AG Lüdinghausen
Az: 10 OWi 107/06
Beschluss vom 10.11.2006
In der Bußgeldsache w e g e n Verkehrsordnungswidrigkeit hier: Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das Amtsgericht Lüdinghausen auf den Antrag des Betroffenen vom 24.10.2006 gerichtet gegen die Versagung einer Kostentragung hinsichtlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen durch den Kreis Coesfeld vom 20.10.2006 am 10.11.2006 b e s c h l o s s e n:
Auf den Antrag des Betroffenen wird die Auslagenentscheidung des Landrates des Kreises Coesfeld vom 20.10.2006, Aktenzeichen 616847-le aufgehoben.
Die dem Betroffenen entstandenen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Die Staatskasse trägt auch die Kosten des Antragsverfahrens.
Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG.
G r ü n d e:
Dem Betroffenen wurde vorgeworfen am 2.6.2006 als Fahrer eines PKW einen Geschwindigkeitsverstoß begangen zu haben. Erst nach Anhörung und Zustellung des Bußgeldbescheides teilte der Betroffene mit, dass nicht er Fahrer gewesen sei, sondern vielmehr sein Bruder, gegen den aufgrund Ablauf der Verjährungsfrist nunmehr kein Verfahren mehr durchgeführt werden konnte. Da sich die Angaben des Betroffenen nach Bildvergleich als zutreffend herausstellten, stellte der Kreis Coesfeld am 20.10.2006 das Verfahren nach §§ 170 Abs. 2 StPO i.V.m. 46 Abs. 1 OWiG ein, verweigerte jedoch gem. § 109a OWiG die Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen, da entlastende Umstände nicht rechtzeitig vorgebracht worden seien.
Hiergegen richtet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
Der gem. §§ 108 Abs. 1, 62 OWiG zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.
Die angefochtene Auslagenentscheidung hält im Ergebnis der gerichtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar hat der Betroffene die Fahrereigenschaft sehr spät, nämlich nach dem Erlass des Bußgeldbescheides vorgelegt, so dass der Tatbestand des § 109a Abs. 2 OWiG erfüllt war. Die Entscheidung war jedoch ermessensfehlerhaft. Die Auslagenentscheidung steht im Ermessen der Verfolgungsbehörde oder des Gerichts. Die Ermessensausübung hat darauf abzuheben, ob der Betroffene vernünftige und billigenswerte Gründe für sein Verhalten hatte und ob ein früheres Vorbringen ihm möglich und zumutbar war (OLG Hamm MDR 1977, 1042). Es kommt darauf an, ob sich für das Verhalten des Betroffenen ein verständlicher und einfühlbarer Grund finden lässt, oder ob es vom Standpunkt eines redlichen Betrachters aus nicht gebilligt oder entschuldigt werden kann (OLG Stuttgart Justiz 1987, 116, 117). Billigenswerter Grund in diesem Sinne ist nach absolut herrschender Meinung der Schutz eines nahen Angehörigen vor Verfolgung (LG Aachen AnwBl. 1980, 122; LG Münster AnwBl. 1974, 227; LG Braunschweig AnwBl. 1979, 41; so auch: Schmehl in: KK-OWiG, 3. Aufl. 2006, § 109a OWiG Rn. 13 bzw. Göhler, OWIG, 14. Aufl. 2006, § 109a OWiG Rn. 13; aA LG Mainz KostRspr. § 467 StPO (B) Nr. 80; LG Frankenthal MDR 1979, 165), worunter nach Ansicht des Gerichts auch die „Verfahrensverzögerung“ des eigenen Verfahrens bis zur Verjährung der Tat des nahen Angehörigen zählt, selbst wenn dieser dann anschließend als Täter benannt wird.
Dementsprechend musste es bei der allgemeinen Regelung der §§ 467 I StPO, 46 I OWiG bleiben, wonach nach einer Einstellung des Verfahrens die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last fallen.
Eine abweichende Auslagenentscheidung auf Grundlage des § 467 Abs. 4 StPO kam ebenfalls nicht in Betracht, da wie oben beschrieben keinerlei tatsächliche Hinweise auf eine Ordnungswidrigkeit des Betroffenen vorliegen. Das Gericht ist insoweit im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung gem. §§ 108, 62 OWiG nicht gehalten, weitere Ermittlungen im Hinblick auf die angeblich begangene Ordnungswidrigkeit durchzuführen.
Die Entscheidung über die Kosten des Antragsverfahrens beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.