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Verkehrslärmschutz – Straßenneubau – Ansprüche der Betroffenen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

Az.: 9 C 2.06

Urteil vom 07.03.2007

Vorinstanzen:

VG Schleswig, Az.: VG 12 A 30/99, Urteil vom 26.07.2001

OVG Schleswig, Az.: OVG 4 LB 184/01, Urteil vom 22.09.2005


Leitsätze:

1. Der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen wegen nicht voraussehbarer (Lärm-)Wirkungen eines (Straßenneubau-)Vorhabens gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG besteht grundsätzlich für die gesamte Dauer der 30-Jahres-Frist gemäß § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG. Er wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Lärmprognose des Planfeststellungsbeschlusses zulässigerweise ein kürzerer Prognosezeitraum (hier: rund 15 Jahre) zugrunde lag. Das Tatbestandsmerkmal „nicht voraussehbar“ ist nicht gleichzusetzen mit dem Begriff der „fehlgeschlagenen Prognose“ und setzt eine solche nicht voraus.

2. Nicht voraussehbare nachteilige Wirkungen i.S.v. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG liegen erst dann vor, wenn es zu einer erheblichen Steigerung der Lärmeinwirkungen kommt. Das ist grundsätzlich erst der Fall, wenn der nach der damaligen, methodisch korrekten Prognose zu erwartende Beurteilungspegel um mindestens 3 dB(A) überschritten wird. Eine Lärmzunahme von weniger als 3 dB(A) kann ausnahmsweise dann erheblich sein, wenn der Beurteilungspegel die sog. enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle übersteigt.

3. Der Anspruch gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG besteht dem Grunde nach, wenn der Betroffene bei Voraussehbarkeit dieser Wirkungen nach der Rechtslage, die dem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss zugrunde lag, einen Anspruch auf Schutzvorkehrungen gehabt hätte. Dies ist grundsätzlich anhand des damals angewandten Berechnungsverfahrens zu ermitteln. Neue Berechnungsmethoden können ggf. angewandt werden, wenn die Vergleichbarkeit gewährleistet ist. Über die Dimensionierung danach anzuordnender nachträglicher Lärmschutzmaßnahmen ist dagegen nach der derzeitigen Rechtslage zu entscheiden.

4. Der Anspruch ist nicht gegeben bei Straßen, die vor dem Inkrafttreten von § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974 (am 7. Juli 1974) planfestgestellt worden sind.


In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2007 am 7. März 2007 für Recht erkannt:

Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. September 2005 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren die nachträgliche Anordnung von Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrslärmschutzes an der B 202 im Bereich der Gemeinde Osterrönfeld bei Rendsburg.

Die Klägerin zu 1, die Gemeinde Osterrönfeld, ist Eigentümerin von drei nördlich und südlich der B 202 gelegenen Grundstücken. Die Kläger zu 2 bis 7 sind Eigentümer von Hausgrundstücken in Wohngebieten nördlich der B 202. Die B 202 verläuft in Dammlage von Südwesten nach Nordosten durch das Gemeindegebiet.

Sie verbindet die westlich von Rendsburg in Nord-Süd-Richtung verlaufende B 77 mit der östlich von Rendsburg ebenfalls in Nord-Süd-Richtung verlaufenden A 7 (Autobahn Hamburg-Flensburg). Die B 202 geht im nordöstlichen Bereich des Gemeindegebiets von einem zweistreifigen in einen vierstreifigen Ausbau über und führt ab der Anschlussstelle Schacht-Audorf als A 210 in Richtung Westen zum Autobahnkreuz Flensburg und weiter nach Kiel.

Grundlage des seinerzeitigen Neubaus der B 202 war der bestandskräftige Planfeststellungsbeschluss vom 30. Dezember 1976. Diesem lag eine lärmtechnische Untersuchung vom September 1975 zugrunde, die in ihrer Prognose für die B 202 im Gemeindegebiet von einem Verkehrsaufkommen im Jahr 1990 von rund 9 000 Kfz/24 h ausging. Mit bestandskräftigem Änderungsbeschluss vom 12. Januar 1979 wurden die Lärmschutzmaßnahmen des Ausgangsbeschlusses aufgehoben und durch neue ersetzt. Als Grundlage für die neuen Lärmschutzmaßnahmen wurde wiederum die lärmtechnische Untersuchung aus dem Jahre 1975 mit dem Prognosejahr 1990 angegeben. Der Änderungsbeschluss sah die Errichtung von zwei Lärmschutzwänden in bestimmter Lage vor und erkannte u.a. den Klägern zu 6 und 7 einen Anspruch auf passiven Lärmschutz zu. Die Dimensionierung der Lärmschutzwände beruhte auf einer lärmtechnischen Berechnung des Straßenbauamtes Rendsburg vom 20. November 1978, die von einem Verkehrsaufkommen für das Jahr 2000 von ca. 9 500 Kfz/24 h ausging.

Nach längerer, bis ins Jahr 1986 zurückgehender Vorkorrespondenz beantragten die Kläger unter dem 25. März 1997 beim Rechtsvorgänger des Beklagten die nachträgliche Anordnung von Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrslärmschutzes an der B 202. Sie machten geltend, dass die dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegende Prognose des zu erwartenden Verkehrs fehlgeschlagen sei. Verkehrszählungen in den Jahren 1990 bzw. 1993 hätten ein Verkehrsaufkommen von 17 000 bzw. 18 000 Kfz/24 h ergeben. Damit lägen nicht voraussehbare Wirkungen i.S.v. § 142 Abs. 2 Satz 2 LVwG S-H (§ 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG) vor.

Mit Bescheid vom 11. Januar 1999 lehnte der Rechtsvorgänger des Beklagten den Antrag ab: Er sei bereits unzulässig, weil die Drei-Jahres-Frist gemäß § 142 Abs. 3 Satz 2 LVwG S-H (§ 75 Abs. 3 Satz 2 VwVfG) nicht eingehalten sei. Auch liege keine fehlgeschlagene Prognose vor. Maßgeblicher Prognosehorizont sei das Jahr 1990, das auch der Prognose der Planfeststellung zugrunde gelegen habe. Auf der Grundlage der Verkehrszählung des Jahres 1990 unter Anwendung des bei der lärmtechnischen Berechnung des Änderungsbeschlusses verwandten Rechenverfahrens (der Vorläufigen Richtlinien für den Schallschutz an Straßen 1975 – VRSS 1975) ergebe sich im Bereich der beiden maßgeblichen Zählstellen im Vergleich zwischen der Prognose und dem Ist-Zustand lediglich eine Lärmpegelerhöhung von 0,1 dB(A) tags und 1,9 dB(A) nachts (Zählstelle 0918) bzw. von 0,37 dB(A) tags und 1,61 dB(A) nachts (Zählstelle 0106).

Die Kläger haben zur Begründung ihrer Klage vorgetragen: Sie hätten die Drei-Jahres-Frist des § 142 Abs. 3 Satz 2 LVwG S-H nicht versäumt. Diese Frist beginne erst, wenn der Betroffene Kenntnis von den nachteiligen Wirkungen des bestandskräftig planfestgestellten Vorhabens erlange. Über diese Kenntnis hätten sie erst verfügt, nachdem sie nach langjährigen Bemühungen im Jahr 1997 von dem Beklagten alle erforderlichen Informationen erhalten hätten. Ihr Anspruch auf Anordnung nachträglicher Schutzauflagen werde nicht durch den Ablauf des dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde liegenden Prognosezeitraums beschränkt. Vielmehr seien Nachbesserungsansprüche erst nach Ablauf der 30-Jahres-Frist des § 142 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 LVwG S-H ausgeschlossen.

Dass dem Planfeststellungsbeschluss ein kürzerer Prognosehorizont zugrunde liege, dürfe den Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen; anderenfalls laufe die 30-Jahres-Frist praktisch leer.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Kläger mit dem hier angegriffenen Beschluss zurückgewiesen:

Die Kläger hätten keinen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen. Die Verkehrslärmprognose, auf die sich die Planfeststellung stütze, sei nicht fehlgeschlagen, so dass die aktuelle Verkehrsentwicklung auf der B 202 keine nicht voraussehbare Wirkung des Vorhabens darstelle.

Für die Beurteilung, ob die Lärmprognose fehlgeschlagen sei, sei auf den der lärmtechnischen Untersuchung der Planfeststellung zugrundeliegenden, rechtlich nicht zu beanstandenden Prognosehorizont des Jahres 1990 abzustellen.

Aus § 142 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 LVwG S-H folge nicht, dass auch die weitere Verkehrsentwicklung nach 1990 zur Überprüfung der Prognose heranzuziehen sei. Das Recht der Planfeststellungsbehörde, angemessene kürzere Prognosehorizonte festzulegen, würde ausgehöhlt, wenn Entwicklungen zu berücksichtigen wären, die erst nach Ablauf des maßgeblichen Prognosejahres einträten.

Dies hätte zur Folge, dass unabhängig von den Festlegungen der Planfeststellungsbehörde faktisch stets ein Prognosehorizont von 30 Jahren gelten und ein Lärmsanierungsanspruch von entsprechender Dauer bestehen würde. Das könne nicht Sinn der Vorschrift sein. Die 30-Jahres-Frist sei vielmehr als materiellrechtliche Ausschlussfrist zu verstehen, die zugunsten der Planungssicherheit zum Zuge komme, wenn die Drei-Jahres-Frist des § 142 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 LVwG S-H mangels Kenntnis des Betroffenen von den nachteiligen Wirkungen nicht greife.

Ausgehend vom Prognosejahr 1990 sei die Verkehrslärmprognose nicht fehlgeschlagen.

Die für dieses Jahr ermittelten Lärmpegelerhöhungen stellten gegenüber den prognostizierten Werten keine so wesentliche Steigerung dar, dass unvorhersehbare nachteilige Wirkungen i.S.v. § 142 Abs. 2 Satz 2 LVwG S-H vorlägen. Aus der vom Beklagten errechneten Erhöhung der Beurteilungspegel um 1,6 bzw. 1,9 dB(A) allein lasse sich dies nicht herleiten, weil sie das erforderliche Mindestmaß nicht überstiegen. Eine Erhöhung des Dauerschallpegels von unter 2 dB(A) liege nach allgemeiner Auffassung unter der menschlichen Hörbarkeitsschwelle. In der Erhöhung der Beurteilungspegel an einer Zählstelle auf 61,13 dB(A) liege auch keine Überschreitung von im vorliegenden Fall maßgeblichen Immissionsgrenzwerten. Solche Grenzwerte ergäben sich weder aus dem Planfeststellungsbeschluss noch könne die 16. BImSchV zur Bewertung herangezogen werden. Im Rahmen eines Anspruchs auf nachträgliche Anordnung von Schutzauflagen seien allein die Grenzwerte zum Zeitpunkt der Planaufstellung maßgeblich. Zum Zeitpunkt der Planfeststellung hätten die Kläger nur Lärmschutzauflagen gemäß den Vorläufigen Richtlinien für den Schallschutz an Straßen 1975 (VRSS 1975) verlangen können. Auf die Frage der Einhaltung der Drei-Jahres-Frist des § 143 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 LVwG S-H komme es danach nicht an; der Senat neige jedoch dazu, dass keine Verfristung vorliege, weil die Kläger glaubhaft dargelegt hätten, die notwendigen Informationen zur Antragstellung erst 1997 erhalten zu haben.

Die Kläger tragen zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revision vor:

Der angefochtene Beschluss verstoße gegen § 142 Abs. 2 Satz 2 LVwG S-H, indem er den Nachbesserungsanspruch wegen nicht voraussehbarer Wirkungen schon vor Ablauf der 30-Jahres-Frist auf das maßgebliche Prognosejahr beschränke. Diese restriktive Auslegung lasse sich weder mit dem Wortsinn noch mit dem Zweck der Vorschrift oder dem Anspruch auf gerechte Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG vereinbaren. Nur wenn der Planergänzungsanspruch nicht durch das Prognosejahr limitiert werde, sei die Festlegung von kürzeren Prognosezeiträumen für den Schutzanspruch des Planbetroffenen aus § 41 BImSchG ohne Nachteil. Dieser Anspruch bestehe jedenfalls 30 Jahre ab Herstellung des dem Plan entsprechenden Zustandes. Erst danach solle der Vorhabenträger nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr mit nicht vorhergesehenen nachteiligen Wirkungen belastet werden.

Die Kläger beantragen, den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts

vom 22. September 2005, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 26. Juli 2001 und den Bescheid des Landesamtes für Straßenbau und Straßenverkehr Schleswig-Holstein vom 11. Januar 1999 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Antrag der Kläger, dem Straßenbaulastträger durch nachträgliche Anordnung Maßnahmen zur Verbesserung des Verkehrslärmschutzes an der B 202 im Bereich der Gemeinde Osterrönfeld mit Wirkung für die Grundstücke der Kläger aufzuerlegen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

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Der Beklagte verteidigt die Rechtsansicht des Berufungsgerichts und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Vertreter des Bundesinteresses tritt ebenfalls dieser Rechtsauffassung bei.

II.

Die Revision ist begründet. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletzt revisibles Recht, nämlich § 142 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 LVwG-SH, das der bundesrechtlichen Regelung in § 75 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG entspricht (1.). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind bei der Frage, ob ein Anspruch auf nachträgliche Anordnung von (Lärmschutz-)Maßnahmen wegen nicht voraussehbarer Wirkungen eines planfestgestellten (Straßenneubau-)Vorhabens besteht, auch solche Wirkungen zu berücksichtigen, die vor Ablauf der 30-jährigen Ausschlussfrist, aber erst nach dem zulässigerweise kürzer festgelegten Prognosezeitraum des Planfeststellungsbeschlusses auftreten (2.). Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen ist nur bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen gegeben (3.). Da es insoweit an den erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1.

Gemäß § 142 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 des Allgemeinen Verwaltungsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (Landesverwaltungsgesetz – LVwG S-H) in der Fassung vom 2. Juni 1992 (GVOBl Schl.-H. S. 243) kann die oder der Betroffene eines planfestgestellten Vorhabens, wenn nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens oder der dem festgestellten Plan entsprechenden Anlagen auf das Recht einer oder eines anderen erst nach Unanfechtbarkeit des Planes auftreten, Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen verlangen, welche die nachteiligen Wirkungen ausschließen. Entsprechende Anträge sind gemäß § 142 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 LVwG S-H ausgeschlossen, wenn nach Herstellung des dem Plan entsprechenden Zustandes 30 Jahre verstrichen sind; sie sind gemäß § 142 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 LVwG S-H nur innerhalb von drei Jahren nach dem Zeitpunkt zulässig, zu dem die oder der Betroffene von den nachteiligen Wirkungen des dem unanfechtbar festgestellten Plan entsprechenden Vorhabens oder der Anlage Kenntnis erhalten hat.

Die dargestellten Vorschriften sind gemäß Art. 99 Alt. 2 GG i.V.m. § 327 LVwG S-H revisibel. Danach kann die Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht auch darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf der Verletzung (u.a.) von § 142 LVwG S-H beruhe. Im Übrigen unterlägen sie auch gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO revisionsgerichtlicher Überprüfung, weil sie ihrem Wortlaut nach mit der Regelung in § 75 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes (VwVfG) übereinstimmen; dass das Landesverwaltungsgesetz zusätzlich die weibliche Form anführt, ist insoweit unerheblich.

Die Anwendung dieser Vorschriften ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Rechtslage zur Zeit der Planfeststellung der B 202 keine Durchbrechung der Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses bei nicht voraussehbaren Wirkungen erlaubt hätte. Zwar enthielt das Landesverwaltungsgesetz in seiner ursprünglichen Fassung vom 18. April 1967 (GVOBl Schl.-H. S. 131) noch keine dem heutigen § 142 Abs. 2 und 3 LVwG S-H (§ 75 Abs. 2 und 3 VwVfG) entsprechende Regelung. Eine Anpassung an das am 1. Januar 1977 in Kraft getretene Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes unter Einfügung des heutigen § 142 LVwG S-H erfolgte erst durch das Gesetz zur Änderung des Landesverwaltungsgesetzes vom 18. Dezember 1978 (GVOBl Schl.-H. 1979 S. 2), das am 1. April 1979 in Kraft getreten ist, mithin erst nach Erlass des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses vom 12. Januar 1979, auf den insoweit abzustellen ist, weil er eine neue Regelung des Lärmschutzes für den Bau der B 202 enthielt. Es galt aber bereits die Vorgängerregelung des § 17 Abs. 6 Satz 2 und Abs. 7 des Bundesfernstraßengesetzes in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes vom 4. Juli 1974 (BGBl I S. 1401, nachfolgend FStrG 1974), die dem späteren § 75 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG entsprechen (mit dem vernachlässigbaren Unterschied, dass die straßenrechtliche Vorschrift von nicht „vorhersehbaren“ und die spätere Vorschrift von nicht „voraussehbaren“ Wirkungen spricht) und die erst durch das 3. Rechtsbereinigungsgesetz vom 28. Juni 1990 (BGBl I S. 1221 <1228>) aufgehoben wurden. Das Berufungsgericht wendet im angefochtenen Beschluss ohne nähere Begründung § 142 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 und Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 LVwG S-H an, wohl in der zutreffenden Annahme, dass sich aus heutiger Sicht ein Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzmaßnahmen nur aus dem geltenden Recht ergeben kann und dass sich wegen der Inhaltsgleichheit mit § 17 Abs. 6 Satz 2 und Abs. 7 Satz 2 FStrG 1974 kein Rückwirkungsproblem stellt.

Im Übrigen bleibt es dabei, dass für Straßen, die vor dem Inkrafttreten von § 17 Abs. 6 Satz 2 bis 5 und Abs. 7 FStrG 1974 (am 7. Juli 1974) planfestgestellt worden sind, Nachbesserungsansprüche aufgrund einer rückwirkenden Anwendung dieser Vorschriften bzw. von § 75 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 VwVfG oder der Parallelnormen der Länder-Verwaltungsverfahrensgesetze ausgeschlossen sind (Urteil vom 12. September 1980 – BVerwG 4 C 74.77 – BVerwGE 61, 1 <3 ff.> und Beschluss vom 24. August 1999 – BVerwG 4 B 58.99 – Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 29 S. 41).

2.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind im Rahmen eines Antrags nach § 142 Abs. 2 Satz 2 LVwG S-H (§ 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG) auch solche Wirkungen eines Straßenneubauvorhabens zu berücksichtigen, die vor Ablauf der 30-jährigen Ausschlussfrist, aber erst nach dem zulässigerweise kürzer festgelegten Prognosezeitraum des Planfeststellungsbeschlusses auftreten.

Indem das Berufungsgericht lediglich diesen kürzeren Prognosezeitraum für maßgeblich gehalten hat, hat es § 142 LVwG S-H verletzt.

a) Für hoheitliche Planungen gilt der Grundsatz der Problembewältigung. Das Gebot, die von einem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange umfassend abzuwägen (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG), schließt ein, dass die von dem Planvorhaben in seiner räumlichen Umgebung aufgeworfenen Probleme von Bedeutung bewältigt werden müssen (Urteile vom 23. Januar 1981 – BVerwG 4 C 68.78 – BVerwGE 61, 307 <311> und vom 1. Juli 1999 – BVerwG 4 A 27.98 – BVerwGE 109, 192 <201>). Eine spezielle Ausprägung dieses Grundsatzes stellt § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG dar. Danach hat die Planfeststellungsbehörde dem Vorhabenträger Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. Das ist freilich nur möglich, wenn und soweit diese Wirkungen voraussehbar sind.

Voraussehbar sind solche Wirkungen, deren Eintritt im Zeitpunkt der Entscheidung gewiss ist oder sich mit hinreichender Zuverlässigkeit prognostisch abschätzen lässt (Urteile vom 14. Mai 1992 – BVerwG 4 C 9.89 – Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 88 S. 84 und vom 22. November 2000 – BVerwG 11 C 2.00 – BVerwGE 112, 221 <225 f.>). Womit in diesem Sinne „voraussehbar“ zu rechnen ist, soll Gegenstand der nach § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG gebotenen Abwägung sein. Demgegenüber will § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG die nicht voraussehbaren Wirkungen erfassen. Gemeint sind damit nachteilige Entwicklungen, die sich erst später zeigen und mit denen die Beteiligten bei der Planfeststellung verständigerweise nicht rechnen konnten (Urteil vom 1. Juli 1988 – BVerwG 4 C 49.86 – BVerwGE 80, 7 <13> zu § 17 Abs. 6 Satz 2 FStrG 1974, ebenso Urteil vom 23. April 1997 – BVerwG 11 A 17.96 – Buchholz 316 § 75 VwVfG Nr. 13 S. 7 und Beschluss vom 24. August 1999 a.a.O. S. 41). Auf die subjektive Fähigkeit des Planbetroffenen, das Eintreten möglicher nachteiliger Wirkungen sachkundig einschätzen zu können, kommt es grundsätzlich nicht an; es gilt ein objektiver Maßstab (Urteil vom 1. Juli 1988 a.a.O. S. 13).

b) Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht (im Urteil vom 21. März 1996 – BVerwG 4 A 10.95 – Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 13 S. 35 f.) es gebilligt, dass die Planfeststellungsbehörde bei der Lärmberechnung eines Planvorhabens auf einen kürzeren Prognosehorizont als die in § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG normierte 30-Jahres-Frist abstellt und sich an den Zeithorizont des Bedarfsplans für die Bundesfernstraßen und der Schienenwege anlehnt, der der jeweiligen Fassung des Fernstraßenausbaugesetzes bzw. des Schienenwegeausbaugesetzes zugrunde liegt (seinerzeit das Prognosejahr 2010).

§ 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG bezeichnet danach lediglich die äußerste Grenze, bei deren Überschreiten der zeitliche Abstand zwischen der Planungsentscheidung und der nachfolgenden tatsächlichen Entwicklung so groß geworden ist, dass es fragwürdig wäre, die lange zurückliegende prognostische Aussage noch an der Wirklichkeit messen zu wollen. Prognosen, die sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken, tragen in hohem Maße die Gefahr in sich, fehlzuschlagen.

Dies legt es nahe, auch bei der Bestimmung des einem Planbetroffenen nach der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) zustehenden Schutzanspruchs den durch § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG abgesteckten zeitlichen Rahmen nicht voll auszuschöpfen. Dadurch entstehen den Lärmbetroffenen insofern keine Nachteile, als sich gegebenenfalls der nach § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG erforderliche Nachweis, dass sich die prognostischen Annahmen der Planungsbehörde nicht bestätigt haben, desto früher führen lässt, je kürzer der Prognosezeitraum bemessen ist. Ein solcher kürzerer Prognosezeitraum ist erst dann zu beanstanden, wenn er sich als Ausdruck unsachlicher Erwägungen werten ließe (Urteil vom 21. März 1996 a.a.O. S. 36). Auch in der Folgezeit hat das Bundesverwaltungsgericht Lärmprognosen mit einem kürzeren (ebenfalls auf das Jahr 2010 abstellenden) Prognosehorizont gebilligt (Urteil vom 1. Oktober 1997 – BVerwG 11 A 10.96 – Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 32

S. 165). Es hat diese Rechtsprechung durch die fortschreitende Annäherung an das Jahr 2010 und den insoweit nahe liegenden Einwand, der noch verbleibende Prognosezeitraum sei „zu kurz“, nicht ohne weiteres infrage gestellt (Urteil vom 31. Januar 2002 – BVerwG 4 A 21.01 – UA S. 10 f. und Beschluss vom 25. Mai 2005 – BVerwG 9 B 41.04 – juris Rn. 20).

c) Daraus folgt indessen nicht, dass im Rahmen der Prüfung eines Anspruchs gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (Lärm-)Wirkungen, die erst nach Ablauf des kürzeren Prognosezeitraums des Planfeststellungsbeschlusses, aber innerhalb der 30-Jahres-Frist des § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG auftreten, unberücksichtigt bleiben dürfen. Vielmehr besteht der Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzauflagen wegen nicht voraussehbarer Wirkungen eines Straßenneubauvorhabens grundsätzlich für die gesamte Dauer der in § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG vorgesehenen 30-Jahres-Frist. Er wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Lärmprognose des Planfeststellungsbeschlusses zulässigerweise ein kürzerer Prognosezeitraum zugrunde liegt. Dass in der Praxis der straßenrechtlichen Planfeststellung regelmäßig mit kürzeren Prognosezeiträumen von ca. 10 bis 15 Jahren gearbeitet wird, beruht nach dem Vorstehenden darauf, dass sichere Vorhersagen über weitergehende zukünftige Entwicklungen kaum angestellt werden können, z.B. weil es an hinreichend zuverlässigen Daten zur künftigen Verkehrsentwicklung jenseits der Zeithorizonte der Bedarfspläne fehlt. Das führt aber nicht zu einer Verkürzung der vom Gesetz auf 30 Jahre bestimmten Frist zur Geltendmachung von Nachbesserungsansprüchen.

Das Berufungsgericht setzt das Tatbestandsmerkmal „nicht voraussehbar“ gleich mit dem Erfordernis, dass die Lärmprognose „fehlgeschlagen“ sein muss. Das ist ein Fehlschluss. Der Anspruch aus § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG setzt eine fehlgeschlagene Prognose nicht voraus. Die in früheren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts enthaltene Aussage, dass nicht voraussehbare Wirkungen i.S.v. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vorliegen, wenn sich die Prognose des Planfeststellungsbeschlusses als fehlgeschlagen erweist (Urteil vom 21. März 1996 a.a.O. S. 35 f.), bezeichnet lediglich eine hinreichende, aber keine notwendige Voraussetzung des Anspruchs auf Nachbesserung des Planfeststellungsbeschlusses.

Die gegenteilige Auffassung hätte zur Konsequenz, dass die 30-Jahres-Frist des § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG praktisch leerlaufen würde. In ihrem wichtigsten Anwendungsfall, nämlich bei Prognosen über schädliche Umwelteinwirkungen von planfestzustellenden Verkehrswegen (namentlich betreffend Lärm und Luftschadstoffe), die im Wesentlichen abhängen von der Entwicklung des Verkehrsaufkommens, würde an ihre Stelle regelmäßig der kürzere Prognosezeitraum des Planfeststellungsbeschlusses treten. Für die 30-Jahres-Frist des § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG bliebe dann nur noch ein schmaler Anwendungsbereich.

Für ein derart reduziertes Verständnis der Norm gibt der Gesetzeswortlaut keinen Anhaltspunkt.

Dies würde auch dem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der Vorschrift widersprechen. Tragender Grund für die Regelung des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ist, dass die Betroffenen nicht schlechter dastehen sollen als sie stünden, wenn im Zeitpunkt der Planfeststellung die aufgetretenen nachteiligen Wirkungen bereits vorhergesehen worden wären (vgl. Urteil vom 1. Juli 1988 a.a.O. S. 11; ebenso Beschlüsse vom 24. August 1999 a.a.O. S. 41 und vom 21. Januar 2004 – BVerwG 4 B 82.03 – NVwZ 2004, 618). Wie oben (vgl. II. 2. a) dargestellt, ist der Vorhabenträger verpflichtet, die von dem Planvorhaben ausgelösten Probleme zu bewältigen, u.a. durch Schutzauflagen gemäß § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, die der Erfüllung des materiellrechtlichen Schutzanspruchs der Betroffenen vor schädlichen Umwelteinwirkungen von Straßen und Schienenwegen i.S.v. § 41 BImSchG dienen. Dieser Schutzanspruch findet seine verfahrensrechtliche Begrenzung durch § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG. Danach sind Ansprüche auf Schutzauflagen ausgeschlossen, wenn der Planfeststellungsbeschluss unanfechtbar geworden ist. Das gilt grundsätzlich auch hinsichtlich veränderter Umstände. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens besteht nicht (§ 72 Abs. 1 Halbs. 2 VwVfG). Jedoch gewährt § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG auch nach Bestandskraft des Planfeststellungsbeschlusses für nicht voraussehbare Wirkungen innerhalb einer Frist von 30 Jahren (§ 75 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 VwVfG) einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Schutzauflagen. Dadurch soll die Härte der Bestandskraft und das Risiko zutreffender prognostischer Einschätzung zu Lasten des Vorhabenträgers gemindert werden (vgl. Urteil vom 1. Juli 1988 a.a.O. S. 9 f.). Zugleich werden damit die Betroffenen so gestellt, als ob die aufgetretenen nachteiligen Wirkungen bereits bei der Planung vorausgesehen worden wären. Dies ist kein Widerspruch dazu, dass der Planungsträger das Risiko eines Fehlschlags seiner Prognose der voraussehbaren Wirkungen nur für den in der Regel kürzeren Prognosezeitraum des Planfeststellungsbeschlusses trägt. Denn § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG betrifft das Problembewältigungsrisiko, verstanden als die Verantwortung dafür, dass dem oben erwähnten Gebot der Problembewältigung Genüge getan ist, für nicht voraussehbare Wirkungen des Vorhabens. § 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 VwVfG weist dieses Risiko dem Planungsträger für die Dauer von 30 Jahren nach Herstellung des dem Plan entsprechenden Zustands zu.

3.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen hängt vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen ab, über die zu entscheiden dem Senat nicht möglich ist, weil es insoweit an den erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt. Dies nötigt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

a) Nicht voraussehbare nachteilige Wirkungen i.S.v. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG liegen dann vor, wenn es – auch nach Ablauf des Prognosezeitraums des Planfeststellungsbeschlusses – zu einer erheblichen Steigerung der Beeinträchtigung durch Immissionen gegenüber dem methodisch korrekt prognostizierten Zustand kommt.

Der Anspruch auf nachträgliche Schutzvorkehrungen kann nicht auf solche Wirkungen gestützt werden, deren Bewältigung bereits im Planfeststellungsbeschluss hätte geregelt werden können und müssen, weil sie objektiv voraussehbar waren; deshalb besteht kein Nachbesserungsanspruch, wenn bereits die Prognose des Planfeststellungsbeschlusses erkennbar fehlerhaft gewesen ist, z.B. weil die Planfeststellungsbehörde die zu erwartenden Geräuschimmissionen falsch berechnet oder ihrer Entscheidung anderweitige unzutreffende Annahmen zugrunde gelegt hat (vgl. bereits Urteil vom 1. Juli 1988 a.a.O. S. 14). Dann hätte es den Betroffenen oblegen, dies seinerzeit zum Schutz ihrer Rechte innerhalb der Rechtsmittelfrist durch Klage geltend zu machen (Urteil vom 23. April 1997 a.a.O. S. 7).

Auch eine nur allmähliche Verkehrssteigerung und daraus resultierende Lärmzunahme können einen Nachbesserungsanspruch begründen. Nicht voraussehbare nachteilige Wirkungen i.S.v. § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG liegen jedoch erst dann vor, wenn es zu einer erheblichen Steigerung der Lärmeinwirkungen kommt, diese also eine Erheblichkeitsschwelle überschreitet. Denn die Ausschlusswirkung des § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG muss sich der Betroffene erst dann nicht mehr entgegenhalten lassen, wenn er zusätzlichen Immissionen ausgesetzt ist, die ihrerseits als schädliche Umwelteinwirkungen i.S.v. § 3 Abs. 1 BImSchG zu werten sind. Der Straßenbaulastträger muss danach nicht schon auf jede geringfügige Erhöhung der (Lärm-)Wirkungen mit möglicherweise kostspieligen und schwierigen Nachbesserungen reagieren, zumal jeder Prognose eine gewisse Unsicherheitsmarge innewohnt. Die Erheblichkeitsschwelle ist auch im Rahmen eines Anspruchs gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG gemäß der vom Verordnungsgeber in der Verkehrslärmschutzverordnung getroffenen Wertung bei 3 dB(A) zu veranschlagen (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 16. BImSchV). Erforderlich ist also, dass der nach der ursprünglichen, methodisch korrekten Prognose zu erwartende Beurteilungspegel um mindestens 3 dB(A) überschritten wird. Dabei bestehen keine Bedenken, auch insoweit die Aufrundungsregel gemäß Anlage 1 und 2 zu § 3 der 16. BImSchV anzuwenden, so dass die Schwelle bereits bei 2,1 dB(A) beginnt.

Eine Lärmzunahme von weniger als 3 dB(A) kann nur ausnahmsweise dann erheblich sein, wenn der Beurteilungspegel die sog. enteignungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle übersteigt, die in Wohngebieten bei Beurteilungspegeln von etwa 70 dB(A) tags/60 dB(A) nachts beginnt (Urteil vom 12. April 2000 – BVerwG 11 A 18.98 – Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 49 S. 20; BGH, Urteil vom 25. März 1993 – III ZR 60.91 – BGHZ 122, 76 <81> m.w.N.), aber nicht schematisch bestimmt werden darf (vgl. Beschluss vom 8. September 2004 – BVerwG 4 B 42.04 – Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 66 S. 51). Mit einer nicht prognostizierten Lärmerhöhung auf derart hohe Werte mussten die Beteiligten verständigerweise schon deshalb nicht rechnen, weil der Staat durch die in den Grundrechten der Lärmbetroffenen begründete Schutzpflicht zur Vorsorge gegen

eine Überschreitung dieser Schwelle verpflichtet war und ist. Entsprechendes gilt für die in rechtlicher Würdigung der Lärmwirkungsforschung zu bestimmende Schwelle der Gesundheitsgefährdung, für die Innenraumpegel entscheidend sind; nach dem bis zum Jahre 2000 erreichten Stand der Lärmwirkungsforschung sollten Dauerschallpegel am Ohr einer schlafenden Person in einem Bereich zwischen 30 und 35 dB(A) und Pegelspitzen in der Größenordnung von 40 dB(A) nicht überschritten werden (Urteil vom 12. April 2000 a.a.O. m.w.N.).

b) Ein Anspruch auf nachträgliche Schutzvorkehrungen besteht weiter dem Grunde nach nur, wenn der Betroffene bei Vorhersehbarkeit dieser Wirkungen nach der Rechtslage, die dem bestandskräftigen Planfeststellungsbeschluss zugrunde lag, einen Anspruch auf Schutzvorkehrungen gehabt hätte. Dies folgt aus dem bereits oben betonten Sinn und Zweck der Vorschrift, die Betroffenen so zu stellen, als ob die nachträglich aufgetretenen nachteiligen Wirkungen des Vorhabens bereits seinerzeit vorhergesehen und im Planfeststellungsbeschluss berücksichtigt worden wären (Urteil vom 1. Juli 1988 a.a.O. S. 11). Der Anspruch ist daher dem Grunde nach gegeben, wenn sich bei Zugrundelegung des seinerzeit angewandten Berechnungsverfahrens eine im vorgenannten Sinne erhebliche Steigerung der Lärmimmissionen ergibt und die im damaligen Planfeststellungsbeschluss als zumutbar angesehenen Lärmwerte überschritten werden. Dies ist bei einer auf Verkehrsmengen als Einsatzdaten beruhenden Lärmprognose durch einen Vergleich der Prognose (aufgrund der damaligen Einsatzdaten) mit dem Ist-Zustand (aufgrund der aktuellen Einsatzdaten) zu ermitteln. Gegebenenfalls kann anstelle des damaligen auch ein neueres, mit jenem vergleichbares Berechnungsverfahren zur Anwendung gelangen, wenn dieses nach der tatrichterlichen Beurteilung sachlich angemessen ist (Urteil vom 1. Juli 1988 a.a.O. S. 15). § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG trägt auch insoweit tatsächlichen Entwicklungen Rechnung, die einen neuen Stand von Wissenschaft und Technik begründen (vgl. Beschluss vom 21. Januar 2004 a.a.O. S. 618). Entscheidend ist, dass eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleistet ist.

c) Über die Dimensionierung von danach ggf. anzuordnenden nachträglichen Lärmschutzmaßnahmen ist dagegen nach der derzeitigen Rechtslage zu entscheiden, mithin nach den Immissionsgrenzwerten der 16. BImSchV. Davon gehen auch die Richtlinien für den Verkehrslärmschutz an Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes (Verkehrslärmschutzrichtlinien – VLärmSchR 97 -, VkBl 1997, S. 434 ff.) aus (vgl. Kap. XII Ziff. 34). Der Anspruch kann unter den weiteren Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 Satz 4 und 5 VwVfG ausgeschlossen sein, etwa weil Schutzvorkehrungen untunlich oder mit dem Straßenbauvorhaben unvereinbar sind.

d) Schließlich sind Anträge gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG nur innerhalb von drei Jahren zulässig, nachdem der Betroffene Kenntnis von den nachteiligen Wirkungen erhalten hat (§ 75 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 VwVfG). Festzustellen, ob diese Frist gewahrt ist, kann Schwierigkeiten bereiten, wenn die Lärmzunahme auf einem über die Jahre ansteigenden Verkehrsaufkommen beruht. Die Frist wird jedenfalls dann zu laufen beginnen, wenn sich dem Betroffenen hinreichend sicherer Grund für die Annahme bietet, dass die nachträglich aufgetretenen nachteiligen Wirkungen so erheblich sind, dass sie einen solchen Antrag zu tragen geeignet sind. Dies wird nicht schon bei einem bloßen Gefühl, dass der Lärm inzwischen „erheblich“ geworden sei, zu bejahen sein. Vielmehr muss der Betroffene in der Lage sein, dies anhand geeigneter Beweismittel zu prüfen und zu belegen, was einschließt, dass ihm z.B. entsprechendes Zahlenmaterial über das Verkehrsaufkommen und/oder (darauf beruhende) Lärmberechnungen zur Verfügung stehen. Von diesem Maßstab geht – zutreffend – offenbar auch das Berufungsgericht aus, wenn es zu der Annahme „neigt“, die Kläger hätten die Drei-Jahres-Frist nicht versäumt, weil sie „die notwendigen Informationen zur Antragstellung“ erst 1997 erhalten hätten. Ob die Kläger im Ergebnis einen Anspruch auf nachträgliche Anordnung von Lärmschutzmaßnahmen haben, hängt danach von den aufgezeigten weiteren Voraussetzungen ab, deren Prüfung bezogen auf die Grundstücke der einzelnen Kläger aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unterschiedlich ausfallen kann.

Beschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 40.000 € festgesetzt. Dabei ist für jedes der streitbefangenen Grundstücke der Auffangstreitwert von derzeit 5 000 € zu veranschlagen. Für die Klägerin zu 1, die ihre Betroffenheit auf drei Grundstücke stützt, ist dieser Wert drei Mal anzusetzen, während die Kläger zu 2 und 3, deren Klage dasselbe Grundstück betrifft, insoweit zusammenzufassen sind. Dies ergibt (3 x 5 000 € plus 5 x 5 000 €) den festgesetzten Betrag (§ 39 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 2, § 72 Nr. 1 Halbs. 2 GKG n.F.).

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