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Verdachtskündigung – strafbare Privatgeschäfte der Mitarbeiter

Bundesarbeitsgericht

Az: 2 AZR 631/02

Urteil vom 06.11.2003


Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 6. November 2003 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 20. November 2001 – 6 Sa 723/00 – aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Verdachtskündigung.

Die Beklagte fertigt elektronische Bauteile. Ihr wichtigster Auftraggeber ist die Firma Nokia, die ua. Handys herstellt. Der am 15. Oktober 1963 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 29. Oktober 1982 bei der Beklagten als Schichtleiter (Supervisor) tätig. Er hat aus Immobilienkäufen Bankschulden iHv. 1,2 Mio. DM.

Am 3. November 1999 erschien die Kriminalpolizei im Betrieb der Beklagten, um mit dem Mitarbeiter A. zu sprechen. Die Beklagte erhielt von der Polizei zunächst keine weiteren Informationen. Am 5. November 1999 erfuhr die Personalleiterin der Beklagten von einem Security-Mitarbeiter, nach Informationen der Polizei werde gegen die Mitarbeiter A., S. und den Kläger wegen des Verkaufs gestohlener Handys ermittelt. An diesem Tag fehlte der Kläger, weil er im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen für einen Tag in Untersuchungshaft genommen worden war. Der Haftbefehl wurde sodann unter Auflagen außer Vollzug gesetzt.

Am 10. November 1999 hörte die Personalleiterin der Beklagten den Mitarbeiter S. zu einer möglichen Verdachtskündigung an. Dieser teilte ihr ua. mit, der Kläger habe ihn Ende April 1999 während einer Pause angesprochen und ihm aktuelle Handys preiswert angeboten. Der Kläger habe erklärt, er habe einige tausend Handys an der Hand, von denen er schon mal einige hundert für das von S. betriebene Geschäft abzweigen könne. Einen Preis habe er noch nicht angegeben. Am nächsten Tag habe ihn der Kläger wieder angesprochen, einen Preis von ca. 250,00 DM pro Stück genannt und erklärt, er habe die Handys in seinem auf dem Firmenparkplatz abgestellten Kraftfahrzeug. Im Kofferraum des klägerischen Autos hätten sich ca. 60 original verpackte Nokia-Handys der Typnummern 6110 bzw. 3210 mit einem Marktwert von damals 460,00 bis 490,00 DM bzw. ca. 430,00 DM befunden. Er, S., habe erklärt, er habe das Geld nicht. Der Kläger habe erwidert, er könne die Ware schon mitnehmen und solle bezahlen, wenn sie verkauft sei. Zwei Tage später habe der Kläger ihn zu Hause angerufen und mitgeteilt, er habe weitere Handys im Auto, die abgeholt werden könnten. Der Kläger habe ihm auf dem Firmenparkplatz weitere 40 Nokia-Handys aus dem Auto übergeben. Auf die Frage nach einer Rechnung habe der Kläger ihm erklärt, es würde noch dauern, er bekomme sie schon. Er, S., habe später noch mehrfach nachgefragt, aber entweder eine ausweichende oder gar keine Antwort erhalten. Er habe die gesamte Ware teils mit, teils ohne Rechnung verkauft, ua. in seinem Geschäft 10 Handys für 3.000,00 DM ohne Rechnung an Herrn A., der auch schon früher vom Kläger Handys gekauft habe. Herr A. habe mindestens drei Handys an Mitarbeiter seiner Schicht verkauft.

Der Firmenparkplatz ist Teil des umfriedeten Firmengeländes der Beklagten, das gegen unbefugtes Betreten durch Schranken und Sicherheitskontrollen geschützt ist.

Nach ihrem Gespräch mit Herrn S. eröffnete die Personalleiterin am 10. November 1999 dem Kläger, es werde eine Kündigung erwogen wegen des Verdachts, gestohlene Handys an Arbeitskollegen verkauft zu haben. Er erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger erklärte daraufhin, er habe schon bei seiner Vernehmung durch die Polizei nichts gesagt und werde sich auch hier zu solchen Vorwürfen nicht äußern. Er habe mit dieser Angelegenheit nichts zu tun. Es sei alles eine Verschwörung gegen ihn. Die Frage, ob er wisse, wer gegen ihn intrigiere, verneinte er.

Mit Schreiben vom 12. November 1999 hörte die Beklagte den Betriebsrat an zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers wegen des Verdachts der Hehlerei im Betrieb. Nach Zustimmung des Betriebsrats sprach die Beklagte mit Schreiben vom 16. November 1999, dem Kläger am selben Tag zugegangen, eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2000 aus.

Am 25. Juli 2001 erhob die Staatsanwaltschaft München Anklage gegen den Kläger, Herrn S. und Herrn A. wegen gemeinsamer gewerbsmäßiger Hehlerei.

Nachdem die Beklagte Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft erhalten hatte, hörte sie am 3. August 2001 den Betriebsrat ergänzend zu den aus ihrer Sicht neuen Verdachtsmomenten an. Sie meint, die sich aus der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft ergebenden weiteren Verdachtspunkte, insbesondere der Verdacht der Mittäterschaft des Bruders des Klägers bei Diebstählen von Handys in einer Spedition und die Tatsache, dass Herr A. ein gestohlenes Handy aus diesem Diebstahl verkauft und weiteren Arbeitnehmern Nokia-Handys angeboten habe, seien als vor Ausspruch der Kündigung liegende Umstände noch zu berücksichtigen.

Am 12. Dezember 2001 wurden die Mitarbeiter A. und S. nach Einräumung der Vorwürfe rechtskräftig vom Amtsgericht München verurteilt. Der Kläger wurde durch nicht rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts München vom 20. Dezember 2001 wegen Hehlerei in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Eine hierauf gestützte Tatkündigung der Beklagten vom 21. Dezember 2001 hat der Kläger mit einer weiteren Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht München angegriffen.

Mit der vorliegenden Kündigungsschutzklage hat sich der Kläger gegen die Kündigung vom 16. November 1999 gewandt.

Er hat vorgetragen: Die Kündigung sei nicht gerechtfertigt. Der Verdacht einer Beteiligung an Straftaten mit Bezug zum Arbeitsverhältnis beruhe weder auf objektiven Tatsachen noch seien die von der Beklagten genannten Verdachtsmomente gravierend.

Der Verdacht gründe sich allein auf die Aussage des Mitarbeiters S. Die Verdachtsaspekte müssten bereits zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung dem Arbeitgeber bekannt gewesen sein. Er bestreite die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats zu den ausgesprochenen Kündigungen.

Der Kläger hat beantragt,

1.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 16. November 1999, zugegangen am gleichen Tag, nicht aufgelöst worden ist.

2.

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 16. November1999, zugegangen am gleichen Tag, nicht zum 30. Juni 2000 beendet wird.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen: Die Kündigung sei aus wichtigem Grund gerechtfertigt. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sich der Kläger in ihrem Betrieb mit dem Mitarbeiter S. zu einer Hehlerei verabredet und diese mit Übergabe der Ware auch ausgeführt habe. Dies ergebe sich aus den Angaben des Mitarbeiters S. sowie aus den polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen und der angeordneten Untersuchungshaft des Klägers. Der Klägerhabe auf Grund seiner Verschuldung ein entsprechendes Motiv. Er habe die Handys beschafft und in größeren Chargen dem Mitarbeiter S. übergeben. Mit der Übergabe der gestohlenen Handys auf ihrem Parkplatz habe der Kläger das geschützte Betriebsgelände zur ungestörten Übergabe der Hehlerware missbraucht. Er habe auch den Mitarbeiter S. im Betrieb zur Hehlerei angestiftet und die Widerstände des Kollegen durch die Einräumung eines Kredits überwunden. Damit habe er nicht nur ihre Baulichkeiten und Einrichtungen zur ungestörten Begehung von Straftaten benutzt, sondern auch das Vermögen des Arbeitskollegen geschädigt. Durch sein Verhalten sei ihr Vertrauen in die Redlichkeit des Klägers zerstört. Dies gelte umso mehr, als der Kläger als Schichtleiter Vorgesetztenfunktion habe. Zumindest die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei aus den dargelegten Gründen sozial gerechtfertigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat das Bundesarbeitsgericht mit Beschluss vom 10. Oktober 2002 (- 8 AZN 211/02 -) die Revision für die Beklagte zugelassen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO aF).

A.

Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der schwer wiegende, dringende Verdacht einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung könne eine Kündigung rechtfertigen, wenn er das Vertrauen des Arbeitgebers in die Rechtschaffenheit des Arbeitnehmers zerstöre oder auf andere Weise eine unerträgliche Belastung des Arbeitsverhältnisses darstelle. Der gegen den Kläger gerichtete Verdacht eines Diebstahls, einer Unterschlagung oder einer Hehlerei müsse objektiv durch Tatsachen begründet sein. Objektive Tatsachen hätten zum Zeitpunkt der Kündigung jedoch nicht ausreichend vorgelegen. Die Belastung durch einen Arbeitskollegen und die laufenden Ermittlungen reichten nicht aus, zumal der Kläger bei der Beklagten eine Vertrauensposition innegehabt habe und nach einem Tag wieder aus der Untersuchungshaft entlassen worden sei. Zu Gunsten des Klägers greife die Unschuldsvermutung. Die von der Beklagten „nachgeschobenen“ Tatsachen, womit dem Verdacht das nötige Gewicht verschaffen werden sollte, könnten die streitbefangene Kündigung nicht mehr stützen. Da der auf objektiven Tatsachen beruhende, sorgfältig ermittelte Tatverdacht der eigentliche Kündigungsgrund sei, komme es nur auf den zum Zeitpunkt der Kündigung auf diese Weise gewonnenen Wissensstand des Arbeitgebers an. Die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung hänge nicht davon ab, ob sich der Tatverdacht während des Prozesses abschwäche oder verstärke. Reiche der Verdacht für eine Kündigung zunächst nicht aus, so sei der Arbeitgeber bei späteren neuen Erkenntnissen darauf zu verweisen, eine erneute Verdachtskündigung auszusprechen.

B.

Dem folgt der Senat nicht.

Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung können die außerordentliche und die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 16. November 1999 nicht als rechtsunwirksam qualifiziert werden. Auf Grund der bisherigen Feststellungen steht jedoch nicht fest, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch eine der beiden Kündigungen rechtswirksam aufgelöst worden ist.

I.

Die Revision der Beklagten ist zulässig. Sie richtet sich gegen ein wirksam erlassenes Urteil.

Es kann dahinstehen, ob ein von allen an der Entscheidungsfindung beteiligten Richtern unterschriebenes bzw. mit einem wirksamen Vertretungsvermerk versehenes Berufungsurteil an die Beklagte zugestellt worden ist. Jedenfalls konnte die Beklagte schon ab Verkündung des Urteils, dh. vor der Zustellung des Berufungsurteils, wirksam Revision einlegen (BAG 6. März 2003 – 2 AZR 596/02 – AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 32 = EzA ZPO 2002 § 520 Nr. 2; BGH 24. Juni 1999 – I ZR 164/97 – NJW 1999, 3269; GK-ArbGG/Ascheid § 74 Rn. 24). Das Berufungsurteil wird mit Verkündung rechtlich wirksam und existent (BGH 26. November 1997 – VIII ZR 322/96 – NJW-RR 1998, 1065 [BGH 26.11.1997 – VIII ZR 322/96]). Dementsprechend hat die am 22. November 2002 eingegangene Revision die ab Zustellung des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts über die Nichtzulassungsbeschwerde am 25. Oktober 2002 laufende einmonatige Revisionseinlegungsfrist gem. § 72a Abs. 5 Satz 7 ArbGG iVm. § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG gewahrt (vgl. BGH 26. November 1997 – VIII ZR 322/96 – NJW-RR 1998, 1065 [BGH 26.11.1997 – VIII ZR 322/96]).

II.

Die Revision der Beklagten ist begründet.

1.

Den Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen kann nicht gefolgt werden.

a)

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

aa)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwer wiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine Verdachtskündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr. Senat, zB 26. September 2002 – 2 AZR 424/01 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; 6. Dezember 2001 – 2 AZR 496/00 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 36 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11).

bb)

Strafbare Handlungen des Arbeitnehmers sind aber nicht schlechthin kündigungsrelevant. Sie müssen vielmehr in irgendeiner Form einen Bezug zum Arbeitsverhältnis haben (BAG 8. Juni 2000 – 2 AZR 638/99 – BAGE 95, 78 mwN).

b)

Bei dem in § 626 Abs. 1 BGB verwandten Begriff des wichtigen Grundes handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen konkrete Anwendung im Revisionsverfahren allein darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat und ob es alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Tatsachen, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei beachtet hat (st. Rspr. des Senats, zB 12. August 1999 – 2 AZR 923/98 – BAGE 92, 184, 190 f.; 13. September 1995 – 2 AZR 587/94 – BAGE 81, 27, 32).

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c)

Die Berufungsentscheidung hält dieser eingeschränkten revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht stand.

Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass die den Verdacht stärkenden oder entkräftenden Tatsachen jedenfalls bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz vorgetragen werden können. Sie sind grundsätzlich zu berücksichtigen, sofern sie – wenn auch unerkannt – bereits vor Zugang der Kündigung vorlagen (BAG 14. September 1994 – 2 AZR 164/94 – BAGE 78, 18; Enderlein RdA 2000, 325, 330). Erst nach der Kündigung entstehende Tatsachen bleiben hingegen grundsätzlich unberücksichtigt. Kündigungsgrund bei der Verdachtskündigung ist die verdachtsbedingte Beeinträchtigung der Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers, wobei sich der Verdacht aus objektiven, im Zeitpunkt der Kündigung vorliegenden (Indiz-)Tatsachen ergeben muss (KR-Fischermeier § 626 BGB Rn. 233).

2.

Da das Landesarbeitsgericht diese Grundsätze verkannt hat, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen, § 565 Abs. 1 ZPO nF.

a)

Ob die festgestellten und von der Beklagten behaupteten Tatsachen – soweit sie nach vorstehenden Grundsätzen zu berücksichtigen sind – ausreichen, den schwer wiegenden Verdacht einer für das Arbeitsverhältnis relevanten strafbaren Handlung des Klägers zu begründen, wird das Landesarbeitsgericht noch näher zu prüfen haben. Dabei wird es einerseits die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz erfolgte Anklageerhebung (Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis Rn. 763) berücksichtigen müssen. Es wird einen hinreichenden Verdacht auch nicht allein deshalb ablehnen können, weil der Kläger bereits nach einem Tag wieder aus der Untersuchungshaft entlassen worden war. Untersuchungshaft darf nach § 112 Abs. 1 StPO nur angeordnet werden, wenn neben dringendem Tatverdacht ein Haftgrund besteht. Aus der Entlassung aus der Untersuchungshaft kann demnach nicht geschlossen werden, dass kein dringender Tatverdacht mehr gegeben war. Andererseits wird das Landesarbeitsgericht auch dem Einwand des Klägers in der Revisionsinstanz nachgehen müssen, er sei nunmehr im Strafverfahren freigesprochen worden.

b)

Das Landesarbeitsgericht wird im Falle des auf Tatsachen begründeten Verdachts einer Hehlerei des Klägers den Bezug zum Arbeitsverhältnis der Parteien nicht verneinen können. Der Kläger soll zur Übergabe der Handys den umfriedeten und besonders geschützten Firmenparkplatz genutzt haben. Er hat so das Integritätsinteresse der Beklagten erheblich beeinträchtigt. Nutzt der Arbeitnehmer betriebliche Gegebenheiten, um Straftaten zu begehen, liegt darin regelmäßig eine beachtliche Nebenpflichtverletzung (MünchArbR/Berkowsky § 137 Rn. 281). Kein Arbeitgeber braucht zu dulden, dass seine Räume für strafbare Privatgeschäfte von Mitarbeitern benutzt werden.

Hinzu kommt, dass die Taten, deren der Kläger verdächtig ist, auch einen konkreten Bezug zum größten Kunden der Beklagten haben, sodass eine nachhaltige Schädigung des Rufs und der Geschäftsbeziehungen der Beklagten zu befürchten war (vgl. BAG 20. August 1997 – 2 AZR 620/96 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 27 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7). Des Weiteren liegt ein Bezug zum Arbeitsverhältnis auch darin, dass der Kläger während der Arbeit und in den Pausen Arbeitskollegen und Untergebenen auf einen Ankauf der Handys angesprochen haben soll.

c)

Sollte das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangen, die außerordentliche Kündigung vom 16. November 1999 sei unwirksam, so hätte es weiter zu prüfen, ob die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom selben Tage ggf. sozial gerechtfertigt wäre.

3.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO aF).

a)

Die Beklagte hat den Kläger zu den Vorwürfen angehört. Da der Kläger erklärt hat, er habe schon bei der Vernehmung durch die Polizei nichts gesagt und wolle auch hier nichts sagen, war die Beklagte nicht verpflichtet, die Vorwürfe weiter zu konkretisieren (vgl. BAG 26. September 2002 – 2 AZR 424/01 – AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 37 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1).

b)

Fehler in der Betriebsratsanhörung, deren Ordnungsgemäßheit der Kläger bestritten hat, sind nicht erkennbar. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat gem. § 561 Abs. 2 ZPO aF bindenden Feststellungen des Berufungsurteils hat die Beklagte den Betriebsrat im Einzelnen über den Kündigungssachverhalt informiert und nach dessen Zustimmung die streitgegenständlichen Kündigungen ausgesprochen. Damit hat die Beklagte die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung schlüssig dargelegt. Substanziierte Einwendungen hat der Kläger nicht erhoben (vgl. BAG 16. März 2000 – 2 AZR 75/99 – AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 114 = EzA BGB § 626 nF Nr. 179; KR-Etzel § 102 BetrVG Rn. 192).

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