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Verkehrssicherungspflicht bei Bauarbeiten – ausgehängte und angelehnte Tür als Gefahrenquelle

LG Coburg, Az.: 22 O 619/13,Urteil vom 04.03.2014

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 8.331,34 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen einer Verletzung durch eine umgefallene Tür. Die Klägerin ist als Raumpflegerin in einem Kindergarten in … beschäftigt. In diesem Kindergarten fanden in der Zeit um den 14.09.2012 Baumaßnahmen statt. Im Zuge dessen wurde unter anderem auch der Beklagte, welcher eine Zimmerei betreibt, und seine Mitarbeiter bei den Baumaßnahmen tätig.

Bei der Klägerin wurde am 14.09.2012 im Klinikum … eine Humerusfraktur proximal des linken Oberarmes diagnostiziert. Auf die Anlage K 3 wird verwiesen. Die Klägerin war vom 14.09.2012 bis 28.02.2013 sowie vom 18.03.2013 bis 22.03.2013 arbeitsunfähig krankgeschrieben.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte und seine Mitarbeiter seien am 14.09.2012 im Waschraum des Bauabschnitts „Raupengruppe“ die einzigen Handwerker gewesen. Der Beklagte oder einer seiner Mitarbeiter hätten im Waschraum die Zugangstür ausgehängt und sie an der Innenseite des Raums an die Wand neben den Eingang gelehnt. Die Klägerin habe an jenem Tag gegen 18 Uhr den Waschraum reinigen wollen. Sie habe in den Toilettenkabinen Sägespäne, welche von den Arbeiten zurückgeblieben seien, entfernen wollen. Die Tür der rechten Kabine sei allerdings nicht zu öffnen gewesen, weil die an der Wand lehnende Tür die Kabinentür blockiert habe. Daher habe die Klägerin die angelehnte Tür nach rechts zur Seite schieben wollen. Die Tür sei beim Versuch, sie zu verschieben, umgekippt. Die Klägerin habe die Tür aufgrund des Gewichts nicht halten können. Die Tür sei ihr zunächst auf den Arm gefallen. Die Klägerin sei dann gestürzt und teilweise unter die Tür gefallen, welche mit der Oberkante auf den an der gegenüberliegenden befindlichen Waschbecken aufschlug und dort liegen blieb.

Aufgrund der Verletzung sei die Klägerin nicht in der Lage gewesen, ihre pflegebedürftige Mutter zu pflegen. Deswegen sei eine zeitweilige Unterbringung der Mutter im Bürgerhospital … notwendig gewesen, wofür die Klägerin eine Zuzahlung in Höhe von 3.209,55 € geleistet habe. Für den Transport der Mutter habe die Klägerin 64,86 € sowie 56,93 € gezahlt. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin sei infolge der Verletzung am Oberarm eingetreten.

Verkehrssicherungspflicht bei Bauarbeiten - ausgehängte und angelehnte Tür als Gefahrenquelle
Symbolfoto: Von JP WALLET/Shutterstock.com

Die Klägerin beantragt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von € 5.000,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 3.331,34 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfallereignis der Klägerin vom 14.09.2012 im Kindergarten … zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.

Der Beklagte beantragt, die Klageabweisung.

Der Beklagte vertritt die Ansicht, das behauptete Aushängen der Tür stelle keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht dar. Die Haftung sei darüber hinaus nach §§ 105, 106 SGB VII ausgeschlossen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Klägerin kann vom Beklagten keinen Schadensersatz wegen der behaupteten Verletzung der Klägerin am Oberarm verlangen. Ein entsprechender Anspruch besteht weder gemäß § 823 Abs. 1 BGB noch nach § 831 BGB. Erforderlich ist jeweils die Verletzung einer objektiven Verkehrssicherungspflicht. Die Verkehrssicherungspflicht bildet den Maßstab zur Bestimmung der allgemeinen Sorgfaltspflicht. Als Grundsatz ist voranzustellen, dass kein allgemeines Gebot besteht, andere Personen vor Selbstgefährdung zu schützen (BGH VersR 2008, 1083). Eine solche Pflicht würde jedermann allenthalben treffen. Vielmehr muss die Schädigung von geschützten Rechtsgütern einem anderen in der Weise objektiv zurechenbar sein, dass er für den Schaden tatsächlich auch eine besondere Verantwortung trägt. Verkehrspflichten werden für denjenigen begründet, der für Dritte eine Gefahrenlage erschafft oder andauern lässt. Er hat dann Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich und zumutbar sind, um die Schädigung Dritter nach Möglichkeit zu vermeiden (BGH NJW 2007, 762 m.w.N.). Hervorzuheben ist jedoch, dass von der Rechtsgutsverletzung allein noch nicht auf die Verletzung der Verkehrspflicht geschlossen werden kann. Die Vorausschaubarkeit des Schadenereignisses für einen sachkundig Urteilenden bestimmt die Sorgfaltsanforderungen. Für unvorhersehbare Schädigungen haftet der Geschädigte selbst (BGH NJW 2007, 1683 m.w.N.).

Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ist vorliegend zu verneinen. Selbst wenn feststehen würde, dass der Beklagte oder einer seiner Mitarbeiter die Tür ausgehängt haben, lässt sich sorgfaltswidriges Verhalten nicht annehmen. Fest steht, dass die ausgehängte und danach angelehnte Tür für sich allein keine Gefahrenquelle darstellte. Die Parteien haben nicht vorgetragen, dass die Tür unsachgemäß aufgestellt war, sodass sie etwa ohne oder durch ungewollte Einwirkung umzufallen drohte. Gefährlich wurde die Situation nach Vortrag der Klägerin erst dadurch, dass diese die Tür zur Seite zu schieben versuchte und die Kontrolle verlor. Die Klägerin hat mit dieser Handlung eine eigene Gefahr für sich selbst geschaffen, sodass die Haftung dem Beklagten schon aus diesem Grunde vereint werden muss.

Zwar ist anerkannt, dass der Verursacher eines Schadens ausnahmsweise auch dann für sorgfaltswidriges Verhalten des Geschädigten haftet, wenn dessen Fehlverhalten vorhersehbar ist und naheliegt (BGH NJW 1978, 1629). Deshalb kann man durchaus davon ausgehen, dass demjenigen, welcher die Tür ausgehängt und an die Wand angelehnt hat, vorhersehbar sein konnte, dass eine Reinigungskraft die Tür verschieben würde, um ungehindert zur Kabine zu kommen.

Die Zurechnung zum Schädiger ist damit aber noch nicht hinreichend begründet. Im Falle eigenen Fehlverhaltens des Geschädigten kommt eine Haftung des Schädigers nur dann in Betracht, wenn die Gefahrsteuerungsmöglichkeiten zwischen Schädiger und Geschädigtem asymmetrisch verteilt sind, und zwar so, dass dem Schädiger überlegene Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 823 Rn. 343). Nur wenn der Geschädigte die Gefahr selbst nicht erkennen oder steuern kann, ist es gerechtfertigt, dem Schädiger die Verantwortung aufzuerlegen. Davon kann im vorliegenden Fall aber nicht ausgegangen werden. Dass die angelehnte Tür beim Schieben umfallen könnte, war der Klägerin nicht weniger bekannt als demjenigen, der die Tür aufgestellt hat. Im Gegenteil wird man beim Aufstellen einer angelehnten Tür nicht davon ausgehen, dass diese einen Erwachsenen in irgendeiner Weise schädigen können wird. Der Schädiger kann in einem solchen Fall davon ausgehen, dass der Geschädigte selbst Vorkehrungen zum eigenen Schutz trifft (vgl. OLG Stuttgart NJW-RR 2011, 313).

Daher besteht auch weder ein Anspruch auf Verzugszinsen noch ist die begehrte Feststellung der Eintrittspflicht des Beklagten für zukünftige Schäden gegeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708Nr. 11, 711 ZPO.

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