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Verdachtskündigung – Aufklärung des Kündigungssachverhalts

Landesarbeitsgericht Köln

Az: 3 Sa 662/09

Urteil vom 07.10.20


1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 08.04.2009 – 10 Ca 5850/08 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung.

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 08.07.2008 und 11.07.2008 nicht aufgelöst worden ist. Darüber hinaus hat es die Beklagte verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Kassiererin weiter zu beschäftigen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils (Bl. 137 ff. d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 27.04.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 26.05.2009 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 27.07.2009 begründet. Die Beklagte hält die ausgesprochenen Kündigungen weiterhin für rechtswirksam. Sie trägt weiter vor, dass jegliche Barauszahlung des Wertes eines „Geschenk-Gutscheins“ unzulässig gewesen sei. Selbst ausnahmsweise durchgeführte Teilrückzahlungen hätten in jedem Fall zwingend der vorherigen Einwilligung der Kassen- bzw. Verkaufsleitung bedurft. Außerdem hätte selbstverständlich die Gutschrift immer nur bei dem Kaufvorgang vorgenommen werden dürfen, bei dem der Gutschein von dem jeweiligen Kunden vorgelegt worden sei. Dementsprechend sei es keineswegs üblich, dass Mitarbeiter solche Gutscheine während des Tages unter der Kassentastatur sammelten, wie dies die Klägerin unstreitig getan habe. In Anbetracht des allenfalls normalen Kundenaufkommens habe für eine solche Vorgehensweise auch keine Veranlassung bestanden.

Die Beklagte bestreitet, dass die streitgegenständlichen Gutscheine anlässlich von Kaufverträgen mit den Kunden K und P hereingegeben worden seien und hält sämtliche diesbezüglichen Einlassungen der Klägerin für reine Schutzbehauptungen, deren Wahrheitsgehalt die Beklagte nicht habe nachzugehen brauchen. Es sei ausgeschlossen, dass diese Kunden Ware im Gegenwert von mindestens 500 – gekauft hätten, denn an diesem Tag seien an der Kasse der Klägerin keine Verkäufe mit Personalrabatt getätigt worden. Letzteres sei aber bei Verkäufen an Familienmitglieder oder Bekannte üblich. Hinzu komme, dass alle fraglichen Gutscheine nicht von den Kunden unterschrieben gewesen seien. Eine Befragung der Kunden K und P hätte daher den gegen die Klägerin bestehenden Verdacht nur noch weiter verstärkt. Schließlich sei auch der Betriebsrat mit Schreiben vom 03.07.2008 ordnungsgemäß angehört worden. Insgesamt beruhten die Kündigungen auf dem Verdacht, dass die Klägerin unberechtigterweise Bargeld aus der Kasse entnommen habe.

Die Beklagte beantragt,

das am 08.04.2009 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln – 10 Ca 5850/08 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin tritt der erstinstanzlichen Entscheidung bei und hält die streitgegenständlichen Kündigungen für rechtsunwirksam. Sie ist der Auffassung, die gegen sie erhobenen Vorwürfe seien unzutreffend und konstruiert. Überdies fehle es an notwendigen Aufklärungsbemühungen der Beklagten und die Betriebsratsanhörung sei unvollständig und falsch. Sie bestreitet, dass Barauszahlungen von Gutscheinen nicht erlaubt gewesen seien. Solche hätten vielmehr auch ohne Einwilligung der Kassenleitung stattgefunden und nachträgliche Verbuchungen seien auch bei anderen Kaufverträgen erfolgt. Insgesamt habe die Klägerin sich also nicht ungewöhnlich verhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Die erkennende Kammer nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Begründung des angefochtenen Urteils Bezug und macht sich diese zu Eigen.

1. Beide Kündigungen vom 08. und 11.07.2008 sind rechtsunwirksam und haben das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht aufgelöst. Sie erfüllen weder die an die Wirksamkeit einer Verdachtskündigungen zu stellenden Anforderungen noch hat die Beklagte den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört.

a) Zutreffend hat das Arbeitsgericht die Prüfung der Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen bzw. einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung aufgezeigt, wie sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vorzunehmen ist. Darüber hinaus hat das erstinstanzliche Gericht weiter die nach der ständigen, gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung an eine Verdachtskündigung zu stellenden Anforderungen dargestellt. Danach ist eine Verdachtskündigung nur dann möglich, wenn starke Verdachtsmomente vorliegen, die sich auf objektive Tatsachen gründen, diese Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat (vgl. zuletzt BAG 23.06.2009 – 2 AZR 474/07 – NZA 2009, 1136 sowie die weiteren, in der erstinstanzlichen Entscheidung angeführten Rechtsprechungsnachweise aus der jüngeren Rechtsprechung des BAG). Diese Anforderungen gelten für die außerordentliche wie auch für die ordentliche Kündigung gleichermaßen (BAG 27.11.2008 – 2 AZR 98/07 – NZA 2008, 604).

Ebenfalls vollkommen zu Recht hat das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil die strengen Anforderungen herausgestellt, die wegen der Unschuldsvermutung an die Verdachtskündigung zu stellen sind.

b) Ausgehend von diesen strengen Anforderungen hat die Beklagte den Kündigungssachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt.

Der Kündigungsvorwurf der Beklagten gegenüber der Klägerin gründet sich auf den Verdacht, die Klägerin habe entweder in kollusivem Zusammenwirken mit den Kunden K und P oder ohne deren Wissen Einkaufsgutscheine, die diese Kunden im Rahmen eines Gewinnspiels unstreitig rechtmäßig erworben hatten dergestalt zu ihren persönlichen Gunsten eingelöst, dass sie diese mit anderweitigen Verkäufen verrechnet habe, ohne dass diese fremden Kunden hiervon Kenntnis gehabt hätten. Die Klägerin hat sich dazu dahingehend eingelassen, dass die Kunden K und P am 26. und 28.06.2008 tatsächlich Waren bei der Beklagten eingekauft hätten und sie lediglich die förmliche, kassenmäßige Verrechnung der Gutscheine mit anderen Kaufvorgängen vorgenommen habe. Letzteres wäre aber allenfalls ein abmahnungswürdiges Fehlverhalten der Klägerin, sofern die von ihr bestrittene Behauptung der Beklagten hinsichtlich der Verfahrensweise bei Gutscheineinlösungen zutreffend wäre. Damit kommt es für die rechtliche Erheblichkeit des Kündigungsvorwurfs entscheidend darauf an, ob die Behauptung der Klägerin zu den Einkäufen der oben genannten Kunden zutrifft.

Diesen Umstand hätte die Beklagte ohne Mühe durch eine Rückfrage bei den Kunden K und P aufklären können, deren Anschrift und Telefonnummer auf den Gutscheinen angegeben waren. Warum die Beklagte hier anders als bei den Kunden, mit deren Einkaufen die Klägerin die Gutscheine verrechnet hatte und deren Kontaktdaten noch ermittelt werden mussten, eine Nachfrage unterlassen hat, ist nicht nachvollziehbar. Die Einlassung der Beklagten, derartige Nachfragen hätten allenfalls den Verdacht gegenüber der Kläger weiter erhärten können, überzeugt jedenfalls nicht. Allein die objektive Möglichkeit der weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte eine Nachfrage zwingend erforderlich gemacht. Das gilt umso mehr, als darüber hinaus die Möglichkeit einer Entlastung der Klägerin jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen war und die Nachfrage für die Beklagte keinen weiteren unverhältnismäßigen Aufwand bedeutete.

Schließlich kann sich die Beklagte zu ihrer Entlastung auch nicht darauf berufen, entweder die Klägerin oder die vorgenannten Kunden hätten ihrerseits für eine entsprechende Klarstellung sorgen müssen und ihr Schweigen sei offensichtlich beredt. Eine solche Argumentation stellt die Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess auf den Kopf. Nicht die Klägerin muss sich entlasten, sondern es ist Aufgabe der Beklagten, der Klägerin ein entsprechendes Fehlverhalten nachzuweisen. Das gilt erst recht und insbesondere für die Verdachtskündigung, zu deren vom Arbeitgeber zu erfüllenden Voraussetzungen gerade die erforderliche Sachverhaltsaufklärung gehört.

Diese von der Beklagten vor Ausspruch der Kündigung unterlassenen notwendigen Aufklärungsmaßnahmen können nicht im Laufe des Kündigungsschutzverfahrens nachgeholt werden. Denn nach ihrem Sinn und Zweck dienen sie dazu, die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers maßgeblich zu beeinflussen. Sind sie vor Ausspruch der Kündigung unterblieben, hat dies zwangsläufig die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge.

c) Die Unwirksamkeit der Kündigung folgt auch aus § 102 Abs. 1 BetrVG.

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG muss der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Kündigung anhören. Geschieht dies nicht, ist die Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Letzteres gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch dann, wenn die Anhörung unvollständig oder anderweitig fehlerhaft ist (BAG 05.04.2001 – 2 AZR 580/99 – NZA 2001, 893; BAG 27.09.2001 – 2 AZR 236/00 – NZA 2002, 750).

Die von der Beklagten vorgenommene Betriebsratsanhörung ist fehlerhaft. Ausweislich der schriftlichen Anhörung vom 03.07.2008 hat die Beklagte dem Betriebsrat mitgeteilt, sie beabsichtige das Arbeitsverhältnis der Klägerin wegen „des dringenden Verdachts des Diebstahls von Bargeld“ zu kündigen. In der näheren Begründung heißt es unter anderem, die Klägerin habe „durch Vortäuschung einer Gutscheineinreichung nicht nur geltende Arbeitsvorschriften unterlaufen, sondern hierdurch den Diebstahl von 100 – durchgeführt“.

Diese Darstellung ist aber bereits nach dem unstreitigen Sachverhalt unzutreffend. Denn unstreitig hat die Klägerin nicht eine Gutscheineinreichung vorgetäuscht, sondern tatsächlich Gutscheine von Kunden eingelöst. Außerdem hat die Klägerin auch keinesfalls einen Diebstahl von Bargeld begangen, sondern das ihr vorgeworfene Verhalten kann allenfalls als Betrug im Rechtssinne angesehen werden. In gleicher Weise unzutreffend ist die zusammenfassende Darstellung der Beklagten im „Fazit“ ihrer Betriebsratsanhörung. Dort heißt es, durch die Manipulation der Kassenbelege sei der unzutreffende Eindruck entstanden, 400 – der Kundenbareinzahlungen seien als Gutschrift eingereicht worden. Entgegen der Darstellung der Beklagten hat die Klägerin aber tatsächlich werthaltige Gutscheine im Wert von 400 bzw. 500 – der Kasse zugeführt. Diese Gutscheine stammten lediglich von anderen Kunden als denjenigen, die die Klägerin diesen zugeordnet hatte. Insgesamt erhält der Kündigungsvorwurf damit jedoch ein gänzlich anderes Gewicht.

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2. Aus der Unwirksamkeit der Kündigung folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch die Verpflichtung der Beklagten, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen. Auch insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen werden.

III. Da die Beklagte das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, muss sie nach § 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung tragen.

Die Revision war nicht nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere ging es nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, da die entscheidungserheblichen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind und im Übrigen die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.

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