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Veranlagung gemeinsame steuerliche – Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme (Schikaneverbot)

OBERLANDESGERICHT OLDENBURG

Az.: 12 UF 6/02

Verkündet am 30.04.2002

Vorinstanz: AG Lingen – Az.: 20 F 6/01


In der Familiensache hat der 12. Zivilsenat — 4. Senat für Familiensachen — des Oberlandesgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 16. April 2002 für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 28. November 2001 verkündete Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Lingen geändert.
Die Beklagte wird verurteilt, für das Jahr 1999 der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung zuzustimmen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Die Beklagte bezog im Dezember 1998 eine eigene Wohnung.

Der Kläger begehrt für das Jahr 1999 die Zustimmung der Beklagten zur gemeinsamen steuerlichen Veranlagung. Durch Erklärung zu Protokoll hat er sich bereit erklärt, die Beklagte von etwaigen ihr durch die gemeinsame steuerliche Veranlagung entstehenden Nachteilen freizustellen.
Der Kläger hat vorgetragen: Die Beklagte habe Anfang 1999 noch wiederholt in der Ehewohnung übernachtet, wie er auch selbst in ihrer neuen Wohnung übernachtet habe. Es habe damals intensive, auf eine Fortsetzung der Ehe zielende Gespräche gegeben. Zudem hätten wirtschaftliche Gemeinsamkeiten bestanden, u.a. hätte die Beklagte noch bis März 1999 Kontovollmacht über sein Konto gehabt und dort Abhebungen getätigt. Damit seien die Voraussetzungen für eine gemeinsame Veranlagung gegeben.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat vorgebracht, daß es nach ihrem Auszug aus der Ehewohnung keinerlei Gemeinsamkeiten mehr gegeben habe. Die von ihr über das Guthaben auf dem Konto des Klägers getroffenen Verfügungen hätten ausschließlich ihr zustehende Gelder betroffen.

Durch das am 28. November 2001 verkündete Urteil hat das Amtsgericht – Familiengericht – Lingen die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Es führt aus, es habe sich nicht sicher feststellen lassen, daß die Parteien im Jahr 1999 noch nicht dauerhaft getrennt gelebt hatten.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten und rechtzeitig begründeten Berufung.

Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens wendet er sich gegen die Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung und führt zu den wirtschaftlichen Verhältnissen weiter aus.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Lingen vom 28. November 2001 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung für das Kalenderjahr 1999 zuzustimmen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil und meint, zu der Zustimmungserklärung aufgrund fehlenden steuerrechtlicher Voraussetzungen nicht verpflichtet zu sein.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen. Die Akte 20 F 13/99 AG Lingen ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist begründet.

Die Zuständigkeit des Familiengericht ist nicht mehr zu prüfen, nachdem sich die Parteien erstinstanzlich rügelos auf die Verhandlung eingelassen haben (§ 529 Abs. 3 ZPO).

Die Klage ist begründet. Die Verpflichtung der Beklagten, der gemeinsamen steuerlichen Veranlagung zuzustimmen, ergibt sich aus 1353 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Pflicht zur ehelichen Lebensgemeinschaft und zur gemeinsamen Verantwortung umfaßt das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme. Dazu gehört es auch, finanzielle Lasten für den anderen Ehegatten möglichst gering zu halten und an einer gemeinsamen steuerlichen Veranlagung mitzuwirken (ständige Rechtsprechung: BGH NJW 1977, 378; OLG Hamm FamRZ 1998, 241; Palandt-Brudermüller § 1353 BGB Rn. 12; Arens FamRZ 1999, 1559).

Entgegen der Auffassung der Beklagten (so allerdings auch OLG Hamm FamRZ 1994, 893) kommt es für die Entscheidung dieses Rechtsstreits nicht darauf an, ob die steuerrechtlichen Voraussetzungen für eine gemeinsame Veranlagung tatsächlich vorlagen oder nicht. Hierbei handelt es sich um eine Frage, die im Zivilprozeß nicht zu entscheiden ist. Ob die von dem Kläger angeführten Tatsachen nach den steuerrechtlichen Maßstäben genügen, um noch für das Jahr 1999 eine gemeinsame Veranlagung zu erreichen, ist durch das zuständige Finanzamt und im Streitfall ggf. durch die Finanzgerichte zu beurteilen. Eine Entscheidung der Zivilgerichte hat hier keine Bindungswirkung. Daher kann die Verpflichtung zur Abgabe der Zustimmungserklärung grundsätzlich nicht davon abhängen, ob die Voraussetzungen für eine gemeinsame Veranlagung tatsächlich gegeben sind oder nicht. Dies wäre mit der Verpflichtung des zustimmenden Ehegatten, an der Minderung finanzieller Lasten des anderen Ehepartners mitzuwirken, nicht zu vereinbaren. Denn andernfalls wäre dem steuerlich benachteiligten Ehegatten bereits im Vorfeld die Möglichkeit genommen, überhaupt eine Klärung der strittigen Fragen durch die zuständigen Finanzbehörde bzw. das Finanzgericht zu erreichen.
Nachdem die Beklagte auf getrennter Veranlagung besteht, kann sich der Kläger nicht mehr auf die Vermutung aus § 26 Abs. 3 EStG stützen. Eine Entscheidung über die Voraussetzungen der gemeinsamen Veranlagung ist damit nur noch unter Mitwirkung der Beklagten zu erreichen. Deshalb besteht ihre Verpflichtung, die Zustimmung zur gemeinsamen Veranlagung zu erklären, auch dann, wenn zweifelhaft ist, ob im Jahr 1999 die Voraussetzungen für eine gemeinsame Veranlagung gegeben waren oder nicht (vgl. BGH FamRZ 1998, 954 m.w.N. zum begrenzten Realsplitting).
Dies bedeutet nicht, daß der Beklagten die Beteiligung an einem möglichen Steuervergehen zugemutet würde. Ein solches könnte sich nicht aus der Zustimmungserklärung, sondern allenfalls aus der Angabe falscher Tatsachen ergeben. Unabhängig von der erklärten Zustimmung bleibt es der Beklagten unbenommen, ggf. ihre Sicht der Ereignisse den Finanzbehörden gegenüber darzulegen. Die Beklagte braucht auch nicht zu befürchten, aufgrund ihrer Zustimmungserklärung weiterer Rechte verlustig zu gehen. Dies gilt insbesondere für ihr Ein-spruchsrecht. Soweit sie durch eine Entscheidung im Festsetzungsverfahren betroffen ist, stehen ihr als Beteiligte alle vorgesehenen Rechtsbehelfe zur Verfügung.

Da sich der Kläger ausdrücklich verpflichtet hat, die Beklagte von allen ggf. möglichen Nachteilen aus einer Zusammenveranlagung freizustellen, ist die Beklagte durch die Abgabe der Erklärung nicht in unzumutbarer Weise belastet. Es ergeben sich auch keine greifbaren Anhaltspunkte für die von der Beklagten im Termin geäußerten Befürchtungen, der Kläger erstrebe die Zusammenveranlagung nur, um ihr Nachteile zuzufügen. Der Kläger hat anhand von Steuerberechnungen dargelegt, daß der Unterschied zwischen getrennter und gemeinsamer Veranlagung bis zu rund 10.000, DM betragen kann. Der wirtschaftliche Vorteil ist für ihn demnach erheblich, während sich für die Beklagte keine nachteiligen Auswirkungen abzeichnen. Aufgrund des zu einem ähnlich gelagerten Sachverhalt ergangenen Beschlusses des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 25. September 1998 kann auch nicht von vornherein sicher ausgeschlossen werden, daß seitens der Finanzbehörden eine gemeinsame Veranlagung abgelehnt werden wird.
Legt man den oben dargelegten rechtlichen Ausgangspunkt zugrunde, könnte der Anspruch allenfalls dann scheitern, wenn der Kläger lediglich aus Schikane handeln würde. In diesem Fall stünde seinem Begehren das allgemeine Gebot von Treu und Glauben entgegen. Davon wäre aber nur dann zu sprechen, wenn keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorhanden wären, daß die steuerlichen Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung vorliegen. Dies ist hier nicht der Fall. Die Frage, ob die Parteien im Jahr 1999 noch zusammengelebt haben ist streitig. Der Kläger führt zur Stützung seines Vorbringens mehrere Indizien an. Im übrigen – und dies ist der entscheidende Gesichtspunkt – kann für die Zusammenveranlagung auch eine Wirtschaftsgemeinschaft genügen. Un-strittig haben die Parteien 1999 noch ein gemeinsames Konto geführt. Hiernach ist es keineswegs von vornherein sicher ausgeschlossen, daß die Finanzbehörden die Voraussetzungen für eine gemeinsame Veranlagung als gegeben erachten.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat läßt die Revision zu, da die Entscheidung vom Urteil des OLG Hamm vom 11. Mai 1993 (FamRZ 1994, 893) abweicht und – soweit ersichtlich – die Frage, ob die Zustimmung zur gemeinsamen Veranlagung auch bei einem Streit über die Voraussetzungen grundsätzlich zu erklären ist, bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden worden ist.

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