Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Az: 8 Sa 9/09
Urteil vom 23.02.2010
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 26.06.2007, Az. 25 Ca 1691/07, wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung sowie die des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung. Wegen des Parteivortrages und der Sachanträge erster Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts vom 26.06.2007 (Bl. 86 ff. der Akte) Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Kündigung sei als Verdachtskündigung wirksam. Es sei hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger die Möglichkeit gehabt habe, sich die in seiner Tasche vorgefundenen Gegenstände (Unterlegscheiben und Arbeitshandschuhe) zu besorgen. Sein Vortrag zu dem Unbekannten, der ihm die Gegenstände angeblich untergeschoben habe, sei nicht konkret genug, als dass die Beklagte einen anderen Geschehensablauf hätte dartun und beweisen können. Nachdem die Torkontrollen ohne Vorankündigung und in unregelmäßigen Abständen, am Tor des Klägers zudem zum ersten Mal überhaupt durchgeführt worden seien, sei es nicht wahrscheinlich, dass ein anderer Mitarbeiter ihm die Gegenstände in die Tasche gesteckt hätte. Es bestehe somit eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger einen Diebstahl zu Lasten der Beklagten begangen habe. Dem Kläger sei ausreichend Gelegenheit gegeben worden, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Die Kündigung verstoße auch nicht gegen den ultima-ratio-Grundsatz. Auch der tarifliche Altersschutz stehe der fristlosen Kündigung nicht entgegen. Auch im Fall eines vergleichbaren ordentlich kündbaren Arbeitnehmers wäre es der Beklagten gestattet gewesen, das Arbeitsverhältnis ohne Kündigungsfrist zu beenden. Die Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Dieser werde zwar im Hinblick auf seine berufliche Qualifikation, sein Alter und seine ungenügenden Sprachkenntnisse nur geringe Chance auf einen vergleichbaren Arbeitsplatz haben. Auch sei nur ein wirtschaftlich geringer Schaden entstanden, das Arbeitsverhältnis habe 36 Jahre lang störungsfrei bestanden. Dennoch sei das Auflösungsinteresse der Beklagten höher zu bewerten. Sowohl das zerstörte Vertrauensverhältnis zum Kläger wie auch präventive Gedanken seien höher zu bewerten als das Bestandsinteresse des Klägers. Die Betriebsratsanhörung sei fehlerfrei durchgeführt.
Das Urteil ist dem Kläger am 19.07.2007 zugestellt worden. Mit der am 15.08.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und innerhalb der bis 27.09.2007 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 27.09.2007 ausgeführten Berufung rügt der Kläger, er habe keine Möglichkeit gehabt, die fraglichen Arbeitshandschuhe zu sammeln. Er habe solche Handschuhe bei einem Kollegen „ausfassen“ müssen und niemals mehr als ein Paar Handschuhe erhalten. Er wisse auch nicht, wer derartige Unterlegscheiben benötige; am Arbeitsplatz des Klägers würden sie jedenfalls nicht benötigt. Er habe keine solche Scheiben erhalten. Schließlich sei auch unwahrscheinlich, dass der Kläger über Jahre hinweg 500 g Unterlegscheiben sammle und sie dann auf einmal aus dem Betrieb schmuggle. Es sei ja viel einfacher, Tag für Tag einzelne Unterlegscheiben z. B. in der Hosentasche zu verstecken. Der Kläger meint, es habe sich im Betrieb sehr wohl herum sprechen können, dass und wo Torkontrollen stattfänden. Er behauptet, die in seiner Tasche vorgefundenen Gegenstände hätten ihm nicht auffallen müssen. Die von ihm verwendete Aktentasche sei immerhin 40 x 17 x 30 cm groß. In ihr transportiere der Kläger Obst und Gemüse, darüber hinaus habe er eine volle 1 ½ l Wasserflasche dabei, die Tasche sei also ohnehin schwer.
Der Kläger behauptet, es seien vier Arbeitnehmer bei Diebstählen erwischt worden. Von ihnen seien zwei nach B. versetzt worden und zwei nach Z.. Allein der Kläger habe eine Kündigung erhalten. Der Kläger weist darauf hin, dass alle Mitarbeiter der Nachtschicht die Torkontrolle gekannt hätten. Diese hätten sich vor Arbeitsbeginn umgezogen und damit die Möglichkeit gehabt, seine Tasche zu manipulieren. Der Kläger meint, es sei vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung erforderlich. Er meint, die Interessenabwägung sei im Ergebnis falsch, da das lange, völlig ungestörte Arbeitsverhältnis zu wenig gewürdigt worden sei. Der Kläger hat die Betriebsratsanhörung bestritten und darauf hingewiesen, es sei unklar, welche Unterlagen der Betriebsrat erhalten habe.
Der Kläger beantragt:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Aktenzeichen 25 Ca 1691/07, verkündet am 26.06.2007 wird abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der fristlosen Kündigung vom 20.02.2007 beendet wurde.
Die Beklagte beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und weist darauf hin, dass es in dem Bereich, in dem der Kläger eingesetzt sei, unverschlossene Schränke gebe, aus denen Handschuhe entnommen werden könnten. Es sei möglich, dass bei Montierarbeiten Unterlegscheiben benötigt würden. Tatsächlich könne jeder Mitarbeiter bei der im selben Gebäude wie der Arbeitsplatz des Klägers befindlichen „Werkinstandhaltung“ Unterlegscheiben abholen. Schließlich müsse auch der vom Kläger ins Spiel gebrachte Unbekannte die Möglichkeit des Sammelns von Material gehabt haben. Die Beklagte weist darauf hin, dass der Kläger erst im Berufungsrechtszug vorbringe, eine große Wasserflasche und Obst und Gemüse in der Tasche zu transportieren. Selbst bei seiner Befragung durch die Richterin in erster Instanz habe er nur auf seine Kontrolltätigkeit, nicht auf den anderweitigen Inhalt seiner Tasche hingewiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Mit Urteil vom 20.05.2008 ist die Berufung des Klägers zurückgewiesen worden. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil aufgehoben und den Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens zurückverwiesen (Beschluss vom 10.02.2009, 3 AZN 1003/08, Bl. 118 f. d. Akte).
Es ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung der Zeugen U., J., A., S., W., T. und W.. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 10.07.2009 und vom 23.02.2010 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach § 64 Abs. 2c ArbGG statthafte, in gehöriger Form und Frist eingelegte und ausgeführte Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Kündigung der Beklagten vom 20.02.2007 als Verdachtskündigung wirksam ist.
1. Der Verdacht eines Vertrauensbruchs oder einer strafbaren Handlung oder einer anderen schwerwiegenden Vertragsverletzung kann die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen, wenn objektive tatsächliche Anhaltspunkte einen dringenden Verdacht begründen und es gerade die Verdachtsmomente sind, die das schutzwürdige Vertrauen des Arbeitgebers in die Rechtschaffenheit des Arbeitnehmers zerstören und die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar machen (BAG, AP § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1 und 13). Wegen der Gefahr, dass ein Unschuldiger getroffen wird, bestehen besonders strenge Anforderungen an die Zulässigkeit der Verdachtskündigung. So muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung zunächst selbst eine Aufklärung der Verdachtsumstände versuchen. Es muss sämtlichen möglichen Fehlerquellen nachgehen um entweder die Unschuld des verdächtigen Arbeitnehmers festzustellen oder aber zu versuchen konkretes Beweismaterial für das Vorliegen einer strafbaren Handlung zu bekommen. Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung ist insbesondere die Anhörung des verdächtigen Arbeitnehmers. Im Übrigen muss der Verdacht dringend sein, d. h. bei kritischer Prüfung muss sich ergeben, dass eine auf Beweiszeichen gestützte große Wahrscheinlichkeit für die Tat gerade dieses Arbeitnehmers besteht. Hierbei kann von Bedeutung sein, ob der verdächtige Arbeitnehmer durch schuldhaftes Verhalten erhebliche Gründe für den Verdacht gegeben hat und sich nicht um die Aufklärung der ihm zur Last gelegten Taten bemüht hat. Verdachtsverstärkende Umstände könne einschlägige Vorstrafen, ferner vor allem bei Eigentums- und Vermögensdelikten hohe Schulden und verschwenderischer Lebenswandel sein. Weiterhin ist zu prüfen, ob dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich nicht mehr zugemutet werden kann. Möglicherweise kann der Verdächtige auf einen Arbeitsplatz versetzt werden, der keine konkrete Vertrauensbeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraussetzt.
Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass gegen den Kläger ein dringender Verdacht besteht, am 08.02.2007 10 Paar Arbeitshandschuhe und diverse Unterlegscheiben aus Metall, die im Eigentum der Beklagten standen, entwendet zu haben. Die Gegenstände sind in seiner Arbeitstasche aufgefunden worden. Der Kläger trug diese Tasche bei sich, als er das Betriebsgelände der Beklagte nach Arbeitsende verlassen wollte, er war damit gerade dabei, die Gegenstände vom Betrieb wegzutragen. Der äußere Anschein spricht damit bereits dafür, dass der Kläger die in der Tasche verborgenen Handschuhe und Unterlegscheiben an sich bringen wollte.
Der Kläger hatte auch Gelegenheit an die entsprechenden Gegenstände zu kommen. Auch wenn dem Kläger jeweils nur ein Paar Handschuhe herausgegeben worden ist und nicht etwa ein ganzer 10-er Pack Handschuhe wie sie in seiner Tasche vorgefunden wurden, so bestand doch die Möglichkeit, auch diese einzelnen Paare zu sammeln.
Darüber hinaus befand sich im Arbeitsbereich des Klägers ein unverschlossener Schrank in dem ebenfalls Arbeitshandschuhe, wie diejenigen die der Kläger bei sich führte, verwahrt wurden und aus dem sich die Arbeitnehmer bei Bedarf bedienen durften. Das steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest.
Der Zeuge U., als Meister beschäftigt, hat nach Einblick in den Lageplan (Bl. 131 d. Akte) die frühere Linie 12 wieder erkannt und bestätigt, dass neben dem verschlossenen Vorratsschrank (von der Beklagten als Handschuhschrank bezeichnet) ein weiterer, „inoffizieller“ Schrank vorhanden war, in dem ein Teil der Verbrauchsgegenstände, insbesondere Handschuhe deponiert wurden. Daraus hätten sich die Arbeiter bedienen dürfen, wenn gerade keiner der Kollegen anwesend gewesen sei, der einen Schlüssel zum Vorratsschrank gehabt habe. Konkret hat der Zeuge U. angegeben, in dem Schrank seien neben (sauberen) Lumpen Lederhandschuhe sowie die streitgegenständlichen Stoffhandschuhe mit Noppen gewesen. Diese einzelnen Handschuhe seien von dem offiziellen Schrank aus verteilt worden.
Der Zeuge J., der im damaligen Zeitraum Teamleiter für den Bereich des Klägers war, hat angegeben, dass es im gesamten Fertigungsbereich Lagerschränke für die Schutzausrüstung gegeben habe und dass es auch Schränke gegeben habe, die offen gewesen seien, aus denen sich die Leute bedienen konnten. Ob gerade in der Linie 12, dem Arbeitsbereich des Klägers ein solcher Schrank vorhanden war, konnte der Zeuge nicht konkret angeben.
Der Zeuge A. hat, nachdem er sich an der Lageskizze (Bl. 131 d. Akte) orientiert hat, bestätigt, dass es einen größeren, abgeschlossenen Schrank gegeben habe, in dem insbesondere Handschuhe gelagert worden seien. Daneben habe es den von der Beklagten als „offener Handschuhschrank“ bezeichneten kleinen Schrank gegeben, den der Zeuge jedoch nie aufgemacht haben will. Der Zeuge hat angegeben, er habe nicht gewusst, dass in diesem kleineren Schrank Schutzausrüstung und insbesondere Handschuhe gewesen seien und habe keine andere Möglichkeit gekannt, an Handschuhe zu kommen, als den Kollegen zu fragen, der den Schlüssel für den Vorratsschrank gehabt habe.
Der Zeuge S. hat den „offenen Handschuhschrank“ als Messplatzschrank bezeichnet und angegeben, in ihm seien Lappen, Handschuhe sowie manchmal ein Kehrwisch und eine Kehrschaufel gewesen. Der Zeuge hat die Angaben des Meisters U. bestätigt, wonach in die Schublade dieses Messplatzschranks Handschuhe gelegt worden sind, um für die Nachtschicht oder sonst beim Fehlen eines Kollegen, der den Schlüssel für den Vorratsschrank hatte, bei Bedarf Handschuhe zur Verfügung zu haben. Dies sei an der Linie 12 allgemein bekannt gewesen. Er selbst habe nicht aus eigener Initiative sondern nur auf Bitten von Kollegen Handschuhe für diesen zweiten Schrank herausgegeben. Der Zeuge hat sich im Wesentlichen auf Lederhandschuhe bezogen, jedoch angemerkt, es könne sein, dass auch Stoffhandschuhe in dem offenen Schrank lagen. Auf Nachfrage hatte er ausgeführt, es seien hauptsächlich neue Lederhandschuhe gewesen, es könne sein, dass einmal ein paar neue Stoffhandschuhe drin gelegen hätten.
Der Zeuge W. hat ebenfalls die Lage der Schränke im Lageplan bestätigt und angegeben, im verschlossenen Schrank seien Putzmittel, Handschuhe und Creme sowie Besen gewesen, im offenen Schrank Lumpen und vereinzelt Handschuhe, und zwar Lederhandschuhe und weiche Handschuhe mit Grip. Er hat sich dahin eingelassen, dass von den Lederhandschuhen neue und alte, gewaschene im offenen Schrank gelegen seien, die Stoffhandschuhe seien dagegen neu gewesen. Auch dieser Zeuge hat angegeben, jeder der an der Linie 12 gearbeitet habe, habe gewusst was in dem offenen Schrank lagerte und es habe sich auch jeder bedient. Der Schrank sei von jedem gefüllt worden, der einen Schlüssel für den großen Vorratsschrank gehabt habe. Es seien jeweils vielleicht drei oder vier Paar Handschuhe, jedoch kein ganzer Pack mit 10 Paar Handschuhen in den offenen Schrank gelegt worden.
Auch der Zeuge T., der ebenfalls einen Schlüssel für den Vorratsschrank hatte, hat bestätigt, dass in dem offenen Schrank Lumpen, Handschuhe und zwar gebrauchte (gewaschene) sowie ein paar neue Handschuhe für die Kollegen der Nachtschicht vorhanden gewesen seien. Auch dieser Zeuge hat hauptsächlich von Lederhandschuhen gesprochen und es für möglich gehalten, dass auch Stoffhandschuhe im offenen Schrank lagen. Er hat ebenfalls bestätigt, dass es allgemein bekannt gewesen sei, dass auch in diesem offenen Schrank Handschuhe lagen. Dieser Schrank sei immer wieder aufgefüllt worden. Dabei seien 2 oder vielleicht 3 Paar Handschuhe hineingelegt worden.
Der Zeuge W. hat zunächst betont, es habe nur einen „Handschuhschrank“ gegeben, der stets verschlossen gewesen sei. In dem als „Handschuhschrank offen“ bezeichnete Schrank seien keine Handschuhe sondern alte Putzlappen und Karambaspray gewesen. Auf Nachfrage hat er eingeräumt, dass doch vielleicht einzelne Paare alter Handschuhe und neue Handschuhe drin waren, jedenfalls aber kein 10-er Pack Stoffhandschuhe sondern vielleicht einmal ein Paar. Der Zeuge hat angegeben, dass er zur damaligen Zeit nichts davon wusste, dass dieser Schrank einen kleinen Vorrat von Handschuhen für die Nachtschicht enthalten habe. Er selbst habe bei Bedarf und wenn kein Kollege mit einem Schlüssel für den Vorratsschrank anwesend gewesen sei, mit den alten Handschuhen weitergearbeitet.
Damit haben insbesondere die Zeugen, die einen Schlüssel für den Vorratsschrank hatten und für die Ausgabe von Schutzausrüstung, insbesondere Handschuhen, zuständig waren, bestätigt, dass sie eigens für den Fall, dass keiner der Schlüsselhalter im Arbeitsbereich anwesend war, einen kleinen Vorrat von Handschuhen in einem offenen Schrank angelegt hatten und zwar so, dass die Handschuhe nicht etwa offen herumlagen sondern nicht gleich für jeden sichtbar waren. Daraus ist verständlich, dass zwar ein Teil der Zeugen angenommen hat, dieses kleine Vorratslager sei in der Linie allgemein bekannt gewesen, die Zeugen W. und A. dagegen nichts von dieser weiteren, „inoffiziellen“ Art an Handschuhe zu kommen, wussten.
Alle Zeugen haben auf die Kammer einen durchaus glaubwürdigen Eindruck gemacht. Sie haben sich, insbesondere anhand der Lageskizze bemüht sich, an die damaligen räumlichen Gegebenheiten und Gebräuche an der Linie 12 zu erinnern. Anhaltspunkte dafür, dass sie zu Gunsten der einen oder anderen Partei aussagen wollten, liegen nicht vor.
Für die Kammer steht deshalb fest, dass es in einer Schublade des nicht abgeschlossenen Messplatzschranks ständig einzelne Handschuhpaare gab, und zwar Lederhandschuhe sowie Stoffhandschuhe. Dies war wenn nicht allen dort Beschäftigten, so doch einem erheblichen Teil der Arbeiter an der Linie 12 bekannt. Der Kläger hatte daher die Möglichkeit, außer den ihm aus dem verschlossenen Schrank herausgegebenen Stoffhandschuhen weitere einzelne Paare aus dem offenen Schrank zu nehmen. Mit der Zeit konnte er sich einen Vorrat von 10 Paar Handschuhen, wie sie in seiner Tasche gefunden wurden, anlegen.
Einer Vernehmung auch der vom Kläger benannten ehemaligen Kollegen D. und S. bedurfte es nicht. Der Kläger trage selbst vor, der Messplatzschrank sei erst seit dem Weggang dieser beiden Kollegen offen, zuvor jedoch stets verschlossen gewesen. Herr D. ist seit 01.02.2006, Herr S. seit 01.04.2004 freigestellt. Beide können damit aus eigener Kenntnis nichts dazu sagen, ob der Schrank nach ihrem Weggang Handschuhe enthielt.
Der Kläger hat in der Berufungsverhandlung erstmals vorgebracht, die in seiner Tasche gefunden 10 Paar Handschuhe seien mit einem Klebeband zusammengepackt gewesen, was die Kammer dahin verstanden hat, dass es sich um die ursprüngliche Verpackung gehandelt hat (und nicht etwa um ein Zusammenbinden vom Kläger oder dem unbekannten Dritten). Der Kläger will dies auch bei seiner Anhörung vor Ausspruch der Kündigung vorgebracht haben. Sein Prozessbevollmächtigter wusste davon indessen nichts. Dieser Vortrag ist nach § 67 Abs. 4 ArbGG verspätet.
Denn die entsprechende Behauptung des Klägers ist nicht unstreitig. Ihre Berücksichtigung hätte dazu geführt, dass der Beklagten Gelegenheit zu geben wäre, Beweis dafür anzubieten, dass die Handschuhe zum einen nicht gebündelt waren und zum anderen der Kläger in seiner Anhörung auch nicht darauf hingewiesen hatte. Gegebenenfalls hätte es einer Fortsetzung der Beweisaufnahme bedurft. Dies hätte zu einer Verzögerung des im Übrigen entscheidungsreifen Rechtsstreits geführt.
Der Kläger hat es auch zu vertreten, dass er diesen Einwand, der offensichtlich für die Dringlichkeit des gegen ihn erhobenen Verdachts maßgeblich sein konnte, nicht früher vorgebracht hat.
Auch die gefundenen Unterlegscheiben konnte der Kläger nach und nach sammeln. Auch wenn der Kläger behauptet, er wisse nicht, wer solche Scheiben benötige und er habe entsprechende Scheiben nicht erhalten, ist doch unstreitig, dass jeder Mitarbeiter bei der Werkinstandhaltung Unterlegscheiben erhält, ohne dass dies dokumentiert würde. Dem Beweisantritt des Klägers zu der Behauptung, er habe Unterlegscheiben weder von einem Schlosser oder Schlossern noch von sonstigen Kollegen erhalten, ist die Kammer nicht gefolgt. Es ist nicht ersichtlich, was die vom Kläger benannten Zeugen S., B. und T., die der Kläger unterschiedslos zur Herausgabe und zum Sammeln von Handschuhen und Unterlegscheiben benannt hat, zu diesem Thema sagen können, insbesondere, ob sie die für die Herausgabe von Unterlegscheiben zuständigen Beschäftigten sind, die allein Angaben über eine Herausgabe an den Kläger machen könnten. Darüber hinaus hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass bei Montierarbeiten, wie insbesondere dem Einrichten oder Umstellen von Maschinen oder bei kleineren Instandsetzungsarbeiten Unterlegscheiben auch im Arbeitsbereich des Klägers benutzt werden. Der Kläger hätte daher auch Unterlegscheiben finden und mitnehmen können, ohne sich diese eigens von der Materialausgabe der Werkinstandhaltung aushändigen zu lassen.
Dem Kläger ist zuzugestehen, dass die Menge der in der Tasche gefundenen Gegenstände eher gegen eine Diebstahlsabsicht spricht. Denn der Kläger konnte bei seiner täglichen Arbeit leicht an einzelne Paare Arbeitshandschuhe und einzelne Unterlegscheiben gelangen, dagegen schwieriger an 10 Paar Arbeitshandschuhe und ein Pfund metallene Unterlegscheiben. Es spricht manches dafür, dass es einen gewissen Zeitraum benötigte, diese Menge von Handschuhen und Unterlegscheiben zusammen zu tragen; in der Tat wäre es dann aber weitaus unauffälliger und leichter zu bewerkstelligen gewesen, wenn der Kläger diese Gegenstände einzeln weggebracht hätte, statt ein ganzes Bündel von Handschuhen und dann noch dazu 500 g Unterlegscheiben aus Metall zusammen in seiner Tasche zu verstauen und wegzutragen. Die Beklagte weist aber zu Recht darauf hin, dass diese Auffälligkeit auch bestehen bleibt, wenn man der Erklärung des Klägers folgen wollte. Auch der unbekannte Kollege, der die Gegenstände vom Kläger unbemerkt in dessen Tasche gesteckt haben soll, hätte die Handschuhe und Unterlegscheiben zunächst sammeln, an geeigneter Stelle deponieren und sodann alles auf einmal in die – lediglich während des Duschens offen dastehende – Tasche des Klägers bugsieren müssen. Soweit der Kläger darauf hinweist, alle Mitarbeiter, die am 08.02.2007 zur Nachtschicht erschienen seien, hätten die Torkontrolle passiert und darüber Bescheid gewusst, diese kleideten sich um, so dass in den Umkleideräumen aufgrund der Nachtschichtmitarbeiter Betrieb geherrscht habe, lässt das die Version des Klägers gerade nicht plausibel erscheinen. Der Täter hätte die große Menge an Gegenständen kaum auf einmal, mit einem Griff in der Tasche des Klägers verschwinden lassen können. Das gilt insbesondere für die Vielzahl der metallenen Unterlegscheiben. Dass er sich in den belebten Umkleideräumen mehrmals unbemerkt an der Tasche des Klägers zu schaffen machen konnte, ist nicht naheliegend. Bei einer Entdeckung dieser Manipulation durch den Kläger oder einen anderen Kollegen hätte der Täter seinen eigenen Arbeitsplatz gefährdet. Ein Motiv für ein solches riskantes Manöver ist nicht ersichtlich. Selbst wenn dem Kläger zugute gehalten wird, dass allein das Gewicht und Volumen der Gegenstände ihm im Hinblick auf seinen (angeblich) mitgeführten Proviant nicht auffallen musste, liegen doch genügend objektive Tatsachen vor, die für den Verdacht eines Diebstahles durch den Kläger sprechen.
2. Auf eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen Ungleichbehandlung kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Er hat die vier anderen Arbeitnehmer, die angeblich bei Diebstählen erwischt worden und nicht gekündigt worden sind, nicht benannt oder sonst näher bezeichnet. Die Beklagte hat bereits erstinstanzlich ausgeführt, ebenfalls am 08.02.2007 einen Mitarbeiter mit einem Paar gebrauchter Arbeitshandschuhe angetroffen und aufgehalten zu haben. Der Mitarbeiter habe zu dieser Zeit über keinen eigenen Spind verfügt und die Handschuhe entsprechend einer Absprache mit dem Vorgesetzten zunächst in die eigene Tasche getan. Ein anderer Mitarbeiter habe sich mit einem Stoffbeutel auf das Tor zu bewegt, sei dann aber umgekehrt und habe das Tor ohne Stoffbeutel passiert. Den später aufgefundenen Stoffbeutel, in dem sich eine Flasche betriebseigenen Öls befunden habe, habe der Mitarbeiter als nicht ihm gehörig bezeichnet. Diese beiden Fälle sind nicht vergleichbar mit der Situation des Klägers. Wenn die Beklagte bei diesen beiden Mitarbeitern nicht von einem dringenden Verdacht einer strafbaren Handlung ausging und auf schwerwiegende arbeitsrechtliche Konsequenzen verzichtete, kann der Kläger, gegen den, wie oben ausgeführt, der dringende Verdacht des Diebstahls besteht, für sich nichts ableiten.
3. Unabhängig davon, ob bei einem Gesamtwert von 10 bis 12 € noch von geringwertigen Sachen gesprochen werden kann, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. z. B. Urteil vom 12.08.1999, AP Nr. 28 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung) auch der Diebstahl oder die Unterschlagung von Sachen mit nur geringem Wert grundsätzlich geeignet eine außerordentliche Kündigung zu stützen. Der entgegenstehenden Ansicht, wonach der Diebstahl oder die Unterschlagung geringwertiger Sachen bereits nicht die Schwelle des wichtigen Grundes erreichen (vgl. z. B. Münchner Kommentar zum BGB, § 626 Rz. 126 ff.) ist das Bundesarbeitsgericht nicht gefolgt. Vielmehr breche der Arbeitnehmer durch die Eigentumsverletzung unabhängig vom Wert des Schadens in erheblicher Weise das Vertrauen des Arbeitgebers. Auch widerspreche es der der Rechtssicherheit dienenden systematischen Zweiteilung des § 626 Abs. 1 BGB in den wichtigen Grund an sich und die nachfolgende Zumutbarkeitsprüfung und der Interessenabwägung, wenn der rechtswidrigen und vorsätzlichen Verletzung des Eigentums oder Vermögens des Arbeitgebers von vornherein die Eignung für eine außerordentliche Kündigung abgesprochen werde, weil die Schädigung des Arbeitgebers geringfügig sei. Um Geringfügigkeit zu bejahen sei eine Wertung erforderlich, was dafür spreche, die Schadenshöhe der Zumutbarkeitsprüfung im Rahmen der Interessenabwägung zuzuordnen. Der Umfang des dem Arbeitgeber zugefügten Schadens könne vor allem im Hinblick auf die Stellung des Arbeitnehmers, die Art des entwendeten Guts und die besonderen Verhältnisse des Betriebes unterschiedliches Gewicht für die Beurteilung der Zumutbarkeit des Pflichtverstoßes aufweisen. Dasselbe gilt auch für den (dringenden) Verdacht einer solchen Straftat.
4. Schließlich ist der Rechtsansicht des Klägers nicht zu folgen, wonach die Beklagte unter den gegebenen Umständen auf das mildere Mittel einer Abmahnung zu verweisen sei. Zwar ist eine Abmahnung auch bei Pflichtverletzungen, die den sogenannten Vertrauensbereich berühren, nicht stets entbehrlich, sondern notwendig, wenn ein steuerbares Verhalten vorliegt und es erwartet werden kann, dass das Vertrauen wieder hergestellt wird (BAG, AP Nr. 137 zu § 626 BGB). Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen kann, sein Tun sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten ansehen. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei denen es offensichtlich ausgeschlossen ist, dass der Arbeitgeber sie hinnimmt, ist eine Abmahnung nicht erforderlich. In solche Fällen kann eine Wiederherstellung des für das Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens nicht erwartet werden. Der Kläger konnte mit vertretbaren Überlegungen nicht davon ausgehen, die Beklagte werde die Mitnahme von 10 Paar neuen Arbeitshandschuhen und 500 g Unterlegscheiben unterschiedlicher Größe dulden. Dass das im Betrieb bereitgehaltene und verwendete Material wie Arbeitshandschuhe und Unterlegscheiben nicht ohne Erlaubnis mitgenommen und für private Zwecke verwendet werden darf, ist eine pure Selbstverständlichkeit und musste sich dem Kläger wie jedem anderen Mitarbeiter auch aufdrängen.
5. Das Berufungsgericht folgt dem Urteil des Arbeitsgerichts auch darin, dass das Auflösungsinteresse der Beklagten im vorliegenden Fall das Bestandsinteresse des Klägers überwiegt. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts unter 1. e) der Entscheidungsgründe wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.
6. Die Kündigung ist schließlich auch nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung unwirksam. Der Kläger hat zulässigerweise ihre Ordnungsgemäßheit mit Nichtwissen bestritten. Die hierzu durchgeführte Beweisaufnahme hat aber ergeben, dass dem Betriebsrat, wie von der Beklagten behauptet, am 16.02.2007 die in Kopie Bl. 49 ff. der Akte bildende Anhörung sowie drei Anlagen (der Arbeitsvertrag, der Bericht Torkontrolle (Bl. 54. der Akte) sowie eine Aktennotiz vom 13.02.2007) übergeben worden sind. Der Zeuge H., freigestelltes Betriebsratsmitglied, hat angegeben, er könne sich an die Anhörung selbst noch erinnern. Er hat nach Einblick in die bei sich geführten Unterlagen angeführt, er entnehme dem Eingangsstempel, dass das Anhörungsschreiben im Betriebsratsbüro, dem Büro des Vorsitzenden abgegeben worden sei. Von dort habe die Sekretärin es an ihn weitergeleitet. Neben dem Anhörungsschreiben seien dies drei Anlagen gewesen, nämlich der Arbeitsvertrag, die Aktennotiz vom 13.02.2007 und der Bericht über die Torkontrolle. Der Zeuge war sich sicher, dass „dieser Stapel Papier“ am 16.02. eingegangen sei. Auch der Zeuge L., ebenfalls ehemaliges Betriebsratsmitglied bei der Beklagten hat bestätigt, der Betriebsrat sei am 16.02. schriftlich informiert worden. Er konnte sich nicht daran erinnern, ob gerade er das Anhörungsschreiben gestempelt habe. In der Regel gehe der Mitarbeiter des Personalwesens, wenn er keinen Betriebsrat antreffe, ins Sekretariat und lasse sich dort den Eingang durch Stempel bestätigen. Er habe das Anhörungsschreiben jedenfalls „definitiv am 16. gesehen“. Auch dieser Zeuge hat Bezug genommen auf die Betriebsratsunterlagen, die ihm zuvor vom Zeugen H. überlassen worden waren. Er hat bestätigt, dass das die Unterlagen seien, die die Beklagte ihnen vorgelegt habe.
Die Angaben der beiden Zeugen stützen inhaltlich die Darstellung der Beklagten. Die Zeugen sind als Betriebsräte bzw. ehemalige Betriebsräte nicht ohne weiteres dem Lager der Beklagten zuzuordnen, zumal der Betriebsrat Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung eingelegt hatte, die Beklagte diesem Bedenken aber gerade nicht Rechnung getragen hat. Irgendwelche Anhaltspunkte dafür, die beiden Zeugen würden nicht die Wahrheit sagen, sind nicht ersichtlich.
Die Berufung des Klägers ist daher zurückgewiesen worden.
II.
Der Kläger hat gem. § 97 die Kosten seiner erfolglosen Berufung und die des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens zu tragen.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.