OLG Stuttgart – Az.: 1 W 20/20 – Beschluss vom 22.05.2020
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 17.03.2020, Az. 20 O 240/19, abgeändert und das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Landgericht … für begründet erklärt.
Der Gegenstandwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 154.174,90 € festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig sind Ansprüche in Zusammenhang mit einer Neuwagengarantie.
Die Klägerin erwarb im Mai 2017 gegen Zahlung von 154.174,90 € einen … Diesel. Das Fahrzeug wurde ihr am 29.05.2017 übergeben. Wegen des Inhalts der kaufvertraglichen Regelungen und der von der Beklagten hierbei übernommenen Garantie wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen.
Mit ihrer Klage vom 28.06.2019 begehrt die Klägerin die Lieferung eines „neuen Fahrzeugs“. Zur Begründung verweist sie auf die an ihrem Pkw bereits durchgeführten und in der Anlage K 4 aufgelisteten Reparaturen. Die Beklagte hat diese Forderung zurückgewiesen und in ihrer Klagerwiderung u. a. vorgetragen:
Seite 2: „… Die von der Beklagten abgegebene Garantie war zu diesem Zeitpunkt ohnehin bereits abgelaufen. …“
Seite 3: „… Unabhängig davon war die von der Beklagten übernommene Garantie im Zeitpunkt der Klagerhebung ohnehin bereits abgelaufen.
Nach Ziff. I. 1. der Garantiebedingungen der Beklagten beträgt die Laufzeit der von der Beklagten gegenüber der Klägerin übernommenen Garantie zwei Jahre. …
Die Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs erfolgte am 26.05.2017 …, so dass spätestens an diesem Tag die zweijährige Laufzeit der Garantie begann. Im Zeitpunkt der Zustellung der Klagschrift bei Gericht am 02. Juli 2019 war die Garantie der Beklagten somit abgelaufen. Selbst unterstellt, das Fahrzeug hätte die behaupteten Mängel aufgewiesen, wäre eine Berufung auf die Garantieansprüche bereits aus formellen Gründen nicht mehr möglich.“
Die Klägerin hat hierzu in ihrer Replik vom 22.10.2019 wie folgt Stellung genommen:
Seite 2: „Die Garantiedauer ist nicht ansatzweise abgelaufen, das Fahrzeug war eben genau während der Garantiedauer mehrfach bei dem Porschezentrum … im Hinblick auf die garantiebedingte Mängelbeseitigung vorstellig. Tatbestandliche Voraussetzung der Garantie ist lediglich, dass in diesem 2-Jahreszeitraum der Mangel auftritt. Es muss nicht auch in diesem Zeitraum Klage erhoben worden sein“
In der mündlichen Verhandlung hat der Einzelrichter im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage zu Protokoll diktiert (Protokoll vom 08.11.2019, Seite 2 f.):
„… weist in rechtlicher Hinsicht darauf hin, dass die Frage, ob wegen formalen Gründen sich die Beklagte darauf berufen kann, dass die Klägerin keine Mängelgewährleistungsrechte mehr geltend machen kann, strittig ist. Hier geht es um eine Garantie und die Frage, ob im unterstellten Fall, dass ein Mangel im Garantiezeitraum entdeckt worden ist,
– dies dazu führt, dass trotzdem nach Ablauf der Garantie dann keine Mängel mehr geltend gemacht werden können,
– oder ob dies – dies wäre eine weitere Variante – zur Anwendung ganz normal des § 438 BGB führt, was vorliegend dann wohl zur Folge hätte, dass sich die Beklagte auf Verjährung berufen könnte angesichts der Klagerhebung erst im Juni 2019 und der Übergabe bzw. Erstzulassung schon im Mai 2017,
– oder – dies wäre die dritte Variante -, dass in welcher Verästelung auch immer sich die Klägerseite darauf berufen könnte, dass die regelmäßige Verjährung eingreift, die entweder mit der Übergabe des Fahrzeugs zu laufen beginnt oder aber, was vorliegend zu gleichen Ergebnissen führen würde, erst mit der Kenntnisnahme vom Mangel. In dieser dritten Variante wäre die Klägerseite, was die rein formale Frage des Falles anlangt, auf der sicheren Seite.
… Das Gericht weist wegen der Frage, ob es aus formalen Gründen der Klägerin verwehrt ist, sich auf einen Mangel zu berufen, auf die Fundstellen Westermann im Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 443 BGB Randnummer 22 hin sowie auf Faust in Beck OK zum BGB, Bamberger/Roth/Hau/Poseck, 51. Edition, Stand 01.08.2019, § 443 BGB, Randnummer 48.“
Die Klägerin hat hierauf den Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und dies damit begründet, dass dieser auf eine mögliche Verjährung hingewiesen habe, obwohl die Beklagte die Einrede der Verjährung nicht erhoben habe.
Der Einzelrichter hat in seiner dienstlichen Stellungnahme die Auffassung vertreten, die Beklagte habe in ihrer Klagerwiderung konkludent die Einrede der Verjährung erhoben. Im Übrigen sei – sollte dies nicht der Fall gewesen sein – eine Befassung mit den Verjährungsvorschriften jedenfalls im Hinblick auf die Kommentierungen zu § 443 BGB angezeigt gewesen.
Das Landgericht hat das Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom 17.03.2020 zurückgewiesen. Der hier vom Einzelrichter erteilte Hinweis sei bei vernünftiger Betrachtung nicht geeignet, die Befürchtung zu wecken, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Zum einen sei „der Zeitablauf in Bezug auf die Garantieansprüche Gegenstand der Aussprache“ gewesen. Zum andern habe der Einzelrichter, „mit dem angefochtenen Hinweis auf die Verjährung den Streitstand anhand dreier Rechtsvarianten so plastisch dargestellt, um eine gütliche Einigung zu ermöglichen“. Hierzu sei der Einzelrichter aber gemäß § 278 Abs. 1 ZPO verpflichtet.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 07.04.2020, mit der sie geltend macht, der Einzelrichter habe hier eine Einrede eingeführt, die nicht einmal andeutungsweise von den Parteien vorgetragen worden sei.
II.
Die gemäß §§ 42, 46 Abs. 2, 567 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Ein Richter kann im Zivilprozess gemäß § 42 Abs. 2 ZPO wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein objektiver Grund vorliegt, der die ablehnende Partei bei vernünftiger Betrachtung befürchten lassen muss, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber und werde deshalb nicht unparteiisch entscheiden. Wie vom Landgericht in seinem Beschluss vom 17.03.2020 hervorgehoben, ist daher nicht erheblich, ob der abgelehnte Richter wirklich befangen ist oder sich für befangen hält. Maßgebend ist vielmehr allein, ob vom Standpunkt des Ablehnenden aus gesehen genügende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der betreffende Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit parteiisch gegenüber (BVerfG, Beschluss vom 05.04.1990 – 2 BvR 413/77 – BVerfGE 82, 30 – 42, juris Rn. 24).
Ausgehend von diesen Grundsätzen können weder rechtliche Darlegungen des Richters noch Maßnahmen der Prozessleitung einen Ablehnungsgrund begründen. Ebenso wenig stellen sachlich fehlerhafte Entscheidungen oder für eine Partei ungünstige Rechtsauffassungen bzw. Verfahrensverstöße im Rahmen der Prozessleitung für sich genommen einen Ablehnungsgrund dar. Dasselbe gilt für richterliche Initiativen im Zusammenhang mit der Erörterung des Rechtsstreits, sachlich gerechtfertigte und prozessrechtlich notwendige Anregungen, Hinweise, Belehrungen, Empfehlungen, Ratschläge oder sonstige Hilfestellungen an eine Partei.
Etwas anderes gilt jedoch, wenn Umstände vorliegen und von einer Partei dargetan werden, die aus der Sicht eines objektiven Betrachters dafür sprechen, dass das Vorgehen des Richters nicht hinreichend korrekt und distanziert gewesen ist, der Richter also den Boden der Neutralität verlassen hat (BAG, Beschluss vom 29.10.1992 – 5 AZR 377/92 juris Rn. 9). Dies ist insbesondere gegeben, wenn der Richter auf die Einführung weiterer Klagegründe sowie die Ausübung von Gestaltungs- und Leistungsverweigerungsrechte einschließlich der Verjährung hinwirkt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 15.09.2006 – 13 W 45/06 -, NJOZ 2006, 4232, 4233, m. w. N.).
2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist das Ablehnungsgesuch begründet. Die Rüge der Klägerin, der Einzelrichter habe auf die Möglichkeit der Verjährung hingewiesen, ohne dass die Erhebung dieser Einrede im Vorbringen der Beklagten auch nur angedeutet worden sei, rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit. Durch den vom Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweis wurde der Beklagten nämlich die Möglichkeit vor Augen geführt, durch die Erhebung der Einrede der Verjährung die Rechtslage zu ihren Gunsten zu verändern. Der Hinweis wirkte damit wie eine Aufforderung, diese Einrede zu erheben, was die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 05.12.2019, Seite 2, dann auch getan hat.
a) Der Sachvortrag der Beklagten in ihrer Klagerwiderung lässt – wie von der Klägerin dargetan – jeglichen Bezug zu der Frage der Verjährung vermissen.
Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass die Erhebung der Verjährungseinrede formfrei möglich ist. Auch ist ein Schuldner nicht gehalten, seine Weigerung, die von ihm geforderte Leistung zu erbringen, ausdrücklich auf den Eintritt der Verjährung zu stützen. Bei Erhebung der Verjährungseinrede muss jedoch aufgrund des Vorbringens des Schuldners erkennbar sein, dass dieser seine Leistungsverweigerung gerade auf den Ablauf der Verjährungsfrist stützen und nicht andere Gegenrechte geltend machen will (BGH, Urteil vom 21.04.2009 – XI ZR 148/08 -, juris Rn. 28; BGH, Beschluss vom 02.10.2003 – V ZB 22/03 -, NJW 2004, 164, 165; Lakkis in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Auflage, § 214 BGB (Stand: 01.05.2020), Rn. 8; BeckOGK/Bach, Stand: 01.01.2020, BGB, §214, Rn. 37 f.).
Bei Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten kann dies hier nicht angenommen werden. Die Beklagte hat in ihrer Klagerwiderung – wie unter Ziffer I. dargestellt – ausschließlich die in ihren Garantiebedingungen geregelte zweijährige Garantiefrist sowie deren Ablauf thematisiert. Die hiervon zu unterscheidende Verjährungsfrist (BGH, Urteil vom 26.06.2008 – 1 ZR 221/05, NJW 2008, 2995, 2997) bzw. deren Ablaufwaren dagegen nicht Gegenstand ihrer Ausführungen.
b) Der vom Landgericht in seinem Beschluss vom 17.03.2020 vertretenen Auffassung, der Hinweis des Einzelrichters auf die Verjährung sei zur Herbeiführung einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien geboten gewesen, kann sich der Senat nicht anschließen. Die vom BGH in seiner Entscheidung vom 12.11.1997 dargestellten Grundsätze zu der Frage, ob ein richterlicher Hinweis auf die Verjährungseinrede im Rahmen eines Güteversuchs die Besorgnis der Befangenheit rechtfertige, greifen hier nicht. Ausweislich der Sitzungsniederschrift erfolgte der Hinweis auf die Verjährung weder im Rahmen von Vergleichsverhandlungen noch zur Begründung eines richterlichen Vergleichsvorschlags.
Der vom Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung unternommene Hinweis auf die Verjährung war auch nicht unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten zwingend geboten. Die vom Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene und durchaus umstrittene Frage, ob Garantieansprüche in der Frist des § 438 BGB oder der §§ 195, 199 BGB verjähren, findet in dem Vortrag der Parteien keine Grundlage. Wie bereits dargestellt, hatte die Beklagte in ihrer Klagerwiderung lediglich das Bestehen der von der Klägerin behaupteten Mängel bestritten sowie den Ablauf der Garantiefrist geltend gemacht.
c) Für die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs streitet im Übrigen die von dem Einzelrichter in seinem Protokoll gewählte Formulierung „… dass sich die Beklagte auf Verjährung berufen könnte …“. Diese Wortwahl weist nämlich aus der hier erheblichen Sicht eines objektiven Betrachters daraufhin, dass der Einzelrichter davon ausgeht, dass die Beklagte die Einrede der Verjährung noch erheben könne, sie also noch nicht erhoben hat.
Nach alledem war das Ablehnungsgesuch gegen den Einzelrichter für begründet zu erklären.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da die sofortige Beschwerde Erfolg hat. Der Wert des Beschwerdegegenstandes richtet sich nach dem Streitwert der Hauptsache.