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Versicherungsfall bei Vandalismus – Wann?

BUNDESGERICHTSHOF

Az.: IV ZR 106/01

Verkündet am: 06.02.2002

Vorinstanzen: Kammergericht, LG Berlin


Leitsatz: Der Versicherungsfall Vandalismus nach einem Einbruch setzt nicht voraus, daß ein Diebstahl begangen oder versucht worden oder der Einbruch in Diebstahlsabsicht erfolgt ist.


Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2002 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Kammergerichts vom 12. Januar 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand:

Die Klägerin, die einen Großhandel mit Lebensmitteln betrieben hat, hatte bei dem beklagten Versicherungsverein a.G. eine Einbruchdiebstahlversicherung einschließlich der Gefahren Vandalismus und Raub abgeschlossen. Sie verlangt vom Beklagten Ersatz wegen eines durch Vandalismus entstandenen Schadens, dessen Größenordnung bei etwa einer Million DM liege.

In der Nacht zum 4. Oktober 1998 beschädigten Unbekannte im Betriebsgebäude der Klägerin vorsätzlich die Warenvorräte und die Betriebseinrichtung. Nach Darstellung der Klägerin wurden lediglich zwei Schecks und Disketten gestohlen. Das Holzfenster eines ebenerdig gelegenen Büroraums wies Hebelspuren und sonstige Beschädigungen auf. Das umgebende Mauerwerk war an einigen Stellen beschädigt. Der zweitunterste vor dem Fenster angebrachte Metallstab war gewaltsam herausgerissen worden.

Die Klägerin behauptet, die Täter seien durch dieses Bürofenster in das Gebäude eingebrochen. Sie beruft sich auf ein von ihr vorgelegtes Sachverständigengutachten und hat beantragt, ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Beklagte bestreitet einen Einbruch. Der von ihm beauftragte Sachverständige sei zu dem Ergebnis gekommen, daß es nach dem vorgefundenen Spurenbild nicht möglich gewesen sei, daß die Täter dieses Fenster geöffnet hätten und dadurch eingedrungen seien. Zudem liege hier ein nicht versicherter Vandalismusschaden vor, da allenfalls nahezu wertlose Sachen entwendet worden seien und die Täter demgemäß von vornherein nur das Ziel der Zerstörung verfolgt hätten.

Die auf eine Abschlagszahlung von 65.000 DM gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht ist im Gegensatz zum Landgericht der Ansicht, daß der geltend gemachte Vandalismusschaden vom Versicherungsschutz umfaßt sei. Nach den vereinbarten Versicherungsbedingungen setze die Leistungspflicht nur voraus, daß der Täter vor der Sachbeschädigung einen bedingungsgemäßen Tatbestand des Einbruchs verwirklicht habe. Auf eine beim Eindringen vorhandene Diebstahls- oder Sachbeschädigungsabsicht komme es nicht an, ebenso nicht darauf, ob überhaupt ein Einbruchdiebstahl begangen oder versucht worden sei. Der Klägerin sei es jedoch nicht gelungen zu beweisen, daß die Täter in das Gebäude eingebrochen seien. Der Beklagte habe durch das von ihm eingeholte Gutachten des Sachverständigen E. dargelegt, die an dem Fenster festzustellenden Spuren hätten nicht ausgereicht, um aus ihnen auf ein Aufbrechen des Fensters zu schließen. Das Gutachten sei auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin durch Vorlage des Gutachtens R. erhobenen Einwendungen überzeugend und reiche im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses aus, um die Überzeugung zu begründen, daß die Klägerin einen Einbruch nicht dargelegt habe und nicht nachweisen könne. Der Einholung eines gerichtlichen Gutachtens bedürfe es daher nicht.

II. Die Revision rügt die unterbliebene Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu Recht als verfahrensfehlerhaft. Da das Berufungsurteil auf diesem Fehler beruht, ist es aufzuheben.

1. Im rechtlichen Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht allerdings zutreffend angenommen, daß der geltend gemachte Vandalismusschaden unter den vereinbarten Versicherungsschutz fällt. Das ergibt sich aus folgenden Bestimmungen der dem Vertrag zugrunde liegenden „G. Einbruchdiebstahl- und Raubversicherungsbedingungen“ (AERB 95, insoweit übereinstimmend mit den AERB 87 Fassung 1994, abgedruckt bei Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. S. 986 ff.):

„§ 1 Versicherte Gefahren und Schäden

1. Der Versicherer leistet Entschädigung für versicherte Sachen, die durch

a) Einbruchdiebstahl,

b) Raub innerhalb eines Gebäudes oder Grundstückes,

c) Raub auf Transportwegen,

d) Vandalismus nach einem Einbruch

oder durch den Versuch einer solchen Tat abhanden kommen, zerstört oder beschädigt werden.

Jede der in a bis d genannten Gefahren ist nur versichert, wenn dies vereinbart ist, Vandalismus nach einem Einbruch jedoch nur in Verbindung mit Einbruchdiebstahl.

2. Einbruchdiebstahl liegt vor, wenn der Dieb

a) in einen Raum eines Gebäudes einbricht, …

6. Vandalismus nach einem Einbruch liegt vor, wenn der Täter auf eine der in Nr. 2a, 2e oder 2f bezeichneten Arten in den Versicherungsort eindringt und versicherte Sachen vorsätzlich zerstört oder beschädigt.“

Nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers, auf das es bei der Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen ankommt (BGHZ 123, 83, 85), ist der Klausel in § 1 Nr. 1 AERB 95 zu entnehmen, daß es sich bei den dort unter a bis d aufgeführten Sachverhalten um jeweils eigenständige Gefahren handelt, die gesondert versichert werden müssen. Dabei kann das Risiko Vandalismus nach einem Einbruch allerdings, wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, nicht isoliert, sondern nur versichert werden, wenn auch das Risiko Einbruchdiebstahl versichert wird. Damit wird die Versicherbarkeit des Risikos Vandalismus nach einem Einbruch lediglich auf der Ebene der vertraglichen Vereinbarung an die Versicherung des Risikos Einbruchdiebstahl gebunden. Aus § 1 Nr. 1 Satz 2 AERB 95 kann dagegen nicht entnommen werden, daß der Versicherungsfall Vandalismus nach einem Einbruch in tatsächlicher Hinsicht voraussetzt, daß neben dem durch Vandalismus verursachten Schaden außerdem ein Einbruchdiebstahl begangen oder versucht worden ist oder der Einbruch in Diebstahlsabsicht erfolgt sein muß (so auch Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl. D XI Rdn. 30, 34). Diese Auslegung wird durch die Definition des Versicherungsfalls in § 1 Nr. 6 AERB 95 bestätigt. Sein Eintritt hängt danach allein davon ab, daß der Täter in bestimmter Weise in den Versicherungsort eingedrungen ist und versicherte Sachen vorsätzlich zerstört oder beschädigt hat.

2. Das Berufungsgericht hat im Ansatz auch richtig erkannt, daß der Klägerin für den Nachweis von Vandalismus nach einem Einbruch Beweiserleichterungen zugute kommen (Senatsurteil vom 14. April 1999 – IV ZR 181/99 – NJW-RR 1999, 1184 – unter II. 1). Da vorsätzliche Sachbeschädigungen hier unstreitig sind, muß die Klägerin nur das äußere Bild eines Einbruchs beweisen, also ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluß auf einen Einbruch zulassen.

Das Berufungsgericht durfte die Klägerin aber nicht ohne Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens für beweisfällig halten.

a) Haben beide Parteien zu einer streitigen Tatsachenfrage, deren Beantwortung spezielle Sachkunde voraussetzt, Privatgutachten kompetenter Sachverständiger vorgelegt, die einander in wesentlichen Punkten widersprechen, so darf der Tatrichter, der über keine eigene Sachkunde verfügt, nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich nicht ohne Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens dem einen Privatgutachten zu Lasten des anderen den Vorzug geben (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 1993 – VI ZR 243/92 – NJW 1993, 2382 unter II 3 c; Thomas/Putzo/Thomas, ZPO 23. Aufl. Vorbem. § 402 Rdn. 5; MünchKommZPO-Damrau, 2. Aufl. § 402 Rdn. 9; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. vor § 402 Rdn. 57; Musielak/Huber, ZPO 2. Aufl. § 402 Rdn. 6; Zöller/Greger, ZPO 22. Aufl. § 402 Rdn. 6 c).

b) Diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht nicht beachtet. Die beiden Privatgutachten kommen in der Beweisfrage zu entgegengesetzten Ergebnissen. Es ist nicht ersichtlich, daß der von der Klägerin eingeschaltete Sachverständige R. weniger kompetent wäre als der vom Beklagten beauftragte Sachverständige E.. Das Berufungsgericht sagt dies auch nicht. Es gibt dem Gutachten E. vielmehr deshalb den Vorzug, weil der Sachverständige R., dem das Aufhebeln des Fensters und das Eindringen in das Gebäude gelungen ist, andere Verhältnisse als die vorgefunden hat, die nach der Tat gegeben waren und der Beurteilung des Sachverständigen E. zugrunde liegen. Dieser ist davon ausgegangen, daß der zweite Metallstab von unten fehlte und das Fenster nicht vollständig zu öffnen war, weil auf dem Schreibtisch dahinter ein Computer stand. Beim Versuch des Sachverständigen R. fehlte dagegen der unterste Metallstab, und das Büro war ausgeräumt. Er hat diese Unterschiede gesehen und ist auf sie eingegangen, hat sie aber unter ausführlicher Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Sachverständigen E. vom 27. Oktober 1998 für unerheblich gehalten. Darüber durfte sich das Berufungsgericht auch unter Einbeziehung der ergänzenden (teilweise polemisch abgefaßten) Stellungnahme des Sachverständigen E. vom 25. Juli 1999 ohne Beratung durch einen gerichtlichen Sachverständigen nicht hinwegsetzen. Eigene für die Überzeugungsbildung ausreichende Sachkunde hat es nicht dargelegt und auch nicht für sich in Anspruch genommen. Gleiches gilt für den Streit der Sachverständigen darüber, welches Werkzeug bei der Tat eingesetzt worden sein kann. In diesem Punkt hat das Berufungsgericht die Ansicht des Sachverständigen R. als Spekulation abgetan und zur Begründung lediglich auf die Stellungnahme des Sachverständigen E. vom 25. Juli 1999 verwiesen.

 

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