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Verdachtskündigung – Sachverhaltsaufklärung Arbeitgeber

LAG Schleswig-Holstein

Az.: 6 Sa 224/11

Urteil vom 05.10.2011


In dem Rechtsstreit pp. hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die mündliche Verhandlung vom 05.10.2011 für Recht erkannt:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 31.03.2011 – 1 Ca 88 d/11 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der am ….1965 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er arbeitete seit dem 17.10.2005 bei der Beklagten als Taxifahrer zu einem Bruttomonatsgehalt von 1.235,00 EUR. Daneben erhielt er einen Nachtzuschlag in Höhe von 105,00 EUR. Die Beklagte beschäftigte Ende des Jahres 2010 19 festangestellte Arbeitnehmer und 24 Aushilfskräfte.

Am 23.12.2010 bekam der Kläger von der Funkzentrale der Beklagten den Auftrag, den Zeugen F… von der Shell-Tankstelle in H… aus zu befördern. Das Fahrtziel sowie der vom Kläger für die Fahrt kassierte Betrag sind zwischen den Parteien streitig. Gegenüber der Funkerin in der Zentrale gab der Kläger als Fahrtziel S… an. In dem vom Kläger zu führenden Fahrtennachweis notierte dieser einen Fahrpreis in Höhe von 40,60 EUR brutto.

Am 25.12.2010 meldete sich der Zeuge F… telefonisch bei der Funkerin der Nachtschicht, Frau H…, und berichtete, der Kläger habe ihn zwei Tage zuvor von der Shell-Tankstelle in H… nach A… gefahren. Der Zeuge beschwerte sich darüber, dass der Kläger für die Fahrt einen Fahrpreis von 90,00 EUR kassiert habe. Die Funkerin Frau H… fertigte über das Telefonat mit dem Zeugen eine Notiz (Bl. 17 d. A.). Darin heißt es auszugsweise:

„Heute ist KD die Strecke mit einem H…r Taxi zurückgefahren u. hat dabei einen ganz erheblichen Preisunterschied festgestellt. Daher der erneute Anruf heute bei mir:

B… hat den KD einen FP von 90,- € abgenommen!!! Wie gesagt, ohne Absprache. Wenn ich mich recht erinnere, hatte er für die Tour zwischen 50 + 60 € im Fahrtennachweis. Er soll die Tour ohne Uhr gefahren sein (muss Betrag nachträglich reinlaufen lassen haben).

KD fühlt sich nun natürlich betrogen (fährt häufig mit uns).“

Der Gesellschafter der Beklagten, Herr K. Sch…, hörte den Kläger am 29.12.2010 zu dem Vorwurf des Zeugen F… an. Während dieses Gesprächs rief Herr Sch… den Zeugen F… noch einmal an, der seinen Vorwurf wiederholte. Noch am selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos.

Im Betrieb der Beklagten waren in der Vergangenheit die Sitzkontakte der Fahrzeuge, insbesondere des Fahrzeugs 22, mit dem der Kläger am 23.12.2010 unterwegs war, durchtrennt worden. Die Beklagte kontrollierte die Richtigkeit der von ihren Fahrern im Fahrtennachweis angegebenen Kilometer wie folgt: Die Fahrer müssen im Fahrtennachweis die aus der Uhr entnommenen gefahrenen Kilometer einer Schicht, differenziert zwischen Gesamtkilometern und besetzt gefahrenen Kilometern angeben. Außerdem haben sie die eingenommenen Fahrpreise als Gesamtbetrag sowie aufgeschlüsselt nach einzelnen Fahrten, die stichwortartig mit dem Abfahrtsort und dem Zielort vermerkt werden, zu notieren. Die Übereinstimmung der Kilometerangaben auf der Uhr mit den Kilometern auf dem Tacho der Fahrzeuge kontrollieren die Fahrer selbst bei Übergabe des Fahrzeugs. Die Beklagte überprüft den Fahrtennachweis auf Plausibilität. Nur bei Verdacht der Manipulation fragt sie vor Fahrtantritt nach dem Kilometerstand des Fahrzeugs.

Mit seiner am 19.01.2011 bei der Rechtsantragstelle eingereichten Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung. Er hat behauptet, er habe von dem Zeugen F… für die Fahrt nur den auf der Uhr angezeigten und im Fahrtennachweis notierten Betrag von 40,60 EUR kassiert. Der Zeuge F… sei am fraglichen Abend angetrunken gewesen. Er habe sich bei Fahrtantritt darüber beschwert, dass er einen deutschen Fahrer bestellt habe. Der Zeuge habe zu einem Bauernhof an der Straße zwischen S… und A… gefahren werden wollen.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29.12.2010 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe von dem Zeugen F… 90,00 EUR kassiert. Der Zeuge habe diesen Betrag mit zwei 50-EUR-Scheinen bezahlt und 10,00 EUR an Wechselgeld zurückbekommen. Der Kläger habe den Zeugen F… bis in die K….. Straße 2 in A… gefahren. Die Sitzkontakte im Fahrzeug Nr. 22 seien manipuliert gewesen. Dies habe man allerdings erst zu einem Zeitpunkt festgestellt, als bereits ein anderer Fahrer mit dem Fahrzeug gefahren sei. Aufgrund der Beschwerde des Zeugen F… stehe fest, dass der Kläger ohne Absprache mit dem Funkpersonal einen Festpreis vereinbart und den Zeugen F… damit übervorteilt habe.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen F…. Wegen des Beweisbeschlusses und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 31.03.2011 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die fristlose außerordentliche Kündigung sei unwirksam. Zwar sei die von der Beklagten behauptete Festpreisvereinbarung mit dem Zeugen F… geeignet, einen wichtigen Grund an sich darzustellen. Die Beklagte habe aber nicht beweisen können, dass der Kläger eine solche Festpreisvereinbarung getroffen habe. Die Aussage des Zeugen F… habe die Kammer nicht von der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten überzeugt. Der Zeuge habe, anders als es die Telefonnotiz der Funkerin H… vom 25.12.2010 ausweise, ausgesagt, er habe über einen befreundeten Taxifahrer noch am Abend des 23.12.2010 festgestellt, dass der vom Kläger kassierte Fahrpreis völlig überhöht gewesen sei. Auf Vorhalt des Gerichts, dass er laut Telefonnotiz im Rahmen der Rückfahrt mit dem Taxi auf den zu hohen Fahrpreis aufmerksam geworden sei, habe der Zeuge F… erklärt, dass dies Silvester auf der Fahrt nach I… zu seiner Großmutter gewesen sei. Auch diese Erklärung ist nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht mit der Telefonnotiz der Beklagten in Übereinstimmung zu bringen. Denn diese stamme vom 25.12.2010. Zudem habe der Zeuge ausgesagt, er sei noch nie mit dem Unternehmen der Beklagten gefahren. Laut der Notiz der Funkerin Frau H… fahre der Zeuge jedoch häufig mit der Beklagten. Auffällig sei zudem, dass die von der Beklagten konkret angegebene Zusammensetzung des vom Zeugen F… gezahlten Betrags – zwei 50-EUR-Scheine – nicht mit der vom Zeugen F… genannten Stückelung des gezahlten Betrags – ein 50-EUR-Schein und zwei 20-EUR-Scheine – übereinstimme. Nicht nachvollziehbar sei zudem, dass der Zeuge, der nach seiner Aussage regelmäßig mit dem Taxi aus der Diskothek nach Hause fahre und den Fahrpreis für diese Fahrt kenne, obwohl er nach seiner Aussage keinen Alkohol am 23.12.2010 getrunken hat, den vom Kläger angeblich genannten Fahrpreis ohne Nachfrage akzeptiert habe. Von einem regelmäßigen Taxifahrer wäre zumindest eine Nachfrage zu erwarten gewesen. Die außerordentliche fristlose Kündigung sei auch nicht als sog. Verdachtskündigung gerechtfertigt. Verdachtsmomente bestünden allein in der Beschwerde des Zeugen F… sowie in der von der Beklagten behaupteten Manipulation des Sitzkontakts. Für eine Manipulation des Klägers fehlten Anhaltspunkte. Auch die Beschwerde des Zeugen F… sei nicht geeignet, einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung zu veranlassen. Es stehe Aussage gegen Aussage.

Gegen das ihr am 14.05.2011 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 07.06.2011 Berufung eingelegt und diese am 12.07.2011 begründet.

Die Beklagte hält den Zeugen F… für glaubwürdig und meint, das Arbeitsgericht hätte die Zeugin H… hören müssen. Die Zeugin habe den Zeugen F… mit einem anderen Kunden verwechselt, als sie in der Telefonnotiz vermerkt habe, der Zeuge sei schon häufig mit der Beklagten gefahren. Der Zeuge F… habe nicht gesagt, er sei regelmäßiger Kunde der Beklagten. Die Notiz habe die Zeugin nicht unmittelbar nach dem Telefonat, sondern erst später gefertigt. Zu Unrecht sehe das Arbeitsgericht einen Widerspruch in der Telefonnotiz und der Aussage des Zeugen F…, wonach er erst zu Silvester auf einer Fahrt nach I… auf den überhöhten Fahrpreis aufmerksam geworden sein will. Die Beklagte beruft sich für ihre Behauptung, der Zeuge F… habe sich am 25. und nicht am 27.12.2010 beschwert, auf das Zeugnis der Frau H…. Am 27.12.2010 habe die Zeugin frei gehabt.

Die Beklagte behauptet, der Zeuge F… habe in dem am 29.12.2010 mit Herrn Sch… geführten Telefonat angegeben, er habe den Fahrpreis mit zwei 50-EUR-Scheinen bezahlt. Soweit der Zeuge in der Vernehmung eine andere Stückelung genannt habe, beruhe das offensichtlich auf seinem konkreten mangelnden Erinnerungsvermögen. Fest stehe aber, dass der Zeuge 90,00 EUR und damit einen überhöhten Fahrpreis gezahlt habe, in welcher Stückelung auch immer. Das Arbeitsgericht sei dem Zeugen gegenüber voreingenommen gewesen, wenn es ausführe, der Zeuge habe aufgrund regelmäßiger Taxifahrten Kenntnis von der Fahrpreishöhe haben und den Kläger auf den Fahrpreis ansprechen müssen. Es sei nicht um Fahrten von I… aus gegangen, sondern um solche von H… aus. Offensichtlich folge das Arbeitsgericht der Schutzbehauptung des Klägers, der Zeuge sei angetrunken und verärgert gewesen. Die Behauptungen des Klägers seien durch die Aussage des Zeugen F… widerlegt.

Die Beklagte hat beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Elmshorn – Az.: 1 Ca 88 d/11 – vom 31.03.2011 die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Das Arbeitsgericht habe die Zeugin H… nicht hören müssen. Ein entsprechendes Beweisangebot habe gefehlt. Deshalb habe das Gericht auf die Telefonnotiz abstellen dürfen. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts sie nicht zu beanstanden. Angesichts der offensichtlichen Widersprüche in die der Zeuge F… sich bei seiner Aussage verwickelt habe, sei das Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der von der Beklagten behauptete Sachverhalt nicht wahr sei. Berechtigterweise sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Zeuge regelmäßig Taxi fahre und den Kläger deshalb auf den Fahrpreis hätte ansprechen können. Fest stehe auch, dass die Aussage des Zeugen erheblich von dem abweiche, was er der Zeugin H… telefonisch mitgeteilt habe. Das gelte u. a. für seine Angaben zur Stückelung des Fahrpreises.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 lit. c ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29.12.2010 nicht aufgelöst worden ist.

I.

Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 29.12.2010 ist unwirksam. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.

1.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Im Rahmen der Prüfung einer außerordentlichen Kündigung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zunächst zu prüfen, ob ein arbeitsvertraglicher Pflichtverstoß bzw. der Kündigungssachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung abzugeben. Liegt ein solcher Pflichtverstoß oder Kündigungssachverhalt vor, ist in einem zweiten Schritt zu klären, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (BAG 07.07.2005 – 2 AZR 581/04 –; 27.04.2006 – 2 AZR 386/05 –; 26.03.2009 – 2 AZR 953/07 –).

2.

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 29.12.2009 als unwirksam. Die Beklagte kann die außerordentliche Kündigung nicht darauf stützen, dass der Kläger mit dem Zeugen F… am 23.12.2010 ohne Abstimmung mit der Beklagten eine Festpreisabrede getroffen hat, die er später nicht offen gelegt hat. Ihr ist es bereits nicht gelungen, die Berufungskammer davon zu überzeugen, dass eine solche Abrede getroffen worden ist.

a) Der von der Beklagten vorgetragene Sachverhalt ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund abzugeben. Die pflichtwidrige Festpreisvereinbarung reicht allerdings nicht aus. Erst die durchgeführte und der Beklagten gegenüber nicht offen gelegte Vereinbarung eines überhöhten Festpreises, verbunden mit der Weiterleitung nur eines Teils des vereinnahmten Fahrpreises an die Beklagte und Unterschlagung des restlichen Betrags (hier: 90,00 EUR ./. 40,60 EUR = 49,40 EUR), ist geeignet, einen wichtigen Grund zur Kündigung darzustellen.

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b) Die Berufungskammer ist wie das Arbeitsgericht nicht mit der nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass sich der Kündigungssachverhalt, so wie von der Beklagten behauptet, zugetragen hat.

aa) Das Arbeitsgericht hat den Zeugen F… für nicht glaubwürdig gehalten und dies auf den Seiten 6 und 7 seines Urteils eingehend begründet. Es hat darauf hingewiesen, dass der Zeuge F… entgegen der Telefonnotiz der Funkerin H… vom 25.12.2010 ausgesagt hat, er habe über einen befreundeten Taxifahrer noch am Abend des 23.12.2010 festgestellt, dass der vom Kläger kassierte Fahrpreis völlig überhöht gewesen sei. Auf Vorhalt des Gerichts, dass er laut Telefonnotiz im Rahmen der Rückfahrt mit dem Taxi auf den zu hohen Fahrpreis aufmerksam geworden sei, habe der Zeuge jedoch erklärt, dass dies Silvester auf der Fahrt nach I… zu seiner Großmutter gewesen sei. Diese Erklärung sei mit der Telefonnotiz der Beklagten nicht in Übereinstimmung zu bringen, da diese bereits am 25.12.2010 gefertigt worden sei. Seine (negative) Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen hat das Arbeitsgericht weiter darauf gestützt, dass die von der Beklagten angegebene Zusammensetzung des vom Zeugen F… gezahlten Fahrpreises (zwei 50,00 EUR-Scheine) nicht mit der vom Zeugen in seiner Vernehmung genannten Stückelung (ein 50,00 EUR-Schein und zwei 20,00 EUR-Scheine) übereingestimmt habe. Das Arbeitsgericht konnte schließlich nicht nachvollziehen, dass der Zeuge F… als regelmäßiger Taxifahrer den vom Kläger (angeblich) genannten Fahrpreis ohne Nachfrage akzeptiert haben will.

bb) Die Berufung macht ohne Erfolg geltend, das Arbeitsgericht habe die Aussage des Zeugen F… nicht richtig gewürdigt und darüber hinaus den Sachverhalt trotz des weiteren Beweisangebots (Zeugnis Frau H…) nicht weiter aufgeklärt. Es bestand kein Anlass, den Zeugen F… nochmals zu hören oder die Zeugin H… zu vernehmen.

(1) Nach § 529 ZPO, der gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren gilt, ist das Berufungsgericht grundsätzlich nicht mehr voll-umfänglich zweite Tatsacheninstanz. Vielmehr ist hinsichtlich der erstinstanzlich, auch aufgrund einer Beweiserhebung, getroffenen Feststellung die Überprüfung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich darauf beschränkt, ob konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts ist nur insoweit überprüfbar, als mit der Berufung schlüssig konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt werden, die Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellung begründen, die also solche Zweifel an den erhobenen Beweisen aufdrängen, dass sie eine erneute Beweisaufnahme gebieten.

Im vorliegenden Fall sind keine Fehler des Arbeitsgerichts bei der erfolgten Beweiswürdigung erkennbar. Das Arbeitsgericht durfte den Zeugen F… für unglaubwürdig halten. Das Berufungsgericht musste den Zeugen nicht noch einmal hören. Es steht im Ermessen des Berufungsgerichts, eine Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen zu wiederholen. Das Landesarbeitsgericht ist hierzu gemäß §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 398 Abs. 1 ZPO nur dann verpflichtet, wenn sein Ermessen aufgrund konkreter Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Arbeitsgerichts auf null reduziert ist. Grundsätzlich hat das Landesarbeitsgericht auf die vom Arbeitsgericht erstellte Vernehmungsniederschrift abzustellen. Ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Beweisaufnahme oder Beweiswürdigung, bedarf es keiner erneuten Zeugenvernehmung. Allein die bloße Rüge, das Berufungsgericht möge die Aussage des Zeugen anders verstehen oder deren Glaubwürdigkeit anders beurteilen, rechtfertigt regelmäßig keine Wiederholung der Beweisaufnahme. Dazu bedarf es gewisser Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall fehlen.

(2) Entgegen der Ansicht der Beklagten hat das Arbeitsgericht zu Recht auf einen Widerspruch in der Telefonnotiz der Zeugin H… vom 25.12.2010 und der Aussage des Zeugen F…, wonach er erst zu Silvester auf einer Fahrt nach I… auf den überhöhten Fahrpreis für die Strecke aufmerksam geworden sein will, verwiesen. Denn nach eigenem Bekunden hat der Zeuge am 27.12.2010 bei der Beklagten angerufen. Auf den Vorhalt des Gerichts, dass er bei seiner Beschwerde angegeben habe, dass er auf einer Fahrt mit einem H… Taxi einen erheblichen Preisunterschied festgestellt habe, hat der Zeuge geantwortet, dass das Silvester gewesen sei. Am 27.12.2010 kann der Zeuge aber nicht über einen Preisunterschied berichtet haben, den er erst vier Tage später festgestellt haben will. Dabei wird nicht übersehen, dass der Zeuge F… auch ausgesagt hat, er habe noch am Abend der Taxifahrt, also am 23.12.2010, einen Taxifahrer aus A… getroffen und diesen gefragt, was die Fahrt von A… nach H… kostet. Umso unverständlicher ist die weitere Aussage des Zeugen zu dem (erst) Silvester, also nach Anbringung der Beschwerde, in Erfahrung gebrachten Preisunterschied.

Wenn die Beklagte im zweiten Rechtszug behauptet, der Zeuge F… habe in dem am 29.12.2010 mit Herrn Sch… geführten Telefonat gesagt, er habe den Fahrpreis mit zwei 50,00 €-Scheinen bezahlt, spricht das eher gegen als für die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Denn der Zeuge hat in seiner Vernehmung eine andere Stückelung angegeben. Die Beklagte versucht die unterschiedlichen Versionen mit einem „offen-sichtlichen konkreten Mangel an Erinnerungsvermögen“ des Zeugen zu begründen. Das aber stützt sogar die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Arbeitsgerichts. Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen spricht nämlich gerade, dass er der Beklagten gegenüber eine andere Version zur Stückelung des Fahrpreises vorgetragen hat, als in seiner Aussage vor dem Arbeitsgericht. Deshalb steht auch nicht fest, dass der Zeuge tatsächlich 90,00 EUR und damit einen überhöhten Fahrpreis gezahlt hat.

Eine Voreingenommenheit des Arbeitsgerichts dem Zeugen gegenüber kann nicht festgestellt werden. Es überzeugt durchaus, wenn das Arbeitsgericht ausführt, der Zeuge habe aufgrund regelmäßiger Taxifahrten Kenntnis von der Fahrpreishöhe haben und den Kläger auf den Fahrpreis ansprechen müssen. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es auch nicht darauf an, ob der Zeuge F… die Fahrten von einer Diskothek in H… oder in I… aus angetreten hat. Maßgeblich ist allein, dass das Arbeitsgericht zu Recht von einem erfahrenen Taxifahrer ausgegangen ist. Denn der Zeuge hat bekundet, ein bis zweimal im Monat von der Diskothek A 23 mit dem Taxi nach Hause zu fahren. Diese Aussage hat das Arbeitsgericht zu dem nachvollziehbaren Schluss veranlasst, dass es nahe gelegen hätte, dass der Zeuge den ihm angeblich vom Kläger genannten Fahrpreis hinterfragt.

(3) Für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen F… spielt es keine Rolle, ob er seine Beschwerde am 25.12.2010 (so die Beklagte unter Berufung auf das Zeugnis der Frau H…) oder erst am 27.12.2010 (so der Kläger in seiner Aussage vor dem Arbeitsgericht) vorgebracht hat. Auf die Diskrepanz hat das Arbeitsgericht bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen F… nicht abgestellt. Einer Vernehmung der Zeugin H… durch das Berufungsgericht bedurfte es deshalb nicht. Wenn die Zeugin H… die Behauptung der Beklagten bestätigt hätte, dass der Zeuge F… sich am 25. und nicht am 27.12.2010 beschwert hat, hätte ein solches Beweisergebnis im Übrigen nicht für, sondern eher gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen gesprochen. An einer negativen Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen ändert es auch nichts, wenn die Zeugin H…, wie von der Beklagten im zweiten Rechtszug erstmals behauptet, den Zeugen F… mit einem anderen Kunden verwechselt hat, als sie in der Telefonnotiz vermerkt hat, der Zeuge sei schon häufig mit der Beklagten gefahren.

Die Vielzahl der Indizien, die gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen F… sprechen, tragen die Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Arbeitsgerichts.

3.

Die außerordentliche fristlose Kündigung ist auch nicht als sogenannte Verdachtskündigung gerechtfertigt. Zwar kann auch der Verdacht, der Arbeitnehmer könne eine strafbare Handlung oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen haben, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung bilden. Der Verdacht muss sich aber auf objektive Tatsachen gründen, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Der Verdacht muss darüber hinaus dringend sein, das heißt, es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der gekündigte Arbeitnehmer die Straftat oder die Pflichtverletzung begangen hat. Zudem muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben (BAG 25.11.2010 – 2 AZR 801/09). Im vorliegenden Fall ergeben sich allenfalls aus der Beschwerde des Zeugen F… Verdachtsmomente. Denn die Beklagte erhebt im zweiten Rechtszug ausdrücklich nicht (mehr) den Vorwurf, der Kläger habe das Taxameter durch Manipulation des Sitzkontaktes verändert. Zutreffend hat das Arbeitsgericht im Übrigen festgestellt, dass Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Sitzkontakte manipuliert hat und eine Manipulation bereits am 23.12.2010 vorlag, fehlen. Mit der Begründung des Arbeitsgerichts, dass auch die Beschwerde des Zeugen F… nicht geeignet war, einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung zu veranlassen, hat sich die Beklagte in der Berufung nicht auseinandergesetzt. Zur Begründung kann deshalb auf die unwidersprochen gebliebenen Ausführungen auf Seite 8 f. des angegriffenen Urteils verwiesen werden.

II.

Die Kündigung ist nicht als ordentliche sozial gerechtfertigt i.S.v. § 1 KSchG. Es liegt kein (verhaltensbedingter) Kündigungsgrund vor, wie unter I. ausgeführt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Für die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht bestand nach § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung. Es handelt sich um eine ausschließlich am Einzelfall orientierte Entscheidung, die sich im Rahmen der höchstrichterlich aufgestellten Grundsätze zu § 626 Abs. 1 BGB und § 529 ZPO hält.

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