LG Kiel, 10. Zivilkammer
Az.:10 S 68/98
Urteil vom 03.12.1998
Tatbestand:
Die KI.in macht aus abgetretenem Recht gegenüber dem Bekl. restliches Zahnarzthonorar für eine durchgeführte zahnärztliche Behandlung in der Praxis des Dr. K. geltend. Am 6. Juni 1996 begab sich der Bekl. in die Praxis des Zahnarztes Dr. K., um sich umfänglich behandeln zu lassen. Vor Behandlungsbeginn füllte der Bekl. einen sogenannten Anmeldebogen für Patienten aus. Gefragt wurde nach akuten oder chronischen Erkrankungen des Kreislaufes und des Herzens, nach Infektionskrankheiten (Hepatitis, TBC, Aids usw.), nach inneren Krankheiten (Diabetes usw.) und nach Arzneimittelunverträglichkeit. Derartige Erkrankungen bzw. Beeinträchtigungen lagen bei dem Bekl. nicht vor. Die sich anschließende Behandlung umfaßte insbesondere eine prothetische Versorgung des Kiefers mit Goldinlays, weil vorhandene Amalgamfüllungen – auf Wunsch des Bekl. – entfernt wurden. Bei den verwendeten Metallegierungen handelt es sich um Goldinlays mit einem Goldanteil von 51,4% bis 57,0%. Im übrigen enthielten die Legierungen neben anderen Stoffen, wie z. B. Silber, Kupfer, Platin, auch Palladium. In der Folgezeit litt der Bekl. fortlaufend unter Schluckbeschwerden und Schmerzen. Er ließ sich von einer Fachärztin untersuchen, die im Juni 1998 nach längerer Behandlung eine Palladiumallergie diagnostizierte. Dies veranlaßte den Bekl., sich sämtliche von Dr. K. eingebrachten Goldinlays entfernen und gegen hochwertige Gold-Platin-Legierungen austauschen zu lassen. Heute ist der Bekl. beschwerdefrei. Für die von Dr. K. durchgeführte Behandlung hat die KI.in dem Bekl. einen Gesamtbetrag in Höhe von 11.718,90 DM in Rechnung gestellt. Hierauf hat der Bekl. einen Anteil von 5.500 DM gezahlt. Der Bekl. ist der Auffassung, zur Zahlung der noch ausstehenden Vergütung für die zahnärztliche Behandlung in der Praxis Dr. K. nicht verpflichtet zu sein, weil Dr. K. es versäumt habe, ihn vor Behandlungsbeginn auf den ungewöhnlich hohen Palladiumanteil von zum Teil 38,4 % hinzuweisen. In der Zahnmedizin sei hinreichend bekannt, daß der Stoff Palladium Allergien auslösen könne. Wäre er hierüber aufgeklärt worden, hätte er der Verwendung dieser allergieträchtigen Metallegierung widersprochen; zumal er aus gesundheitlichen Gründen sich den Kosten einer Behandlung mit Goldinlays freiwillig unterzogen habe. Das Amtsgericht hat eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht verneint mit der Begründung, der Bekl. habe in dem Anmeldebogen Besonderheiten – Allergien – nicht angegeben. Auch die von dem Bekl. eingeschaltete Ärztin habe erst nach längerer Behandlung die fragliche Allergie festgestellt. Die Berufung des Bekl. hatte Erfolg.
Aus den Gründen
Der Bekl. kann gegen die unstreitige Honorarrestforderung der KI. in Höhe von noch 6.218,90 DM mit einer Schadensersatzforderung in entsprechender Höhe aufrechnen. Dieser Schadensersatzanspruch folgt aus einer positiven Verletzung des Vertrages, den Zahnarzt Dr. K. mit dem Bekl. über eine zahnärztliche Behandlung geschlossen hat. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegt nämlich ein Aufklärungsversäumnis des Zahnarztes Dr. K. vor, so daß dieser verpflichtet ist, dem Bekl. die ihm daraus entstandenen Schäden zu ersetzen. Zu diesen Schäden gehören insbesondere auch die durch die notwendig gewordene Nachbehandlung entstandenen Kosten, die mindestens die Höhe der Klagforderung erreichen. Mit diesem Schadensersatzanspruch konnte der Bekl. gegen die noch offene Honorarrestforderung aufrechnen. Die ärztliche Aufklärung soll dem Patienten ermöglichen, Art, Bedeutung, Ablauf und Folgen einer Behandlung zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in den Grundzügen zu verstehen. Er soll zu einer informierten Risikoabwägung in der Lage sein. In diesem Rahmen ist der Patient auch über seine nicht ganz außer Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken zu unterrichten (BGH NJW 1984, 1397, 1398), d.h., der Arzt muß auch auf typische, wenn auch seltene, Risiken hinweisen, um dem Patienten die Entscheidung darüber zu überlassen, ob er etwaige Gefahren für seine Gesundheit auf sich nehmen will (BGH VersR 1993, 228, 229). Aber auch wenig wahrscheinliche Risiken müssen mit dem Patienten besprochen werden, wenn – wie im vorliegenden Fall – für den Eingriff aus medizinischer Sicht keine Dringlichkeit oder überhaupt keine zwingende Indikation besteht (BGH NJW 1984, 1395, 1396). Unter solchen Umständen ist die Einwilligung in einen körperlichen Eingriff nur wirksam, wenn der Einwilligende in der Lage gewesen ist, das Für und Wider genau zu beurteilen und gegeneinander abzuwägen. Das setzt voraus, daß der Arzt den Behandelten die Gründe und Gegengründe eingehend auseinandersetzt. Der Grundgedanke ist: je dringender der Eingriff, desto geringere Anforderungen sind an den Umfang der Aufklärung zu stellen; je weniger dringend der Eingriff, desto größere Anforderungen sind an die Aufklärungspflicht zu stellen. Gegen diese Grundsätze und Erfordernisse hat der Zahnarzt Dr. K. schuldhaft verstoßen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß die Ersetzung der beim Bekl. vorhandenen Amalgamfüllungen mit Goldinlays medizinisch nicht indiziert gewesen ist. Weder litt der Bekl. unter akuten Schmerzen, noch war er durch die vorhandene Amalgamfüllungen in sonstiger Weise in seiner Lebensführung beeinträchtigt. Allein im Hinblick auf die streitig geführte Diskussion über die Verträglichkeit von Amalgam entschied sich der Bekl., diesen Füllstoff gegen Goldinlays ersetzen zu lassen. Dem Bekl. kam es also erkennbar darauf an, anstelle des umstrittenen Füllstoffes Amalgam einen gut verträglichen Stoff zu erhalten, um das möglicherweise bestehende Risiko einer zukünftigen Gesundheitsbeeinträchtigung für sich auszuschließen. Der Zahnarzt Dr. K. hätte dies zum Anlaß nehmen müssen, mit dem Bekl. eingehend mögliche Alternativen zu erörtern. Insbesondere hätte er ihn darauf hinweisen müssen, daß es zahlreiche Goldlegierungen mit unterschiedlich hohem Goldanteil gibt und daß stets zusätzliche Legierungselemente, wie z.B. Silber, Kupfer, Platin, Indium, Gallium, Eisen und Palladium notwendiger Bestandteil einer jeden Goldlegierung sind. Des weiteren hätte er den Bekl. darüber in Kenntnis setzen müssen, daß diese Zusatzbestandteile möglicherweise auch zu Unverträglichkeitsreaktionen führen können, da mit allergischen Reaktionen bei allen Stoffen grundsätzlich gerechnet werden muß. Insbesondere aber hätte der Bekl. darüber aufgeklärt werden müssen, daß in Bezug auf den Stoff Palladium einige – wenn auch wenige – Einzelfälle von krankhaft allergischen Reaktionen bekannt geworden sind. Dies geht aus einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde nach dem Stand vom 28. Februar 1995 hervor, welche der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung überreicht hat. Der Zahnarzt Dr. K. ist dieser ihm obliegenden Aufklärungspflicht nicht im Ansatz nachgekommen. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß ein Aufklärungsgespräch überhaupt nicht stattgefunden hat. Die KI.in kann sich auch nicht darauf berufen, der Bekl. habe es versäumt, in dem Anmeldebogen Besonderheiten – wie Allergien – anzugeben. Zum einen wird in dem Anmeldebogen nach möglichen Allergien bzw. Besonderheiten überhaupt nicht gefragt, zum anderen kann sich ein Arzt nicht dadurch seiner Aufklärungspflicht entziehen, indem er einen Anmeldebogen entwirft und den Patienten pauschal nach Besonderheiten – wie z. B. Allergien – befragt, die diesem vielleicht vor der Behandlung selbst nicht einmal bekannt waren. Überdies gehört begrifflich zur Aufklärungspflicht über mögliche Risiken einer Behandlung stets ein aufklärendes Gespräch mit dem Patienten, welches hier unstreitig nicht stattgefunden hat. Erst ein solches Aufklärungsgespräch eröffnet dem jeweiligen Patienten die Möglichkeit, sich vor der Behandlung frei zu entscheiden, ob er etwaige Gefahren für seine Gesundheit so ohne weiteres auf sich nehmen will, oder ob er sich gegebenenfalls auf eine mögliche Unverträglichkeit der in dem Zahnfüllstoff enthaltenen Stoffe hin testen lassen will. Es kann vorliegend auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Bekl. auch bei pflichtgemäßer Aufklärung der Behandlung zugestimmt hätte und daher der Schaden gleichwohl entstanden wäre. Der Bekl. hat dargelegt, daß er bei ordnungsgemäßer Aufklärung der Verwendung einer allergieträchtigen Metallegierung widersprochen hätte. Dies ist für die Kammer nachvollziehbar, da der Bekl. unter keinerlei Schmerzen litt und eine Behandlung zum damaligen Zeitpunkt – jedenfalls aus medizinischer Sicht – überhaupt nicht erforderlich war und es dem Bekl. vielmehr ersichtlich gerade darauf ankam, anstelle des umstrittenen Füllstoffes Amalgam einen gut verträglichen Ersatzstoff zu erhalten. Der Zahnarzt Dr. K. ist wegen seines Verhaltens daher verpflichtet, dem Bekl. den aus der Behandlung entstandenen Schaden zu ersetzen. Hierzu zählen insbesondere auch die dem Bekl. durch die Nachbehandlung entstandenen Kosten, die dieser im Termin zur mündlichen Verhandlung mit rund 9.000 DM angegeben hat. Die KI.in hat die Höhe der Nachbehandlungskosten nicht bestritten. Mit diesem Anspruch kann der Bekl. gemäß § 406 BGB gegen die noch offene Honorarforderung aufrechnen.