspauschale wurde ein Warmwasseranteil in Höhe von 7,20 EUR in Abzug gebracht. Auf den Gesamtbedarf der Beschwerdeführerin in Höhe von 659,75 EUR rechnete der Beschwerdegegner das Einkommen der Beschwerdeführerin aus Hinterbliebenenrente in Höhe von 311,61 EUR an. Gegen den Bescheid legte die Beschwerdeführerin Widerspruch ein.
Mit Schreiben vom 24.04.2004 beantragte die Beschwerdeführerin für eine Schreinerrechnung in Höhe von 207,76 EUR, die bereits von ihr gezahlten Maklergebühren in Höhe von 536,00 EUR und die Kaution in Höhe von 490,00 EUR ein Darlehen. Hinsichtlich der Kaution müsse sie monatliche Raten in Höhe von 100,00 EUR aufbringen. Nachdem die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Energiekosten in Rückstand geraten war, wurde vereinbart, dass der Beschwerdegegner ab dem 01.07.2006 an die Stadtwerke den Gas- und Stromabschlag in Höhe von 55,00 EUR monatlich direkt und für die Rückstände entsprechend gestaffelte Beträge von den Grundsicherungsleistungen überweisen werde.
Am 12.05.2006 sowie am 29.06.2006 beantragte die Beschwerdeführerin die Übernahme von Kosten für eine neue Brille. Es wurden eine Verordnung über Brillengläser der Augenärzte Dr. B /Dr. W , M , vom 05.08.2005 sowie ein Kostenvoranschlag des Optikers B , M , vom 09.06.2005 vorgelegt. Nach dem Kostenvoranschlag vom 09.06.2005 über eine Gleitsichtbrille sollten sich die Gesamtkosten auf 356,70 EUR belaufen.
Den am 23.06.2006 gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat das Sozialgericht Speyer (SG) durch Beschluss vom 07.07.2006 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, hinsichtlich der Nichtberücksichtigung der Unterkunftskosten fehle es an der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes. Die Differenz zwischen dem, was die Beschwerdeführerin begehre, nämlich die Berücksichtigung der tatsächlichen Kaltmiete und des gesamten Abschlages für Heizkosten in Höhe von 40,00 EUR, und was sie von dem Beschwerdegegner bewilligt erhalten habe, betrage 22,25 EUR. Der Betrag, der zum Lebensunterhalt unerlässlich sei, liege in der Regel 20 bis 30 % unter dem Regelsatz. Über entsprechende Mittel verfüge die Beschwerdeführerin jedoch. Im Übrigen sei der Abzug in Höhe von 7,20 EUR bei den Vorauszahlungen für Gas in Höhe von 40,00 EUR nicht zu beanstanden. Die Kosten für Warmwasserbereitung seien bereits im Regelsatz enthalten. Hinsichtlich der geltend gemachten Makler- und Schreinerkosten sowie der Übernahme der Kautionsforderung fehle ebenfalls ein Anordnungsgrund. Diese Kosten habe die Beschwerdeführerin bereits gezahlt. Hinsichtlich der Übernahme der Kaution seien auch mietrechtliche Konsequenzen weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Für die Übernahme der Kosten betreffend die Brille fehle es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Eine Leistungspflicht des Beschwerdegegners komme allenfalls dann in Betracht, wenn eine vorrangige Leistungspflicht der zuständigen Krankenkasse ausgeschlossen sei. Eine Entscheidung der zuständigen Krankenkasse über die Kosten für die Übernahme sei nicht vorgelegt worden. Im Übrigen sei der Anordnungsgrund zumindest zweifelhaft, da die ärztliche Verordnung der Brillengläser und der Kostenvoranschlag bereits im Juni bzw. August 2005 erstellt worden sei.
Gegen den am 13.07.2006 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 17.07.2006 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat.
Mit Bescheid vom 31.07.2006 hat die IKK Süd-West Plus, die Krankenkasse der Beschwerdeführerin, den Antrag auf Übernahme der Kosten für die Sehhilfe abgelehnt. Der Beschwerdegegner hat mit Bescheid vom 22.08.2006 den Antrag auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe für einen Staubsauger vom 17.08.2006 und mit Bescheid vom 23.08.2006 den Antrag auf Gewährung einer einmaligen Beihilfe für eine Sehhilfe vom 12.05.2006 abgelehnt. Zur Begründung hat der Beschwerdegegner im Wesentlichen ausgeführt, die Gewährung eines einmaligen Bedarfs für eine Sehhilfe sei im Rahmen des § 31 SGB XII nicht vorgesehen.
Die Beschwerdeführerin trägt vor, die Kosten der Unterkunft seien angemessen. Sie müssten übernommen werden. Sie habe einen hohen Cholesterinspiegel und es müssten ihr daher 37,00 EUR gezahlt werden. Sie benötige dringend den Staubsauger und das Brillengestell. Sie sei erneut im Krankenhaus gewesen und dort sei bestätigt worden, dass sie die neue Brille benötige. Sie schiele mit dem linken Auge und es gehe immer nach hinten.
Der Beschwerdegegner trägt vor, bei der Miete könne lediglich ein Mietpreis von 5,11 EUR/m² für die Stadt B zu Grunde gelegt werden. Hierbei handele es sich um die Mietobergrenze. Diese sei zum 01.01.2005 von den zentralen Sozialämtern im Landkreis B sowohl von ihm als auch von der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Weinstraße übernommen worden. Ein Mietspiegel für die Stadt B existiere nicht.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Verfahrensakte sowie die Verwaltungsakten des Beschwerdegegners. Er ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
Die Beschwerdeführerin hat im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung Anspruch darauf, dass der Beschwerdegegner verpflichtet wird, ihr vorläufig für die Zeit ab dem 23.06.2006 für die Dauer von sechs Monaten, längstens jedoch bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung der von ihr tatsächlich gezahlten Kaltmiete in Höhe von 245,00 EUR zu gewähren. Hinsichtlich der im Übrigen von ihr geltend gemachten Ansprüche ist die Beschwerde unbegründet.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat hinsichtlich der Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug.
Soweit die Beschwerdeführerin begehrt, dass ihr Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII auf der Grundlage der von ihr tatsächlich gezahlten Kaltmiete gewährt werden, hat sie sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII die angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung entsprechend § 29 SGB XII. Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII werden Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Übersteigen die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, sind sie insoweit nach § 29 Abs. 1 Satz 2 SGB XII als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 19 Abs. 1 SGB XII zu berücksichtigen sind, anzuerkennen. Satz 2 des § 29 Abs. 1 SGB XII gilt nach Satz 3 dieser Bestimmung so lange, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft haben Leistungsberechtigte den dort zuständigen Träger der Sozialhilfe über die nach den Sätzen 2 und 3 des § 29 Abs. 1 SGB XII maßgeblichen Umstände in Kenntnis zu setzen (§ 29 Satz 4 SGB XII). Sind die Aufwendungen für die neue Unterkunft unangemessen hoch, ist der Träger der Sozialhilfe nach § 29 Abs. 1 Satz 5 SGB XII nur zu Übernahme angemessener Aufwendungen verpflichtet, es sei denn, er hat den darüber hinausgehenden Aufwendungen zugestimmt.
Vorliegend sind zumindest für die Dauer von sechs Monaten, längstens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft der Beschwerdeführerin von dem Beschwerdegegner zu tragen. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung kann nicht festgestellt werden, dass die von der Beschwerdeführerin zu zahlende Kaltmiete unangemessen ist. Grundsätzlich sind abstrakt angemessen Aufwendungen, die sich innerhalb einer Mietpreisspanne bewegen, die allgemein am Wohnort des Leistungsberechtigten sozialhilferechtlich angemessen wäre. Für die konkrete Angemessenheit ist zusätzlich darauf abzustellen, ob dem Hilfesuchenden eine Wohnung mit abstrakt angemessenen Aufwendungen „konkret verfügbar und zugänglich“ ist (Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, Kommentar, § 29, Rn. 21).
Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage der Beschwerdegegner den pauschalierten Betrag von 5,11 EUR pro Quadratmeter Wohnfläche berechnet hat. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Beschwerdegegner einen Betrag von 5,11 EUR unabhängig von der Wohnungsgröße für die Stadt B zu Grunde legt. Es ist nicht erkennbar, ob im Bereich der Stadt B Wohnungen zu diesem Preis verfügbar und zugänglich sind. Ungeachtet der Tatsache, dass nicht erkennbar sind, auf welcher Tatsachengrundlage die Beschwerdeführerin von einem Betrag von 5,11 EUR/m² ausgeht, ist dem Internet zu entnehmen, dass für B ein höherer Mietspiegel zur Anwendung kommt. Dem von FOCUS-Online veröffentlichten Mietspiegel (www.focus.mss.de /immobilien/mietrecht/mietspiegel) ist zu entnehmen, dass sich für Wohnungen aus den Baujahren 1949 bis heute der Mietpreis in B auf 5,90 EUR/m² beläuft.
Der Anordnungsgrund ist ebenfalls gegeben, da der Beschwerdeführerin lediglich Regelleistungen zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes im Übrigen zur Verfügung stehen. Sie kann nicht darauf verwiesen werden, Mietschulden auflaufen zu lassen.
Soweit die Beschwerdeführerin eine Berücksichtigung der Heizungskostenpauschale von 40,00 EUR begehrt, hat ihre Beschwerde keinen Erfolg. Es fehlt bereits an einem Anordnungsanspruch. Wie der Beschwerdegegner zutreffend ausgeführt hat, sind die Kosten der Warmwasserbereitung Teil der Regelleistung; insoweit ist ein Abzug von 18 %, was vorliegend 7,20 EUR entspricht, zutreffend.
Hinsichtlich der geltend gemachten Kosten für eine Schreinerreparatur, den Makler und die Mietkaution verweist der Senat in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden erstinstanzlichen Ausführungen.
Die Beschwerdeführerin hat auch keinen Anspruch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren auf vorläufige Übernahme der Kosten für eine Brille.
Zweifelhaft ist bereits, ob die Beschwerdeführerin einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat, da die Verordnung vom 05.08.2005 und der Kostenvoranschlag vom 09.06.2005 datieren. Im Übrigen fehlt es bereits deswegen am Anordnungsanspruch, weil nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung nicht festgestellt werden kann, ob die von der Beschwerdeführerin begehrte und am 05.08.2005 verordnete Brille ihrer Sehleistung entspricht. Insoweit ist der Zeitablauf von mehr als einem Dreivierteljahr bei der Antragstellung beim SG zu berücksichtigen.
Soweit die Beschwerdeführerin Mehrkosten für einen kostenaufwändigere Ernährung begehrt, hat ihr Antrag ungeachtet der Frage, ob hierüber bereits von dem Beschwerdegegner entschieden worden ist, keinen Erfolg, weil nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglichen summarischen Prüfung nicht festgestellt werden kann, dass auf Grund des erhöhten Cholesterinspiegels ein Mehrbedarf notwendig ist, der über den bereits mit Bescheid vom 22.03.2006 bewilligten Bedarf hinaus geht.
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sind auch die Kosten für einen Staubsauger nicht zu übernehmen. Es fehlt schon am erforderlichen Anordnungsgrund. Dieser ist nicht glaubhaft gemacht worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).