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Untreuevorwurf gegenüber Rechtsanwalt wegen Nichtüberweisung von Mandantengeldern

OLG HAMM

Az.: 3 Ss 74/02

Beschluss vom 04.12.2001

Vorinstanz: LG Essen – Az.: 57 (38/99) 29 Js 710/98


Strafsache wegen Untreue u.a.:

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 22 kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 4 Dezember 2001 hat der 3 Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 3 Juni 2002 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten wegen Untreue in zwei Fällen und unbefugten Führens ausländischer Amtsbezeichnungen in 12 weiteren Fallen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es dem Angeklagten für die Dauer von einem Jahr untersagt, als Rechtsanwalt selbständig tätig zu werden. Die Strafkammer hat auf die Berufung des Angeklagten die Freiheitsstrafe wegen Untreue in zwei Fällen auf zwei Jahre herabgesetzt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Des weiteren hat die Kammer davon abgesehen, gegen den Angeklagten ein Berufsverbot zu verhängen Hinsichtlich des Tatkomplexes des unbefugten Führens ausländischer Amtsbezeichnungen in 12 Fällen ist das Verfahren gemäß § 154 StPO eingestellt worden

1.

Gegen dieses Urteil der Berufungsstrafkammer richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung des materiellen Rechts rügt und die Änderung des Schuldspruchs m ein Vergehen der Untreue sowie die Aufhebung im Strafausspruch erstrebt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat einen Antrag nicht gestellt.

2.

Dem Schuldspruch liegen im Wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde „Am 05.04.1994 erlitt der Geschädigte auf der BAB 42 einen schweren Verkehrsunfall. Er wurde schwer verletzt, fiel zunächst in ein Tiefkoma und befindet sich auch zur Zeit noch als Pflegefall in einem Wachkoma. Zur Betreuerin des Geschädigten wurde dessen Mutter, Frau bestellt, die ihrerseits der Lebensgefährtin des Geschädigten, der Zeugin eine Vollmacht erteilte, die Rechte des Geschädigten wahrzunehmen. Auf Empfehlung ihres Arbeitgebers, den der Angeklagten bereits in vielen Verfahren vertreten hatte, wandte sich die Zeugin an den Angeklagten und beauftragte ihn mit den Verhandlungen über die Schadensregulierung durch die Versicherung. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Geschädigte den Unfall selbst verursacht hatte, wurde die Unfallversicherung des Geschädigten in Anspruch genommen. Die Schadensangelegenheit wurde bei der Versicherungs-AG unter der Schadensnummer zum Versicherungsschein geführt.

Unter dem 15.09.1995 zahlte die Versicherung auf das Konto des Angeklagten bei der Postbank für Krankenhaustage- und Genesungsgeld, Übergangsleistungen sowie Vorschuss auf die Invaliditätsleistung 60.080,– DM.

Unter dem 23.05.1997 rechnete die Versicherung die restlichen Invaliditätsleistungen ab und überwies auf das bereits genannte Konto noch einmal 62.500,- DM

Den insgesamt vereinnahmten Betrag von 122.580,— DM leitete der Angeklagte weder an seine Mandantin noch an den Geschädigten weiter. Der Angeklagte war sich hierbei der Pflichtwidrigkeit seines Tuns bzw Unterlassens und des dadurch bewirkten Vermögensnachteils bewusst.

Zwar wies der Angeklagte die Postbank am 26 06 1997 an, den Betrag von 62 500,- DM an die Zeugin zu überweisen Als er von der Postbank den Hinweis erhielt, dass die Überweisung nicht habe ausgeführt werden können, da das Guthaben auf dem Konto des Angeklagten, oder aber der eingeräumte Dispositionskredit nicht ausreiche, unternahm der Angeklagte zunächst keinen weiteren Versuch, der Berechtigten den vereinnahmten Betrag zukommen zu lassen.

Die Zeugin bemuhte sich wahrend zahlreicher Telefonate mit dem Büro des Angeklagten zum Angeklagten Kontakt aufzunehmen, um sich nach dem Stand der Angelegenheit und einem möglichen Eingang der Versicherungsleistungen zu erkundigen. Sie erhielt stets den Hinweis, der Angeklagte sei nicht erreichbar, da er verschiedene Angelegenheiten zu regeln oder aber Termine wahrzunehmen habe. In Telefonaten vom 16. und 17 06.1997 teilten die Mitarbeiterinnen des Angeklagten schließlich mit, dass die Versicherung zwischenzeitlich gezahlt habe und die Schadensleistung bereits überwiesen worden sei. Als dennoch kein Eingang des Geldes auf dem Konto der Betreuerin des Geschädigten verzeichnet werden konnte, wandte sich die Zeugin an ihren Arbeitgeber. Dieser erklärte sich bereit, in der Angelegenheit tätig zu werden. Mit Schreiben vom 06.08.1997 forderte er sodann den Beklagten um Auskunft über die eingegangenen Schadensleistungen und um Überweisung derselben auf das benannte Konto Da sich in der Angelegenheit kein Fortgang zeigte, wandte sich die Zeugin mit Schreiben vom 18 12.1997 abermals an den Angeklagten und forderte diesen mit Fristsetzung zum 24 12 1997 auf, die Schadensersatzleistungen auf das bekannte Konto weiterzuleiten Auch diese Aufforderung blieb erfolglos Nunmehr wandte sich die Zeugin direkt an die Versicherung Mit Schreiben vom 04.02.1998 teilte die Versicherung m einem an die Mutter des Geschädigten gerichteten Schreiben mit, dass am 15 09 1995 60.080,- DM und am 23.05.1997 weitere 62 500,— DM auf das Konto des Angeklagten bei der Postbank überwiesen worden seien.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 10 03 1998 wandten sich die zwischenzeitlich im Auftrag des Geschädigten bevollmächtigten Rechtsanwalte an den Beklagten und forderten ihn erneut auf, den Betrag auf eines der Anwaltskonten zu überweisen Die gesetzte Frist verstrich ergebnislos Ein weiterer Versuch, den Angeklagten telefonisch zu erreichen, blieb ebenfalls erfolglos.

Mit Schreiben vom 24.03.1998 schalteten die Rechtsanwälte Rechtsanwaltskammer ein. Von dort aus wurde der Beklagte aufgefordert, auf die Anschuldigungen unter Fristsetzung Stellung zu nehmen. Außer einem Antrag auf Fristverlängerung ging keine Stellungnahme bei der Rechtsanwaltskammer in ein.

Sodann erwirkten die Rechtsanwälte unter dem 30.04.1998 gegen den Angeklagten einen Mahnbescheid. Auf den Widerspruch des Angeklagten wurde der Anspruch mit Schriftsatz vom 16.07.1998 gegenüber dem Landgericht Essen begründet und das streitige Klageverfahren aufgenommen.

Aufgrund der bestehenden Mitteilungspflichten informierte die Präsidentin des Landgerichts Essen die Staatsanwaltschaft über die anhängige Klage, woraufhin Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue aufgenommen wurden.

Unter dem 25.08.1998 gab der Angeklagte vor dem Notar ein notarielles Schuldanerkenntnis ab. Er erkannte darin an, Herrn einen Betrag von 122.580,- DM nebst Zinsen zu schulden. Wegen des geschuldeten Betrages nebst Zinsen unterwarf sich der Angeklagte der sofortigen Zwangsvollstreckung in sein gesamtes Vermögen.

Nachdem die Klage vor dem Landgericht Essen im Hinblick auf das Schuldanerkenntnis zurückgenommen worden war, leistete der Angeklagte Zahlungen auf die entstandenen Prozesskosten. Im November 1998 sagte der Angeklagte die Zahlung des Gesamtbetrages bis Februar 1999 zu, ohne diese Zusage einzuhalten.

Im Spätsommer 1999 traf der Angeklagte unter dem Eindruck einer mittlerweile eingeleiteten Zwangsvollstreckung mittels Pfändungs- und Überweisungsbeschluss eine weitere Ratenzahlungsvereinbarung. In der Folgezeit zahlte der Angeklagte den zunächst vereinbarten Betrag von 5 000,- DM Am 03.03.2000 zahlte der Angeklagte sodann den gesamten noch ausstehenden Betrag, so dass die Forderung des Geschädigten seit diesem Tage beglichen ist“

Zur Beweiswürdigung hat die Kammer ausgeführt: „Die getroffenen Feststellungen beruhen auf dem umfassenden Geständnis des Angeklagten. Wie bereits in erster Instanz hat der Angeklagte auch während der Berufungsverhandlung die ihm zur Last gelegten Taten nicht in Abrede gestellt Er hat sich umfassend zum Inhalt der Anklage geäußert und die Tatvorwürfe zugestanden, ohne dabei dem Versuch zu unterliegen, sein Tun in ein besonders mildes Licht stellen zu wollen. Der Angeklagten hat sich dahin eingelassen, dass er sich sein Fehlverhalten heute selbst nicht mehr erklären könne. Im Tatzeitraum habe sich zwar offenbart, dass seine Beteiligungen einem Bauherrenmodell mit Verlusten einhergehen würde. Dies habe aber keinesfalls zu seiner Vermögenslosigkeit geführt. Es seien „keine finanziellen Löcher zu stopfen gewesen“. Aus dem Vermögen der Eltern sei ihm im Gegenteil im benannten Zeitraum sogar noch Geld zugeflossen Schließlich hätte er gegenüber dem Finanzamt Ansprüche auf Steuerrückzahlung gehabt.

Auch die Beziehung zu einer jüngeren Frau von Anfang 1995 bis Ende 1996 berge nicht die Ursache für sein Fehlverhalten Er habe früh erkannt, dass diese Beziehung für ihn keine tragbare Perspektive darstelle Die Beziehung habe auch nicht dazu geführt, dass er in größerem Umfang habe finanzielle Aufwendungen tätigen müssen.

Insgesamt habe er sich jedoch während des Tatzeitraums antriebslos gefühlt. Er sei freud- und perspektivlos gewesen und habe sich „treiben lassen“.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz

Die von der Kammer getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue in zwei Fallen nicht:

a)

Im ersten Fall hat die Kammer eine Untreue des Angeklagten darin erblickt, dass dieser die von der Unfallversicherung auf sein Konto überwiesenen Leistungen in Höhe von 60.080,- DM nicht unverzüglich an den Geschädigten weitergeleitet hat. Zutreffend geht die Kammer dabei davon aus, dass der Angeklagte als Rechtsanwalt zur alsbaldigen Weiterleitung der für seinen Mandanten bestimmten Gelder verpflichtet ist und ein Verstoß gegen diese Pflicht eine Untreue durch Unterlassen darstellen kann (vgl hierzu Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 266 Rdnr. 16; LK-Schünemann, StGB, 11 Aufl., § 266 Rdnr 93). Die Verurteilung wegen einer Untreue durch Unterlassen setzt jedoch weiter voraus, dass der Täter die Möglichkeit der Erfolgsabwendung hat (Tröndle/Fischer, a.a.O., § 13 Rdnr. 14). Hierzu hat die Kammer jedoch keine Feststellungen getroffen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen ist nicht auszuschließen, dass das Konto des Angeklagten bereits im Jahre 1995 ein erhebliches Defizit aufwies und er nicht in der Lage war, mit anderen Mitteln den Negativsaldo auszugleichen. Zwar wäre er bei eingetretener oder bevorstehender Zahlungsunfähigkeit verpflichtet gewesen, die Leistungen von der Unfallversicherung auf ein Anderkonto überweisen zu lassen (vgl LK Schünemann, a a.O., § 266 Rdn 93), doch setzt eine Strafbarkeit wegen Untreue in diesem Fall weiter voraus, dass der Angeklagte mit seiner Zahlungsunfähigkeit (zumindest) rechnete. Zur Vermögenssituation des Angeklagten im Jahre 1995 hat die Kammer indessen keine Feststellungen getroffen, mithin kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte, der sich seiner unwiderlegten Einlassung zufolge „treiben ließ“, keine Kenntnis von einer – möglicherweise – bevorstehenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit hatte.

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b)

Geht man m Ermangelung entgegenstehender Feststellungen im zweiten Fall zugunsten des Angeklagten davon aus, dass er erst im Jahre 1997 – zumindest vorübergehend – zahlungsunfähig wurde und zugleich keine Kenntnis von dem Negativsaldo hatte, so tragen aus den gleichen Gründen wie im ersten Fall die getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen Untreue durch Unterlassen nicht. Auch eine Untreue durch aktives Tun ist nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht verwirklicht, da der Angeklagte zur Sicherung der Untreue nicht weiter tätig geworden ist (vgl. BGH StV 98, 127).

2.

Da vollständige und tragfähige Urteilsfeststellungen nicht vorliegen, war die von der Revision begehrte Schuldspruchberichtigung (vgl hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 354 Randnummern 12 und 13) nicht vorzunehmen, sondern die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an eine andere Abteilung des Landgerichts Essen zurückzuverweisen.

Der Senat weist vorsorglich für den Fall, dass das Landgericht eine oder zwei Untreuehandlungen durch Unterlassen nach erneuter Hauptverhandlung feststellt, darauf hin, dass bei der Strafzumessung die Vorschrift des § 13 Abs. 2 StGB zu prüfen ist (vgl. BGHSt 36, 227).

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